Provokation beim Druck eines Wandtafelkalenders für 1960
30. Dezember 1959
Information Nr. 914/59 [über] eine Provokation beim Druck eines Wandtafelkalenders für das Jahr 1960 im VEB Spezialprägewerke Annaberg-Buchholz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt
Ein erstmaliger Hinweis auf eine Provokation beim Druck eines Wandtafelkalenders für das Jahr 1960 erfolgte seitens des VEB Schuh- und Sattlermaschinenbau Leipzig 05, Riesaer Straße 66, an die Stadtbezirksleitung Leipzig Nord-Ost, die ihrerseits das Büro der SED-Stadtleitung, Leipzig S3, am 29.10.5199 davon in Kenntnis setzte. Von dort erhielt die Bezirksverwaltung Leipzig am 28.12.1959 über die Bezirksleitung der Partei, Abteilung S,1 Kenntnis von dieser Provokation.
Wie die Ermittlungen ergaben, wurden die Kalender, über die der VEB Schuh- und Sattlermaschinenbau Mitteilung machte, vom VEB Spezialprägewerke Annaberg-Buchholz hergestellt.
Dieser Betrieb fertigte auf Bestellung des Versorgungskontors für Bürobedarf in Leipzig S3, Fichtestraße 47, 150 000 Wandtafelkalender für das Jahr 1960 an.
Auf diesem Kalender ist in der Monatsspalte Juni hinter dem 16.6.1960 Fronleichnam eingedruckt und darunter in Klammern vermerkt, Feiertag nur in Teilen der DDR. Diese Klammerzeile ist so eingedruckt, dass sie auch auf den 17. Juni 1960 bezogen werden muss.
Hinter dem 31. Oktober 1960 wurde ein gleichartiger Hinweis auf das Reformationsfest eingedruckt, offensichtlich zur Vertuschung der Provokation.
Für den Druck dieser Kalender ist die Herstellerfirma voll verantwortlich. Als Grundlage dazu diente der Astronomische Grundkalender 1960.
Vom Versorgungskontor Leipzig wurde in der Besprechung mit den Herstellerbetrieben für Kalender laut Protokoll Folgendes festgelegt:
Im Punkt 1, Abs. 2, dass als Manuskript für die Produktion 1959/60 die Angaben des Grundkalenders 1960, herausgegeben vom VEB Deutscher Zentralverlag Berlin, Seite 39–40 verbindlich sind. Auf diesen Seiten sind die Feiertage Fronleichnam und Reformationsfest nicht enthalten.
Der VEB Spezialprägewerk Annaberg-Buchholz II hat sich jedoch bei der Herstellung der Kalender nicht an diese Abmachung gehalten. Der Betrieb benutzte als Grundlage die Seiten 10 bis 21 des oben angeführten Grundkalenders. Auf diesen Seiten sind die zusätzlichen Feiertage in der auf dem Wandtafelkalender wiedergegebenen Form eingetragen, jedoch so, dass zwischen den beiden Tagen 16. und 17.6.1960 eine Zeile freigelassen wurde.
Wie die Ermittlungen im Betrieb ergaben, wurden die Vorschläge für diesen Kalender nach Leipzig zum Versorgungskontor Bürobedarf, Kalender-Abteilung, Leipzig S3 zur Überprüfung eingeschickt. Diese Vorschläge wurden vom dortigen Abteilungsleiter [Name 1] für richtig befunden und auf der Rückseite dessen Einverständnis mit dem Datum des Tages vermerkt und als druckreif zum Betrieb zurückgeschickt.
Die Ermittlungen ergaben ferner, dass sämtliche Wandtafelkalender, Abreißkalender, Wochenvermerkkalender und dergleichen genau dieselben Bezeichnungen tragen, wie sie auf dem angeführten Wandtafelkalender eingetragen sind.
Bei den in größerem Format gedruckten Kalendern verhält es sich im Gegensatz zu den kleineren Formaten jedoch so, dass der Vermerk »Feiertag nur in Teilen der DDR« genau hinter dem Datum des 16. Juni bzw. 31. Oktober 1960 steht.
Vom VEB Spezialprägewerke Annaberg-Buchholz wurden insgesamt 252 800 Stück dieser Wandtafelkalender der Größe DIN A5 mit der eingedruckten Provokation ausgeliefert.
Im Einzelnen erhielten folgende Versorgungskontore für Bürobedarf nachstehende Stückzahlen:
Berlin | 27 000 |
---|---|
Cottbus | 800 |
Dresden | 35 000 |
Erfurt | 20 000 |
Frankfurt/O. | 5 000 |
Rostock | 12 000 |
Halle | 25 000 |
Karl-Marx-Stadt | 30 000 |
Leipzig | 80 000 |
Madgeburg | 15 000 |
Pasewalk | 3 000 |
22 800 Stück derartiger Kalender wurden zusätzlich mit Reklame für den VEB Zahlenlotto gefertigt und ausgeliefert.
Nachdem das Versorgungskontor für Bürobedarf davon Kenntnis erhielt, dass der VEB Spezialprägewerk am 1.12.1959 schriftlich das Ministerium für Kultur auf Fehler in diesem Kalender aufmerksam gemacht hat, ordnete es den sofortigen Auslieferungsstopp und die Rücksendung dieser Kalender an den VEB Spezialprägewerke Annaberg-Buchholz an.
Trotzdem konnte nicht verhindert werden, dass bis zum Zeitpunkt des angeordneten Auslieferungsstopps ca. 100 000 Kalender ausgeliefert wurden.
Offensichtlich haben sich jedoch die Versorgungskontore für Bürobedarf nicht streng an diese Anordnung gehalten. Eine vom Ministerium für Staatssicherheit, Verwaltung Karl-Marx-Stadt, durchgeführte Überprüfung ergab, dass von den 30 000 Exemplaren, die das Versorgungskontor Karl-Marx-Stadt erhielt, am 29.12.1959 noch 1 500 Stück zum Vertrieb vorhanden waren und deshalb sichergestellt werden mussten.
Operativer Anhang zur Einzelinformation 914/59
Die in der EI Nr. 914/59 enthaltenen Ermittlungsergebnisse sind den Berichten der Bezirksverwaltungen Karl-Marx-Stadt und Leipzig entnommen.
Wie aus dem Bericht der BV Karl-Marx-Stadt ferner ersichtlich ist, wurden von der KD Annaberg die entsprechenden operativen Maßnahmen eingeleitet, um die subjektiven Beweise für diese feindliche Handlung zu erarbeiten.
Die eingeleitete operative Bearbeitung erstreckt sich demnach auf den Betriebsleiter des VEB Spezialprägewerke Annaberg-Buchholz Preuß, Heinz,2 geb. [Tag, Monat] 1929 in Annaberg, wohnhaft Annaberg-Buchholz, [Straße, Nr.], Beruf: Kaufmann – jetzt Betriebsleiter, Mitglied der SED.
Betriebsleiter Preuß versicherte bei den Ermittlungen, dass es sich bei diesem Druck des Kalenders keinesfalls um eine Provokation handelt und ließ sich auch nicht davon überzeugen, dass dieser Fall als eine Provokation aufgefasst werden kann.
Preuß berief sich auf die bei ihm vorliegenden Exemplare des Kalenders, auf welchem die Bestätigung vom Versorgungskontor Leipzig vermerkt war sowie auf ein Anschreiben für die Bestätigung des Druckes des Kalenders.
Aus den Ermittlungen, die die KD Annaberg zur Aufklärung bisher führte, ist jedoch nicht ersichtlich, ob die im Bericht der Bezirksverwaltung Leipzig angeführten Hinweise über die Schuld des Betriebes berücksichtigt wurden.
Es sind dies
1. dass der Betrieb sich nicht an die zwischen dem Versorgungskontor Leipzig und den Hersteller-Betrieben für Kalender vereinbarte Grundlage gehalten hat und
2. dass der VEB Spezialprägewerke Annaberg-Buchholz nach Kenntnis des Versorgungskontors für Bürobedarf am 1.12.1959 ein Schreiben an das Ministerium für Kultur z. Hd. der Kollegin Karpentin,3 sandte, in dem vom Betrieb auf diese Fehler im Kalender hingewiesen worden sei.
Letzteres wurde von Preuß bei den geführten Ermittlungen, nach dem Bericht der KD Annaberg, nicht angeführt.
Weiterhin werden bearbeitet der zuständige Setzer für Kalender: [Name 2, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1911 in Bärenstein, wohnhaft Annaberg-Buchholz II, [Straße, Nr.], Beruf: Buchdrucker – jetzt Setzer, Mitglied der SED, und der Meister des Betriebes für Entwürfe [Name 3, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1909 in Schlettau, [Kreis] Annaberg, wohnhaft Annaberg-Buchholz, [Straße, Nr.], Beruf: Druckereimeister, parteilos, der für die Gestaltung und Raumausnutzung verantwortlich zeichnet.
Die weiteren Ermittlungen der BV Leipzig müssen sich darauf erstrecken, vom Versorgungskontor für Bürobedarf Leipzig Personen operativ zu bearbeiten, über die im Zusammenhang mit dieser Provokation als belastende Momente bekannt wurde, dass sie auf drei Exemplaren, die der VEB Spezialprägewerke Annaberg-Buchholz an das Versorgungskontor Leipzig zur Bestätigung einschickte, das Einverständnis zum Druck erklärten.
Das erste Exemplar ist mit dem Vermerk, »einverstanden Friedrich, 24.4.1959« beschriftet, obwohl auch auf diesem Exemplar hinter dem Datum des 16. Juni 1960 Fronleichnam und darunter in Klammerzeile »Feiertag nur in Teilen der DDR« eingedruckt ist.
Das gleiche Exemplar wurde zusätzlich von »[Name 4], 27.4.1959« abgezeichnet. Auch dieser [Name 4] hatte an diesem Kalender nichts zu ändern gefunden, außer der Änderung, die die Jahreszahl 1960 einrahmende Verzierung etwas weiter herunterzusetzen.
Das nächste eingereichte Exemplar wurde von [Name 1] am 14.5.1959 abgezeichnet und am 19.5.1959 mit der auf Anschreiben mitgeteilten Bestätigung für den Druck zurückgeschickt.
Das dritte Exemplar, mit dem der Betrieb um Bestätigung der auf dem Kalender angebrachten Reklame für den VEB Zahlen-Lotto ersucht, enthält den Vermerk des [Name 1], »AS 725/59/DDR – nach Korr[ektur] – druckreif 2.10.1959 [Name 1]«.
Auch auf diesem Exemplar bezogen sich die Korrekturhinweise nicht auf die eingedruckte Provokation hinter den Daten 16. und 17. Juni 1960, sondern auf falsche Wocheneinteilung im Zusammenhang mit den Oster- und Pfingstfeiertagen.
Dieses Exemplar enthält ferner den handschriftlichen Vermerk »Korr. 8/10/H« und die Unterschrift »[Name 5]«.