Reaktion von Angehörigen der medizinischen Intelligenz auf Kommuniqué
8. Januar 1959
Information Nr. 2/59 – 2. Bericht über die Reaktion von Angehörigen der medizinischen Intelligenz auf das Kommuniqué des Politbüros der SED vom 18. September 1958 über die Republikfluchten und Überspitzungen auf diesem Gebiet
Rein stimmungsmäßig hat sich im Vergleich zum 1. Bericht vom 19.9.19581 nichts Wesentliches verändert. Die einzelnen Argumente im positiven wie im negativen Sinne sind in der Hauptsache gleichgeblieben. Vom größten Teil dieses Personenkreises wurde und wird das Kommuniqué begrüßt, insbesondere die darin konkret angesprochenen Maßnahmen.2 Ein großer Teil vertritt allerdings dabei die Meinung, dass es sich um einen »Rückzug der Partei«, um eine »durch die Republikflucht der Ärzte erzwungene Maßnahme« handelt, die aber – wenn auch sehr spät beschlossen – in Ordnung sei und ganz bestimmt positive Auswirkungen, besonders hinsichtlich der Republikflucht zeigen wird.
Für einen großen Teil war und ist aber auch noch ihre abwartende und zweifelnde Haltung typisch. Sie wollen sich erst überzeugen, ob und wie eine Veränderung erfolgt. Ein Teil davon spricht offen aus, dass sie kein Vertrauen zur Politik der Partei und Regierung – zumindestens der medizinischen Intelligenz gegenüber – haben. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Beispielen.
Die Professoren Jakobi3 und Dieckhoff4 (Halle) und Dr. [Name 1] (Dresden) bestätigten in Gesprächen, dass noch eine weitgehende Skepsis und Abwarten bestehen. Dozent Seige5 (Leipzig) erklärte auf einer Oberarzt-Versammlung, dass »die Politik von Intelligenzpakten« (1953 neuer Kurs,6 19567 und jetzt) ein »Zick-Zack-Kurs« wäre. Er stellte die Frage nach »Garantien für eine Konstanz der Entwicklung«. Ihnen fehle das Vertrauen. Oberarzt Wieck8 (Leipzig) erklärte, seitens der Regierung sei kein Vertrauen zur Intelligenz vorhanden. Professor Merrem9 (der im Übrigen sehr positiv auftritt) forderte, dass der Staat den Ärzten ein gleiches Vertrauen entgegenbringt, wie die Patienten dem Arzt.
Dieses Nichtvertrauen und die schwankende Haltung wird aber auch dadurch bestätigt, dass die Republikflucht von Ärzten nach dem Kommuniqué nicht wesentlich bzw. nur relativ zurückgegangen ist. Doch beginnt sich im Monat November 1958 eine rückläufige Entwicklung der Republikfluchten abzuzeichnen, die nicht nur im Rahmen der allgemein zurückgehenden Republikfluchten zu sehen ist, sondern wo es sich zweifellos schon um Auswirkungen des Kommuniqués handelt. So beträgt z. B. der Rückgang der Republikfluchten allgemein vom Oktober zum November 14 %, während sie bei Ärzten – die vorher bedeutend über dem Durchschnitt lagen – 33 % ausmachen.
Während 1956 490 und 1957 425 Ärzte die DDR verließen, waren es 1958 bis einschließlich November 1 185 Ärzte, also weit mehr als in den Jahren 1956 und 1957 zusammen. Allein in den drei Monaten August, September und Oktober des Jahres 1958 flüchteten 479 Ärzte, d. h. bedeutend mehr als im gesamten Jahr 1957.
Die Entwicklung der Republikflucht 1958 zeigen folgende Zahlen:
Januar | 106 |
---|---|
Februar | 66 |
März | 46 |
April | 110 |
Mai | 83 |
Juni | 106 |
Juli | 113 |
August | 180 |
September | 176 |
Oktober | 134 |
November | 76 |
Im September 1958 flüchteten von den 176 Ärzten 38 % nach dem Kommuniqué und die Zahl von 134 flüchtigen Ärzten im Oktober 1958 ist – abgesehen von den Schwerpunktmonaten August/September – die höchste Zahl des Jahres 1958.
Bei der Gesamteinschätzung ist noch Folgendes zu beachten: Die Monate August und September (teilweise auch Juli) weisen als sogenannte Urlaubsmonate in jedem Jahr eine steigende Tendenz der Republikfluchten aus allen Bevölkerungsschichten auf, weshalb sie als Schwerpunktmonate gelten, nach denen die Republikfluchtzahlen erfahrungsgemäß wieder absinken. Deshalb ist der Rückgang vom September (176) zum Oktober (134) und zum Teil auch noch vom Oktober zum November (76) nicht ausschließlich eine Auswirkung des Kommuniqués, sondern relativ zu sehen. Während auch in den meisten Bezirken – entsprechend des Rückgangs vom September zum Oktober – diese rückläufige Tendenz ihren Ausdruck findet, kam es jeweils in den Monaten September zum Oktober zu einem Ansteigen in den Bezirken Karl-Marx-Stadt von 14 auf 17, Dresden von 6 auf 11 und Frankfurt/O. von 1 auf 2. Gleichbleibend war es in den Bezirken Leipzig 14 – 14 und Potsdam 11 – 11.
Im Jahre 1958 kamen insgesamt 13 republikflüchtig gewordene Ärzte wieder in die DDR zurück, was im Vergleich zu den im gleichen Zeitraum die DDR verlassenden Ärzte nur 1,1 % sind. Auch die Neuzuziehenden erreichen mit zwölf Ärzten nur 1 %. Diese ersuchten jedoch ausschließlich vor dem Kommuniqué um Aufnahme in die DDR: Im September und Oktober 1958 kam keiner.
Die Mehrzahl der Republikfluchten von Ärzten werden nach wie vor nach außen hin mit persönlichen Dingen begründet, die in der Praxis wohl auch eine bestimmte Rolle spielen mögen; aber offensichtlich sind die tieferen Ursachen die noch starke Bindung an die alten Ideologien und die zur Tradition gewordene Mentalität der Ärzte, sich als eine privilegierte Schicht zu fühlen und den Abstand zwischen Akademiker und Nichtakademiker zu wahren. Daraus resultiert auch, dass ein großer Teil der Ärzte noch nicht für den »Arbeiter- und Bauernstaat« Partei ergreift, sondern in alter Weise den Vertreter seiner Interessen und seines Berufsethos in Westdeutschland, im Kapitalismus sieht. Dabei spielen materielle Belange so gut wie keine Rolle, im Gegenteil wird von den republikflüchtigen Ärzten meist eine in jeder Beziehung gesicherte Existenz mit der ungewissen Zukunft in Westdeutschland vertauscht. In einigen Fällen kommt dazu noch eine direkt feindliche Einstellung zur DDR, die den Entschluss zur Republikflucht mit hervorruft, mitunter auch deren alleiniger Grund ist.
Weniger zahlreich, aber doch immer noch beträchtlich, sind die Republikfluchten als Folge von Abwerbungen zu sehen, meist auf Kongressen oder bei Besuchen in Westdeutschland, ohne jedoch darüber immer einen exakten Nachweis führen zu können, wie es die folgenden Beispiele tun:
Ein Hauptagent des UfJ10 beauftragte einen seiner Agenten in der DDR über folgende Punkte zu berichten:
- 1)
Wie viele Ärzte gibt es in …?
- 2)
Wie viele davon sind als Betriebsärzte verpflichtet bzw. eingesetzt?
- 3)
Wie viele Patienten kommen auf einen Arzt?
- 4)
Wie viele Ärzte gibt es in der Poliklinik …? Wie sind diese überlastet?
Der Hauptagent des UfJ begründete diesen Auftrag damit, dass durch eine hohe Zahl von Republikfluchten unter den Ärzten und anderem medizinischen Personal eine Missstimmung unter der Bevölkerung der DDR erreicht werden soll und dass sich die Bevölkerung der DDR dann »mehr als bisher gegen den Staat« auflehne. Das führe eher zu einer Veränderung, als wenn da und dort in der Versorgungslage vorübergehende Schwierigkeiten auftreten. Die Hinweise über die Überbelastung der Ärzte seien besonders wichtig, weil damit konkret eingeschätzt werden könne, wer von diesen Ärzten in nächster Zeit den hohen Anforderungen nicht mehr nachkommen wolle oder könne.
Im indirekten Zusammenhange mit der Abwerbung spielt auch die westdeutsche Bundeswehr eine beachtliche Rolle. So erklärte z. B. der Arzt der Poliklinik in Rudolstadt, Gera, Dr. med. Flaßhoff,11 der vom 8. bis 13.9.1958 mit PM 12a12 am Kongress der orthopädischen Gesellschaft in Tübingen/Westdeutschland teilnahm,13 dass einige Ärzte aus der DDR nach Abschluss dieses Kongresses nicht in die DDR zurückkehrten. Er selbst wurde auf diesem Kongress angesprochen, in Westdeutschland zu bleiben, da für Kliniken Ärzte gebraucht würden. Besonders würden dabei Ärzte aus der DDR bevorzugt, da durch die Aufstellung der NATO-Armee eine Anzahl Ärztestellen in Westdeutschland frei würden.
In ähnlichem Zusammenhange äußerte sich auch Dr. med. Kurt Höck14 auf einer Westberliner Fachgruppenberatung. Er habe erfahren, dass die Bundeswehr in ihrer ärztlichen Betreuungs-Struktur umgebildet wird und für jede Einheit ein Arzt zur Verfügung stehen soll. Mit Zahlen ausgedrückt hieße dies, wenn früher 2 000 Ärzte benötigt würden, dann werden jetzt 5 000 gebraucht. Er sagte wörtlich: »Bisher haben wir nur die Chef- und Oberärzte abgeworben; dann kommen eben noch die Assistenzärzte dran.«
Dem in der DDR unter den Ärzten weit verbreiteten Bestreben, als niedergelassener, frei praktizierender Arzt tätig zu sein – vor allem wegen der damit verbundenen finanziellen Besserstellung und weitgehender »Unabhängigkeit« – kommt offensichtlich nicht zufällig entgegen, dass in Westdeutschland für 1959 ein neues Kassenzulassungsgesetz für Ärzte erwartet wird. Danach soll die Niederlassung zur freien Praxis wesentlich erleichtert werden. So sollen z. B. Fachärzte aus der DDR, die Oberärzte waren, und Ärzte über 38 Jahre zu besonders günstigen Bedingungen Niederlassungen erhalten.15
Das in der Vergangenheit mit als wesentlicher Grund besonders bei Ärzten angesehene Nichteinverständnis mit dem Passgesetz und die Fragen des Oberschulbesuchs oder Studiums von Arztkindern, u. a. auch im Kommuniqué erwähnte Fragen, werden in der letzten Zeit nur selten als Republikfluchtgründe angeführt.16 Stattdessen wird aber jetzt die Republikflucht mit Hinweisen begründet, dass man nicht an eine Veränderung im Sinne des Kommuniqués glaubt und daher doch lieber den Weg nach Westdeutschland geht.
Dr. [Vorname Name 2], der eine eigene Praxis in Werdau und eine halbe Planstelle im Krankenhaus Werdau hatte, flüchtete am 29.9.1958 mit seiner Frau und vier Kindern nach Westdeutschland. Er teilte mit, »dass das, was Walter Ulbricht17 über die medizinische Intelligenz geschrieben hat, nicht glaubwürdig erscheint, da schon viele Versprechungen seitens der Regierung gemacht, aber nicht gehalten wurden.« Sie hätten die Hoffnung auf den neuen Kurs 1953 gesetzt, er wäre aber der Überzeugung, hätte es damals genügend sozialistische Ärzte gegeben – wären die alten Kreise der medizinischen Intelligenz liquidiert worden.
Der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten am Krankenhaus Frankfurt/O. Dr. med. [Name 3], gab in einem Schreiben an den Ärztlichen Direktor des Krankenhauses Frankfurt/O. als Grund seiner Republikflucht an, dass die SED in den letzten Jahren laufend gegen die Verfassung der DDR verstoßen habe (er führte neben den Artikeln 3, 4, 10 und 14 besonders die Artikel 34 und 41 an) und dass ihm für die in jüngster Zeit versprochenen Lockerungen nach seinen bisherigen Erfahrungen jeglicher Glaube fehle.18 »… Man erinnere sich nur, was von den Versprechungen nach dem 17. Juni 1953 noch übrig geblieben ist …«
Der ehemalige Oberarzt im Städtischen Krankenhaus Potsdam Dr. [Vorname Name 4], schreibt wörtlich an den Chefarzt des Krankenhauses: »Es lohnt nicht, diese Umstände noch einmal aufzuzählen. Sie sind immer wieder dieselben. Ich möchte aber betonen, dass der jüngste Artikel des Politbüros der SED über die Perspektiven der Ärzte in der DDR nach all dem bisherigen mir in keiner Weise eine Gewähr für eine grundsätzliche Änderung der Methoden im Umgang mit Ärzten und auch der Bevölkerung überhaupt hat geben können.« ([Name 4] ist jetzt Oberarzt der Inneren Abteilung der Städtischen Krankenhausanstalten Süd in Stade).
Ende September 1958 wurde der leitende Arzt [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben], Dr. [Vorname Name 5], republikflüchtig. [Name 5] hat Verwandte in Westdeutschland und verreiste seit 1953 zwölf Mal nach Westdeutschland und einmal nach Italien. Gegenüber dem Chefarzt der Krankenhaus-Poliklinik, Dr. [Name 6], äußerte er in der letzten Zeit, dass er nicht glaube, dass die Westreisen-Erleichterung für Ärzte bestehen bleibe.19 Dr. [Name 6] selbst erklärte, dass man im Allgemeinen der Ansicht sei, dass die Ärzte in der DDR zwar sehr gut bezahlt werden, aber dies nur eine vorübergehende Erscheinung sei. In der ČSR und vor allem in Bulgarien (Varna) hätten die Ärzte einen wesentlich geringeren Lebensstandard als in der DDR.
Am 1.10.1958 wurde der Facharzt für Orthopädie an der Poliklinik Ilmenau, Dr. [Vorname Name 7], republikflüchtig, ebenfalls sein Schwiegersohn, Dr. med. [Name 8], der Leiter des Rudolf-Elle-Krankenhauses in Eisenberg war. Dr. [Name 7] schreibt, dass seinem Schwiegersohn Schwierigkeiten in der Arbeit durch den Kreisarzt Dr. [Name 9] gemacht wurden, die bis an die Grenzen von persönlichen Beleidigungen gingen. Die SED-Kreis- und Bezirksleitung und das ZK hätten dieser Erscheinung und Entwicklung untätig zugesehen. Es wären jetzt Delegationen des Kreises Eisenberg und der Universität Rostock bei seinem Schwiegersohn gewesen, um ihn zur Rückkehr zu bewegen, doch »…wer könnte bei solcher Führung noch Vertrauen besitzen…«? Zu sich selbst schreibt [Name 7], dass er sich, von einigen Dingen abgesehen, nicht beschweren kann, doch das Passgesetz verhindere seine Rückkehr, da ihm keiner zumuten kann, seine Kinder nicht mehr zu sehen.
Am 29.9.1958 flüchtete der frei praktizierende Zahnarzt Dr. [Vorname Name 10] aus Erfurt, der den Erklärungen des Politbüros keinen Glauben schenkte und die Meinung vertrat, dass in der weiteren Entwicklung in der DDR den Ärzten eine freipraktizierende Tätigkeit nicht mehr gestattet wird.
Die gleichen Beweggründe liegen bei dem Tierarzt Dr. [Vorname Name 11] vor, der in Briesacht, [Kreis] Beeskow, eine gutgehende Praxis besaß. Der Kreistierarzt hatte mit ihm eine Aussprache geführt, inwieweit er sich bereit erklären würde, als staatlicher Tierarzt tätig zu werden. [Name 11] brachte in dieser Aussprache zum Ausdruck, dass er dem nie zustimme, da ihm dann die Möglichkeit genommen sei, seine in Westberlin lebenden Schwiegereltern zu besuchen. (Hierbei ist zu bemerken, dass eine ganze Reihe von Tierärzten sehr ungehalten darüber ist, dass seit fast drei Jahren keine Fachtagung für Tierärzte im Republikmaßstab stattgefunden habe. Jetzt sei zum 3. Mal der Termin – auf Oktober 1959 – verschoben worden, angeblich weil das Tagungsprogramm nicht gebilligt wurde.20 Sie führen dabei vergleichsweise an, dass in Westdeutschland regelmäßig mehrmals im Jahr solche Tierärztetagungen, wo stets aktuelle Probleme behandelt würden und die auch ein Teil besucht, stattfinden.)
Diese von den republikflüchtigen Ärzten selbst angegebenen Gründe sind noch oft Gegenstand von Diskussionen in Ärztekreisen der DDR, wo sie besonders mit verschiedenen, teilweise neuen Forderungen verbunden werden.
Nach Veröffentlichung des Kommuniqués wurde von ca. acht Ärzten der Fachgruppenleitung und Abrechnungsstelle Ärzte, Magdeburg, unter Leitung des Dr. [Name 12] – Leiter der Abrechnungsstelle – ein Schreiben verfasst, in welchem die Forderungen formuliert wurden und das an die Partei und an staatliche Stellen weitergeleitet werden sollte. Von der Bezirksärztin Dr. Flamm21 wurde es geändert, aber bisher noch nicht weitergereicht.
In diesem erst jetzt bekannt gewordenen Schreiben stellen die Ärzte folgende Forderungen:
- 1)
Wenigstens einmal im Jahr Ärzteversammlungen, auf denen ein bevollmächtigter Vertreter des Ministeriums für Gesundheitswesen auf alle Fragen der Ärzte vom gesamten Bezirk antwortet;
- 2)
Ein Anhören der Bezirksfachgruppenleitungen bei neuen Plänen, Gesetzen und Verordnungen, die das Gesundheitswesen betreffen (keine »Diskriminierung22 des praktischen Arztes«);
- 3)
Anerkennung des Berufsbildes des praktischen Arztes, insbesondere des praktischen Arztes auf dem Lande;
- 4)
Anerkennung des »praktischen Arztes« für bereits seit längerem tätige Ärzte ohne besonderen Auftrag;
- 5)
Teilnahme von Vertretern der medizinischen Wissenschaft (Akademie) an Bezirksfachgruppen-Leitungssitzungen;
- 6)
Teilnahme von Vertretern der Bezirksfachgruppe Ärzte an Senatssitzungen der medizinischen Fakultäten;
- 7)
Erleichterung des Besuches von Kongressen von Ärzten aller Fachrichtungen in Westdeutschland und dem kapitalistischen Ausland. (Sie lehnen das angeblich vom Ministerium für Gesundheitswesen angewandte System der Dauerdelegierung bestimmter Ärzte zu allen möglichen Kongressen ab.)
- 8)
Zusammenstellung der Delegationen der Kongressbesucher durch Bezirksfachgruppenleitungen und rechtzeitige öffentliche Bekanntgabe aller Kongresse in sozialistischen Ländern;
- 9)
Enges Zusammenarbeiten der staatlichen Stellen mit der Bezirksfachgruppenleitung zwecks planvollem Einsatz von Ärzten. Formulierungen wie im »Gesundheitswesen Nr. 21« … »mit den niedergelassenen Ärzten gibt es keinen Burgfrieden …« werden zurückgewiesen.23
- 10)
Zulassung von Arztkindern zu Ober- und Hochschulen;
- 11)
Ausreichende Ferienplätze für Ärzte (Hier wird erwähnt, dass die Ärzte in ihren Ferien Extra-Zimmer für ihre Kinder benötigen. Außerdem wird bemängelt, dass die Organisation bei Auslandsreisen unzureichend und die Preise angeblich zu hoch seien.)
- 12)
Herausgabe einer neuen Gebührenordnung, 100%ige Auszahlung der Gebührenordnungssätze.
Weiterhin bitten die Ärzte, den Geschäftsführer der Abrechnungsstelle, [Name 13] in seiner Funktion zu belassen. (Von der Bezirksleitung der SED war seit Monaten eine Ablösung des [Name 13] vorgesehen.)
Auch in anderen Diskussionen und Stellungnahmen stehen diese und ähnliche Fragen im Vordergrund, wobei besonders auch die Differenzierung in der Gehalts- und Steuerregelung als ungerecht hingestellt wird. Zum Beispiel fühlen sich die meisten Zahnärzte gegenüber den praktischen Ärzten benachteiligt und die Mehrzahl aller angestellten Ärzte sieht sich gegenüber den niedergelassenen, freipraktizierenden im Nachteil. Dafür sollen noch folgende typische Beispiele angeführt werden:
Viele Zahnärzte aus dem Bezirk Magdeburg sind mit der Festlegung des Unkostenbeitrages nicht einverstanden. Sie argumentieren folgendermaßen: Bei der steuerlichen Einschätzung werden vom Arzt und dem Zahnarzt 30 % des Bruttoeinkommens als Unkosten zugestanden. Dabei sei nicht berücksichtigt, dass der praktische Arzt allein arbeiten kann und wenig Unkosten hat, der Zahnarzt jedoch in jedem Falle eine Helferin beschäftigen muss und Medikamente wie Füllungsmaterialien usw. vom Unkostenbetrag abdecken muss. Deshalb wird eine Erhöhung des Unkostensatzes auf mindestens 40 % gefordert. In der Steuereinschätzung würde außerdem die handwerkliche Tätigkeit des Zahnarztes (Anfertigung von Zahnersatz usw.) nicht berücksichtigt werden. Für Sonntagsarbeit bekomme der Zahnarzt – im Gegensatz zum praktizierenden Arzt – keine besondere Vergütung, muss jedoch seine Helferin bezahlen. Außerdem besteht unter den Zahnärzten Unzufriedenheit über den monatlich abzuführenden SVK-Beitrag,24 hätten jedoch keinen Anspruch auf Krankengeld.
Der Chirurg Dr. [Name 14] vom Bezirkskrankenhaus Meiningen brachte zum Ausdruck, dass sie [sic!] nach dem Kommuniqué besonders eine Frage beschäftigt, die in Kürze in Kraft tretende neue Gehaltszahlung. Man sei nicht damit einverstanden, dass das Gehaltsregulativ nicht zur Diskussion gestellt werde.
Der Chefarzt des Krankenhauses Blankenburg, Dr. Frentzel-Beyme,25 führte zwei Fragen an, die nach Bekanntwerden des Kommuniqués alle Ärzte bedrücken würden:
1) Die Ärzte würden dadurch in eine Stellung gedrängt, die ihnen nicht angenehm sei. Ihre Patienten würden zum Ausdruck bringen, dass sie als Intelligenzler eine Sonderstellung genießen, aber der Arbeiter weiterhin nicht nach Westdeutschland fahren kann. (Diese Ansicht wird durch eine Reihe weiterer gleicher und ähnlicher Beispiele bestätigt und es ist anzunehmen, dass sie ihre Patienten auch in dieser Hinsicht beeinflussen. Im gleichen Zusammenhang kam es auch bei verschiedenen Hilfspflegern – z. B. Universität Jena – zur Missstimmung darüber, dass nach dem Kommuniqué Arztkinder, die als Hilfspfleger praktisch arbeiteten, immatrikuliert wurden. Die Reaktion der übrigen Hilfspfleger war darauf: »Sind wir schlechter, weil wir keine Arztkinder sind.«)
2) Die staatlich angestellten Ärzte hätten zzt. mehr als eine Planstelle inne, hätten jedoch nicht den gleichen Lebensstandard wie die frei praktizierenden Ärzte. Es müsste eine Regelung getroffen werden, die den angestellten Ärzten künftig den gleichen Lebensstandard gewährleistet.
Auch in einer Aussprache mit den Ärzten der Poliklinik der Regierung im Hause der Ministerien wurde die Meinung vertreten, dass der Arzt in freier Praxis vieles von seiner Steuer absetzen könne (Autokosten, Bücher, Literatur u. a.), was ein Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen alles von seinem Gehalt bestreiten müsste, ohne steuerlich begünstigt zu sein. (Die höheren Arbeits- und Zeitaufwände als frei praktizierender Arzt werden nicht als belastend empfunden.)
Andere schon seit längerer Zeit geführte und auch schon berichtete Diskussionen unter den Ärzten befassen sich im ablehnenden Sinne mit dem polytechnischen Unterricht.26 Sie sind mit der bis jetzt vorgenommenen Durchführung des polytechnischen Unterrichtes nicht einverstanden und verurteilen, dass vor Einführung des polytechnischen Unterrichtes nicht das Gesundheitswesen, die Kreis- und Schulärzte gefragt worden seien. Die Oberschüler würden durch den polytechnischen Unterricht noch mehr überfordert und haben nach ihrer Ansicht – minimal gerechnet – einen 12-Stundentag. Bei Ernteeinsätzen und anderen Einsätzen in der Landwirtschaft wären neben Erkältungskrankheiten auch schon Nierenschädigungen bei Kindern festgestellt worden, hervorgerufen durch die unzureichende Bekleidung. Sie vertreten den Standpunkt, dass sie als Ärzte die Interessen der Menschen vertreten und nicht zusehen könnten, dass Krankheiten die Folge derartiger Einsätze seien. Außerdem würden durch die Überbelastung eine Übernervosität hervorgerufen und systematisch Neurotiker herangezüchtet.
Das Bestreben, das Vertrauen der Ärzte zu gewinnen, wird aber in einzelnen Fällen noch immer durch falsches und schädliches Verhalten meist untergeordneter staatlicher Dienststellen gehemmt. In der letzten Zeit wurden einige Fälle bekannt, wo durch eine falsche Behandlung von Angehörigen der medizinischen Intelligenz Unzufriedenheit und schlechte Stimmung in diesen Kreisen hervorgerufen wurde, die in einem Falle bis zur Schließung der Praxis durch einen niedergelassenen Arzt führte. Der niedergelassene Arzt Dr. [Name 15] aus Genthin, [Bezirk] Magdeburg, schloss am 5.12.1958 seine Praxis und schickte die anwesenden Patienten nach Hause. Als Begründung gab er an, dass er keine Aufenthaltsgenehmigung für seinen 1956 republikflüchtig gewordenen Sohn erhielt, obwohl sie ihm vor den Wahlen versprochen worden wäre.
Der Leiter der Abteilung PM [Name 16] fertigte einen Arzt, der PM 12a beantragte, in barschem Tone wie folgt ab: »Arbeiten Sie in der Nationalen Front mit?«27 Als dies verneint wurde, sagte er sinngemäß: »Aha, so einer sind Sie! Wieviel haben Sie denn für Korea gespendet?« Dabei blätterte er in seinen Akten und erklärte: »Sie kriegen keine Genehmigung!« Dieses Verhalten ist umso schädlicher, weil erst in den letzten Wochen vorher fünf Ärzte aus dem Kreis Staßfurt republikflüchtig geworden waren, davon vier niedergelassene Ärzte.
In Wallrode bei Dresden wollte der einzige dort praktizierende Arzt seine Praxis seinem Sohne – der Arzt in Westdeutschland ist – übergeben, weshalb der Sohn in die DDR übersiedeln wollte. Eine Übersiedlung wurde jedoch davon abhängig gemacht, dass der Sohn eine Stellung in einer Poliklinik annimmt. Dies lehnte er jedoch ab.
Dem seit 1946 in Westdeutschland tätigen Arzt Dr. [Name 17], der seinen Vater, der Arzt in den Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg ist,28 besuchen wollte, wurde die Einreise mit Auto verweigert. In der Antragsbegründung wurde darum gebeten, weil der Arzt aus Westdeutschland lungenkrank ist.
Der niedergelassene Arzt Dr. [Name 18] aus Magdeburg hat eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Wochen beantragt, erhielt jedoch nur die Genehmigung für drei Tage. Ein Arzt aus Halberstadt beschwerte sich, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung für seine Tochter bekommen hat.
In allen Fällen waren die betroffenen Personen einmal selbst sehr ungehalten und zum anderen ist es wahrscheinlich, dass diese Unzufriedenheit und Missstimmung von diesen Kreisen weitergetragen wird und dann größere Ausmaße annehmen kann. Außerdem gibt es noch eine Reihe anderer Überspitzungen und Beispiele falschen und schädlichen Verhaltens, die sich nicht nur auf die mit Aufenthaltsgenehmigungen und PM 12a zusammenhängenden Fragen beschränken.
Der Zahnarzt Dr. [Name 19] (NDPD) vom Land-Ambulatorium Klingenthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde vom Rat des Kreises Klingenthal fristlos entlassen, weil er DM29 2 000 unterschlagen und für private Behandlungen Medikamente entnommen haben soll. Die Entlassung geschah, ohne vorher die Sachlage genau zu überprüfen, sodass am Ende nur noch ein Betrag von ca. 300 DM als Ergebnis einer fehlerhaften Buchführung übrigblieb und [Name 19] von dem Nachfolger des inzwischen abgelösten Vorsitzenden des Rates des Kreises empfohlen wurde, sich wieder zu bewerben. [Name 19] lehnte dies ab.
In der Besprechung der Institutsdirektoren in der Akademie am 21.10.1958 wurde der Jahreskongress 1958 und der Termin für 1959 behandelt.30 Für 1959 erläuterte der Rektor den Termin 31.8. bis 6.9.1959 und begründete die Notwendigkeit hierfür damit, dass zum selben Zeitpunkt in Karlsruhe der Therapie-Kongress31 stattfindet und damit viele Ärzte, die sonst nach dem Westen fahren, abgehalten werden. Nach dieser Erklärung gab es eine allgemeine Ablehnung des Termins mit Hinweisen wie:
- –
keine Konkurrenz-Unternehmen;
- –
neuen Kurs im Gesundheitswesen beachten;
- –
Freiheit der Entscheidung des Arztes zu lassen.
Bei einer Aussprache am 1.10.1958 zwischen den Ärzten des Kreiskrankenhauses Lichtenstein und dem Vorsitzenden des Rates des Kreises Hohenstein[-Ernstthal], Schröter32 (SED), brachte ein Arzt zum Ausdruck, dass man in Lichtenstein ein Wohnhaus für vier Ärzte bauen müsste, dann hätte man sofort genügend Ärzte für das Krankenhaus. Auf diesen Vorschlag antwortete der Genosse Schröter sinngemäß: Wenn wir eine Wohnung für einen Arbeiter bauen, dann kostet uns diese 20 000 DM. Eine Wohnung für einen Arzt dagegen kostet aber 45 000 DM und das können wir uns nicht leisten, da bauen wir lieber Wohnungen für die Arbeiter. Auf eine andere ebenfalls im Zusammenhang mit dem Wohnungsproblem gestellte Frage antwortete Schröter mit einem viertelstündigen Überblick über die weltpolitische Lage, ohne dabei auf die gestellte Frage einzugehen. Die zu dieser Aussprache anwesenden Ärzte haben nach deren Beendigung erklärt, dass die Aussprache nutzlos vergeudete Zeit wäre, da nicht auf ihre Fragen eingegangen wurde und sie keine Aufklärung erhielten.
In Berlin-Buch, Röbellweg, wohnen in Neubauten ca. 80 Ärzte. Die Häuser stehen ca. 80 m von der S-Bahn entfernt. Eine Bebauung des Geländes zwischen Röbellweg und S-Bahn war bis Sommer 1958 nicht geplant. Von den Ärzten wurde deshalb vorgeschlagen, dieses Gelände zum Bau von Kinderspielplätzen, einem gemeinsamen Waschhaus und Garagen zu benutzen. Seit Sommer 1958 wurden ihnen jedoch Pläne des Stadtbezirkes Pankow bekannt, nach denen das noch freie Gelände mit Wohnhäusern bebaut werden soll. Darüber sind die Ärzte sehr unzufrieden, weil dadurch sehr enge Höfe entstehen würden, die Geräuschbelastung (S-Bahn und Dampfbahnzüge) durch Entstehung von Schallkanälen sich verstärke und die vorgeschlagenen Garagenbauten nicht realisiert werden könnten. In mehreren Aussprachen mit einer Kommission der Ärzte wurde bisher noch kein Ergebnis erzielt. Das führte seitens der Ärzte zu unzufriedenen Diskussionen folgender Art: dass sie die ganze Angelegenheit als einen Ausdruck des Mitplanens und Mitregierens betrachten und sehr verbittert sind, weil ihre Vorschläge nicht beachtet werden; dass sich die Republikflucht von Ärzten, die im Röbellweg wohnen, verstärken wird.
Erste negative Auswirkungen zeigten sich bereits zur Wahl am 16.11.1958, wo bis 10.30 Uhr erst zwölf Ärzte ihre Stimme abgaben.33 Davon ging der größte Teil in die Wahlkabinen und strich die Wahlzettel hörbar durch. Die am Nachmittag eingesetzten Schlepper34 erhielten von einem Teil der Ärzte in sehr arroganter Art die Antwort, dass bis 20.00 Uhr gewählt werden könnte und sie daher erst kurz vor 20.00 Uhr wählen werden.
Wie der Leiter der Abrechnungsstelle und Mitglied des CDU-Vorstandes in Magdeburg, Dr. Weinert,35 erklärte, wollte nach dem Kommuniqué der Kulturbund die Ärzteschaft veranlassen, dass sie eine Kommission bildet, welche überprüft, ob man die Beschlüsse der Partei (das Kommuniqué) auch richtig erfüllt. (Der Kulturbund in Magdeburg ist bereits vor einiger Zeit negativ in Erscheinung getreten, als er eine Aussprache mit Ärzten organisierte, auf der es zu Provokationen kam.)
Schon vor ca. zwei bis drei Jahren wurde von Dr. [Vorname Name 20] Krankenhaus Friedrichshain und einem Physiker ein Herz- und Lungen-Apparat entwickelt, mit dem seit dieser Zeit Versuche an Tieren erfolgreich durchgeführt wurden. Da jedoch nicht die nötigen Erfahrungen vorhanden waren, um diesen Apparat bei Herzoperationen am Menschen anzuwenden, wollte Dr. [Name 20] nach Schweden fahren, wo ein derartiges Gerät bereits angewandt wurde. Eine Einladung von einem schwedischen Professor lag bereits vor, auch die Zusicherung, an Operationen mit diesem Apparat teilzunehmen. Die Reise wurde Dr. [Name 20] vom Ministerium für Gesundheitswesen mit der Begründung abgelehnt, dass kein Geld vorhanden sei. Wenn er jedoch in die Sowjetunion zu einem Erfahrungsaustausch fahren wolle, dürfe er das. Vor ca. zwei Jahren kam ein Westberliner Professor zu Dr. [Name 20] um sich den Apparat anzusehen. Dieser Professor wurde anschließend in die USA geschickt, um an einem solchen Apparat zu hospitieren. Seit ca. acht Wochen arbeitet der Professor nun selbst an so einem Apparat in Westberlin. Dr. [Name 20] ist hierüber sehr verärgert, weil er der Meinung ist, dass wir diesen Apparat vor Westberlin haben konnten. Selbst ein sowjetischer Professor war bei ihm und hat sich für den Apparat interessiert. Jetzt, nachdem in Westberlin der Apparat bereits arbeitet, wird Dr. [Name 20] die Reise nach Schweden endlich genehmigt. Er wird diese Reise Mitte Januar 1959 antreten.
Aufgrund der im vorstehenden Bericht angeführten vielfältigen Erscheinungen kommt ein beträchtlicher Teil der Ärzte zu der Schlussfolgerung, dass sie im Ministerium für Gesundheitswesen nicht ihren richtigen Vertreter haben und dass zumindest die Leitung des Ministeriums mit einem Fachmann besetzt werden müsste.
Bemerkungen des Direktors der Augenklinik der Humboldt-Universität, Prof. Velhagen,36 über die Lage der Augenheilkunde in der DDR im Zusammenhang mit der Brüsseler Tagung der Augenärzte, über die er übereinstimmend mit den übrigen Tagungsteilnehmern aus der DDR u. a. Folgendes berichtete:37
a) Zu einigen politischen und organisatorischen Fragen:
Eine schlechte politische Auswirkung auf die westlichen Tagungsteilnehmer hatte die Tatsache hervorgerufen, dass die Mitglieder der DDR-Delegation ohne Ehefrauen erschienen, was zu einer Meinung führte, dass die Behörden der DDR diese Ehefrauen nicht mitfahren lasse, um die Republikflucht der Delegationsmitglieder zu verhindern. Ebenso hätte die »Massenflucht von Augenärzten, die in der DDR führende Stellungen und aussichtsreiche Stellen inne hatten« und die in keinem Falle durch Abwerbungen veranlasst worden wären, einen »tiefen Eindruck auf die Fachgenossen in aller Welt hinterlassen« und wäre im Verkehr mit den DDR-Ärzten ständiges Gesprächsthema gewesen.
Diese beiden Dinge hätten sie in eine peinliche Situation gebracht. Auch die zur Anmeldung der Ärzte aus der DDR zu dieser Tagung notwendigen organisatorischen Schritte wären durch das Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen und durch das Ministerium für Gesundheitswesen verzögert worden, was der Kongressleitung eine Mehrarbeit durch nochmalige Umorganisation verursachte. Aus diesem Grunde könnten auch die Teilnehmer aus der DDR nicht für Leitungen oder Präsidien der Tagung vorgesehen werden.
b) Zu fachlichen Fragen:
Die Brüsseler Tagung habe gezeigt, dass die Augenheilkunde in der DDR einen »Keulenschlag« erlitten habe, um viele Jahre zurückgefallen sei und sich nicht mehr auf dem Weltniveau bewege.
- –
Die optische Ausstattung der Kliniken und die operative sowie die personelle und instrumentale Ausrüstung der Abteilungen für Schielkrankheiten lägen hinter dem auch bei uns möglichen Niveau.
- –
Die Industrie für die Augenheilkunde bleibe in der DDR in steigendem Maße zurück, trotzdem sie vor acht Jahren voranging.
- –
Große Gebiete der Augenkrankheiten, wie intraokulare Geschwülste und Netzhautentzündungen, könnten nicht zeitgemäß behandelt werden. Die Patienten müssen nach Westdeutschland überwiesen werden bzw. erblinden.
Die mit dem Kongress verbundene große Ausstellung der Instrumenten-Industrie hätte ein erschütterndes Ergebnis für die DDR gehabt, deren Firmen auf dieser Ausstellung auch nicht vertreten waren, weil ihre Erzeugnisse nicht mehr dem Weltniveau entsprechen. Sie hätten aber auch keine Besucher entsandt, um sich über die Anforderungen der ophthalmologischen Kliniken und Praxen orientieren zu können. Velhagen schreibt dazu wörtlich: »Auf dem Gebiete der DDR liegen Orte, von denen aus früher die ganze Welt monopolartig mit augenoptischen Instrumenten, Brillen, augenchirurgischen Instrumenten und Prothesen versorgt wurde. Sämtliche Betriebe waren 1946 noch arbeitsfähig. Jetzt haben alle genannten Industrien ihre Führung verlegt, und zwar nach der Schweiz, Westdeutschland, England, Frankreich, Italien und natürlich auch nach den USA. Die Ophthalmologen der DDR haben seit Jahren immer wieder warnend ihre Stimme erhoben, wurden aber mit Versprechungen oder Totschweigen abgefertigt. Jetzt müssen sie sich sogar von den sowjetischen und tschechischen Kollegen sagen lassen, dass die Führung an die Schweiz übergegangen ist.« Ähnlich sei es mit der wissenschaftlichen Literatur aus der DDR bestellt, deren Bedeutung anscheinend unterschätzt und deren Herausgabe verzögert würde.
Im Zusammenhang mit dem Kommuniqué des Politbüros äußerte Velhagen, dass den Ärzten ihre Perspektive nicht klar sei, mit der Begründung,
- –
die Einstellungsanträge dauerten zu lange,
- –
die Assistentenordnung würde einer Entlassungsordnung gleichgesetzt,
- –
die Republikfluchten seien nicht organisiert, sondern Ausdruck, dass die Ärzte keinen Ausweg in ihrer Entwicklung sehen.
Das Kommuniqué sei nicht weit genug gegangen: »Vertrauen gewinne man in acht Jahren, aber nicht in drei Tagen, verlieren kann man es aber in neun Stunden.« Außerdem versuchte Velhagen nachzuweisen, dass es in der DDR keine Freiheit der religiösen Betätigung gebe, besonders in den Einrichtungen des Gesundheitswesens.