Reaktionen der westlichen Presse auf Besuch Chruschtschows
4. März 1959
Information Nr. 59/59 – Bericht über Reaktion in der westdeutschen und ausländischen Presse zum Besuch des Genossen Chruschtschow in der DDR und auf die Antwortnoten der Sowjetregierung
1. Reaktion in der westdeutschen und ausländischen Presse zum Besuch des Genossen Chruschtschow1 in der DDR2
Der häufigste Kommentar ist übereinstimmend (Rheinische Post, Frankfurter Neue Presse, Hamburger Echo, Westfälische Rundschau u. a.) die Ansicht, dass der Besuch Chruschtschows eine eindeutige Demonstration für die DDR darstellt, die nicht ernst genug genommen werden könne, zur Vorbereitung eines Separatfriedens mit der DDR3 und zur Übergabe der Kontrollfunktionen in der Frage Westberlins an die DDR dienen würde (entsprechende Verhandlungen seien bereits durch Botschafter Perwuchin4 geführt worden).
»Nach Ansicht der Sozialdemokraten (Frankfurter Neue Presse vom 3.3.1959)5 muss der Westen jetzt alles daransetzen, um den von den Sowjets angedrohten Separatfrieden mit der Sowjetzone zu verhindern. Der Westen sollte jeden weiteren Streit um Tagesordnungspunkte vermeiden und mit der Sowjetunion in einen Meinungsaustausch über einen deutschen Friedensvertrag eintreten.«
Das Hamburger Echo erklärt: »Die Ankündigung des Chruschtschow-Besuches in der Sowjetzone hat in Bonn und den übrigen westlichen Hauptstädten die Vermutung verstärkt, dass der Abschluss eines separaten Friedensvertrages zwischen den Ländern des Ostblocks und Ostberlin unmittelbar bevorsteht. Ein solcher Vertrag würde nach Ansicht politischer Beobachter den Streit um Berlin erheblich verschärfen.« … »Nach Ansicht amerikanischer Regierungsbeamter soll die geplante Reise des sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow nach Leipzig den Westen unter Druck setzen, um ihn zu Konzessionen zu veranlassen.«6
Der Westfälischen Rundschau vom 2.3.[1959] zufolge werde »… in politischen Kreisen Westberlins der Chruschtschow-Besuch als eine der bisher größten Demonstrationen Moskaus für das Ulbricht-Regime gewertet und darauf verwiesen, dass zweifellos wichtige und folgenschwere politische Entscheidungen Moskaus in der Deutschlandfrage bevorstehen.«7
Wie das Hamburger Abendblatt verlautet, werde in Washington die Ansicht vertreten, dass Chruschtschow im Augenblick noch nicht bereit sei, einen Friedensvertrag mit der DDR zu unterzeichnen. Ähnliche Schlussfolgerungen soll auch Ollenhauer8 gezogen haben. Die Reise Chruschtschows sei zunächst als eine Demonstration zu werten.9
Einem UPI-Kommentar vom 3.3.1959 zufolge besucht Chruschtschow offiziell die Leipziger Messe zu einem Zeitpunkt, »… da ostdeutsche und sowjetische Vertreter bereits Vorbesprechungen über einen separaten Friedensvertrag für Ostdeutschland führen, und Chruschtschow wird möglicherweise auf einer Massenkundgebung eine Antwort darauf geben. Auf jeden Fall gilt es als sicher, dass Chruschtschow Richtlinien für die Kampagne für die Unterminierung Westberlins durch die Übergabe der Kontrollfunktionen über den Verkehr der westlichen Alliierten nach der Stadt am 27. Mai geben wird.10 Man rechnet damit, dass diese Pläne, trotz der neuesten sowjetischen Noten an die drei Westmächte, vorangetrieben werden.11 Jeder der bereits erfolgten drei Besuche Chruschtschows in Ostdeutschland bedeute eine neue Richtungsänderung. Am bemerkenswertesten war der Besuch vom Juli 195512 unmittelbar nach der Genfer Gipfelkonferenz.13 Die Verhandlungen hatten kaum geendet mit einer ›Schlussdirektive‹ der vier Regierungschefs, in der die Verantwortung der vier Mächte für das Deutschlandproblem und freie Wahlen als das Mittel zu dem Ziel anerkannt wurden, als Chruschtschow, der damals noch nicht Ministerpräsident war, nach Ostdeutschland kam und den Spieß umdrehte. Damals sagte er – was er seitdem immer gesagt hat – dass die Wiedervereinigung des geteilten Landes von den Ostdeutschen und Westdeutschen geregelt werden müsse.«
Die »Frankfurter Rundschau« vom 3.3.[1959] schreibt, Chruschtschows Reise nach Leipzig wäre eine »weitere Probe« für die Haltung des Westens; »Moskau droht, einen Friedensvertrag mit der DDR allein abzuschließen, wenn sich die Bundesrepublik und ihre Verbündeten nicht beteiligen. Der Besuch des sowjetischen Ministerpräsidenten soll diese Drohung glaubwürdig machen. Es wäre allerdings zu einfach, sie als Bluff abzutun. Als letztes Mittel steht ein seperater Friedensvertrag sicherlich auf der sowjetischen Liste. Im Augenblick scheint er aber noch ein Teil eines Manövers, eines »kalkulierten Risikos« zu sein.« Dennoch würden nun die Westmächte immer mehr die Opfer ihrer Deutschlandpolitik mit doppeltem Boden. Stets hätten sie die Wiedervereinigung als »wichtigstes Ziel« verkündet. Aber jetzt, da sie Farbe bekennen sollen, gehe es nicht so recht.14
Die katholische Zeitung »La Cité« vom 3.3.1959 vertritt die Meinung, Chruschtschow fahre in die DDR, weil er etwas für die Anerkennung der DDR tun wolle. »Wir glauben, dass er genau das machen wird, was Mikojan15 in den USA getan hat,16 d. h. Gespräche führen mit Regierungsvertretern und Leuten aus Handelskreisen wegen der öffentlichen Meinung zur Anerkennung der Pankower Regierung.17 Die Leipziger Messe ist dazu die beste Möglichkeit, weil in dieser Stadt Vertreter aller Länder der Welt anwesend sind.«18
In der Zeitung »Die Rheinpfalz« wird erklärt, dass man in Bonn zur Reise Chruschtschows nach Leipzig laut DPA ausgesprochene Zurückhaltung übe und die Berichte über einen möglichen Abschluss eines Friedensvertrages mit der DDR als reine Spekulationen bezeichne. »Sollte es jedoch tatsächlich zum Abschluss eines seperaten Friedensvertrages zwischen der Sowjetunion und der Sowjetzone kommen, würde damit die Spaltung Deutschlands in erpresserischer Weise von den Sowjets zementiert und legalisiert.«19
2. Reaktion in Westdeutschland und im westlichen Ausland auf die Antwortnoten der Sowjetregierung20
Die Antwortnoten der Sowjetregierung haben in führenden Bonner Kreisen ein lebhaftes Echo ausgelöst. Bonner Regierungskreise bringen allgemein zum Ausdruck, dass die sowjetischen Antwortnoten nicht als eine Konzession gegenüber dem Westen aufzufassen seien.
Laut ADN vom 2.3.195921 werde der Gegenvorschlag der Sowjetregierung in Bonner Regierungskreisen zwar »als ein kleiner Fortschritt aufgefasst, der aber mit Pferdefüßen verbunden sei«. In diesem Zusammenhang würden Diplomaten des Auswärtigen Amtes nicht nur die Tatsache sehen, dass auf eine Einladung der ČSR und Polens bestanden wird, sondern vor allem auch, dass in den sowjetischen Noten »mit größter Selbstverständlichkeit von einer Konferenz über den Friedensvertrag und Westberlin gesprochen wird«. Bonner Regierungskreise würden die Frage aufwerfen, ob Chruschtschow in der vorigen Woche in seiner Wahlrede absichtlich alle Hoffnungen auf eine Außenministerkonferenz zerschlagen habe, »um die jetzt doch mitgeteilte sowjetische Zustimmung als große Konzession erscheinen zu lassen und nebenher dafür die Zustimmung des Westens zur Einladung Polens und der ČSR einzutauschen«. Die Ausdehnung der Ost-West-Konferenz auf sechs Mächte würde im Bonner Auswärtigen Amt als »sehr bedenklich angesehen«.22
Die Hamburger »Welt« berichtet am 4.3.[1959], dass eine erste Prüfung des Wortlautes der sowjetischen Noten durch die Experten des Bonner Auswärtigen Amtes ergeben habe, dass in der Frage der Prozedur gewisse Verhandlungsmöglichkeiten eröffnet worden seien, in der Sache selbst sei dagegen die Haltung der Sowjetregierung nach wie vor als hart und unnachgiebig anzusehen. Die Ausklammerung der Wiedervereinigung als Konferenzthema und der Hinweis auf den Abschluss eines Friedensvertrages mit den beiden deutschen Teilstaaten hätten die Erkenntnis verstärkt, dass die geplante Konferenz im Hinblick auf die deutsche Einheit kaum Fortschritte erhoffen lasse.23
Darüber hinaus sei nach Bonner Ansicht die Note aus folgenden Gründen unbefriedigend:
- 1.
Sie enthalte in der Sache selbst keine sowjetischen Konzessionen.
- 2.
Die vom Westen gewünschte Diskussion über das Gesamtproblem der deutschen Frage würde auf die Themen Berlin und Friedensvertrag eingeschränkt.
- 3.
Die Ausweitung der Konferenzteilnehmer auf Polen und die ČSR würde nach westlicher Ansicht dem Prinzip der Verantwortlichkeit der vier Großmächte zur Wiederherstellung der deutschen Einheit widersprechen.
- 4.
Enttäuschend sei die Absicht, Westdeutschland »weitgehend aus der Diskussion über die Sicherheit und Abrüstung auszuschließen, indem diese Themen hauptsächlich einer Gipfelkonferenz überlassen werden sollen«.
In diesem Zusammenhang würden Bonner Kreise dahingehend spekulieren, dass sich die Sowjetregierung nicht ganz aus ihrer in Potsdam und Genf übernommenen Verantwortung zurückziehen wolle. Außerdem würde angenommen, dass die Sowjetregierung bereit sei, »das Berlin-Ultimatum zu lockern«.
Der Westberliner »Tag« vom 4.3.[1959] fügt diesen Stellungnahmen hinzu, dass die Antwortnote der Sowjetregierung nach Bekanntwerden des vollen Wortlautes »außerordentlich schlecht beurteilt« werde. Zu den vorstehend angeführten vier Gründen, die die Note als unbefriedigend erscheinen lassen würden, fügt das Blatt einen weiteren Einwand hinzu. Diplomatische Kreise hätten die Ansicht geäußert, dass die sowjetische Antwortnote nicht die Grundlage für künftige Ost-West-Verhandlungen bilden könne, da die Sowjetregierung u. a. die westliche Zustimmung zur Abhaltung einer Gipfelkonferenz als Voraussetzung für die Außenministerkonferenz betrachte. Der Westen sei aber nicht geneigt, sich im Voraus auf eine Gipfelkonferenz auch für den Fall festzulegen, dass die Außenministerkonferenz scheitert.24
Laut »Tagesspiegel« vom 4.3.[1959] würden Bonner politische Kreise die sowjetische Antwortnote »als ein Entgegenkommen in Verfahrensfragen« betrachten. Die Note lasse aber nicht erkennen, dass die Sowjetregierung beabsichtige, von ihren früher vorgebrachten Maximalforderungen abzugehen. Das Blatt weist darauf hin, dass die Sowjetregierung eine Serie von Konferenzen plane. Da die Sowjetunion in der Außenministerkonferenz nur über Berlin und den Friedensvertrag verhandeln wolle, würden Bonner Kreise daran zweifeln, dass die Vorschaltung einer Außenministerkonferenz vor die Gipfelkonferenz ein Ausdruck wirklicher Verhandlungsbereitschaft ist.25 In einem Kommentar wird darauf hingewiesen, dass die sowjetische »Sprache noch radikaler und drohender« geworden sei. Chruschtschow »spiele mit dem Westen ein raffiniertes Spiel« und viele würden ihm den Gefallen tun, »die Biegsamkeit in der Verfahrensfrage« mehr zu beachten als die Verhärtung in der Sache.26
ADN berichtet am 3.3.[1959],27 dass nach einer Erklärung von Herbert Wehner28 (SPD), die sowjetische Bereitschaft zur Durchführung einer Außenministerkonferenz zu begrüßen sei. Die SPD sei der Meinung, dass der Westen diese Bedingung ohne Beeinträchtigung seiner bisherigen Position annehmen könne. Die geforderte Teilnahme Polens und der ČSR sollte kein Hindernis für das Zustandekommen der Konferenz sein, da dort schließlich nicht mit Mehrheit abgestimmt würde.29
Der SPD-Pressedienst vom 3.3.[1959] schreibt, dass die bisherigen Noten der Westmächte keinerlei konkrete Vorschläge enthalten haben. Mit diesem Ausweichen vor Kernfragen komme man aber nicht mehr weiter. Das Zugeständnis der Sowjetregierung zur Einberufung einer Außenministerkonferenz als Vorstufe für das umfassendere Gespräch verlange von westlicher Seite in hohes Maß von Initiative und Elastizität bei der Verhandlungsführung.30
Wie der »Tagesspiegel« vom 4.3.[1959] berichtet, würde in Paris nach Bekanntwerden der sowjetischen Antwortnoten von einer Verhärtung der Lage gesprochen. Aus einer angeblich amtlichen Stellungnahme des französischen Außenministeriums gehe hervor, dass die sowjetische Note so eingeschätzt werde, dass sie eine Verhärtung der offiziellen Sprache enthülle, die mit »Gewaltandrohungen« in der Berlin-Frage Hand in Hand gehe. Die sowjetische Haltung in der Berlin-Frage sei nach Ansicht dieser französischen Kreise drohender geworden. Ebenfalls aus Paris sei bekannt geworden, dass sich Beamte des amerikanischen Außenministeriums dagegen gewandt hätten, die Tagesordnung einer Außenministerkonferenz scharf zu begrenzen. Dagegen sei der Vorschlag, Polen und die ČSR an der Konferenz zu beteiligen, zwar kühl, aber nicht mit ausgesprochener Ablehnung aufgenommen worden.31
Laut Reuter-Agentur vom 1.3.[1959] seien französische diplomatische Kreise der Ansicht, dass Verhandlungen über einen separaten Friedensvertrag mit der DDR »ein neues Element mit weitreichenden Konsequenzen in die internationale Situation bringen würde«.32
Die französische Zeitung »Combat« betont, dass durch das sowjetische Einverständnis mit einer Außenministerkonferenz in Washington die Ansicht vertreten werde, die Gefahren würden beseitigt. Die Frage sei nur, ob die »Achse Bonn – Paris« bereit sei, auf London und Washington einzuschwenken.33
Die englische »News Chronicle« vom 3.3.[1959] schreibt u. a., dass viele Anzeichen dafür beständen, die Sowjetregierung wolle die Gefahr eines Weltkrieges vermindern. Allerdings spekuliert das Blatt, dass die Besorgnis der Sowjetregierung über die Wasserstoffbombe und den »schwachen Zustand Ostdeutschlands« real sei und deshalb Konzessionen zu erwarten seien.34
Die schwedische »Stockholms Tidningen« vom 3.3.[1959] gibt zu, dass die Sowjetregierung alles tue, was den Interessen des Friedens diene. »Die Aufgabe einer Konferenz der Großmächte, auf welchem Niveau auch immer, bedeutet eine politische und militärische Anpassung an eine im Grunde veränderte Lage.«35