Schwächen und Mängel in der Durchführung des Chemieprogramms (2)
20. Mai 1959
Information Nr. 322/59 – Bericht über Schwächen und Mängel in der Durchführung des Chemieprogramms
Ergänzend zu unserem Bericht vom 12.3.1959 (Nr. 103/59) wurden weitere Hinweise über bisher aufgetretene Schwächen und Mängel bei der Durchführung des Chemie-Programms bekannt, die jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und für die einzelnen Gebiete keine umfassende Einschätzung ermöglichen.1
Nach den vorliegenden Informationen zeigen sich die bisherigen Schwächen und Mängel besonders auf folgenden Gebieten:
- 1.
in der Bereitstellung von Investitionsmitteln,
- 2.
in der Durchführung der Projektierungsaufgaben,
- 3.
in der Bereitstellung der Baukapazitäten und Ausrüstungen,
- 4.
im Kadereinsatz für die Aufgaben der Chemie.
1. Bereitstellung von Investitionsmitteln
Wie aus vorliegenden Meldungen ersichtlich ist, bestehen zzt. noch immer größere Unklarheiten über die Finanzierung von Schwerpunktaufgaben des Chemie-Programms. In der Zentrale der Deutschen Investitionsbank2 wird z. B. erklärt, dass für die Erfüllung der Aufgaben der chemischen Industrie im Jahre 1959 noch 69,2 Mio. DM3 Investitionsmittel fehlen, davon
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für das Chemiefaser-Kombinat Guben 8,6 Mio. DM,4
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für das Gipsschwefelsäurewerk II Coswig 18,0 Mio. DM,5
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für das EKB Bitterfeld – PC-Programm 3,0 Mio. DM,6
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für das Zirkon-Programm im EKB 6,5 Mio. DM.7
Für die Projekte Schwedt8 und Guben9 sollen dabei noch Beträge von anderen Werken abgezogen werden. Diese Beträge würden dann später im Rückfluss an die entsprechenden Werke zu deren Verfügung zurückgegeben werden. Eine endgültige Klärung durch den Sektor Investitionen der Staatlichen Plankommission10 soll noch nicht erfolgt sein, obwohl bereits seit Oktober 1958 entsprechende Verhandlungen geführt werden.
Nach vorliegenden Informationen wird von verschiedenen Wirtschaftsfunktionären die Ansicht vertreten, dass von der Staatlichen Plankommission mit der Zuteilung hoher Investmittel den Betrieben eine falsche Perspektive gegeben wird, da die eingeplanten Mittel in Wirklichkeit größtenteils nicht zur Verfügung stünden. Nach diesen Meinungsäußerungen sollte z. B. Leuna11 im 2. Fünfjahrplan 609 Mio. DM erhalten, 255 Mio. DM seien jedoch in Wirklichkeit nur realisiert worden. Dabei wird teilweise offen zum Ausdruck gebracht, dass derartige Differenzen zwischen der Planung und Realisierung nicht mehr als Planungsfehler angesehen werden könnten.
Aus dem Bereich der VVB Kunstfaser und Mineralöle wurde bekannt, dass die Neuaufteilung der Kontrollziffern bis 1965 durch die Abteilung Chemie nicht mit den erteilten Produktionskennziffern übereinstimmen und teilweise weit unter den in der 1. Direktive vorgesehenen Investitionen liegen würde, obwohl bereits eine generelle Erhöhung der Investmittel für die chemische Industrie erfolgt wäre. Andererseits seien jedoch 1959 Investitionen geplant oder bereits in Durchführung begriffen, für die keine zwingende Notwendigkeit vorliege. Zum Beispiel wurden für Premnitz12 für 740 000 DM Wasserleitungsrohre beschafft, obwohl deren Einbau erst für 1960 vorgesehen ist. Das Kombinat Espenhain13 hat für 1959 bereits die elektrische Ausrüstung für eine Koksaustrittmaschine vertraglich gebunden, obwohl die Maschine erst 1960 oder 1961 benötigt wird.
Im VEB Fettchemie Karl-Marx-Stadt14 soll ein Kesselhaus mit 1 656 000 DM rekonstruiert werden, obwohl bereits 1963 wegen Neubau eines Kraftwerkes dessen Stilllegung vorgesehen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Dampfversorgung gesichert.
Von der VVB Textilmaschinenbau wurde bekannt, dass die Umstellung auf Chemiefaser-Produktion wegen fehlender Investmittel große Schwierigkeiten bereitet. Nach den vorliegenden Informationen sind in dieser VVB für die Zeit von 1960–1962 die geringsten Investitionen zur Verfügung gestellt worden, obwohl für diesen Zeitraum die größten Produktionsauflagen bestehen. Die größten Investitionsmittel würden für 1964–1965 zur Verfügung stehen, trotzdem in dieser Zeit die Produktionsauflagen zurückgehen und teilweise weitaus geringer sind. Diese Entwicklung soll bereits dazu geführt haben, dass Investträger zzt. zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verträge über das Invest-Planvolumen hinaus abschließen.
2. Durchführung der Projektierungsaufgaben
Ergänzend zum Bericht vom 12.3.1959 wurde bekannt, dass der bisherige Stand der Projektierung für das Chemie-Programm 1959 noch immer als äußerst unzureichend eingeschätzt wird.
Nach vorliegenden Informationen sollen allein bei der Zentrale der deutschen Investitionsbank 93 Anträge auf »gleitende Projektierung«15 mit einem Wert von 270 Mio. DM vorliegen, davon allein im VEB Buna16 36 Anträge. Auf die Stellung des stellv. Leiters der Buna-Werke, Dr. Moll,17 zur »gleitenden Projektierung« wurde bereits im o. g. Bericht verwiesen. Allein für das SU-Programm,18 Projekt Dunkelsteuerung Buna19 und für das Projekt Kalkerzeugung Rübeland20 sollen erst ca. 30 % des Grundprojekts für 1959 vorliegen.
Innerhalb der VVB Mineralöle wird an zwölf Vorhaben wegen Fehlens vollständiger Unterlagen mit Ausnahmegenehmigung gearbeitet. Für Bauvorhaben im Jahre 1960 sind wenige und ab 1961 keine Projektanten vorhanden.
Aus mehreren Informationen geht hervor, dass von den Projektierungsbüros ihr Rückstand in der Durchführung der Aufgaben teilweise mit fehlender Einheitlichkeit und mangelnder gegenseitiger Abstimmung der Projektierungsaufgaben in der Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission begründet wird. In diesem Zusammenhang wird auch wiederholt erklärt, dass die Projektierungskapazität der DDR für das Chemie-Programm zu gering sei, aber trotz Kenntnis dieser Lage und geeigneter Vorschläge zu deren Überwindung – u. a. vom KIB Chemie Leipzig21 – nur geringfügige Veränderungen vorgenommen werden. Völlig unzureichend und unterbesetzt werden besonders die Abteilungen für Elektro-Projektierung und Mess- und Regeltechnik eingeschätzt. Als besonders hinderlich wird weiter bemängelt, dass die volkseigenen Projektierungsbüros, die den VVB unterstellt sind, nicht die Voraussetzungen für die Erfüllung ihrer Aufgaben besitzen. Diese Situation hätte u. a. auch dazu geführt, dass die Projektierung für das Faserkombinat Guben erst jetzt dem KIB Leipzig übertragen worden wäre, obwohl bereits seit zehn Monaten davor gewarnt wurde, die Projektierung durch die zuständige VVB selbst durchführen zu lassen, da nicht die Voraussetzungen dafür vorhanden sind. Die Überprüfung der bisher geleisteten Arbeiten habe diese Warnung vollauf bestätigt, da im KIB Leipzig die Projektierung nochmals völlig neu begonnen werden musste.
Diese Schwächen und Mängel in der Projektierung haben bereits bei einzelnen verantwortlichen Wirtschaftsfunktionären zu Äußerungen geführt, zu überlegen, ob das Chemie-Programm nicht auf ein oder zwei Jahre unterbrochen werden könnte, um in dieser Zeit die erforderlichen Projektierungsunterlagen zu erarbeiten. Anderenfalls müsste der jetzige Zustand der »gleitenden Projektierung« und der ungenügenden Erarbeitung der Dokumentationen anerkannt werden.
In dieser Richtung soll sich u. a. auch Prof. Dr. Nelles22 ausgesprochen haben, der gleichzeitig sein Unverständnis darüber ausdrückte, warum für die Schaffung von Kapazitäten zur Herstellung wichtiger Chemie-Erzeugnisse noch ökonomische Begründungen abgegeben werden sollen, obwohl die Durchführung dieser Aufgaben doch von »zentralen Stellen« bereits angewiesen sei. Wie bekannt wurde, zeigen sich die Auswirkungen dieser Auffassungen und der geschilderten Situation bereits in der Arbeit einzelner VVB und Betriebe.
Aus dem Bereich der VVB Mineralöle wurde bekannt, dass die meisten Betriebe zwei bis drei Varianten des Perspektivplanes ausarbeiten, mit der Begründung, dass die Staatstermine aufgrund der Projektierung, der Bausituation und hoher Investitionen in einigen Betrieben als irreal angesehen werden. Dabei zeichnet sich die Tendenz ab, die wichtigsten Aufgaben um ein bis zwei Jahre zu verschieben, was bedeutet, rohstoffmäßig das gesamte Faser- und Plasteprogramm zu gefährden, zum Beispiel wird von Leuna erst für 1964 die Lieferung von Äthylen angeboten, obwohl dies bereits laut Plan 1962 in Buna gebraucht wird.
Als Folge mangelnder Projektierung – besonders der Fehlprojektierung in Lützkendorf23 – wird die Entwicklung des Schmieröl-Bedarfs in der DDR angesehen. Entgegen den Planaufgaben, dass die DDR ab 1961 als Schmieröl-Exporteur im sozialistischen Lager auftreten soll, ist es nach vorliegenden Angaben notwendig 1960 13,3 Tt, 1961 88,0 Tt, 1962 52,7 Tt, 1963 60,1 Tt, 1964 47,9 Tt und 1965 69,1 Tt Schmieröl zu importieren. Da für die Projektierung von Lützkendorf als Projektant Dr. [Name] verantwortlich war, wurden bereits wiederholt Bedenken dahingehend bekannt, ihn als Projektanten für das Erdölkombinat Schwedt arbeiten zu lassen.
Aufgrund dieser Lage in der VVB Mineralöle wurden aus der VVB Elektrochemie bereits Hinweise bekannt, dass die Termine für den Ausbau des Faserkombinats Guben und anderer Chemiefaserbetriebe als unreal angesehen werden. Es wird gefordert, dass die VVB Mineralöle erst nachweisen muss, zu welchen Terminen und mit welchen Mengen sie die erforderlichen Rohstoffe zur Verfügung stellen kann. Nach vorliegenden Informationen bestehen hinsichtlich der Kapazität und der Sicherung der Rohstoffversorgung für das Faserkombinat Guben noch größere Unklarheiten. Entgegen dem Beschluss des Politbüros soll in einer Besprechung der Abteilung Leichtindustrie der Staatlichen Plankommission mit der VVB Chemiefaser eine erneute Veränderung der Aufgabenstellung für das Faserkombinat Guben erfolgt sein. Daraus würde sich eine Erhöhung des Arbeitskräftebedarfs von 5 000 auf 7 500 Personen, eine Mehraufwendung von finanziellen Mitteln und Verzögerung der Inbetriebnahme-Termine ergeben. Von Prof. Correns,24 Prof. Klare25 und Prof. Nelles soll übereinstimmend geäußert worden sein, dass selbst für die erste Ausbaustufe für 5 000 Jato26 die Rohstofflage bei DMT (Dimethylterephtalat) für die Lanonfaser27 noch völlig ungelöst sei. Prof. Nelles vertritt die Ansicht, dass nicht mehr als 1 300 Jato zur Verfügung stehen würden.
Von leitenden Personen westdeutscher Konzerne wurde bekannt, dass sie ihre Verwunderung darüber aussprechen, warum in Guben der Aufbau des Kombinats auf der Basis der Perlonfaser28 erfolgt. In Westdeutschland wäre man zu der Überzeugung gekommen, die Perlon-Produktion nicht zu vergrößern, da dem Licht ausgesetztes Perlon nach kurzer Zeit große Fertigkeitsverluste erleiden würde. Dagegen soll die Nylon-Produktion29 erheblich gesteigert werden, da Nylon-Fasern weitaus günstigere Eigenschaften besitzen würden und den Polyesterfasern eine größere Zukunft eingeräumt wird.
3. Bereitstellung der Baukapazitäten und Ausrüstungen
Nach bisher vorliegenden Angaben, die auch von der Zentrale der Deutschen Investitionsbank bestätigt werden, fehlen für die Durchführung des Chemie-Programms 1959 noch für ca. 31 Mio. DM Baukapazitäten. Besonders betroffen werden davon die Vorhaben des SU-Programms, da wegen unvollständiger Dokumentationen noch keine oder nur ungenügende Objektbeauflagungen erfolgten. Als Schwerpunkt tritt nach bisherigen Feststellungen der Bezirk Halle auf, wo auch nach Einleitung oder Vorbereitung überbezirklicher Maßnahmen noch erhebliche Baukapazitäten fehlen. Vom Buna-Werk sind noch immer 10 Mio. DM Bauleistungen für 1959 nicht vertraglich gebunden. Außerdem bestehen große Mängel in der Erfüllung der vertraglich gebundenen Bauleistungen. Die Baubetriebe im Buna-Werk haben im I. Quartal 1959 nur 8,6 % des Jahresplanes erfüllt.
Aus der VVB Mineralöle wurde bekannt, dass bisher in den Betrieben dieser VVB für 1959 Bauleistungen in Höhe von ca. 9 Mio. DM nicht untergebracht werden konnten. Davon allein 5,1 Mio. DM beim Kombinat Böhlen30 und 4 Mio. DM beim Mineralölwerk Lützkendorf. Diese Lage widerspricht offensichtlich den Beteuerungen der Leitung des Ministeriums und der Vertreter des Bauwesens in der Chemie-Kommission der Staatlichen Plankommission über die Möglichkeiten der Realisierung des Bauplanes.
Ähnliche Mängel ergeben sich nach vorliegenden Informationen in der Bereitstellung von Baumaterialien und Ausrüstungsgegenständen. Im Bezirk Halle sind dementsprechend von den für 1959 vorgesehenen 89 000 t Betonfertigteilen nur 49 000 t sichergestellt. In der VVB Elektrochemie sind bei einem Stahlbedarf von 25 440 t ca. 6 850 t nicht gedeckt. Davon entfallen auf das SU-Programm in Buna 3 200 t. Nach einer Meldung sollen trotz Überarbeitung des Bedarfs durch die Abteilung Chemie der Staatlichen Plankommission noch ca. 30 % des Gesamtbedarfs bei Stahlkonstruktionen nicht abgedeckt sein.
Für das Objekt Schwedt31 wird der tägliche Kiesbedarf von ca. 300 m3 aus einer Entfernung von etwa 200 km (Korschen32 und Neubrandenburg) herangeholt, obwohl eine ergiebige Kiesgrube in Bralitz bei Oderberg33 in unmittelbarer Nähe liegt. Bisher wurde vom Ministerium für Aufbau34 kein Baubetrieb mit der Nutzung beauftragt.
Für den Aufbau der für das erste Atomkraftwerk35 wichtigen Zirkon-Anlage im EKB Bitterfeld soll es bisher noch nicht gelungen sein, 24 Trafos und 30 Hochvakuum-Pumpen vertraglich zu binden.
Aus mehreren Hinweisen ist ersichtlich, dass bei dem größten Teil der VVB des Maschinenbaues noch keine klaren Vorstellungen über die Aufgaben bestehen, die von ihren Betrieben zur Durchführung des Chemieprogramms zu erfüllen sind. Besonders zeige sich dies z. B. in den angebotenen Lieferterminen für schwere elektrotechnische Ausrüstungen, Rohrleitungen und mess- und regeltechnische Anlagen, die die Termine des Chemie-Programms gefährden und zum Teil unmöglich machen. Aus dem Bereich der VVB Förderanlagen Leipzig wurde bekannt, dass für Transportanlagen für die Objekte Schwedt und Guben jeglicher Projektierungsvorlauf fehlt, was eine erhebliche Gefährdung der Auslieferung der Ausrüstungen für 1960 bedeutet.
Bemängelt wird weiterhin, dass die Produktion von Perlonzwirnmaschinen für die Ausrüstung der neuen Chemiefaser-Betriebe nicht dem neuesten Stand der Technik entsprechen würde. Die zzt. gefertigten Maschinen laufen mit 280 m Abzug. Trotzdem im Perlonbetrieb durch eine Veränderung der Abzug bereits auf 400 m erhöht wurde, weigert sich der VEB Spinnzwirn in Karl-Marx-Stadt,36 die Maschinen umzubauen und die entsprechenden Garantien dafür zu übernehmen.
Der VEB Stanzila in Karl-Marx-Stadt,37 welcher Kopse (Hilfsmittel für Textilmaschinen) im Ziehverfahren herstellt und dafür eine komplette Vorrichtung besitzt, wurde mit der Produktion von Milchkannen beauftragt. Dem Werk wurde nach Protest mitgeteilt, dass die Milchkannenproduktion nicht anderweitig untergebracht werden könnte. Dafür wurde vom Staatlichen Gussbüro Berlin38 vorgeschlagen, die Kopse zu importieren (240 000).
Das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld will einen Teil seiner artfremden Produktion, z. B. Bino-Würze,39 Eipulver und Bonbonschachteln, an einen VE-Betrieb (K)40 übergeben. Dieser Betrieb ist bereit, alle Verpflichtungen und Aufgaben zu übernehmen. Trotzdem scheiterten sämtliche bisherigen Verhandlungen, da kein Organ dem EKB den Anteil in der Brutto-Produktion – der von dem neuen Betrieb übernommen wird – vom Plan absetzt.
Über die Beschaffung von Textilfarbstoffen und chemischen Hilfsmitteln wurden Äußerungen bekannt, wonach von der Leitung der Staatlichen Plankommission aufgrund des angespannten Import- und Exportplanes der Bezug von chemischen Grundwerkstoffen um 10 Mio. VE gekürzt oder in spätere Quartale zurückgestellt worden sei. Da es sich dabei um Grundstoffe handelt, aus denen die Chemie diverse Produkte für die Weiterverarbeitung in der Textilindustrie herstellt, würde diese Kürzung einen Produktionsausfall im Werte von 200 Mio. DM (Trikotagen, Stoffe, Strümpfe, Kunstleder und Leder) hervorrufen.
Vom Außenhandel wird die Ansicht vertreten, dass die Richtzahlen des Außenhandels für das Chemie-Programm zu allgemein gehalten sind, wodurch größere Schwierigkeiten bei der Realisierung auftreten. Die vorhandene Aufgabenstellung und das dazu vorliegende Zahlenmaterial würden eine ernsthafte Arbeit verhindern.
4. Kadereinsatz für die Aufgaben der Chemie
Aus dem VEB Komplette Chemieanlagen41 wurde bekannt, dass der Stellenplan bisher nur zu 30 % besetzt werden konnte. Von den zum Einsatz vorgesehenen 150 Objekt-Ingenieuren sind erst 25 vorhanden. Der Betrieb, der die größten Aufgaben in der technischen Ausrüstung der Chemiebetriebe zu übernehmen hat, sei daher gezwungen, dass für ca. 90 % aller Projekte von den Projektierungsstellen und Investabteilungen der chemischen Industrie für die Durchführung der Investitionen Direktverträge mit Unterprojektanten und Zulieferbetrieben abgeschlossen und damit praktisch dem wirksamen Einfluss des Betriebes entzogen werden.
In der VVB Chemie- und Klimaanlagen ist es bisher nicht gelungen, innerhalb eines Jahres einen Technischen Leiter einzusetzen. Die zur Verstärkung der VVB bereitgestellten Planstellen können nicht besetzt werden, da die bisherigen Bemühungen zur Gewinnung qualifizierter Kader scheiterten. Auch unter den von der Kaderkommission der Staatlichen Plankommission für das Chemie-Programm ausgewählten 120 Kadern sollen weitverbreitet Stimmungen vorhanden sein, unbedingt im Betrieb zu bleiben und eine Arbeitsaufnahme in zentralen Stellen abzulehnen. Unter den Absolventen der Ingenieurschule in Köthen42 sind Stimmungen vorhanden, dass eine Arbeitsaufnahme als Jungingenieure in den Leuna-Werken abgelehnt wird, da sie dort – das würden die bisherigen Erfahrungen zeigen – nur mit zweitrangigen Arbeiten betraut würden. In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass unter den wirtschaftswissenschaftlichen Kadern in der Chemie-Industrie bezüglich ihrer Gehalts-Eingruppierung in die sogenannten »W-Gruppe« Verärgerung besteht. Diese Veränderung hätte zur Folge, dass sie im Verhältnis zur I-Gruppe, in der die technischen Kräfte eingestuft sind, ca. 300 DM Gehalt monatlich weniger bekommen.43 Nach Ansicht der davon betroffenen Kreise würde die in den Tarifen zum Ausdruck kommende »Zweitrangigkeit« der Wirtschaftswissenschaftler die z. T. noch mit erheblichen reaktionären Ansichten belasteten Techniker in der von ihnen vertretenen Ansicht stärken, wonach die Wirtschaftswissenschaft auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus eben doch keine Wissenschaft sei. Zum anderen wird zum Ausdruck gebracht, dass diese Maßnahme besonders den Teil der Kader betreffen würde, in dem die meisten Mitglieder der Partei und zuverlässigen Parteilosen tätig sind.