Schwächen und Missstände auf verschiedenen Gebieten der Industrie
31. März 1959
Information Nr. 155/59 – Bericht über Schwächen und Missstände auf verschiedenen Gebieten der Industrie
1. Staatsplanvorhaben Zett-Programm im EKB Bitterfeld1
Nach vorliegenden Informationen ist der Termin für den Abschluss der Investtätigkeit des Zett-Programms im EKB Bitterfeld gefährdet, da die Zulieferbetriebe ihre Liefertermine in vielen Fällen nicht einhalten. Wie dazu bekannt wurde, wird die Nichteinhaltung der Termine mit dem verspäteten Eingang der technischen Unterlagen vom Konstruktions- und Ingenieurbüro Leipzig2 und der vollkommenen Auslastung der Produktionskapazitäten mit Export u. a. wichtigen Staatsaufträgen begründet. Hinzu kommt noch eine erhebliche Störung des Bauablaufes, die hauptsächlich auf eine völlig ungenügende Projektierung zurückgeführt wird.
Da der Bausektor gezwungen ist, ohne präzise Unterlagen und ohne konkrete Technologie zu arbeiten, ergeben sich ständig Änderungen, die zu verzettelter Bauausführung, Stillstandszeiten u. a. Missständen führen. Zum Beispiel wurde die Anlage der Jode-Rückgewinnung von der Ingenieur-Abteilung Bau des EKB fünf Mal projektiert, weil sich die Technologie nicht klar werden konnte. Die nicht termingerechte Anlieferung der Stahlbauteile durch den VEB Leipziger Stahlbau und Verzinkerei3 wird ebenfalls mit verspätetem Eingang der technologischen Angaben und Unklarheiten bei der Anfertigung der statischen Berechnungen begründet.
2. Situation im VEB Kupferbergbau Niederröblingen4
Entsprechend den Planaufgaben, den DDR-Anteil der Kupferproduktion der Sangerhauser Mulde5 von 17 % im Jahre 1956 auf 47 % im Jahre 1960 zu steigern, ist in den zum Schwerpunkt erklärten Schachtanlagen Niederröblingen und Nienstedt eine sehr schnelle Aufwärtsentwicklung eingetreten, die aber jetzt zu einigen Disproportionen und Schwächen geführt hat. Wie bekannt wurde, gewährleistet die in Niederröblingen eingesetzte Fördermaschine unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht den vollen Betriebsablauf. Diese vom VEB Nobas Nordhausen6 (Hersteller der mechanischen Teile), Motorenwerk Dessau7 und Sachsenwerk Niedersedlitz8 (Hersteller der Hauptmaschinen) und VEB Elektro-Apparate-Werk Treptow9 (elektrische Teile) gebaute Fördermaschine ist häufigen Störungen ausgesetzt, was u. a. dazu führte, dass bei einer Seilfahrt10 45 Kumpel in der Schachtröhre hängenblieben und erheblichen Gefahren ausgesetzt waren. Ähnliche Erscheinungen sollen sich auch bei den nach der Volksrepublik Polen exportierten und bei den im »Martin-Hoop-Werk« in Zwickau11 eingesetzten Fördermaschinen dieser Art zeigen. Zur vollen Ausnutzung der Produktionsmöglichkeiten ist nach den vorliegenden Angaben der schnellste Einsatz einer zweiten Fördermaschine notwendig, für deren vorfristige Lieferung aber von der Staatlichen Plankommission12 keine Investmittel bereitstehen sollen.
Als ein weiteres erhebliches Hemmnis für die schnelle Steigerung der Produktion wirkt sich das Fehlen von Förderwagen und Rohren aus. Von 700 im IV. Quartal 1958 durch den VEB Förderwagenbau Vetschau13 zu liefernden Förderwagen hat der VEB Niederröblingen nur ca. 300 erhalten.
Durch den vorzeitigen Abbau erfolgt gegenwärtig in Niederröblingen nur eine künstliche Bewetterung.14 Eine natürliche Bewetterung soll erst erfolgen, wenn die Verbindung zur Schachtanlage Nienstedt hergestellt ist, was voraussichtlich im II. Halbjahr 1959 erfolgen wird.15 In diesem Zusammenhang ist noch beachtenswert, dass die künstliche Bewetterung ausschließlich von der Stromzuführung durch den Anschluss an eine Freileitung abhängt, wobei in der letzten Zeit durch Stromstörungen und Stromsperren bereits erhebliche Schwierigkeiten auftraten. Bei Katastrophen besteht deshalb die Gefahr, dass die Bewetterung gestört wird und dann keine bzw. nur eine ungenügende Rettungsmöglichkeit für die Kumpel besteht.
3. Materialschwierigkeiten im VEB Kalikombinat »Werra«16
Seit längerer Zeit wird vom VEB Kalikombinat »Werra« bei der VVB Kali vergeblich versucht, sie bei der Beschaffung der Kurbelwelle für den NH3 Verdichter I zu unterstützen.
Nach einer vorliegenden Information ist jedoch bisher nichts erfolgt, sodass bisher nicht bekannt ist, wann und von wem die Kurbelwelle geliefert werden kann. Durch die nicht volle Einsatzfähigkeit des NH3 Verdichter I wird bereits 1959 eine Minderproduktion von 18 000 bis 20 000 t Glaubersalz eintreten, die sich 1960 vermutlich noch erhöhen wird. Es besteht die Gefahr, dass bei Auftreten der geringsten Störung an einem weiteren Verdichter des Kraftwerks die gesamte Glaubersalz-Produktion, die zu 90 % exportiert wird, ausfällt.
Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Beschaffung von Millisekundenzündern und Bohrkronen. Die von der DHZ Chemie Berlin gelieferten Zünder haben zu 50 % nur eine Länge von 2 m, obwohl sie in einer Schaftlänge von 3 m benötigt werden.
Vom Ankerwerk Schmalkalden17 werden nur zwei Drittel der benötigten Bohrkronen geliefert.
Größere Missstände bestehen auch in der Beschaffung von Ersatzteilen für Bunkerpendel-Wagen vom Werk Salzgitter, was dazu geführt hat, dass aus den im Kaliwerk »Karl Marx«18 vorhandenen drei Wagen einer demontiert wurde, um mit den gewonnenen Einzelteilen die restlichen zwei Wagen einsatzfähig zu halten.
4. Produktion von Graphit-Großkohlen
Nach einer vorliegenden Meldung ist im Februar dieses Jahres im EKB Bitterfeld der Umformer zur Produktion von Graphit-Großkohlen ausgefallen. Obwohl vom EKB Bitterfeld sofort mit dem VEB-VEM Leipzig19 wegen Reparatur des Umformers Verbindung aufgenommen wurde, wird mit dem Ausfall der Produktion von den für den Export und die Stahlindustrie der DDR wichtigen Graphit-Großkohlen für ein Jahr gerechnet. Angeblich würde dieser Zeitraum vergehen, da der VEB-VEM mit Reparaturen überfüllt ist und die Reparatur selbst auch eine längere Zeit in Anspruch nehmen soll.
5. Mangel an Herbiziden20 für Landwirtschaft
Wie bekannt wurde ist für die Bearbeitung einer Nutzfläche von 200 000 ha noch nicht der Bedarf an Herbiciden gedeckt. Es fehlen 150 t Stäube Hormin, 90 t Herbicid Leuna M und 200 t Spritz Hormit.
Das Nichtvorhandensein dieser Mittel auf der angegebenen Fläche bedeutet einen Ertragsausfall von ca. 60 000 t Getreide. Auch für 1960 zeichnet sich bereits wieder eine derartige Entwicklung ab, da durch Rohstoffmangel die Produktionskapazitäten nicht ausgelastet werden und für das IV. Quartal 1959 noch der Export von 300 t vorgesehen ist.
6. Auto-Lager in Berlin-Staaken
Bei einer Besichtigung der Gebäude auf dem ehemaligen Flugplatzgelände in Berlin-Staaken wurde festgestellt, dass sich in den Hallen ein Lager mit ca. 100 bis 200 Pkw vom Typ »Wartburg« befindet. Da sich auf diesem Gelände noch ein Kohlen- und Getreidelager befindet, sind die Wagen bereits derart verschmutzt, dass ein Verrotten derselben befürchtet werden muss.
7. Lagerung von Wolle im VEB Spinnerei Naunhof Kreis Grimma21
In dem VEB Spinnerei Naunhof Kreis Grimma lagern nach uns vorliegenden Meldungen seit 1958 ca. 20 t Wolle guter Qualität, die dem Verderb ausgesetzt sind. Für diese Wolle besteht angeblich auf den modernen Maschinen keine Verarbeitungsmöglichkeit. Aus diesen Gründen sollen auch in Betrieben des Kreises Mittweida noch über 100 t Wolle lagern.
8. Verpackungsschwierigkeiten bei Kühlschränken im VEB DKK Scharfenstein22
Nach einer vorliegenden Information treten im Zusammenhang mit der Anordnung Nr. 283 über die Verwendung von Wellpappkartonagen im VEB DKK Scharfenstein erhebliche Schwierigkeiten bei der Verpackung von Kühlschränken auf. Entsprechend der genannten Anordnung ist dem Betrieb das Kontingent für Wellpappkartonagen gestrichen worden, obwohl die gesamte Technologie der Verpackungsabteilung auf die Verwendung einer Einheitsverpackung aus Wellpappe abgestimmt ist. Durch diese Maßnahme würden sich hinsichtlich der Umstellung auf Holzverpackung eine Vielzahl von Veränderungen für den Betrieb ergeben, die mit größeren finanziellen Mitteln und dem Einsatz weiterer Arbeitskräfte verbunden wären.
Es wird um Kenntnisnahme und Überprüfung gebeten. Bei Nichtbestätigung einzelner Informationen bzw. bereits erfolgten Veränderungen bitte ich um entsprechende Vermerke am Berichtsrand.