Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung
28. September 1959
Information Nr. 696/59 – [Bericht über] Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung mit Butter, Eiern und Fleischwaren
Nach vorliegenden Hinweisen hält die angespannte Versorgungslage – vor allem in Butter, Eiern und Fleischwaren – in fast allen Bezirken auch gegenwärtig noch an. Dabei kommt es zu umfangreichen Diskussionen, Arbeitsunterbrechungen, Drohungen und Schlangenbildungen bei Wareneingang. Besonders negativ wirkt sich diese Situation im Bezirk Potsdam aus, wo von der Bevölkerung der Randgebiete offen geäußert wird, dass sie die Versorgungslage dazu zwingen würde, in Westberlin einzukaufen. Wie aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Gera bekannt wurde, sind in diesen Gebieten bereits Hetzschriften der Feindzentralen gefunden worden, die sich mit der gegenwärtigen Versorgungslage befassen und darauf gerichtet sind, die Bevölkerung negativ zu beeinflussen.1
Die Diskussionen beinhalten im Wesentlichen die bereits im Bericht vom 14.9.1959 (Inf. Nr. 651/59) angeführten Argumente, dass
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»die Butter (bzw. Eier oder Fleischwaren) wieder rationiert werden«;
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»die Versorgungslage beweist, dass die LPG nicht in der Lage sind, die Versorgung der Bevölkerung zu übernehmen«;
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»wir die ökonomische Hauptaufgabe nie erfüllen werden«;
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»solche Schwierigkeiten 14 Jahre nach Kriegsende nicht mehr vorkommen dürften«.
Es gibt aber auch häufig Diskussionen, bei denen die gegenwärtigen Schwierigkeiten in der Versorgung in provokatorischer Weise mit dem 10. Jahrestag unserer Republik in Verbindung gebracht werden, wobei mehr oder weniger offen gegen die DDR gehetzt wird.
Zu den Ursachen der Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung muss festgestellt werden, dass diese zum Teil auf die Nichtbeachtung von Anweisungen durch die örtlichen Staatsorgane bzw. deren eigenmächtige Handlungsweise zurückzuführen sind oder zumindest dadurch begünstigt wurden. Überprüfungen im Bezirk Suhl z. B. zeigen, dass bei der Durchsetzung der Weisungen und Hinweise zur Einsparung von Butter, Milch usw. nicht mit dem erforderlichen Ernst und politischen Verantwortungsbewusstsein gehandelt wurde. Die von zentralen Stellen herausgegebenen konkreten Weisungen wurden an die nachgeordneten Organe vorwiegend in der Form von Hinweisen oder Bitten weitergeleitet, sodass diese daraus ungenügende Maßnahmen ableiteten. Durch die Fachabteilungen Handel erfolgte auch keine Kontrolle über die Beachtung dieser Hinweise durch den Handel. So wurde z. B. vom Ministerium für Handel und Versorgung bereits am 20.3.1959 angewiesen, den Verkauf von Butter in Fleischverkaufsstellen einzustellen. Nach vorliegenden Hinweisen wird u. a. in den Kreisen Meiningen, Hildburghausen und Schmalkalden/Thüringen ([Bezirk] Suhl) diese Anweisung jedoch erst seit dem 14.9.1959 beachtet.
Laut Schreiben des Staatssekretärs Fillinger2 vom 28.4.1959 an den Leiter der Abt. Handel und Versorgung des Bezirkes Suhl sollten zur Verbesserung des Umsatzes von Fisch und Fischwaren Arbeitsgruppen eingesetzt werden. Diese Arbeitsgruppen bestehen auch gegenwärtig noch nicht. In der Versorgungsinformation vom 28.5.1959 wurde die Einstellung der Werbung für Butter angewiesen. Diese Anweisung wurde jedoch an die Räte der Kreise nicht weitergeleitet. Ein Fernschreiben des Ministeriums für Handel und Versorgung vom 27.5.1959 über die Notwendigkeit der Einstellung der Sahneproduktion sowie ein Fernschreiben vom 11.6.1959 über Einschränkung des Butterverbrauchs wurden von der Abt. Handel und Versorgung des Bezirkes Suhl nicht beachtet und sind auch nicht mehr auffindbar.
Eine ähnliche Situation besteht in der Lebensmittelindustrie. Mitte Mai 1959 erhielt der Wirtschaftsrat,3 Referat Lebensmittelindustrie, eine Anweisung, die Rezepte der Backwarenproduktion z. T. auf Margarine umzustellen. Am 6.6.1959 ging diese Anweisung als »Empfehlung« an die Kreise und wurde von diesen den Produktionsbetrieben »weiterempfohlen«. Aufgrund der Art der Bekanntgabe wurde diese Anweisung von den Betrieben nicht eingehalten.
Zur mangelhaften Fleischversorgung wurde Folgendes bekannt: Von den im Kreis Hildburghausen, [Bezirk] Suhl, benötigten 18 t Importschweinen wurden am 17.9.1959 durch den Wirtschaftsrat lediglich 2 t freigegeben, obwohl das Fleisch seit 14.9.[1959] im Kühlhaus lagerte. Durch den notwendigen Auftauungsprozess kann das Fleisch immer erst nach Tagen verarbeitet werden, sodass gerade während der Hauptauslieferungstage Donnerstag und Freitag nur minimale Mengen zur Verfügung stehen. Alle zusätzlichen Bemühungen, Fertigware aus anderen Bezirken einzuführen, verliefen ohne Erfolg, sodass die Spezialverkaufsstellen nur an einigen Tagen in der Woche Schweinefleisch und Wurst zu verkaufen haben.
Auch in der Gemeinde Rieth, [Kreis] Ueckermünde, [Bezirk] Neubrandenburg, gibt es seit 14 Tagen kein Schweinefleisch und keine frische Wurst. Am 14.9.[1959] wurde für die gesamte Gemeinde nur eine Bierwurst geliefert. Dazu gibt es unter den Einwohnern sehr abfällige Diskussionen. Ähnlich ist die Situation in anderen Bezirken.
Ein weiterer Mangel besteht in fast allen Bezirken in der Belieferung der Bevölkerung mit Eiern. Aufgrund des ungenügenden Fleisch- und Wurstwarenangebotes ist der Verbrauch an Eiern gestiegen. So berichtet z. B. der Bezirk Suhl, dass das Angebot an Eiern ständig geringer wird und die vorhandenen Bestände nicht mehr zur Deckung des Bedarfs ausreichen. Zum Beispiel können zurzeit in den Kreisen Sonneberg und Schmalkalden überhaupt keine Eier angeboten werden.
Weitere Beispiele liegen vor.