Sicherheit im Flugverkehr über dem Gebiet der DDR
11. November 1959
Information Nr. 811/59 – [Bericht über] die Gefährdung der Sicherheit im Flugverkehr über dem Gebiet der DDR
Nach vorliegenden Informationen bestehen im Flugsicherungssystem der DDR ernsthafte Mängel, die in ihren Auswirkungen zu größeren Katastrophen führen können.
Diese Schwierigkeiten beziehen sich vor allem auf die Koordinierung von Flügen ziviler und militärischer Luftfahrzeuge sowie auf die ungenügende Disziplin in der Einhaltung der bestehenden Flugregeln und Flugsicherheitsbestimmungen in der DDR.
Obwohl diese Gefahrenquellen seit Jahren bekannt sind, wurden bisher keine entscheidenden Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit getroffen, sodass die Mängel im Flugsicherungssystem unvertretbare Ausmaße angenommen haben und dringend eine grundsätzliche Klärung erfordern.
Wie uns dazu weiter bekannt wurde, hat letztmalig am 14.4.1959 eine Besprechung der Deutschen Lufthansa1 mit dem Befehlshaber der NVA-Luft, Generalmajor Keßler,2 stattgefunden. Dieser soll die Einleitung entsprechender Maßnahmen zur Veränderung der Lage bis Mai 1959 zugesagt haben.
Nach vorliegenden Hinweisen sind jedoch die vereinbarten Maßnahmen nicht durchgeführt worden. Dies hat offensichtlich mit dazu geführt, dass sich in letzter Zeit die Meldungen der Piloten und Dispatcher der Deutschen Lufthansa über regelwidrige Begegnungen zwischen Maschinen der Deutschen Lufthansa und Militärmaschinen in den Luftkorridoren und den Kontrollzonen der zivilen Flughäfen häufen. Diese Gebiete dürfen entsprechend den Festlegungen von Militärflugzeugen nur nach vorheriger Anmeldung be- oder überflogen werden.
In den Inlandskorridoren sind besondere Gefahrenquellen im Kontrollbereich des Flughafens Leipzig aufgetreten, wo häufig Militärmaschinen den Flugweg der Zivilmaschinen kreuzen oder Höhenveränderungen bzw. Flugbewegungen vornehmen, die dem Dispatcherdienst der Deutschen Lufthansa nicht bekannt sind und somit auch keine Warnung der Zivilmaschinen ermöglichen. Solche und ähnliche Erscheinungen gibt es aber auch in den anderen Flughafenkontrollbereichen.
Diese wiederholten regelwidrigen Verletzungen der zivilen Inlandkorridore führen immer mehr zu Unsicherheit und Missstimmung unter dem Flug- und Bodenpersonal, wobei aufgrund der starken Flugunsicherheit die Meinung vertreten wird, die Verantwortung dafür nicht länger tragen zu wollen.
Die Forderungen gehen dahin, entsprechend der starken Konzentration von Flugzeugen (bedingt durch die zahlreichen Maschinen der Zivilverkehrsstrecken, der GST, der NVA und der Sowjetarmee) auf dem an sich territorial kleinen Raum der DDR, unverzüglich besondere Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit im Flugverkehr einzuleiten.
Als wichtige Voraussetzung dazu wird die Einrichtung einer zentralen Flugüberwachung oder Flugleitstelle angesehen, die über alle Bewegungen im Luftraum der DDR orientiert ist und bei gegebenen Situationen dementsprechend disponieren kann. Damit würde nach Ansicht besonders von Mitarbeitern der Deutschen Lufthansa der Hauptmangel überwunden und die Möglichkeit geschaffen werden, auf der Grundlage eines einheitlichen zentralen Luftüberwachungssystem sämtliche Flüge im Luftraum zu koordinieren und in besonderen Fällen eigenverantwortlich Kursänderungen anzuweisen.
Aus dem vorliegenden umfangreichen Material sollen nur einige Beispiele der letzten Zeit angeführt werden, um die außerordentlich große Gefahr für den Flugverkehr im Luftraum der DDR zu veranschaulichen:
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Am 22.7.1959 18.12 Uhr wurde die DM-SKL3 15 km vor Wittenberg von einer AN-2 der NVA, die aus den Wolken stieß, in 500 m Entfernung gekreuzt.
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Am 22.7.1959 7.17 Uhr unterflog eine AN-2 der NVA auf Gegenkurs die DM-SBI4 mit 150 m. Die DM-SBI hatte 600 m Sinkerlaubnis.
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Am 24.7.1959 wurde die DM-SKK5 8 km vor Wittenberg von einer AN-2 der NVA in 100 m Entfernung gekreuzt.
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Am 4.8.1959 19.50 Uhr wurde die DM-SAB6 im Raum Wittenberg von vier Düsenjägern angestochen und mit 20 m unterflogen. Zwei Minuten später wurde die Maschine von einem einzelnen Jäger in gleicher Höhe geschnitten.
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Am 5.8.1959 11.12 Uhr wurde die DM-SBI im Raum Luckenwalde von einer IL-287 in gleicher Höhe gekreuzt.
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Am 25.8.1959 17.58 Uhr flogen vier IL-148 der NVA ohne Anmeldung und Verbindung zur Flugleitung in den Raum Karl-Marx-Stadt ein.
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Am 28.8.1959 16.10 Uhr überflog eine AN-2 der NVA den Flughafenbereich Leipzig in 500 m Höhe und gefährdete den Landeflug der Aero–45.9
Die DM-SED10 meldete 16.31 Uhr aus dem Raum Remberg,11 [Kreis] Wittenberg, eine AN-2 in gleicher Höhe.
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Am 5.9.1959 8.10 Uhr überflogen zwei Jak 1112 unangemeldet den Flughafen Karl-Marx-Stadt in ca. 400 m Höhe. 11.15 Uhr überflog erneut eine Jak 11 unangemeldet den Flughafen in 500 m Höhe.
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Am 5.9.1959 19.40 Uhr überflog eine IL-2 unangemeldet den Flughafen Leipzig in 600 m Höhe und gefährdete eine KLM-Maschine im Abflug und eine DLH-Maschine im Anflug.
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Am 22.9.1959 21.23 Uhr wurde die DM-SAG13 im Landeflug Schönefeld von einer sowjetischen Armeemaschine geschnitten.
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Am 24.9.1959 wurde die DM-SBL14 durch zwei sowjetische Jak 1215 zwischen der 2. und 5. Kurve gefährdet.