Situation im Ministerium für Handel und Versorgung
13. Oktober 1959
Information Nr. 740/59 – [Bericht über] einige Probleme zur Situation im Ministerium für Handel und Versorgung (MfHuV)
Aus vorliegenden Hinweisen wurde bekannt, dass in der Leitungstätigkeit und der Kaderlage des Ministeriums für Handel und Versorgung eine Reihe von Schwächen und Missständen bestehen, die sich auf die Erfüllung der Aufgaben der Handelskonferenz nachteilig auswirken.1
Die im Bericht genannten Angaben erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen nur auf einige wichtig erscheinende Probleme hinweisen, die eventuell für die Tätigkeit der Komplexbrigade im Ministerium für Handel und Versorgung von Bedeutung sein können.
Wie aus einer Reihe von Informationen ersichtlich ist, wird von verantwortlichen Mitarbeitern des Handels die Einschätzung gegeben, dass nach Einsetzung des Genossen Merkel2 als Minister für Handel und Versorgung Anzeichen einer Verbesserung der Leitungstätigkeit festzustellen sind.
Zu erheblichen Verärgerungen bei den Mitarbeitern führt das Verhalten des Stellvertreters des Ministers, Genossen Schneiderheinze.3 Zu seiner Tätigkeit wird die Ansicht vertreten, dass er Tendenzen des Managertums besitzen würde, da er keine kollektiven Beratungen kennt und ständig nur seine Meinung durchzusetzen versucht. Bei Besprechungen soll er häufig in unsachliche und persönliche Ausfälle verfallen.
Mitarbeiter, die Kritik an ihn üben, versucht er angeblich aus ihren Funktionen zu drängen bzw. durch ständiges Vorwerfen von Fehlern aus ihrer Vergangenheit »mundtot« zu machen. Dies hätte u. a. auch zur Folge, dass ihm ein Teil der Mitarbeiter »zu Munde redet«.
Zur Arbeitsweise des Gen. Schneiderheinze wurde u. a. auch bekannt, dass er erst im März 1959 die Anweisung zur Erarbeitung der material-technischen Basis für den Siebenjahrplan an die Bezirke gab, obwohl bereits im Dezember 1958 die Anweisung dazu von der Staatlichen Plankommission erfolgt war. Besonders kritisiert wird in diesem Zusammenhang sein Hinweis, bei der Planung der Investitionen »nicht kleinlich« zu sein. Die als Rahmenprogramm herausgegangene Anweisung wäre außerdem so unklar gewesen, dass größere schriftliche statistische Arbeitsbogen usw. hätten ausgearbeitet werden müssen.
Bezeichnend für seine Arbeitsweise ist u. a. auch seine Entscheidung, in der Stalinallee ein Spezialgeschäft zu schließen, ohne davon den Magistrat zu unterrichten.
Als besonders hinderlich für eine schnellere Verbesserung der Tätigkeit des MfHuV wird weiter angesehen, dass noch immer unter den Mitarbeitern und der Leitung des MfHuV eine kritiklose Atmosphäre herrschen würde, die sich u. a. darin ausdrückt, für eigene Fehler und Mängel andere Institutionen verantwortlich zu machen.
Die Kritik der Handelskonferenz, dass durch die schlechte Arbeitsweise des MfHuV erhebliche Verluste an Zwiebeln und Gemüse aufgetreten sind, wurden z. B. in einer Vorlage des Sektors Wirtschaftskontrolle des Ministeriums dahingehend abgewürgt, dass dafür den Großhandelskontoren für Obst und Gemüse die alleinige Verantwortung zugeschoben wurde.
Diese Erscheinung, für eigene Fehler andere Organe verantwortlich zu machen, hat nach unseren Feststellungen immer noch erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität und Arbeitsmoral einer größeren Anzahl von Mitarbeitern des MfHuV, besonders in mangelndem Verantwortungsbewusstsein bei der Lösung der Aufgaben.
Diese Tendenzen werden teilweise durch eine falsche Arbeitsorganisation noch unterstützt.
So wird z. B. die Tätigkeit des Leiters des Büros des Ministers so eingeschätzt, dass er alle Arbeit möglichst alleine zu machen versucht und daher seinen Mitarbeitern nicht genügend verantwortliche Aufgaben überträgt. Dies würde mit dazu führen, dass er den Überblick verliert und die Anleitung und Kontrolle seiner Mitarbeiter ungenügend durchführt.
Als Hemmnis für die konsequente Durchführung der Aufgaben wird die ungenügende Abgrenzung der einzelnen Verantwortungsbereiche im MfHuV angesehen.
Zum Beispiel sind die zuständigen Verantwortungsgebiete innerhalb des Ministerbereiches Planung ungenügend abgegrenzt. Dies trifft auch für die Abgrenzung gegenüber den operativen Bereichen zu.
Da z. T. veraltete Geschäftsverteilungspläne vorliegen und die Arbeiten gegenseitig nicht abgestimmt werden, kommt es zwangsläufig zu Doppelarbeiten oder Nichtdurchführung bestimmter Aufgaben.
Nach vorliegenden Informationen wird auch die Anleitung der Abteilungen Handel und Versorgung in den Bezirken und Kreisen durch das MfHuV als nicht zufriedenstellend eingeschätzt. Es wird besonders bemängelt, dass noch zu viele Anweisungen herausgegeben werden und diese häufig keine konkreten Hinweise darüber enthalten, wie die Aufgaben durchzuführen sind.
Das würde auch mit dazu führen, dass die Vertreter des MfHuV zu wenig in die Bezirke und Kreise kommen, um unmittelbar operativ anzuleiten.
In diesem Zusammenhang wird auch bemängelt, dass die Überarbeitung des Arbeitsprogramms der Handelskonferenz durch das MfHuV eine zu große Zeitspanne in Anspruch genommen hat, was teilweise zu Verzögerungen in der Auswertung führte.
Als erheblicher Mangel wird auch die ungenügende Unterstützung der örtlichen Organe des Handels bei der Durchsetzung der Forderungen gegenüber der Industrie nach qualitäts- und bedarfsgerechter Versorgung, ausreichenden Sortimenten usw. durch die verantwortlichen Funktionäre des MfHuV, des Ministeriums der Finanzen und der Staatlichen Plankommission bezeichnet.
Ein Beispiel der schlechten Arbeitsweise ist u. a. auch das Verhalten des Hauptdispatchers Gen. [Name 1] gegenüber dem Ersuchen des Dispatchers des Bezirkes Leipzig um Hilfe in der Butterversorgung.
Gen. [Name 1] verweigerte jegliche Auskunft und gab als Antwort auf die Erklärung, dass die Bezirke mit dieser Situation selbst fertig werden müssen, mit der Begründung, sie hätten sich oft genug disziplinlos verhalten, sodass die Schuld bei ihnen selbst liege.
Auf unverantwortliche Handlungsweise von Mitarbeitern des MfHuV ist offensichtlich auch zurückzuführen, dass in behelfsmäßigen Lagerräumen in Berlin-Adlershof – die normalerweise nur zur Einlagerung von Kartoffeln benutzt werden – größere Mengen von Waren lagern, die bedingt durch teilweise falsche Auslegung von Beschlüssen der Partei und Regierung im Sonderverkauf (März 1959) nicht abgesetzt werden konnten.
Der Zustand der Lagerräume ist derartig schlecht, dass die eingelagerten Waren mehr oder weniger dem Verderb ausgesetzt sind.
Erhebliche Mängel treten nach unseren Feststellungen auch bei der Einstellung von Kadern auf.
Aus einer Reihe von Beispielen ist ersichtlich, dass bei der Besetzung verantwortlicher Funktionen ungenügende Wachsamkeit geübt wird.
So wurde z. B. im Versorgungskontor für Handelsausrüstung der aus Westdeutschland zurückgekehrte [Name 2] eingestellt. [Name 2] erwies sich in seinem Auftreten als Feind der DDR und wurde vor Kurzem erneut republikflüchtig.
Im Sektor pflanzliche Erzeugnisse wurde im Mai 1959 ein ehemaliger selbstständiger Fuhrunternehmer als Oberreferent eingestellt, der bis 1950 noch in Westberlin tätig war.
Als stellvertretender Sektorenleiter Versorgungsdienst im MfHuV wurde [Name 3, Vorname] eingestellt, obwohl bekannt war, dass er aus der Nationalen Volksarmee wegen Unzuverlässigkeit entfernt wurde. [Name 3] ist verantwortlich für die gesamte Planung der Versorgung im Republikmaßstab im Falle eines Luftkrieges. Über ihn ist u. a. bekannt, dass er Verbindung zu seinen Verwandten in Westdeutschland und Westberlin unterhält.
Aus weiteren Hinweisen geht hervor, dass er 1954 an der Unterschlagung von Stoffen beteiligt war, wovon auch der amerikanische Geheimdienst Kenntnis erhielt.
[Name 3] war ehemaliger Offizier, seine Frau ist eine Gutsbesitzerstochter.