Staatsverräterische Gruppe an der TH Dresden
7. Februar 1959
Information Nr. 12/59 – Bericht über die staatsverräterische Gruppe an der Technischen Hochschule Dresden
Am 28.1.1959 bzw. 29.1.1959 wurde von der Bezirksverwaltung Dresden des Ministeriums für Staatssicherheit eine an der Technischen Hochschule1 bestehende staatsverräterische Gruppe festgenommen, die sich »Nationalkommunistischer Studentenbund Deutschlands« nannte.2 Diese Gruppe setzte sich aus 15 Studenten3 zusammen, von denen zwölf Studenten inhaftiert wurden. Zwei Mitglieder der staatsfeindlichen Gruppe stellten sich Mitte Januar 1959 freiwillig dem Ministerium für Staatssicherheit, während ein Student seit Dezember 1958 republikflüchtig ist.
Die inhaftierten Mitglieder der staatsfeindlichen Gruppe sind Studenten im 6. Semester in den Fachrichtungen Maschinenwesen, Elektrotechnik, Papiertechnologie und Physik. Ein Student setzte im Januar 1959 infolge mangelnder Leistungen an der Technischen Hochschule sein Studium an der Ingenieurschule für Werkstofftechnik in Karl-Marx-Stadt fort.
Ihrer sozialen Herkunft nach sind zwei Beschuldigte Arbeiterkinder, vier Beschuldigte kommen aus den Kreisen der Intelligenz und sechs Beschuldigte stammen aus kleinbürgerlichen Schichten. Alle Beschuldigten haben bis zu ihrer Immatrikulation die Oberschule besucht und vor ihrem Studium nicht in der Produktion gearbeitet. Sie sind 20 bzw. 21 Jahre alt. Vier der Beschuldigten sind Mitglieder der CDU.
Der Vater des Beschuldigten Klandt, Jürgen4 ist von der Regierung der DDR als Verdienter Erfinder des Volkes ausgezeichnet worden. Er hat keine Kenntnis von der verbrecherischen Tätigkeit seines Sohnes.
Die bisherige Untersuchung ergab, dass bereits im Jahre 1954 an der Oberschule in Pirna eine Gruppe von dem Beschuldigten Bauer5 gebildet und geleitet wurde, deren Ziel es war, außerhalb der FDJ die Freizeit ihrer Mitglieder zu gestalten. Nachdem die fünf Mitglieder dieser Gruppe im Sommer 1956 das Studium an der Technischen Hochschule aufgenommen hatten, führten sie weiterhin in unregelmäßigen Abständen Zusammenkünfte durch, wobei aufgrund der Beeinflussung durch westdeutsche Hetzsender, staatsfeindliche Literatur und Westreisen die geführten Diskussionen immer mehr staatsfeindlichen Charakter erhielten.6
Im Frühjahr 1958 wurde beschlossen, diese Gruppe zu vergrößern und zu einer aktiven staatsfeindlichen Tätigkeit überzugehen. Entsprechend dieses Beschlusses wurde die Gruppe durch die Werbung negativer Studenten auf insgesamt 15 Personen vergrößert. Die Gruppe besaß eine Konzeption, in der sie einen sogenannten freien Meinungsaustausch, freie Entscheidungen über Interessengemeinschaften, die Beseitigung der militärischen Bündnisse und der vormilitärischen Ausbildung sowie die Einschränkung des gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudiums, freien Reiseverkehr in alle Staaten, Pressefreiheit und einen Konkurrenzkampf in der sozialistischen Industrie forderten. Im Dezember 1958 fassten die Beschuldigten Bauer und Schreiter7 diese Konzeption zu einem sogenannten 16-Punkte-Programm zusammen, in dem die einzelnen Forderungen teilweise mit Grundsätzen aus der Verfassung der DDR demagogisch verbrämt wurden. Zum Zwecke der Verwirklichung der Konzeption beschlossen Mitglieder der Gruppe die Durchführung von Flugblattaktionen und für eventuell sich notwendig machende terroristische Überfälle bzw. zur Verteidigung bei Festnahmen den Ankauf von Waffen. Dementsprechend erfolgte die Beschaffung von drei Pistolen, Kaliber 6,35 mm, 7,65 mm und 9 mm mit Munition sowie aus Westberlin der Kauf von drei Gaspistolen.
Da verschiedene Mitglieder deshalb Bedenken gegen eine Weiterarbeit der Gruppe erhoben, wurde Ende Oktober 1958 eine Zusammenkunft aller Gruppenmitglieder in einer Wohnung einberufen. In einer geheimen Wahl wurde gegen zwei Stimmen festgelegt, die staatsverräterische Tätigkeit fortzusetzen. Gleichzeitig wurde der Beschuldigte Schreiter als Leiter der Gruppe eingesetzt und aus den zuverlässigsten Mitgliedern eine sogenannte Sicherheitsgruppe gebildet. Diese aus fünf Beschuldigten bestehende Gruppe hatte die Aufgabe, Waffen zu organisieren, ein Warnsystem festzulegen und den Schutz bei feindlichen Aktionen zu übernehmen.
Im November 1958 fand eine weitere Zusammenkunft statt, bei der drei Untergruppen geschaffen wurden und Bauer die Anweisung gab, zur besseren Tarnung der staatsfeindlichen Tätigkeit der CDU beizutreten. Dieser Anweisung leisteten drei Gruppenmitglieder bisher Folge.
Um Waffen und Flugblätter für die staatsverräterische Tätigkeit zu erhalten, suchte der Beschuldigte Dalpke8 im September und November 1958 die sogenannte Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit9 auf. Dort erhielt er angeblich die Aufforderung, die staatsverräterische Gruppe wegen allzu großer Gefährdung aufzulösen und die Mitglieder derselben anzuweisen, aktiv in den Massenorganisationen mitzuarbeiten und diese von innen heraus zu zersetzen. Die Lieferung von Waffen und Flugblättern sei durch den ihm namentlich nicht bekannten Mitarbeiter der »KgU« abgelehnt worden.
Im Dezember 1958 sowie im Januar 1959 suchte Dalpke gemeinsam mit dem Beschuldigten Bauer die Westberliner Dienststelle des sogenannten Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen10 auf, um mit Lemmer11 persönlich über eine Unterstützung für ihre staatsverräterische Tätigkeit zu beraten. In beiden Fällen erhielten die Beschuldigten nach ihren Aussagen von einem ihnen namentlich nicht bekannten Mitarbeiter die Auskunft, dass Lemmer nicht anwesend sei. Sie wurden aufgefordert, Ende Januar 1959 erneut vorzusprechen. Aufgrund ihrer Festnahme konnten sie dieses Vorhaben nicht durchführen. Dalpke und Bauer behaupten, dem ihnen namentlich nicht bekannten Mitarbeiter des Lemmer-Ministeriums keine Angaben über die Existenz und Tätigkeit ihrer Gruppe gemacht zu haben.
Außerdem bereiteten die Mitglieder der staatsfeindlichen Gruppe eine Flugblattaktion vor, die im Februar 1959 stattfinden sollte. Sie beschafften sich einen Abzugsapparat und größere Mengen Papier. Der Beschuldigte Schreiter arbeitete schriftlich den Text eines Flugblattes aus, in dem der sowjetische Friedensvertrag12 verleumdet, sogenannte freie Wahlen sowie ein aktiver Kampf gegen die Regierung der DDR durch Bildung von Untergrundgruppen gefordert wird. Zum gleichen Zeitpunkt schickten die Gruppenmitglieder ein Schreiben an die BBC, welches den Westberliner Studentenkongress13 verurteilt und im Namen »freiheitlicher« Studenten der DDR die Fortsetzung des Kriegskurses der Adenauer-Regierung14 und der atomaren Aufrüstung in Westdeutschland fordert. Dieses Schreiben wurde in der BBC verlesen.15
Von der Parteileitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an der Technischen Hochschule wurde ein Flugblatt herausgegeben und Versammlungen mit den Studenten und Dozenten durchgeführt, in denen die Gründe der Inhaftierung der Mitglieder der staatsverräterischen Gruppe erläutert wurden. In den Versammlungen begrüßte die überwiegende Mehrheit der Studenten und des Lehrkörpers die Liquidierung der Gruppe, forderte eine strenge Bestrafung der Beschuldigten und die öffentliche Durchführung des Prozesses. Weiterhin ist vorgesehen, die Verbrechen der staatsverräterischen Gruppe vor den Studenten der Technischen Hochschule propagandistisch auszuwerten und dabei die beiden Selbststeller auftreten zu lassen.