Stimmung der Bevölkerung der DDR zur Genfer Außenministerkonferenz (4)
25. Mai 1959
Information Nr. 337/59 – Bericht über die Stimmung der Bevölkerung der DDR zur Konferenz der Außenminister in Genf
Die Außenministerkonferenz in Genf hat bei allen Bevölkerungskreisen der DDR eine sehr starke Resonanz gefunden.1 In vielen Betrieben und Hausgemeinschaften wurden in Versammlungen die Außenministerkonferenz begrüßt und durch Zustimmungserklärungen und Unterschriftensammlungen ein erfolgreicher Verlauf der Konferenz gefordert. Darüber hinaus wurde aus Anlass der Genfer Konferenz eine große Anzahl Verpflichtungen zur Steigerung der Produktion abgegeben.
Während der überwiegende Teil der Werktätigen auf einen positiven Ausgang der Konferenz hofft, werden aber auch von einer großen Anzahl – trotz zustimmender Erklärungen – Zweifel über den Erfolg der Konferenz geäußert und die Meinung vertreten, dass auf der Konferenz sowieso kein positives Ergebnis erreicht wird, da die Westmächte auch diesmal nicht von ihrer bisherigen sturen Politik abrücken. In diesem Zusammenhang wird auf frühere Konferenzen verwiesen, bei denen die Westmächte zu den Friedensvorschlägen der Sowjetunion ebenfalls eine ablehnende Haltung einnahmen.
Besondere Zustimmung und Anerkennung findet die gleichberechtigte Teilnahme der deutschen Delegationen an der Konferenz. Diese Tatsache sowie das Zustandekommen der Konferenz selbst werden fast ausnahmslos als ein großer Erfolg der Sowjetunion und der DDR gewertet.2
Der weitaus größte Teil bringt dabei der Delegation der DDR volles Vertrauen entgegen und sieht in ihr den Vertreter der Interessen des ganzen deutschen Volkes. Dem Auftreten der Delegation der DDR wird von allen Bevölkerungsschichten große Bedeutung beigemessen und diese Tatsache – insbesondere auch von Angehörigen der Intelligenz – als eine Anerkennung der DDR gewertet.
Demgegenüber wird das Verhalten der westdeutschen Delegation, vor allem Brentanos,3 auf das Schärfste verurteilt. Wiederholt wird dabei zum Ausdruck gebracht, dass ein Außenminister, der die deutsche Sprache verleugnet, niemals deutsche Interessen vertreten kann. Die Haltung Brentanos in Genf wird als Beweis dafür angesehen, dass die westdeutschen Vertreter nicht mit ehrlichen Absichten nach Genf gekommen sind.
Zum Antrag des Gen. Gromyko,4 Vertreter der Regierungen der Volksrepublik Polen und der ČSR an der Konferenz als vollberechtigte Verhandlungspartner zu beteiligen, herrschen bei einzelnen Bürgern noch Unklarheiten. Verschiedentlich werden Befürchtungen geäußert, dass durch diesen Antrag die Konferenz scheitern könne, »da diese beiden Staaten das Deutschlandproblem nichts angehe.« Andererseits gibt es vereinzelt Meinungen, dass bei einer Teilnahme der Volksrepublik Polen und der ČSR auch Italien, Belgien, Holland, Norwegen und Dänemark zur Konferenz eingeladen werden müssten, da diese Länder während des letzten Krieges ebenfalls von Deutschland besetzt wurden.
Die meisten Diskussionen beinhalten jedoch Stellungnahmen zum Friedensvertrags-Entwurf und zur Berlin-Frage, die seit Beginn der Genfer Konferenz wieder stark in den Vordergrund gerückt sind, ohne dass sich dabei die einzelnen (sowie positiven als auch negativen) Argumente wesentlich von den schon in den vorherigen Berichten angeführten unterscheiden.5
Die Vorschläge und Äußerungen der Westmächte (4-Stufenplan),6 ihre Taktik und Ziele, wie sie auf der Konferenz in Erscheinung treten, werden bei Weitem nicht in diesem Ausmaß wie die Vorschläge der SU und der DDR diskutiert. Aber wo dies der Fall ist, wird dabei das Vorgehen der Westmächte meist abgelehnt.
Negative oder feindliche Stimmen sind Einzelerscheinungen. Ebenfalls vereinzelt sind solche Fälle, wo man sich mehr oder weniger die Ansichten der Westmächte zu eigen macht, sie als richtig hinstellt und verteidigt.
Zur Genfer Konferenz traten bisher vereinzelt folgende negativen Argumente auf:
- –
Die sozialistischen Staaten müssten Zugeständnisse machen.
- –
Warum wird der Plan der Westmächte (Paketplan) nicht veröffentlicht?
- –
Man sollte »Freie Wahlen« durchführen, da würde man schon sehen, wer mehr Stimmen hat.
- –
Es gibt keine Einigung, so lange aus Ost- und Westdeutschland noch etwas herauszuholen ist.
- –
Das von Polen übernommene Land sollte an Deutschland zurückgegeben werden, damit wäre den Westmächten der Wind aus den Segeln genommen.
- –
So wie der Versailler Vertrag7 die Grundlage zum 2. Weltkrieg war, wird der vorgeschlagene Friedensvertrag die Grundlage zum 3. Weltkrieg bilden.
- –
Der Bevölkerung der DDR wird nicht alles gesagt. Die Veröffentlichungen wären zu einseitig.
- –
Das Verhalten Brentanos sei richtig, denn die Weltsprache sei ohnehin Englisch und Französisch, die deutsche Sprache sei noch nie Verhandlungssprache gewesen.
- –
Es sei nicht richtig, dass Brentano und andere westdeutsche Regierungsmitglieder durch unsere Publikationsorgane angegriffen würden, dadurch käme es nie zu einer Einigung in politischen Fragen.
- –
Wenn ein Friedensvertrag mit uns abgeschlossen wird, steht der Krieg vor der Tür.
- –
Wir als Deutsche könnten doch nur sehr wenig Einfluss auf das Ergebnis der Konferenz nehmen.
- –
Zu den Tagungen zeigen sie sich die Zähne und hinterher sind sie wieder gut Freund.
Im Bezirk Rostock wird durch Angehörige der »Zeugen Jehovas« verbreitet, dass nach Auslegung der Bibel die Konferenz nicht zum Erfolg führen und keine Einigung erzielt werden wird. Das Thema der Konferenz sei sinnlos, da »Jehova lenkt und leitet«.8
Neben diesen negativen Stimmen gibt es auch vereinzelt Fälle, wo mit dem Ausgang der Konferenz Spekulationen verbunden werden. So wird von Bürgern in den Bezirken Magdeburg und Suhl die Meinung vertreten, dass nach der Genfer Konferenz der Interzonenverkehr gelockert wird, damit die Spannungen zwischen beiden deutschen Staaten verringert werden.
Im Kreis Meiningen, [Bezirk] Suhl, halten werktätige Einzelbauern ihr Geld zurück und bringen es nicht zur Bank. Sie wollen »erst abwarten, was die Konferenz bringt«.
In Elsterwerda, [Bezirk] Cottbus, wurde von ehemaligen Umsiedlern geäußert, dass sie bei einem erfolgreichen Abschluss der Genfer Konferenz wieder nach Schlesien zurückkommen.
Im Bezirk Erfurt wurde bei der Werbung von Jugendlichen zur NVA erklärt, erst im August oder November in die Armee einzutreten, da sie erst den Monat Mai abwarten möchten.