Stimmung der Bevölkerung Friedensvertrag-Vorschlag der Sowjetunion (3)
14. Februar 1959
Information Nr. 9/59 – 3. Bericht über die Stimmung der Bevölkerung der DDR zum Friedensvertrags-Vorschlag der Sowjetunion
Der Friedensvertrags-Entwurf der Sowjetunion1 und auch die Note zur Lösung der Berlin-Frage2 sind noch immer Gegenstand vieler Diskussionen unter der Bevölkerung der DDR. Sie sind aber – insgesamt gesehen – doch ziemlich zurückgegangen. Bezeichnend dafür ist, dass es jetzt sehr oft erst eines gewissen Anstoßes zur Diskussion über diese Probleme bedarf, beispielsweise durch Aussprachen und Versammlungen; während vorher spontan und im großen Rahmen dazu Stellung genommen wurde.
In vielen Fällen werden die Diskussionen jetzt auch im Zusammenhang mit den Fragen des XXI. Parteitages der KPdSU3 und des 4. Plenums des ZK der SED4 geführt, worüber noch gesondert berichtet wird.5 An der Argumentation hat sich jedoch nichts Wesentliches verändert.
Der weitaus größte Teil aller sich äußernden Personen bezieht eine positive Stellung, die mitunter durch einige Unklarheiten wie z. B. Fragen der Streitkräfte und der Raketenforschung,6 der Beziehungen zu Österreich7 u. a. eine gewisse Einschränkung erfährt, aber ohne damit die grundsätzliche Zustimmung aufzuheben. Diese Unklarheiten, die teilweise bis zur Ablehnung der entsprechenden Artikel führen, stehen jedoch in keinem Verhältnis zu den nach wie vor sehr weit verbreiteten Diskussionen über die Grenzregelung, die den Hauptanteil aller unklaren, zweifelnden, ablehnenden und direkt feindlichen Stellungnahmen ausmachen.8
Auch wird in den verschiedensten Bevölkerungskreisen noch ziemlich häufig – bei Weitem aber nicht in diesem starke Maße, wie bei den Grenzfragen – die Ansicht vertreten, dass »Freie Wahlen« [sic!] stattfinden müssten. Besonders von kirchlichen und kirchlich gebundenen Kreisen wird der Artikel über die Grundrechte und Grundfreiheiten des Menschen9 angeführt, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass diese Rechte und Freiheiten in der DDR nicht existieren würden und auch für die Zukunft keine Garantien dafür vorhanden seien. Aber auch dieses feindliche Argument ist nicht allgemein verbreitet.
Nachstehend einige neue Argumente, die aber auf keinen Fall zu verallgemeinern sind, sondern nur Einzelbeispiele darstellen:
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Adenauer10 wird sich dazu nicht hergeben; auch die SU und die DDR müssen das Potsdamer Abkommen einhalten. Die Aufrüstung in Westdeutschland habe sich aus der DDR ergeben. (technische Intelligenz im VEB Hochbau Karl-Marx-Stadt)11
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Man sollte aus den ehemaligen Ostgebieten eine neutrale Zone machen, wo die Menschen aller Nationen, die früher dort gelebt haben, wohnen können. Dies wäre gleichzeitig eine Regelung, um den Westmächten den Wind aus den Segeln zu nehmen. (VEB Energie-Versorgung Neubrandenburg)12
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Durch Verhandlungen mit Polen die Rückkehr in die ehemaligen deutschen Gebiete zu ermöglichen, da es ja durch die Existenz der DDR nicht mehr möglich sei, dass sich der westdeutsche Militarismus dort ein Aufmarschgebiet gegen die SU schafft. (Eine Sekretärin bei der Deutschen Lufthansa)13
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Die DDR sollte einen Teil des Hafens Stettin zurückbekommen, weil sonst die Binnenschifffahrt stark behindert sei. (Ein Binnenschiffer)
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Die durch die Oder-Neiße-Grenze getrennten Städte müssten wieder zusammengeführt werden, wobei die Grenzen östlich dieser Städte verlaufen sollten. (Einzelstimmen in den Bezirken Cottbus und Dresden)
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Es müssten »Freie Wahlen« [sic!] unter Aufsicht neutraler Staaten stattfinden. (Beschäftigte in der Küche der Humboldt-Universität)
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Die Vorschläge sind gut, sie müssten aber durch eine Wahl entschieden werden. In Westdeutschland müssen die Konzerne weg und in der DDR die »Kolchosen«14. (Ein Traktorist aus Herold, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt)15
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Der Abzug der Westmächte aus Berlin würde bedeuten, dass man uns dann in die LPG zwingen wird. (Von Bauern mehrerer Gemeinden im Bezirk Karl-Marx-Stadt)
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Wenn Deutschland keine modernen Waffen besitzen soll, brauchen wir auch keine Nationale Volksarmee. (Mit dieser Begründung lehnte ein Jugendlicher aus Stendal den Eintritt in die NVA ab.)
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Wenn das Militär aus Westberlin abgezogen wird, muss auch die NVA und die Regierung der DDR aus Berlin abziehen. (Ein Disponent vom VEB Webstuhlbau Karl-Marx-Stadt)16
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Durch den Fall Dombrowski17 sei das ganze Berlinproblem ins Wasser gefallen, weil nicht in Westberlin, sondern in der DDR und in Ostberlin die größte Spionage betrieben würde. (MZ Zschopau)18
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Wir wollen erst einmal den Sommer abwarten, wenn von unserer Seite aus nach Westberlin hin alles dicht gemacht wird und der zweite 17.6. steigt.19 (Angestellte eines HO-Geschäftes in Bautzen)
In Neustadt, [Kreis] Kyritz, [Bezirk] Potsdam, wird das Gerücht verbreitet, dass hauptsächlich von Polen und der ČSR Bestrebungen ausgingen, ein System der »Vereinigten Staaten von Europa« zu schaffen.
Im Gebiet der SDAG Wismut20 tauchten folgende Fragen auf:
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Wie erfolgt die Verurteilung von Agenten und Saboteuren vonseiten unserer Regierung in Verbindung mit dem Artikel 14?
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Wie erfolgt die Begleichung ausländischen Kapitals? (Artikel 34)21 Fallen darunter Betriebe wie die Kammgarnspinnerei Meerane, die französisches Kapital war?22
Superintendent Voigt aus Freienwalde, [Bezirk] Frankfurt/O.,23 bezweifelt, ob die Grundrechte und Grundfreiheiten nach Abschluss des Friedensvertrages auch eingehalten werden. »In unserer Verfassung stehen sie auch, aber ich fühle mich irgendwie eingeengt.« Rektor Pfarrer Hamel24 vom Katechetischen Oberseminar Naumburg25 erklärte zu diesen Fragen, dass sie im Artikel konkreter formuliert sein müssten.
Eine andere, nicht an bestimmte Personenkreise gebundene Ansicht, dass es jetzt jeden Tag soviel neue politische Schritte und Erklärungen gibt, die man gar nicht alle verdauen kann und wo man einfach nicht mehr mitkommt, wird in letzter Zeit ziemlich oft vertreten.