Stimmung der Bevölkerung zur Versorgung mit Butter
24. November 1959
Information Nr. 842/59 – [Bericht über] die Stimmung der Bevölkerung zur Versorgung mit Butter
Der in allen Bezirken der DDR anhaltende mehr oder minder starke Mangel an Butter bildet auch weiterhin den Mittelpunkt in den Diskussionen weitester Kreise der Bevölkerung. Wenn dem Buttermangel von der großen Mehrheit der Werktätigen auch Verständnis entgegengebracht wird, so wird doch aufgrund noch ungenügender Aufklärung eine starke Kritik am System der Verteilung geübt und eine gerechtere Form der Verteilung (Einführung der Rationierung, Butter- oder Kundenkarten usw.) gefordert.
So gibt es aus allen Bezirken Hinweise, dass neben den Diskussionen in den Käuferschlangen, Bürger bei Organisationen, bei der VP, den Bürgermeistern usw. erscheinen und ein geordnetes Kontrollsystem verlangen. Zum Beispiel sprachen beim FDGB-Kreisvorstand Aue innerhalb von zwei Tagen 17 Delegationen vor, die forderten, ein entsprechendes Kontrollsystem einzuführen. Im 2. VP-Revier Aue sprachen allein am 7.11.1959 60 Personen vor, die verlangten, dass sich die VP einschalte, damit auch die berufstätige Bevölkerung Butter erhält. Im VEB Woll- und Seidenweberei Elsterberg, [Bezirk] Gera, läuft aufgrund der Forderung der Belegschaft seit 13.11.1959 eine Unterschriftensammlung zur Einführung eines geordneten Kontrollsystems für den Butterverkauf. (Ähnliche Beispiele liegen in einer Vielzahl vor.)
Darüber hinaus führte die bisherige Butterverteilung z. T. auch zu Arbeitsunterbrechungen, wodurch erhebliche Produktionsausfälle entstanden. Hinweise dieser Art gibt es besonders aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Gera und Dresden. So verließen z. B. im VEB Nickelhütte/Aue,1 im VEB Faserplattenfabrik/Schönheide und in den Halbzeugwerken/Aue2 die Arbeiter ihren Arbeitsplatz, um sich in der Betriebsverkaufsstelle nach Butter anzustellen.
In diesem Zusammenhang treten auch vereinzelt solche provokatorischen Meinungen auf, dass »gestreikt« werden müsse, um Butter zu erhalten. Stimmen in dieser Richtung wurden z. B. vom Fahrpersonal des Bahnhofes Göschwitz, [Bezirk] Gera,3 bekannt. Im Kreis Seelow, [Bezirk] Frankfurt/O., äußerten einige Bauarbeiter, wenn sie keine Butter bekommen, wollen sie langsamer arbeiten.
Zur Bildung von Käuferschlangen kommt es besonders im Bezirk Karl-Marx-Stadt. So standen am 17.11.1959 in den beiden Verkaufsstellen für Molkereiprodukte in Olbernhau je über 100 Personen nach Butter an, wobei die durchschnittliche Wartezeit über zwei Stunden betrug. In Auerbach war der Butterverkauf in allen Geschäften für 16.30 Uhr festgelegt. Vor 14.00 Uhr standen bereits lange Reihen von Käufern vor den Geschäften, wobei an jeden Kunden nur 60 Gramm Butter abgegeben werden konnten.
Im HO-Geschäft in Reichenbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, Humboldtstraße, kauften Frauen größere Mengen Lebensmittel ein und verlangten zuletzt Butter. Als sie keine bekamen, legten sie die bereits eingepackten anderen Waren wieder zurück und verließen schimpfend das Geschäft. In der Konsum-Verkaufsstelle am Thälmann-Platz in Parchim, [Bezirk] Schwerin, verlangte die Frau eines Fuhrunternehmers zwei Pfund Butter. Als die Verkäuferin sie aufklärte, doch mit einem halben Pfund zufrieden zu sein, schimpfte die Kundin und meinte so viel Butter kaufen zu können, wie sie möchte, mit der Bemerkung: »Wir leben doch in der DDR.« Aufgrund der Auseinandersetzungen mit den Käufern haben bereits im Bereich des HO-Kreisbetriebes Karl-Marx-Stadt 20 Verkäuferinnen ihre Kündigung eingereicht, »weil sie von den Kunden wegen des Butterverkaufs beschimpft und bedroht wurden«.
In den landwirtschaftlichen Gebieten besteht vor allem bei den Bauern eine Unzufriedenheit über die Butterrücklieferung durch die Molkereien. Nach vorliegenden Hinweisen besteht in diesen Fragen auch in den Molkereien selbst noch keine Klarheit. So vertreten Molkereifachleute zum Teil die Ansicht, dass sie den Bauern niemals Margarine als Ersatzprodukt für Butter anbieten können. Derartige Meinungen gab es z. B. in der Molkerei Kummer, [Kreis] Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin. Dazu wird von den Bauern oftmals die Meinung vertreten, dass sie weniger bzw. gar keine Milch mehr abliefern und dafür lieber selbst buttern wollen. Besonders starke Anzeichen dafür wurden aus den BHG-Bereichen des Kreises Reichenbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, bekannt, wo in den letzten Tagen durch Einzelbauern zehn Zentrifugen gekauft wurden.
Aber auch aus anderen Bezirken wie z. B. Neubrandenburg liegen derartige Anzeichen vor. Aus dem Bezirk Rostock wird berichtet, dass in den Badeorten, vor allem in den letzten Wochen, die ersten Mängel in der Butterversorgung in Erscheinung traten. Dazu wurde festgestellt, dass von Personen aus Sachsen und Thüringen, die in den SVK-Heimen4 zur Kur weilen, größere Mengen Butter aufgekauft und nach Sachsen bzw. Thüringen geschickt wurden. In Saßnitz, [Kreis] Rügen, wurde festgestellt, dass schwedische Staatsangehörige größere Mengen Butter, Fleisch und Wurst aufkauften und nach Schweden mitnahmen. Zum Beispiel wurden bei einem schwedischen Staatsangehörigen u. a. 6 kg Butter und 3 kg Fleisch beschlagnahmt.
Zu Hamstereinkäufen kam es aber auch in anderen Bezirken. Zum Beispiel kauften in der Gemeinde Marnitz, [Kreis] Parchim, [Bezirk] Schwerin, einige Bürger schon seit Wochen mehrere Pfund Butter, die sie für Weihnachten in Steintöpfen aufbewahren. (Ähnliche Berichte liegen auch aus anderen Bezirken vor.)
Neben den umfangreichen Diskussionen, bei denen mehr oder weniger Verständnis für die Butterknappheit vorliegt und in denen eine geordnete Verteilung verlangt wird, gibt es aber auch eine Anzahl negativer Argumente, die nicht zuletzt durch feindliche Elemente unter der Bevölkerung verbreitet oder bestärkt werden. In der Hauptsache handelt es sich dabei um folgende Diskussionen:
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dass schon jetzt größere Mengen Butter bevorratet würden, weil es in zwei Jahren zum Krieg kommt.
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dass die Staatsorgane keine Rationierung einführen, weil die Butter auch dann nicht langen würde. So hätten sie die Möglichkeit, alles auf Hamstereinkäufe zu schieben und ihre »Unfähigkeit« zu vertuschen.
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dass aufgrund des Buttermangels die Weihnachtsbäckerei verboten werden soll.
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dass wir Butter exportieren, um Devisen zu erhalten.
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dass es unter diesen Voraussetzungen kaum möglich wäre, Westdeutschland einzuholen.
In Westdeutschland sei die Butter wohl teurer, aber dafür auch vorhanden.
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»Vor nicht allzu langer Zeit wurde großartig bekannt gegeben, wir könnten sogar Westberlin mit Milch in rauen Mengen versorgen. Jetzt sieht man, wie es aussieht.«5
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Von Groß- und Einzelbauern wird die Situation in der Butterversorgung zur Hetze gegen die LPG ausgenutzt, indem diese behaupten, dass der Mangel an Butter und anderen Nahrungsmitteln auf das Bestehen der LPG zurückzuführen ist. Je mehr Bauern sich zu LPG zusammenschließen, umso schlechter würde die Versorgungslage.
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In einer SED-Versammlung in Lauterbach, [Kreis] Oelsnitz, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, äußerten Genossen, dass die übergeordneten Verwaltungen zu langsam schalten. Wenn sie sich beizeiten richtig mit dem Butterproblem befasst hätten, wäre die ganze Atmosphäre unter der werktätigen Bevölkerung nicht so krass geworden.
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Am 9.11.1959 fand in Johanngeorgenstadt, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, ein Lichtbildervortrag der evangelisch-lutherischen Kirche statt. In einem Bild wurde gezeigt, wie Frauen in Süd-Indien anstehen, um Wasser zu erhalten. Dazu äußerte der Pfarrer [Name] ironisch: »Das ist noch schlimmer, als wenn unsere Hausfrauen vor den Geschäften nach Butter anstehen.«