Unzufriedenheit im Zusammenhang mit Lohnfragen
[ohne Datum]
Information Nr. 572/59 – [Bericht über die] Unzufriedenheit im Zusammenhang mit Lohnfragen in einigen Betrieben der DDR
Nach vorliegenden Informationen kam es in der jüngsten Zeit in einigen Betrieben unter den Arbeitern zur Unzufriedenheit, die auf die verschiedensten Ursachen in Lohnfragen zurückzuführen war.
Wenn die Ursachen in der Mehrzahl auch in der administrativen Anwendung lohnpolitischer Maßnahmen und Normen zu suchen sind, so gibt es doch – neben anderen – auch solche Fälle, wo bestimmte gleichartige Berufe in gleichgestellten Betrieben unterschiedlichen Lohn bekommen. In verschiedenen Betrieben im Bezirk Potsdam gibt es z. B. Verärgerung unter den Arbeitern, weil die den letzten Lohnerhöhungen entsprechenden Lohnkataloge noch nicht eingetroffen sind und der Lohn nach Gutdünken der jeweils Verantwortlichen errechnet wird.1 Im VEB BKW Unseburg, [Bezirk] Magdeburg,2 kam es unter den Reinigungskräften, Kraftfahrern und dem kaufmännischen Personal zu Unstimmigkeiten, weil diese Berufsgruppen im Bergbau von der Lohnerhöhung ausgeschlossen sind, während in der Chemie, Textilindustrie und im Handel alle Beschäftigten die Lohnerhöhung erhalten. Auch im Karl-Marx-Werk Potsdam-Babelsberg3 gibt es seit einiger Zeit unter dem Küchenpersonal und den Botenkräften Bestrebungen, mehr Geld zu bekommen, da bekannt ist, dass in gleichgestellten Betrieben das gleiche Personal mehr Lohn erhält.
Ähnliche Diskussionen gibt es auch in anderen Berufsgruppen und Betrieben. So sind z. B. die Schmelzer und Ofenarbeiter im Niederschachtofenwerk Calbe, [Bezirk] Magdeburg,4 nicht einverstanden, dass sie nur 1,80 DM5 bzw. 1,56 DM Stundenlohn verdienen, während durch die Lohnerhöhung in der Chemie ein Hilfsarbeiter im VEB Gelatinewerk Schönebeck ebenfalls 1,80 DM Stundenlohn hat. In den Diskussionen bringen sie zum Ausdruck, dass sie nicht einverstanden sein können, wenn sie trotz höherer Qualifikation und körperlich und gesundheitlich anstrengender Arbeit den gleichen bzw. geringeren Lohn erhalten.
Aus der DHZ Pharmazie Zella-Mehlis, [Bezirk] Suhl,6 wird bekannt, dass die Lohnerhöhung bei einigen Angestellten im Monat nur 0,10 DM beträgt, obwohl der Leiter der DHZ Pharmazie zur Beratung über die Lohn- und Gehaltserhöhung im Bezirk hinzugezogen wurde. Dazu wird die Meinung vertreten, dass es zu verstehen wäre, wenn Arbeitskräfte, meist Frauen, in die Industrie gehen, da sie dort fast das Doppelte verdienen. Auch im Großhandelskontor Textilwaren Berlin wurde festgestellt, dass nach dem derzeitigen Stand für die Angestellten keine Lohnerhöhung eintritt, sondern der Lohn gleichbleibt.
Zur Verärgerung der Arbeiter kam es auch im VEB Waschmittelwerk Genthin, [Bezirk] Magdeburg. In diesem Werk sind die Differenzen zwischen den einzelnen Lohngruppen nach der Lohnerhöhung sehr hoch. Zum Beispiel erhalten die Lohngruppen V bis VIII ca. 60,00 DM mehr, während die unteren Lohngruppen nur 12,00 DM mehr bekommen.7 In der Mechanischen Werkstatt des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg sind die Schichtschlosser unzufrieden und fühlen sich benachteiligt, weil sie nur einfachen Lohn bekommen, während die Normalschlosser nach Prämiengrundlohn bezahlt werden.
Im VEB Gleitlagerwerk Osterwieck, [Bezirk] Magdeburg, kam es zu Lohnforderungen in der Hoftransportkolonne. Als Begründung wurde angegeben, dass in einer Reihe anderer Betriebe des Kreises Halberstadt und des Nachbarkreises Wernigerode für Transportarbeiter wesentlich höhere Löhne gezahlt werden. Die Ursache dafür besteht aber darin, dass diese Betriebe den Leistungslohn auch bei Hofarbeitern in Anwendung bringen, was im Gleitlagerwerk Osterwieck nur in geringem Maße der Fall ist. Bereits vor Monaten kam es in der Reparaturkolonne, im Vorrichtungsbau sowie im Schleuderraum zu unberechtigten Lohnforderungen, die von der Werkleitung durch Lohnerhöhung und Sonderprämien beseitigt wurden. Die Werkleitung sorgte nicht für eine neue Technologie, auf deren Grundlage technisch begründete Arbeitsnormen8 aufgestellt und eine Entlohnung nach Arbeitsleistungen gewährleistet ist, sondern versuchte die Arbeiter durch Sonderprämien und andere Lohnzuschläge zu beruhigen. Zurzeit besteht sogar noch eine Anweisung der Werkleitung, wonach zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Veränderungen an den Normen vorgenommen werden dürfen. Diese Fehler in der Lohnpolitik und der Arbeitsnormung führten dazu, dass sich jetzt große Schwierigkeiten bei der Veränderung der Normen ergeben.
Auch in der Putzerei9 II des Georgij-Dimitroff-Werkes Magdeburg10 gab es Unstimmigkeiten wegen der Verrechnung des Lohnes. Bisher wurden den Arbeitern ca. 3,50 DM pro Stunde verrechnet. Im Monat Juli kommen sie nur auf 2,80 bis 2,90 DM. Seit ca. 1½ bis zwei Jahren erhielt die Putzerei II eine finanzielle Stützung von 2 500 DM bis 4 500 DM im Monat, um die Löhne entsprechend zu halten. Diese Mittel sind jetzt verbraucht. Bei der Aufstellung der Normen vor ca. zwei Jahren wurde der Durchschnitt der Bearbeitung des Klein-, Mittel- und Großgusses angenommen. In der Putzerei II ist aber zu verzeichnen, dass diese in erster Linie Großguss bearbeiten. Mehrere Arbeiter der Putzerei II brachten daraufhin zum Ausdruck, wenn in der Bezahlung keine Änderung eintritt, werden sie kündigen und in einem anderen Betrieb Arbeit aufnehmen.
Zu provokatorischen Äußerungen kam es im VEB Kraftverkehr Zittau, Abteilung Güterverkehr. Bei Diskussionen über Lohnfragen unterbreitete ein Fahrer den Vorschlag, doch einmal die Fahrzeuge stehen zu lassen und eine Delegation nach Berlin zu schicken, um den Lohnforderungen Nachdruck zu verleihen.
Weitere feindliche Forderungen wurden nicht bekannt.