Abbau von Überplanbeständen in der Textilbranche
4. Juli 1961
Bericht Nr. 349/61 über vorhandene Überplanbestände in der Textilbranche
Aus hier vorliegenden unvollständigen Berichten ist zu ersehen, dass große Überplanbestände an Konsumtionsmitteln (Industriewaren) vorhanden sind. Diese betreffen nach unserer Übersicht vor allem den Textilsektor, der, trotz laufender Anstrengungen, durch die verschiedensten Aktionen und Methoden einen Abbau der Bestände zu erreichen, immer noch mit erheblichen Überplanbeständen belastet ist.
Hemmend auf eine Veränderung dieser Situation wirkt sich offensichtlich aus, dass es nirgends – weder im Handel noch im Staatsapparat – eine genaue Übersicht über die mengen- und wertmäßige Höhe der Überplanbestände gibt. Nach unserer Einschätzung ist die derzeitige Berichterstattung der zuständigen Organe unzulänglich und gewährleistet über Anwachsen oder evtl. Abbau von Überplanbeständen keine zentrale Übersicht.
Nach unseren Feststellungen ergeben sich durch die derzeitige Abrechnungsweise auch in den einzelnen Handelsbereichen bereits Ungenauigkeiten in der statistischen Erfassung der Überplanbestände. Überplanbestände werden dort unter Berücksichtigung vorhandener Unterplanbestände saldiert ermittelt, sodass die Zahlenwerte aufgrund dessen durchaus höher liegen können.
Die bisher ermittelten Werte der Überplanbestände in der Textilbranche bewegen sich zwischen 350 bis 400 Mio. DM (entsprechend dem Herstellerpreis), wobei zu beachten ist, dass durch Absinken des Gebrauchswertes dieser Bestände der Verlust ständig anwächst. Bei der genannten Summe ist außerdem noch zu berücksichtigen, dass die Bestände im Bereich der Industrie und auch im Bereich des Einzelhandels nicht vollständig erfasst werden konnten, da über die dort lagernden Überplanbestände kein realer Überblick vorhanden ist. Im Bereich des Einzelhandels ist nicht einmal eine annähernde Ermittlung der vorhandenen Überplanbestände möglich. Schwerpunkt bei den im Einzelhandel lagernden Überplanbeständen bilden insbesondere Oberbekleidungsgewebe (Meterware) sowie Damen- und Herrenkonfektion.
Die ungenügende Übersicht über die Bestände im Einzelhandel ergibt sich u. a. daraus, dass die HO ihre Bestände nur getrennt nach Lebensmittel und Industriewaren abrechnet und dass vom Konsum nur eine Abrechnung der insgesamt verkauften Waren in DM vorgenommen wird, ohne Untergliederung nach Sortimenten.
Ungünstig wirkt sich bei der Schaffung einer Übersicht über die vorhandenen Überplanbestände auch aus, dass im Handel unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe für den Begriff »Überplanbestände« bestehen. So sind innerhalb der Handelsbetriebe relativ große Unterschiede in der Festsetzung der Richtsatztage für bestimmte Warengruppen vorhanden. Nach Meinung verschiedener Fachleute erfolgte die Festlegung eines Teils der Richtsatztage schematisch und nicht nach wissenschaftlich-ökonomischen Gesichtspunkten. In der Praxis wirkt sich das so aus, dass in einem Handelsbetrieb Textilwaren als Überplanbestände auftreten, die in einem anderen Betrieb aufgrund höherer Richtsatztage noch lange keine Überplanbestände sind.
Zu den Ursachen des Entstehens der Überplanbestände im Textilwarensektor wurden neben der mangelhaften Qualität des Grundmaterials und dem unbeweglichen Planablauf in den Produktionsbetrieben u. a. folgende Feststellungen getroffen:
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Eine wesentliche Ursache dafür, dass Überplanbestände in dieser Höhe überhaupt entstehen konnten, besteht offensichtlich darin, dass der Staatsapparat die Bestandsentwicklung und die Warenbewegung nicht systematisch analysiert und die Handelstätigkeit in den Betrieben nicht straff organisiert. Dadurch fehlt von vornherein jeder Überblick, und es können keine oder nur unzureichende Maßnahmen zum Abbau der Bestände eingeleitet werden.
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Winter- und Sommerschlussverkäufe werden nach Ansicht der Mitarbeiter des Handels bis heute nicht rechtzeitig organisiert und zeitigen daher auch nicht die erwarteten Erfolge im Absatz der Waren. Ein Rückgang der Überplanbestände bei Oberbekleidung und Meterware ist fast nicht zu verzeichnen. Die Bezirke Potsdam, Frankfurt/O., Magdeburg und andere sehen die Ursachen dafür mit darin, dass die Termine für Sommer- und Winterschlussverkäufe zu spät liegen und eine starre Anwendung von festen Senkungssätzen erfolgt. Nach den bestehenden Richtlinien darf die Ware, die infolge des Schlussverkaufes im Preis gesenkt wurde, während der Aktion kein zweites Mal gesenkt werden, auch wenn sich herausstellt, dass ein Absatz zum gegenwärtigen Preis nicht gewährleistet ist. Nach Abschluss der Sonderverkäufe werden keine Besichtigungen der restlichen Waren und weitere Senkungen vorgenommen. Das wirkt sich dann so aus, dass diese Ware von Jahr zu Jahr im Warenangebot »mitgeschleppt« wird und keinen Absatz findet.
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Die Zeiträume zwischen Produktion und Verkauf liegen noch heute im Durchschnitt bei sechs Monaten. Zwischen Musterung und Verkauf besteht sogar ein Durchschnittszeitraum von einem Jahr. Die Auswirkungen sind in der Praxis so, dass Waren, die der Mode unterliegen, bei der Lieferung an den Einzelhandel teilweise bereits unmodern wurden. Beispielsweise werden von verschiedenen Strickereibetrieben Apoldas noch größere Mengen Jacken und Pullover ohne Kragen hergestellt, obwohl zzt. hauptsächlich Obertrikotagen mit Kragen modern sind.
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Die Bedarfsforschung als entscheidendes Mittel zu einer ordnungsgemäßen Bestandsentwicklung weist erhebliche Mängel auf. Besonders in der Textilbranche ist aufgrund der erheblichen Überplanbestände ersichtlich, dass von den Herstellerbetrieben weiterhin – trotz häufiger Kritiken – Waren produziert werden, die hinsichtlich ihrer Form, Dessierung1, Materialzusammensetzung und der zum Teil falsch aufgeschlüsselten Größenklassen von der Bevölkerung abgelehnt werden. Z. B. wird von der Bevölkerung nicht verstanden, aus welchen Gründen heraus es nicht möglich sein soll, ein ausreichendes und ansprechendes Angebot an Streifendessins für Sommermodelle bereitzustellen. Die vielfach noch ungenügende Qualifizierung der Einkäufer des Großhandels trägt ein Weiteres dazu bei. Hemmend wirkt sich aus, dass Einkäufer häufig Kaufhandlungen einer Branche für den ganzen Bezirk allein vornehmen. Die bestehenden Anordnungen über den Einkauf durch Einkaufskollektive werden laufend verletzt. Zwischen Ein- und Verkaufsabteilungen innerhalb einer GHG ist die Zusammenarbeit mehrfach unzureichend. So konnte es z. B. in der GHG Textilwaren Pößneck vorkommen, dass solche Warenpositionen, die schon längere Zeit am Lager waren, erneut bei den Herstellerbetrieben bestellt wurden.
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In verschiedenen GHG lagern wertvolle Stoffe, u. a. Importstoffe, die aufgrund ihrer inzwischen unmodernen Musterung oder Farbgestaltung nicht mehr absetzbar sind, verarbeitet zu Konfektionsware zu verbilligten Preisen aber durchaus zu verkaufen wären. Durch die vom Zentralen Preisamt errechneten Endverkaufspreise ist jedoch ein Absatz auch nach der Verarbeitung zu Konfektionsware nicht mehr gewährleistet, und die Stoffe rechnen daher weiterhin zu den Überplanbeständen. So lagern in der GHG Textilwaren Frankfurt/O. wertvolle Importhemdenstoffe, die infolge der inzwischen unmodernen Musterung nicht absetzbar sind. Durch Preissenkung wurden sie mit 3,65 DM/m etikettiert. Der Vorschlag der GHG, den Stoff zu Hemden zu verarbeiten, musste verworfen werden, da vom zentralen Preisamt für Textilien Karl-Marx-Stadt ein Endverkaufspreis von 32,00 DM je Oberhemd errechnet wurde. Würde man die Konfektionsware nicht nur nach der Stoffzusammensetzung berechnen – wie dies vom zentralen Preisamt erfolgt –, sondern nach den Kosten der Konfektionierung und dem gesenkten Stoffpreis, käme ein Preis von 15,00 bis 20,00 DM je Oberhemd zustande und die Ware wäre abzusetzen. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen besagen, dass die Festlegung der Preise derartiger konfektionierter Waren nur auf der Grundlage des ursprünglichen Wertes des verarbeiteten Materials ohne Berücksichtigung der vom Handel zuvor vorgenommenen Abwertungen erfolgt. Mit Genehmigung des Ministeriums für Handel und Versorgung können Ausnahmen gestattet werden, wenn entsprechende Eingaben und Begründungen der betreffenden Großhandelsbetriebe erfolgen. In den meisten Fällen wird von den GHG davon nicht Gebrauch gemacht, da sich daraus mehrfach ein sehr umfangreicher Schriftwechsel ergibt.
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Fachleute sehen einen weiteren Grund für das Anwachsen von Überplanbeständen in der zu langsam fortschreitenden Spezialisierung des Einzelhandelsnetzes. Selbst im demokratischen Berlin sind wenig Verkaufsstellen vorhanden, in denen das volle Sortiment angeboten wird. Teilweise wird von Verkaufsstellenleitern als Grund angegeben, dass durch unzureichenden Verkaufs- und Lagerraum keine Voraussetzungen zum Führen des vollen Sortiments beständen.
Mängel beim Versuch des Abbaus der Überplanbestände zeigen sich aber auch dahingehend, dass die Vertreter der demokratischen Massenorganisationen in den Einkaufskollektiven des Einzelhandels nur wenig mit einbezogen werden. Die zuständigen Kommissionen der örtlichen Volksvertretungen beschäftigen sich fast nicht mit diesem Problem und werden von den Handelsorganen auch nicht darauf aufmerksam gemacht.
Der überbezirkliche Warenaustausch ist ebenfalls nur mangelhaft organisiert. So wurde z. B. festgestellt, dass ganze Sortimente aus den Überplanbeständen des Bezirkes Gera von anderen Bezirken reißend abgenommen wurden. Da die Bemühungen zum Abbau der Überplanbestände aber örtlich sehr verschieden sind, blieb das Beispiel in Gera bisher eine Einzelaktion.
Zur Herabsetzung der Überplanbestände und teilweisen Verbesserung der gegenwärtigen Situation auf dem Gebiet der Versorgung der Bevölkerung mit Gebrauchsgütern wird die Prüfung folgender Vorschläge für notwendig erachtet:
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Schaffung besserer Voraussetzungen für eine kontinuierliche bedarfs- und vertragsmäßige Fertigung auf dem Sektor der Produktion von Textilwaren. Dazu sollten
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auf der Grundlage der Beschlüsse der Textilkonferenz die TGL der Textilindustrie überarbeitet und Unklarheiten zwischen den TGL der Spinnereien und Webereien beseitigt werden,
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von der Chemischen Industrie Voraussetzungen geschaffen werden, die Textilindustrie mit qualitativ gleichbleibenden Zellwollflocken und synthetischen Fasern zu beliefern. Bei Veränderungen in der Qualität müsste die Textilindustrie rechtzeitig informiert werden; die Qualitätsauszeichnungen müssten konkreter erfolgen,
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in den einzelnen Spinnereien gleiche Wollqualitäten verarbeitet werden, wozu die Schaffung eines größeren Kammzuglagers und eine kontrollierte straffere Verteilung notwendig wären,
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ein zentrales Farbstofflager eingerichtet wird.
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Verbesserung der Bedarfsforschung und -kontrolle. Dazu wäre eine Verbesserung in der Durchführung der Submissionen erforderlich. Die im Rahmen der Submission durchzuführende Vertragsbindung sollte zu etwa 60 % des Produktionsvolumens feste Bindungen (bei Standardsortimenten) ausmachen. Das übrige Produktionsvolumen sollte für die modische Entwicklung freigelassen werden.
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Verwirklichung der Vorstellungen, die Konfektion aus der GHG Textil herauszulösen, wobei dieser Großhandelsteil mit den spezialisierten Verkaufsstellen zu einem staatlichen Handelsbetrieb Konfektion vereint werden müsste. Das setzt eine stärkere Spezialisierung der Verkaufsstellen voraus, wodurch wiederum der Direktbezug bzw. Versand der Waren vom Betrieb zur Verkaufsstelle gefördert würde. Entsprechende Beispiele könnten evtl. in Berlin geschaffen werden.
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Verbesserung der Tätigkeit der Einkaufskollektive im Groß- und Einzelhandel.
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Organisierung des überbezirklichen Warenaustausches.
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Schaffung einer Möglichkeit, die Produktion solcher Warenpositionen, die als Überplanbestände auftreten (speziell Standardartikel) zeitweilig zu stornieren.
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Bessere und rechtzeitige Organisierung der Schlussverkäufe. Dabei müsste geprüft werden, die bestehenden Bestimmungen dahingehend zu lockern, dass Ware, die trotz Preisherabsetzung nicht abgesetzt werden kann, wiederholt im Verlauf der Aktion im Preis gesenkt werden kann.