Aktion »Rose« – 10 (Reaktionen westlicher Stellen)
15. August 1961
10. [Einzel-Information] Nr. 423/61 über westliche Reaktion auf die Maßnahmen zur Sicherung der DDR [Aktion »Rose«]
Nach den jüngsten offiziellen Meldungen wurde in den jetzt angelaufenen Konsultationen zwischen der Bundesrepublik, den Westmächten und allen übrigen NATO-Staaten in den verschiedensten Gremien eine grundsätzliche Übereinstimmung über die Haltung zu den Maßnahmen der DDR und über eventuelle sogenannte Gegenmaßnahmen erzielt. Es heißt, als Erstes seien Protestschritte vorgesehen, dann werde man Maßnahmen ergreifen, die den Maßnahmen der DDR entsprächen.
Adenauer erklärte am 14.8., der Westen sei zu »empfindlichen Maßnahmen« entschlossen, falls sich Chruschtschow nicht zu Verhandlungen bereitfinde.1 Es sei vor allem an wirtschaftliche Maßnahmen und an ein NATO-Embargo gegen das gesamte sozialistische Lager gedacht.
Damit bestätigt sich die bereits im letzten Bericht gegebene Einschätzung, dass selbst in Kreisen der Bundesregierung die Forderung für unreal gehalten wird, das Stattfinden von Verhandlungen von einer Rückgängigmachung der Maßnahmen der DDR abhängig zu machen. Nach mehreren internen Materialien gibt es auch noch keine grundsätzlich einhellige Meinung in der Frage wirtschaftlicher Repressalien, obgleich sich die Hinweise darauf verstärken. So wird in Westberliner Senatskreisen unbedingt mit einer Kündigung des innerdeutschen Handels gerechnet. Als Voraussetzung dafür wird allerdings ein einheitliches Vorgehen aller NATO-Staaten bezeichnet. In einer Sitzung in Anwesenheit von Mende sprach sich dagegen der Westberliner Landesverband der FDP gegen einen Abbruch des innerdeutschen Handels aus, da er folgenschwere Auswirkungen für Westberlin haben könnte.
Auf dieser Sitzung wurde zugegeben, dass es ungeheuer kompliziert für die Bundesregierung sei, den Amerikanern klar zu machen, dass sie in Westberlin direkt betroffen seien. Zwar sei die Propaganda in den USA jetzt angelaufen und es entwickle sich eine Stimmung, nach der Berlin zu einem zweiten Korea werden könnte. Andererseits lasse die Haltung der USA erkennen, dass sie nicht bereit seien, aufgrund der Maßnahmen der DDR einen Atomkrieg zu riskieren.
So zeigten sich führende Westberliner CDU-Funktionäre empört über den amerikanischen Stadtkommandanten, weil er bereits am 13.8. gegenüber Lemmer und Amrehn erklärt habe, er verstehe ihre Aufregung nicht, es handele sich doch nur um eine Verkehrsbehinderung innerhalb Berlins, von der die Freiheit der Bevölkerung Westberlins nicht betroffen werde.
In diesem Zusammenhang sind möglicherweise auch die verschiedenen widersprüchlichen Meldungen über den Grad der Einsatzbereitschaft der amerikanischen Streitkräfte in Westberlin zu sehen. Nach einigen neueren internen Mitteilungen wurde für Einheiten der amerikanischen Truppen Alarmbereitschaft verkündet. Nach einer anderen internen Meldung habe sich der französische Stadtkommandant nur widerwillig dazu entschlossen, französische Einheiten in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Aus führenden Westberliner SPD-Kreisen wurde im Zusammenhang mit einer Landesausschusssitzung am 14.8. bekannt, Brandt habe sich mit den westlichen Stadtkommandanten darüber geeinigt, dass alles unternommen werden soll, um von Westberlin aus keinerlei Anlass zu weiteren Komplikationen zu geben. Eine bereits für den 14.8. geplante Großkundgebung in Westberlin sei aufgrund noch vorhandener Unklarheiten über die Haltung der Westmächte und über die Ankündigung sogenannter Gegenmaßnahmen verzögert worden. Sie soll nunmehr am 15.8., um 16.00 Uhr vor dem Schöneberger Rathaus stattfinden.2
Die Unklarheit über die Haltung der Westmächte sei noch dadurch verstärkt worden, dass Gerstenmaier sofort den Bundestag nach Westberlin einberufen wollte und dabei von Ollenhauer und Wehner unterstützt wurde. Aufgrund von Rücksprachen mit den Westmächten habe man jedoch von dieser Absicht Abstand nehmen müssen. Es besteht nunmehr die Absicht, vorerst den außenpolitischen Bundestagsausschuss nach Westberlin einzuberufen.
In der gleichen Information aus führenden Westberliner SPD-Kreisen heißt es, dass ein generelles Verbot der SED in Westberlin noch nicht erfolgen soll. Ihre Tätigkeit soll jedoch durch gesteigerte Hetze sowie verschiedene Repressalien auch gegen andere Institutionen wie ADN usw. eingeengt und unmöglich gemacht werden.
Nach einer Information aus Westberliner CDU-Kreisen gelang es dem CDU-Landesvorstand nicht, eine Forderung durchzusetzen, nach der Adenauer schnellstens nach Westberlin kommen soll. Es heißt, dass Brentano am 16.8. in Westberlin eintreffen wird. Die Fraktionsvorsitzenden aller Bonner Parteien, die sich bereits in Westberlin aufhalten, führten am Abend des 14.8. eine gemeinsame Sitzung durch.
Nach wie vor gibt es legal und intern verschiedene Spekulationen über »Unruhen« in der DDR, die durch die Maßnahmen der DDR ausgelöst werden könnten.3 Ein führender Westberliner FDP-Funktionär erklärte allerdings dazu, da bisher jedes Anzeichen dafür ausgeblieben sei, seien die Geheimdienste offensichtlich überrascht worden und völlig unfähig gewesen, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Blieben die erwarteten »Unruhen« aus, habe Ulbricht das Spiel gewonnen.