Aktion »Rose« – 7 (Reaktionen des Westens, Stimmungslage)
[ohne Datum]
7. Einzel-Information Nr. 419/61 über die Durchführung der Aktion »Rose«
In den ersten bisher vorliegenden offiziellen Stellungnahmen führender politischer Kreise der Westmächte, der Bundesrepublik und Westberlin werden »schärfste Proteste« gegen die von der DDR eingeleiteten Maßnahmen sowie die Verwirklichung von sog. Gegenaktionen angekündigt. In diesem Sinne äußerten sich sowohl Bundeskanzler Adenauer als auch Minister Lemmer.1 Gleichzeitig wird jedoch die Westberliner Bevölkerung vor »Unbesonnenheit« gewarnt. Der westdeutsche Kriegsminister Strauß erklärte in einer ersten Stellungnahme, er glaube nicht, dass es trotz der zugespitzten Lage wegen Berlin zu einem Krieg kommen werde. Generell werden die Maßnahmen der DDR als Verletzung des sog. Viermächtestatus und als eine »Bankrotterklärung« bezeichnet.
Wie ein offizieller Sprecher der Bundesregierung am 13.8. bekannt gab, haben die Beratungen mit den Westmächten bereits begonnen. Am Montag, dem 14.8., trifft Außenminister von Brentano um 10.00 Uhr mit den Botschaftern der USA, Englands und Frankreichs zur Erörterung der Berlin-Situation zusammen. Die Bundesregierung hat am gleichen Tage ihre Botschafter in den USA, England, Frankreich, der NATO und der Sowjetunion angewiesen, sofort auf ihre Posten (Botschaftsgebäude) zurückzukehren. Der westdeutsche Botschafter in Moskau, Kroll, muss seine Kur beenden und sich sofort nach Moskau begeben.
Der US-Außenminister Rusk hat in einer ersten Stellungnahme zu den Maßnahmen der Regierung der DDR erklärt, dass diese eine Verletzung des Viermächte-Status darstellen und einen scharfen Protest durch die westlichen Stadtkommandanten zufolge haben werden.2 Von militärischen Gegenmaßnahmen des Westens wurde bisher nichts bekannt. Nach einer UPI-Meldung habe ein Sprecher des Hauptquartiers der amerikanischen Armee in Europa am 13.8. lediglich erklärt, die amerikanischen Truppen befänden sich ständig »in einem hohen Grad der Gefechtsbereitschaft«. Ein Sprecher der 6. amerikanischen Flotte im Mittelmeer bestätigte gleichfalls, dass vorläufig keine Alarmmaßnahmen geplant seien. Im Pariser NATO-Hauptquartier wurde erklärt, die Angelegenheit betreffe zunächst die drei Westmächte als »Schutzmächte Westberlins« und danach die Bundesrepublik als »unmittelbar interessierte Partei«. Es werde jedoch damit gerechnet, dass die NATO-Mitglieder von allen Schritten der Westmächte unterrichtet würden.
In einer Sondersitzung des Westberliner Abgeordnetenhauses, die am 13.8. stattfand, wurde »schärfstens gegen die Maßnahmen Pankows« protestiert und den westlichen Stadtkommandanten vorgeschlagen »energische Maßnahmen einzuleiten und darauf zu bestehen, dass die rechtswidrigen Maßnahmen wieder rückgängig gemacht würden«. Brandt, der die Maßnahmen der DDR als eine »Sperrwand eines Konzentrationslagers« bezeichnete, charakterisierte diese als »unrechtmäßig und empörendes Unrecht«. Im Einzelnen führte er zur »Begründung« seiner Ausführungen aus,3 dass
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sowohl die Vereinbarungen der Hauptsiegermächte des letzten Weltkrieges, als auch der Wortlaut des Londoner Protokolls vom 12.9.1944 die Behauptung widerlege, dass Berlin »zur sowjetischen Besatzungszone geschlagen worden sei«.
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Der Beschluss des sog. Ministerrates komme einer Annexion eines Teiles des unter Viermächte-Verwaltung stehenden Gebietes von Berlin gleich und sei eine Verletzung des Viermächte-Abkommens durch die Sowjetunion.
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Die Einführung der Genehmigungspflicht zum Überschreiten der Sektorengrenze verstoße eindeutig gegen den Grundsatz des freien Personenverkehrs innerhalb Berlins entsprechend dem Viermächte-Kommuniqué vom Mai 1949.
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Die Absperrmaßnahmen seien ein Verstoß gegen die von den Vereinten Nationen abgegebene allgemeine Erklärung der Menschenrechte (10.12.1958), die das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes beinhaltete.
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Der Beschluss, nur sog. friedlichen Bürgern von Westberlin das Passieren der Übergangsstellen zu gestatten, sei ebenfalls ein Verstoß gegen den Grundsatz des freien Personenverkehrs und öffne einer willkürlichen Verweigerung Tür und Tor.
Brandt forderte die Westberliner Bevölkerung auf, an keinerlei Veranstaltungen im demokratischen Berlin teilzunehmen, um nicht »das Regime zu stützen«. Den Grenzgängern würden »sämtliche Rechte in vollem Umfange garantiert«.
Am Vormittag des 14.8. findet eine weitere Sitzung des Westberliner Senats statt. Wie intern verlautete, trifft der Westberliner Senat Vorbereitungen, um vor dem Schöneberger Rathaus eine sog. Protestkundgebung durchzuführen.
Neben dem Westberliner Senat forderte der Staatssekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Thedieck und der SPD-Vorstand von den Westmächten entscheidende Schritte, um die Sicherheitsmaßnahmen der DDR rückgängig zu machen. Der geschäftsführende Vorsitzende des Kuratoriums Unteilbares Deutschland, Schütz, forderte in einer Erklärung, in einem Brief an Adenauer eine Volksabstimmung über folgende Fragen vorzunehmen:4
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»1. Wollen Sie einen Frieden, den eine vom ganzen deutschen Volk frei gewählte Regierung auf der Grundlage der Selbstbestimmung für ganz Deutschland abschließt oder wollen Sie einen Friedensvertrag, den mehrere deutsche Regierungen auf der Grundlage der Teilung Deutschlands abschließen?
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2. Wollen Sie Berlin als Hauptstadt eines geeinigten und freien Deutschlands, oder wollen Sie Berlin als freie Stadt in einem geteilten Deutschland?«
Im Zusammenhang mit der Vorbereitung von sog. Gegenmaßnahmen verlautet, dass der Bundestag in den nächsten Tagen zusammentreten werde. Die reguläre nächste Bundestagssitzung war für den 22.8. vorgesehen; vermutlich findet sie jedoch jetzt früher statt.
Am 14.8. treffen Gerstenmaier, Krone, Ollenhauer und Mende in Westberlin ein, um sich von der Situation zu überzeugen.5 Im Zusammenhang mit der Erörterung sog. Gegenmaßnahmen wird auch die Kündigung des Handels mit der DDR erwähnt. Nach einer AP-Meldung hat Brandt in seiner Aussprache mit den westlichen Stadtkommandanten erklärt, dass die westlichen Aussteller zur Leipziger Messe entsprechende Schlussfolgerungen ziehen werden und von einer Beteiligung absehen. Gleichzeitig wird in den sogenannten Stimmungsberichten der Westberliner Sender wiederholt die Forderung nach Abbruch des Handels mit der DDR betont. In der Abendausgabe des Westberliner »Sieben-Uhr-Blattes« am 13.8. wurde bereits der Abbruch des innerdeutschen Handels gefordert.6 Während der Pressekonferenz des Westberliner Senats am 13.8. hatte Brandt auf die Frage, ob die Vorbehaltsklausel des Handels mit der DDR von den jüngsten Maßnahmen der Regierung der DDR betroffen werde, erwidert, dies sei »nicht einfach«. Das primäre Junktim zwischen dem Interzonenhandel betreffe den Verkehr zwischen Berlin und der Bundesrepublik; der Interzonenhandel stehe jedoch mit zur Debatte.
Im Gegensatz zu den offiziellen Beschwichtigungs- und Beruhigungsaufrufen der westdeutschen und Westberliner Politiker schüren die Westberliner Sender die Hetze und fordern in den sog. Situationsberichten indirekt zu Provokationen auf. U. a. wurde die Demolierung von SED-Büros, das Verbot der »Wahrheit« u. Ä. von den »Gesprächspartnern« gefordert. Besonders auffällig war diese Tendenz in einer Sendung des SFB am 13.8. um 18.00 Uhr.
Aus verschiedenen Äußerungen wird ferner bekannt, dass im Rahmen der sog. Gegenmaßnahmen die Behinderung der im demokratischen Berlin tätigen Ärzte sowie der Künstler vorgesehen ist. Man hoffe damit, dem Gesundheitswesen und dem kulturellen Leben einen Schlag zu versetzen. Außerdem liegen Äußerungen vor, nach denen ein Verbot der SED in Westberlin bevorstehe.7
Aus allen vorliegenden Berichten über die Stimmung der Bevölkerung im demokratischen Berlin geht hervor, dass die Diskussionen über die Maßnahmen des Ministerrats einen sehr großen Umfang angenommen haben. Die Maßnahmen werden von allen Bevölkerungskreisen lebhaft diskutiert. Die positiven Stellungnahmen überwiegen in den Diskussionen. Für diese Stellungnahmen sind vor allem folgende Argumente charakteristisch:
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Es sei höchste Zeit für die Durchführung der Maßnahmen gewesen. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass diese Maßnahmen schon früher hätten durchgeführt werden müssen.
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Der Republikflucht sei endlich ein Riegel vorgeschoben worden, und den Grenzgängern und Schiebern werde das Handwerk gelegt.
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Die neuen Maßnahmen seien ein Schlag gegen die Agententätigkeit und gegen die von Westberlin ausgehende indirekte Unterminierung der DDR.
Im demokratischen Berlin kamen positive Stellungnahmen vor allem aus verschiedenen Betrieben, in denen am Sonntag die Arbeit fortgesetzt wurde.
Die negativen Diskussionen, die im demokratischen Berlin und in den Berliner Randgebieten festgestellt wurden, widerspiegeln teilweise die vom Westberliner Senat und der Bonner Regierung verbreiteten »Argumente«. In dieser Hinsicht zeigten sich besonders folgende negative Äußerungen:
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Wieso wollen wir freie Wahlen durchführen, wenn wir jetzt durch diese Maßnahmen uns die Sympathie der Bevölkerung verscherzen.
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War es notwendig zur Sicherung der Grenzen nach Westberlin Panzerfahrzeuge aufzufahren und Drahthindernisse anzulegen? Der Aufwand für die Durchführung der Maßnahmen ist zu groß.
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Es ist merkwürdig, dass ausgerechnet immer die Westberliner bei allem gut abschneiden, während die Auswirkungen auf die Menschen im demokratischen Berlin zurückfallen.
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Warum wurde von der Nationalen Front und der Partei in der Vorbereitung der Wahlen dahingehend orientiert, dass auf keinen Fall die Grenzen geschlossen werden, während wir jetzt das Gegenteil tun.
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Warum haben wir nicht gleich am 17. Juni 1953 die Grenze blockiert gehalten, wo doch damals günstige Voraussetzungen vorhanden waren.
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Es gibt gar keine Abwerbung, die Maßnahmen der DDR sind das letzte Mittel, die Leute zu halten.
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Der Wegfall der Einkaufsmöglichkeiten in Westberlin erschwert die wirtschaftliche Lage der Bewohner im demokratischen Berlin.
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Die Maßnahmen der DDR, so berechtigt sie auch sein mögen, könnten zum Kriege führen.
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Wo Stacheldraht ist, gibt es bald auch Schützengräben.
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Vergleiche mit der Situation vom 17. Juni 1953 und provokatorische Äußerungen, dass sich »eine Ordnung mit Stacheldraht nicht lange werde halten können«. Parole von der Ausrufung des Ausnahmezustandes.
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Verbreitung des »Argumentes«, dass durch die neuen Maßnahmen die persönliche Freiheit eingeschränkt und freie Wahlen unmöglich seien. Besonders Jugendliche verbreiten diese Parolen.
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Die Maßnahmen der DDR vertiefen die Spaltung Deutschlands.
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Die Bevölkerung der DDR dürfe sich diese Maßnahmen nicht gefallen lassen. Sie würden nicht von langer Dauer sein, weil die Westmächte Sanktionen ergreifen und die DDR zur Aufhebung der Maßnahmen zwingen würden.
Negative Diskussionen im demokratischen Berlin und in den Berliner Randgebieten waren meistens mit provokatorischem Auftreten verbunden, während es sich in den Bezirken der DDR überwiegend um negative Einzelstimmen handelt. Im demokratischen Berlin waren es größtenteils Jugendliche, die vor allem bei Menschenansammlungen provokatorisch auftraten bzw. versuchten, negative »Argumente« in die Diskussionen zu bringen. Die negativen Äußerungen waren oft mit westlichen Hetzparolen identisch. Es wurde versucht, die Maßnahmen der Regierung der DDR verfälscht, verzerrt oder »überspitzt« wiederzugeben.