Aktion »Rose« – 9a (Reaktionen westlicher Stellen)
[ohne Datum]
9. [Einzel-Information] Nr. 421a/61 über die Reaktion auf die Maßnahmen zur Sicherung der DDR [Aktion »Rose«]
In der offiziellen Reaktion führender politischer Kreise der Westmächte, Bonns und Westberlins liegt der Akzent weiterhin darauf, zu betonen, dass die Maßnahmen der DDR die internationalen Spannungen außerordentlich verschärft, eine »bedrohliche Situation« in der DDR geschaffen und den Westen davon überzeugt hätten, dass formelle Proteste allein nicht mehr ausreichen. Sprecher der Westmächte erklärten am 14.8., die Reaktion der Westmächte werde sich nicht auf Proteste beschränken.1 Es würden Maßnahmen ergriffen, die denen der DDR angemessen seien.
Zugleich wird nach wie vor vor »unüberlegten Handlungen« gewarnt. Interessanter Weise trat in dieser Hinsicht besonders Strauß hervor, der am 13.8. in Hamburg erklärte, jede »explosive Reaktion« der Bevölkerung der DDR könne zu unübersehbaren Folgen führen.2 Die Bundesregierung werde keine Maßnahmen ergreifen, die zu einer kriegerischen Situation führen und die taktische Verhandlungsposition des Ostens verbessern könnten.
Nach Meinung westlicher Korrespondenten in Bonn ist durch die Maßnahmen der DDR der »kritische Punkt« eines Friedensvertrags mit der DDR (das Ausfliegen sog. Republikflüchtiger aus Westberlin) bereits vorweggenommen worden. Entsprechend der bekannten Äußerung des amerikanischen Senators Fulbright habe man sich schon längst darüber gewundert, dass die DDR ihre Maßnahmen nicht früher durchgeführt hat.
Aus den offiziellen Stellungnahmen von Sprechern der Westmächte geht bisher nicht hervor, inwieweit sie der von führenden Bonner Politikern erhobenen Forderung nachkommen wollen, neue Ost-West-Verhandlungen von einer Rückgängigmachung der Maßnahmen der DDR abhängig zu machen. Es ist möglich, dass diese Forderung ihnen selbst unreal erscheint.
Nach Mitteilung einer zuverlässigen Quelle zeigten sich französische Angestellte des Quartiers Napoleon in Westberlin über die Maßnahmen der DDR keineswegs empört. Mitarbeiter des englischen Geheimdienstes äußerten die Auffassung, dass man sich mit den gegebenen Tatsachen abfinden müsse. Einen Krieg würden die Westmächte aufgrund der Maßnahmen der DDR keinesfalls riskieren.
Es zeigt sich bereits deutlich, dass es – trotz grundsätzlicher Übereinstimmung in der Forderung, es nicht bei formellen Protesten bewenden zu lassen – einen Unterschied in der Schärfe des Tones von Vertretern der Westmächte und Vertretern der Bonner Regierung und insbesondere des Westberliner Senats gibt, in dem auf die Maßnahmen der DDR reagiert wird. Die von Bonn und Westberlin aus gelenkte Hetze gegen die DDR gipfelt in schrankenlosen Verleumdungen und Beschimpfungen, deren Grundtenor es ist, die DDR mit dem Regime des Faschismus auf eine Stufe zu stellen und damit zur Bekämpfung ihres gesellschaftlichen Systems aufzurufen.
Am 14.8. verhandelte Brandt mit den westlichen Stadtkommandanten in Westberlin. Offiziell wurde dazu gemeldet, dass über sog. Gegenmaßnahmen gegen die SED in Westberlin, gegen die Oberhoheit der Reichsbahn über das Westberliner Bahngelände und gegen die im demokratischen Berlin arbeitenden Westberliner Bürger beraten wurde.3 Von einer zuverlässigen Quelle wurde intern über diese Besprechung bekannt, dass Brandt von den Stadtkommandanten entschiedene und konkrete Maßnahmen, vor allem das Verbot der SED in Westberlin als einer »Partei des Terrors«, gefordert habe. Die Stadtkommandanten hätten jedoch geraten, zunächst abzuwarten, welche ergänzenden Maßnahmen vonseiten der DDR noch in der Frage des Besuchs von Westberlin durch Bürger der DDR getroffen werden.
Von der gleichen Quelle wurde bekannt, dass im Westberliner SPD-Landesvorstand daran gedacht wird, eine breite Kampagne gegen die SED in Westberlin durchzuführen. Am 13.8. kam es bereits, wie offiziell gemeldet wurde, in einigen Westberliner Betrieben zu Arbeitsniederlegungen mit der Forderung, Mitglieder der SED aus dem Betrieb zu entfernen.
Bezüglich einer möglichen Kündigung des Abkommens über den innerdeutschen Handel gibt es sowohl intern als auch offiziell noch keine konkreten Hinweise. Korrespondentenberichte aus Paris sprechen davon, dass an ein Embargo gegenüber der DDR gedacht ist, dem sich auch die anderen NATO-Staaten anschließen sollen. Eine noch nicht überprüfte Quelle berichtete, ein Westberliner Exportkaufmann habe im Bundeswirtschaftsministerium erfahren, dass die Einstellung des innerdeutschen Handels eine beschlossene Sache sei und in den nächsten Tagen erfolgen werde. Zugleich wird in der Information allerdings von Differenzen zwischen Erhard und Brentano gesprochen. Es heißt, Brentano habe ein Verbot des Besuchs der Leipziger Messe gefordert, von Erhard aber noch nicht die Zustimmung dafür erhalten.
Überprüfungsmaßnahmen ergaben, dass es keine – wie gestern gemeldet – generelle Alarmbereitschaft für die westlichen Besatzungstruppen in Westberlin gibt. Zugleich wurde bekannt, dass vom US-Hauptquartier in München für alle Offiziere und Mannschaften ein Befehl herausgegeben wurde, der den Ausgang bis abends 24.00 Uhr befristet.
In der Frage der sog. Grenzgänger4 gibt es mehrere übereinstimmende Meldungen, dass sie sich zwar registrieren lassen, aber ihre Arbeit im demokratischen Berlin in der Hoffnung auf eine Änderung der Verhältnisse noch nicht aufnehmen. In einem Lichtenberger Betrieb erklärten ehem. »Grenzgänger« offen, dass sie vor dem 18.6. nicht zur Arbeit erscheinen würden. Aus einer Information über eine Aussprache mit »Grenzgängern« in der AEG geht hervor, dass ihnen für die ausgefallenen Tage der Lohn ersetzt und ihnen versprochen wurde, es gebe in den nächsten Tagen Veränderungen. Sie wurden aufgefordert zu verlangen, dass einige Übergänge nach Westberlin offen bleiben. Es wurde festgestellt, dass sog. Grenzgänger verschiedentlich auf ihren Polizeidienststellen Passierscheine für Westberlin verlangten und, nachdem sie abgewiesen worden waren, sich in Gruppen, z. T. in Gaststätten, zusammenfanden.