Aktion »Sicherheit« (2) – NVA-Manöver
12. Oktober 1961
2. Einzel-Information Nr. 639/61 über die Aktion »Sicherheit«
Aus den vorliegenden Informationen geht hervor, dass von einer nennenswerten Reaktion der Bevölkerung auf die bisher durchgeführten Manöver nur in den Manövergebieten gesprochen werden kann, wo die Bevölkerung z. T. unmittelbar mit Angehörigen der teilnehmenden polnischen Streitkräfte in Berührung kam.1 Im Übrigen wurden zu den Veröffentlichungen über das Stattfinden der Manöver überhaupt nur einzelne Äußerungen bekannt, die zum größeren Teil positiv sind und in denen zum geringeren Teil Kriegsfurcht zum Ausdruck kommt oder die Manöver als eine »Provokation des Westens« bezeichnet werden (beispielsweise durch mehrere Angehörige des medizinischen Personals der Wismut-Klinik Auerbach).
Aus den Manövergebieten selbst wurde eine größtenteils positive Reaktion der Bevölkerung gemeldet und über einen im Allgemeinen freundlichen Empfang der polnischen Truppen berichtet. Ihr gutes Verhältnis zur Bevölkerung wurde durch die Teilnahme polnischer Armeeangehöriger an den Feierlichkeiten zum 12. Jahrestag der DDR oder an Erntefesten in mehreren Orten noch bekräftigt.
Es wurden zahlreiche Äußerungen aus allen Bevölkerungsschichten bekannt, in denen Befriedigung über das Stattfinden der Manöver und auch die Teilnahme polnischer Truppen zum Ausdruck kommt, weil:
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die Manöver in Westdeutschland gezeigt hätten, wie notwendig Verteidigungsmaßnahmen der DDR sind,
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die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten damit gefestigt würden,
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die Anwesenheit von Truppen anderer Staaten des Warschauer Vertrages in der DDR eine große Beruhigung darstelle.
Im Allgemeinen zeigte sich die Bevölkerung des Manövergebiets auch sehr zufrieden mit dem Auftreten der polnischen Armeeangehörigen. Es wurden mehrere Fälle der Hilfeleistung polnischer Soldaten für deutsche Traktoristen gemeldet.
Sehr verbreitet ist die Ansicht, dass noch weitere Manöver stattfinden und auch Truppen aus anderen sozialistischen Staaten in die DDR kommen werden. In der Gemeinde Lübstorf/Schwerin teilten polnische Armeeangehörige in einem Gespräch in einer Gaststätte mit, dass sie nur die Vorhut größerer Verbände seien.
Aus der gleichen Gemeinde wurde auch gemeldet, dass besonders Jugendliche mit polnischen Armeeangehörigen Adressen austauschten.
Allgemein wurde festgestellt, dass besonders ehemalige polnisch sprechende Umsiedler Gespräche mit polnischen Armeeangehörigen führten (besonders in der Gemeinde Crivitz/Schwerin). Dabei handelte es sich in zwei festgestellten Fällen um negative Elemente, die Kontakt mit polnischen Armeeangehörigen zum Zwecke von Spekulationsgeschäften aufnahmen.
Negative Äußerungen über die Manöver und die Anwesenheit polnischer Truppen wurden nur in Einzelfällen in der Richtung der bereits allgemein charakterisierten negativen Argumentation bekannt. Besonders provokatorisch trat ein Student der Technischen Universität Dresden auf, der sich in der Gemeinde Mestlin/Schwerin im Landeinsatz befand. Er erklärte, die Losung »Ami go home« müsse in der DDR nunmehr nicht nur für die sowjetischen, sondern auch für polnische Truppen ausgegeben werden. (Maßnahmen zur operativen Bearbeitung wurden eingeleitet)
Allgemein wurde über ein gutes Verhältnis zwischen den deutschen und polnischen Armeeangehörigen berichtet. Besondere Vorkommnisse wurden nicht gemeldet.
Unkorrektes Verhalten der polnischen Armeeangehörigen wurde in Einzelfällen bekannt. Aus mehreren Gemeinden (Rastow, Hagenow, Lübstorf) wurde gemeldet, dass polnische Armeeangehörige in Gaststätten und HO- und Konsum-Verkaufsstellen Zigaretten verkauften, um sich für das Geld alkoholische Getränke zu verschaffen und auch Briefe und Karten nach Polen aufzugeben.
Am 7.10. belästigten polnische Armeeangehörige in einer HO-Gaststätte in Parchim in angetrunkenem Zustand den Gaststättenleiter und andere Bürger. Sie verließen die Gaststätte, als die VP verständigt wurde.
In einem Gespräch mit einem Bürger der Gemeinde Slate/Schwerin wurde von polnischen Armeeangehörigen zum Ausdruck gebracht, dass sie für eine Zusammenarbeit mit der NVA aber nicht für eine Zusammenarbeit mit der sowjetischen Armee seien.
(Alle angeführten Beispiele und Vorkommnisse wurden mit den zuständigen Organen und den polnischen Genossen abgesprochen und die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet.)
An organisatorischen Schwächen trat besonders hervor, dass ein Teil der polnischen Truppen ihre Konzentrierungspunkte im Bezirk Schwerin bereits vorzeitig verließ, sodass die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen durch die VP nicht rechtzeitig eingeleitet werden konnten. Auch die vorgeschriebenen Fahrtrouten wurden z. T. nicht eingehalten.
Neben den bereits gemeldeten Verkehrsunfällen ereigneten sich am 8.10. zwei weitere Unfälle in der Gemeinde Rampe und der Gemeinde Crivitz mit Sachschäden von ca. 2 000 bzw. ca. 300 DM. In beiden Fällen beachteten polnische Fahrer die Vorfahrt deutscher Pkw nicht.
Weitere Mängel gab es neben den bereits gemeldeten auch in der Bereitstellung von Fernsprechleitungen. So musste im Fernmeldeamt Weißenfels eine zusätzliche Vermittlung eingebaut werden, da die zivilen Anforderungen mit den Anforderungen der NVA nicht übereinstimmten. Durch das Schaltamt Schwerin wurden z. T. die erforderlichen Leitungen nicht freigegeben, jedoch andere Leitungen eingeschaltet, die nicht benötigt wurden. (Überprüfungsmaßnahmen im Schaltamt Schwerin wurden eingeleitet)
Die gegen die Manöver gerichtete Tätigkeit des Gegners zeigte sich insgesamt vor allem in verstärkten Erkundungsfahrten der Angehörigen der westlichen Militärverbindungsmissionen. Es wurden vom 2.10. bis 10.10.79 Aufklärungsfahrten festgestellt. Ihr Schwerpunkt lag auf den durch die Sperrgebiete führenden Autobahnen und der Fernverkehrsstraße 5 sowie im Bezirk Schwerin allgemein. Es wurde festgestellt, dass sich während der Manöver die drei Militärverbindungsmissionen offensichtlich konsultierten und eine Aufgabenverteilung vornahmen. So wurden Fahrzeuge der amerikanischen Mission in zahlreichen Fällen in den nördlichen Gebieten der DDR und vor allem in der Nähe der Konzentrierungspunkte der Manöver festgestellt. Britische Fahrzeuge wurden vor allem im Bezirk Dresden und französische Fahrzeuge auf dem Berliner Autobahnring und der Autobahn in Richtung Nürnberg beobachtet.
(Nachträglich wurde zum Verhalten der polnischen Armeeangehörigen bekannt, dass in einem Tabakgeschäft in der Lübecker Straße in Schwerin polnische Offiziere beobachtet wurden, die alkoholische Getränke für 480 DM kauften und im Besitz von ca. 1 000 DM waren.)