Austrittstendenzen aus LPG (1)
4. Juli 1961
Einzel-Information Nr. 351/61 über Auflösungserscheinungen in LPG
Nach vorliegenden Hinweisen treten in letzter Zeit in einer Reihe von LPG (vor allem des Typ I)1 in verstärkten Umfange Austrittserscheinungen auf. Besonders zahlreich sind die Austrittserklärungen nach noch unvollständigen Meldungen in den Bezirken Dresden, Neubrandenburg, Rostock, Gera, Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Cottbus und Berlin. Im Bezirk Dresden treten besonders die Kreise Großenhain, Löbau und Görlitz als Schwerpunkte in Erscheinung. Im Kreis Löbau liegen bisher 232 Austrittserklärungen vor. In der LPG »Bergauf« (Typ III) in Markendorf/Görlitz erklärten von 81 Mitgliedern 21 ihren Austritt. Im Bezirk Leipzig traten massierte Austrittserscheinungen vor allem in den Kreisen Geithain, Eilenburg und Döbeln auf. Im Kreis Geithain wurden in den LPG Ossa 13 Austrittserklärungen abgegeben, in Obergräfenhain 11 und in Frohburg 18. Im Kreis Döbeln liegen in der LPG Noschkowitz 6 und im Kreis Eilenburg in der LPG Schmaditz bisher 8 Austrittserklärungen vor.
In der LPG Hetzdorf/Freiberg/Karl-Marx-Stadt gaben von 54 Mitgliedern 36 ihre Austrittserklärungen ab.
In Berlin entwickelte sich die GPG »Berliner Norden« zum Schwerpunkt. Hier wurden innerhalb von zwei Wochen 14 Austrittserklärungen abgegeben. Gegenwärtig hat diese Erscheinung bereits auf die GPG »Kleeblatt« übergegriffen, wo in den letzten Tagen des Monats Juni drei Austrittserklärungen erfolgten.
In allen bekanntgewordenen Fällen berufen sich die Genossenschaftsbauern auf das im Statut enthaltene Kündigungsrecht, wonach der für das Jahresende beabsichtigte Austritt während des laufenden Jahres schriftlich eingereicht werden muss. In Einzelfällen wird angeführt, dass in der LPG solche Festlegungen bestünden, dass die Austrittserklärungen bis zum 30.6. des laufenden Jahres abgegeben werden müssten, wenn sie nach Jahresablauf wirksam werden sollen.
Nach den vorliegenden Meldungen kam es zur Abgabe dieser Erklärungen häufig in unmittelbarem Zusammenhang mit Funktionsniederlegungen, mit der Nichtorganisierung der genossenschaftlichen Arbeit u. a. Auflösungserscheinungen, auf die der örtliche Staatsapparat nicht oder nur ungenügend reagierte.
So hatten z. B. in der LPG Ossa/Geithain bereits Ende 1960 zwei ehemalige Großbauern ihre Astrittserklärungen abgegeben, ohne dass darüber bis zum Zeitpunkt der massiert aufgetretenen Austrittserklärungen vonseiten des Rates des Kreises eine Klärung erfolgte.
In Obergräfenhain/Geithain unterließ es der Bürgermeister, dem Rat des Kreises von erfolgten Austrittserklärungen Kenntnis zu geben.
In der LPG »Falkenhorst« Großfalka/Gera hatten vier Bauern trotz abgegebener Eintrittserklärungen bis Ende Mai 1961 noch nicht das Statut unterschrieben und bearbeiteten ihre Felder nach wie vor individuell, ohne mit diesen Bauern Auseinandersetzungen seitens des Staatsapparates zu führen. Dadurch wurde die Entwicklung der genossenschaftlichen Arbeit gehemmt, und es kam zu fünf Austrittserklärungen mit der Begründung, ebenfalls wieder individuell arbeiten zu wollen. Bisher wurden die Austrittserklärungen nicht wieder zurückgenommen.
Weitere Beispiele, die die Passivität des Staatsapparates gegenüber solchen Erscheinungen beweisen, liegen vor.
Die bisher bekanntgewordenen Beispiele zeigen, dass mehrere Austrittserklärungen fast nur in solchen LPG abgegeben wurden, in denen ehemalige Großbauern, NSDAP-Mitglieder oder andere negative Personen im Vorstand konzentriert sind und wo sich die genossenschaftliche Arbeit erst im Anfangsstadium befindet. Häufig handelt es sich dabei auch um Bauern, die im Frühjahr 1960 nur unter größeren Schwierigkeiten für die LPG zu gewinnen waren.
Übereinstimmend ist dabei festzustellen, dass erst Austrittserklärungen von einzelnen meist vorgeschickten Mitgliedern abgegeben werden und dann erst, bei Nichtbeachtung dieser Austrittserklärungen durch die Partei- und Staatsorgane, in ca. drei bis vier Wochen weitere Austrittserklärungen, dann aber häufig in massierter Form, erfolgen. So hat z. B. in der LPG Mühltroff/Gera die Mehrzahl der dort ausgetretenen 22 Mitglieder die Erklärung erst abgegeben, nachdem die Austrittserklärung des ehemaligen Mittelbauern [Initiale] bereits längere Zeit vorlag und nicht beachtet worden war.
Beachtenswert ist weiterhin die Übereinstimmung im Text und in den angeführten Gründen bei einem großen Teil der Austrittserklärungen. Die wesentlichsten, sinngemäß immer wieder angeführten Gründe für den beabsichtigten Austritt sind:
- –
Es gäbe viele Mängel in den LPG, die sie an einem Verbleib in den LPG hinderten. (Dabei werden vor allem Mängel in der Arbeitsorganisation und bei der Durchsetzung der innergenossenschaftlichen Demokratie angeführt.)
- –
Die MTS leisten eine schlechte Arbeit; statt leichter, sei es für sie mit dem Eintritt in die LPG schwerer geworden. (Genannt werden dabei u. a. das Kartoffellegen mit der Hand auf den großen Flächen, das nicht rechtzeitige Fertigwerden der einzelnen Bestell- und Erntearbeiten, so z. B. 4 Wochen Kartoffellegen u. a.)
- –
Als Einzelbauern hätten sie mehr verdient. (Daraus resultieren z. B. in der GPG »Berliner Norden« die Forderungen, das Gemüse individuell verkaufen zu wollen, sowie allgemein die Diskussionen gegen die AE und die Verrechnung AE und Naturalien.)
- –
Die bestehende Uneinigkeit in den LPG verhindere eine genossenschaftliche Arbeit. (Wobei jedoch vielfach erst geringe Anlässe benutzt werden, um Uneinigkeiten hervorzurufen.)
Im Zusammenhang damit wird auch darauf verwiesen, dass zzt. in größerem Umfange gegnerische Argumente in den LPG diskutiert werden, wonach die Regierung der DDR die LPG im Herbst 1961, spätestens aber im Frühjahr 1962, wieder auflösen würde. Die dadurch entstehende Unsicherheit unter den Bauern trägt ebenfalls dazu bei, Austritte aus den LPG zu fördern.
In Krölpa/Gera konnte dazu festgestellt werden, dass die Bauern bereits wieder versucht haben, Traktoren in den nördlichen Bezirken aufzukaufen. In vier Fällen ist es dabei zu Kaufabschlüssen gekommen. Einer dieser Bauern, der sich einen 22-PS-Traktor gekauft hat, erklärte, er hätte den Kauf getätigt, damit er im Herbst, wenn er wieder individuell arbeiten könne, wirtschaftlich gefestigt sei.
Im Kreis Görlitz lagen 64 Austrittserklärungen vor. Nach Einsatz von Partei, Ministerium für Staatssicherheit und anderen Stellen des Staatsapparates nahmen 60 Bauern die Austrittserklärung zurück.
Das Ministerium für Staatssicherheit Berlin hat erfahrene Spezialisten in die Schwerpunktkreise gesandt, um in kürzester Frist die Hintermänner und Organisatoren aufzudecken und im richtigen Moment Festnahmen zu tätigen.