Austrittstendenzen aus LPG (2)
17. Juli 1961
2. Einzel-Information Nr. 379/61 über Austrittserscheinungen in den LPG
Mit der Einzelinformation Nr. 351/61 vom 4.7.1961 wurde bereits über verstärkte Austrittserklärungen in den LPG und die in diesem Zusammenhang bekanntgewordenen Ursachen berichtet. Diese Austrittserscheinungen haben nach der Abfassung des eben erwähnten Berichtes in Dresden vorübergehend ein noch größeres Ausmaß angenommen, aber auch in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Gera, Leipzig und Neubrandenburg entwickelten sich einzelne Kreise zu direkten Schwerpunkten in Bezug auf die Austrittserklärungen.
Im Bezirk Dresden haben bis einschließlich 11.7.1961 insgesamt 984 LPG- und GPG-Mitglieder ihren Austritt erklärt. Obwohl durch konzentrierten Einsatz der Partei und des Staatsapparates in 813 Fällen eine Zurücknahme der Erklärungen erreicht werden konnte, halten bisher immer noch 171 LPG- und GPG-Mitglieder ihre Austrittserklärungen aufrecht. Als besondere Schwerpunkte entwickelten sich im Bezirk Dresden die Kreise Löbau (inzwischen stark zurückgedrängt), Bautzen, Zittau, Dresden-Land und Dresden-Stadt, im letzteren Kreis besonders in den GPG.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde der Kreis Oelsnitz mit insgesamt 107 Austrittserklärungen zum Schwerpunkt. Besonders massiert traten hier die Gemeinden Arnoldsgrün mit 25, Rebersreuth mit 15, Hermsgrün mit 12 und Mühlhausen mit 11 Austrittserklärungen in Erscheinung. Das sind bis zu 50 % der Mitglieder der in diesen Orten vorhandenen LPG des Typ I.1
Im Bezirk Gera wurden bis zum 30.6.1961 insgesamt 220 Austrittserklärungen abgegeben, davon im Kreis Pößneck allein 124 und im Kreis Schleiz 36. Im Kreis Pößneck bilden die LPG der Gemeinden Dreitzsch mit 37 und Dobitz mit 30 Austrittserklärungen besondere Schwerpunkte.
Im Bezirk Leipzig wurden bis zum 12.7.1961 insgesamt 240 Austrittserklärungen bekannt, davon in den Kreisen Geithain 57, Oschatz 45, Grimma 31, Leipzig-Land 23, Döbeln 21 und Eilenburg 14. Schwerpunktgemeinden im Kreis Geithain sind Frohburg mit 21 Austrittserklärungen in der LPG Typ III sowie Ossa mit 16 und Obergräfenhain mit 11 Austritten in den LPG Typ I.
In Neubrandenburg sind bis zum 30.6.1961 insgesamt 165 Austrittserklärungen abgegeben worden. Schwerpunkte sind in diesem Bezirk Anklam mit 51, Pasewalk mit 38 und Demmin mit 21 Austrittserklärungen.
Verstärkte Austrittserklärungen in einzelnen LPG traten auch in den Bezirken Cottbus und Frankfurt/O. auf. So erklärten z. B. 15 Mitglieder der LPG Görzig/Beeskow (50 % der Gesamtmitgliederzahl) schriftlich bzw. mündlich ihren Austritt.
Nach den bisherigen Untersuchungen liegt die wesentlichste Ursache für diese Austrittserklärungen in den in vielen LPG noch vorherrschenden politisch-ideologischen Unklarheiten über die Rolle und Bedeutung der LPG und ihre Perspektive in der weiteren sozialistischen Entwicklung begründet. Begünstigt durch die besonders in den betreffenden Orten anzutreffende Passivität der Partei- und Staatsorgane in der politisch-ideologischen Einflussnahme auf die LPG, auch gegenüber den Erscheinungen, die Aufnahme der genossenschaftlichen Arbeit zu verzögern, gelang es teilweise gegnerischen Kräften, die schwankenden Mitglieder in den LPG in ihren unklaren Auffassungen noch zu bestätigen. Ausdruck dafür sind die weit verbreiteten Auffassungen, dass in der DDR, ähnlich wie in Polen,2 im Herbst 1961 die LPG aufgelöst werden würden, oder, dass sie als Einzelbauern besser in der Lage seien, für den Sozialismus zu arbeiten, da bei der individuellen Bewirtschaftung bessere Erträge erzielt werden würden. Diese falschen Auffassungen werden außerdem durch die noch häufig anzutreffenden Schwächen in der Arbeitsorganisation und in der Durchsetzung der innergenossenschaftlichen Demokratie begünstigt. Erhebliche negative Auswirkungen haben auch die teilweise niedrigen Ergebnisse in der Produktion der LPG.
Im Bezirk Leipzig wurde ermittelt, dass einige LPG-Mitglieder ihre Kündigung nur als Druckmittel benutzten, um auf diese Weise die vorhandenen Missstände in der Arbeitsorganisation, in der Vergütung ihrer Arbeit u. a. zu verändern.
Eine weitere Ursache ist nach vorliegenden Berichten die Absicht ehemaliger Groß- und Mittelbauern, aus den vorhandenen LPG auszuscheiden und aus spekulativen Gründen »eigene LPG« zu bilden.
In der Mehrzahl der Fälle lag jedoch den Austrittserklärungen das Bestreben zugrunde, wieder individuell zu wirtschaften.
Von nicht unwesentlicher Bedeutung für diese Bestrebungen ist der Einfluss der noch vorhandenen Einzelbauern auf die LPG-Mitglieder. Durch die Existenz dieser Einzelbauern wird das Interesse für die Einzelwirtschaft aufrechterhalten und weiterhin dadurch gefördert, dass keine ernsthaften Anstrengungen mehr unternommen werden, auch diese Bauern für die LPG zu gewinnen.
Neben diesen ideologischen Unklarheiten sind jedoch auch organisatorische Mängel in den LPG selbst Anlass oder Vorwand für Austrittserklärungen, was vor allem in den übereinstimmenden Begründungen seinen Ausdruck findet. Nach wie vor werden in den Austrittserklärungen die Mängel in den LPG, die schlechte Arbeit der MTS, der ungenügende Verdienst und die vorhandene Uneinigkeit in den LPG als Gründe für den Austritt angeführt. Wesentliche Veränderungen in den Argumenten haben sich gegenüber der Einzelinformation 351/61 nicht ergeben.
Bei einer Reihe von Beispielen haben die bisherigen, noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen, ergeben, dass zahlreiche Austritte auf organisierten Einfluss zurückzuführen sind. Als Organisatoren traten dabei vor allem ehemalige Groß- und Mittelbauern in Erscheinung, die meist während der Zeit des Faschismus Funktionen in faschistischen Organisationen innehatten und die bereits während der Werbung schon schwer für die LPG zu gewinnen waren.
Weiterhin erbrachten Untersuchungen in den Bezirken Dresden und Neubrandenburg, dass auch stark kirchlich gebundene Personen bei den Austritts- und Zersetzungserscheinungen als Organisatoren wirkten.
So richteten z. B. die Genossenschaftsbauern der LPG Typ I »Frischer Wind« in Gersdorf/Görlitz ein Protestschreiben mit 15 Unterschriften an die SED-Kreisleitung, in dem sie androhten, in der gesamten LPG die Arbeit niederzulegen, wenn die in der Gemeinde eingesetzten Agitatoren nicht sofort abgezogen würden. Durch sofortigen Einsatz verantwortlicher Funktionäre des Kreises wurde die Situation geklärt, und die Agitatoren blieben in der Gemeinde. Als Organisator wurde der LPG-Bauer [Name] ermittelt, der in Gersdorf gleichzeitig Hilfsprediger der evangelischen Kirche und Kirchenvorstandsmitglied ist.
Im Bezirk Dresden wurden zur Zurückdrängung der Austrittserscheinungen in den Schwerpunktkreisen Zittau, Löbau, Bautzen und Kamenz von der Bezirksleitung der Partei Bauern-Foren durchgeführt. Zur Durchführung dieser Foren wurde der Partei durch das MfS Material über neun Personen übergeben, die als Initiatoren der Austritte aus den LPG ermittelt worden waren. Ein Teil dieser Personen sah sich dadurch gezwungen, eine öffentliche Stellungnahme zu beziehen, die eigene Haltung bloßzustellen und die Austrittserklärungen zurückzuziehen.
Während dieser Foren, auf denen um die Beantwortung zahlreicher Fragen ersucht wurde, gab es jedoch auch heftige Kritiken an der staatlichen Leitungstätigkeit. Kritisiert wurde dabei vor allem:
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die ungenügende Bereitstellung der Technik durch die MTS,
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das Fehlen von Ersatzteilen für die Alttechnik,
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die Nichtabnahme des durch Vertrag gebundenen Geflügels und des Rapses durch die VEAB,
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die unzureichende Bereitstellung von Düngemitteln,
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die ungenügende Kartoffelkäfer-Bekämpfung und
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die Missachtung der innergenossenschaftlichen Demokratie.
Weiterhin standen folgende Fragen zur Diskussion:
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Warum erhalten die LPG nach der Gründung keine Hilfe und Unterstützung mehr durch die Festigungsbrigaden, Patenbetriebe und den Rat des Kreises?
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Warum wird vom Rat des Kreises der Anbauplan für Zuckerüben und Gemüse bestimmt?
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Warum gibt es Unterschiede in der Sollveranlagung zwischen den LPG Typ I und Typ III?
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Warum wird den Genossenschaftsbauern die Butter zugeteilt, obwohl die Milchproduktion gestiegen ist?
Zu dem Forum in Weischlitz Kreis Plauen, das unter Beteiligung des Genossen Grüneberg, Minister Reichel u. a. führenden Funktionären durchgeführt wurde, liegen bereits erste Reaktionen vor. Daraus ist zu entnehmen, dass die Aussprache breite Zustimmung unter den beteiligten Bauern gefunden und darüber hinaus zu einem bedeutenden Stimmungsumschwung geführt hat, wodurch die weitere politisch-ideologische Arbeit wesentlich erleichtert wird.
Die Bezirksverwaltungen des MfS wurden aufgrund dieser Situation nochmals darauf orientiert, Austrittserklärungen bzw. Vorgänge, die dazu führen können, rechtzeitig in Erfahrung zu bringen, Organisatoren und Rädelsführer zu ermitteln, die Partei und die Staatsorgane darüber zu informieren und in gemeinsamer Beratung die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten, damit die Austrittserklärungen wieder rückgängig gemacht und eine Ausdehnung derartiger Erscheinungen verhindert wird.
Weiterhin wurde angewiesen, die örtlichen Parteiorgane bei der Bildung von Parteiorganisationen, besonders in den LPG Typ I, wesentlich zu unterstützen, um damit günstigere Voraussetzungen für die Durchsetzung der Beschlüsse von Partei und Regierung in den LPG zu schaffen.
Es wurden auch Maßnahmen getroffen, um auf örtlicher Ebene einen genauen Überblick über die Haltung der noch einzeln wirtschaftenden Bauern zu schaffen, damit zum entsprechenden Zeitpunkt Maßnahmen zur Gewinnung dieser Einzelbauern, deren Fortbestand sich auf die Austrittserscheinungen erheblich auswirkt, eingeleitet werden können