Beschallung Ostberlins durch Lautsprecherwagen in WB
[ohne Datum]
Bericht Nr. 792/61 über die provokatorische Tätigkeit der vom Westberliner Senat an der Staatsgrenze eingesetzten Hetzsender
In Verfolgung der Politik der ständigen Verschärfung der Lage und der Forcierung des Kalten Krieges hat der Westberliner Senat mit Duldung der westlichen Besatzungsmächte seit dem 18. August 1961 entlang der Staatsgrenze zum demokratischen Berlin und zur DDR mehrere Lautsprecherwagen unter der Bezeichnung »Studio am Stacheldraht«1 eingesetzt.
Diese provokatorischen Maßnahmen stellen zugleich eine krasse Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR und eine grobe Verletzung des geltenden Völkerrechts dar. Sie, wie auch die zahlreichen anderen Grenzprovokationen, stehen in offensichtlicher Übereinstimmung mit den Vorschlägen des amerikanischen Experten für psychologische Kriegsführung und Militärberaters Kennedys, Edmund Taylor2, als Hauptmittel des Kampfes gegen die sozialistischen Staaten die politische und psychologische Kriegsführung zu verstärken.
Charakteristisch für die vom Westberliner Senat gesteuerten Provokationen und Maßnahmen zur ideologischen Beeinflussung der Bevölkerung, insbesondere der Grenzsicherungskräfte der DDR, ist die Erklärung des Innensenators Lipschitz vom 3.10.1961,3 in der er forderte, »Unsicherheit, Unzufriedenheit, Aufbegehren und Fluchtgedanken zu fördern«.
Dieser Zielstellung entsprechend legte der ehemalige Innensenator Lipschitz den Einsatz des Hetzsenders »Studio Stacheldraht« persönlich fest und beauftragte seinen persönlichen Referenten Egon-Erwin Müller mit der Leitung dieser Aktionen.
Müller beteiligte sich auch selbst aktiv an diesen Provokationen und sprach Kommentare in diesen Sendungen.
Zur Durchführung dieser Provokationen wurden vom Westberliner Senat mehrere Lautsprecherwagen zur Verfügung gesellt, die von Senatsangestellten bedient und bei den Fahrten entlang der Staatsgrenze der DDR zum Teil von Kräften der Westberliner Polizei begleitet und unterstützt werden.
Inhalt und Form dieser Hetzsendungen sind eindeutig darauf abgestimmt, den psychologischen Einfluss auf die Grenzbevölkerung und auf die Grenzsicherungskräfte der DDR in übelster Weise zu verstärken, mit dem Ziel, Unruhe und Unsicherheit zu erzeugen und die Grenzsicherungskräfte und die Bevölkerung gegen die Politik und Maßnahmen der Regierung der DDR aufzuputschen.
Neben der üblen Hetze und Verleumdung von Staatsfunktionären und der Verdrehung und Entstellung der Reden führender Staatsmänner und der Politik der Regierung der DDR werden die Sicherungskräfte zum Mord an den Vorgesetzten, zur Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht aufgefordert. Die Grenzbevölkerung wird zur Flucht und zum Widerstand gegen die Gesetzte und Maßnahmen der Regierung der DDR offen aufgewiegelt.
Z. B. wurden in einer Hetzsendung am 26.9.1961, 11.30 Uhr, am KP Sonnenallee (Baumschulenweg) die Sicherungskräfte zum Mord an ihren Vorgesetzten und zum Bruch des Fahneneides aufgefordert. Wörtlich hetzte der Sprecher des Westberliner Senats: »Schlagt doch Eure Offiziere zusammen und kommt in die Freiheit. Diese Offiziere waren früher sowieso in der gelben und braunen Uniform der Nazis. Beseitigt doch den Terror, ihr habt ja die Waffen.«
In fast allen Hetzsendungen werden die Sicherungskräfte aufgefordert, ihre Pflicht zu vernachlässigen und ihren Dienst und die damit verbundenen Schutzmaßnahmen unkorrekt auszuüben und das Gebiet der DDR zu verlassen. In mehreren Sendungen wurden die Posten bei konsequenter Dienstdurchführung mit Kriegsverbrechern auf eine Stufe gestellt und ihnen gedroht, dass sie in Westberlin gerichtlich zur Verantwortung gezogen würden. Z. B. forderte am 28.9.1961 ein Hetzsender des Westberliner Senats die Grenzsicherungsposten am KP Heinrich-Heine-Straße auf, nicht gegen Provokateure und Grenzverletzer vorzugehen. Er verglich die VP-Angehörigen mit den SS-Schergen Eichmann und äußerte, so wie Eichmann den Kopf verliert, würde es auch den VP-Angehörigen einmal ergehen.
Ferner richteten diese Hetzsender am 21.8.1961 am KP Friedrichstraße (20.00 Uhr) und KP Jacobstr. (20.15 Uhr) einen sogenannten »Appell an die bewaffneten Organe«, in dem die Sicherungskräfte der DDR zur Befehlsverweigerung beeinflusst und aufgefordert werden, nicht auf Provokateure und Grenzverletzer zu schießen. Derartige Aufforderungen, verbunden mit der Beeinflussung zur Fahnenflucht waren u. a. auch der Inhalt fast aller Hetzsendungen in der Folgezeit.
Am 30.8.1961 versuchten diese Lautsprecherwagen, unsere Sicherungskräfte in der Ausübung ihres Dienstes in der Form zu beeinflussen, dass sie für die Ergreifung und Zuführung des Postens, der einen Verbrecher beim Grenzdurchbruch am 29.8.1961 am Teltowkanal unschädlich machte, 10 000 DM Kopfprämie in Aussicht stellten. Diese Mitteilung wurde durch die Lautsprecherwagen des Westberliner Senats in Potsdam an der »Brücke der Einheit«, in Klein-Machnow, am Bahnhof Düppel, an der Philipp-Müller-Allee in Teltow, gegenüber dem VEG Carolinenhöhe, im Raum Groß-Ziethen, an der Sonnenallee (Baumschulenweg) und an der Heinrich-Heine-Str. (Mitte) verbreitet.
Häufig wird in diesen Sendungen auch die Grenzbevölkerung der DDR angesprochen, indem gegen die Schutzmaßnahmen gehetzt und die Bevölkerung durch die Propagierung geglückter Grenzdurchbrüche zum Verlassen der DDR beeinflusst wird.
Wiederholt wird dabei offen oder versteckt aufgefordert, die Maßnahmen und Gesetze der Regierung der DDR zu missachten und dagegen Widerstand zu leisten.
Z. B. wurde in den Abendstunden des 24.8.1961 die Bevölkerung in den dichtbesiedelten Wohngebieten der Friedrichstr., Zimmerstr., Heinrich-Heine-Str. und Elsenstr. durch die Westberliner Lautsprecherwagen offen aufgefordert, gegen die Anweisung des Innenministers der DDR – sich 100 m von der Grenze entfernt aufzuhalten und das Grenzgebiet nicht unnötig zu betreten – zu verstoßen und diese Anweisung zu ignorieren.
Am 20.11.1961 rief ein Hetzsender an der Wildenbruchstr. die Jugendlichen der DDR auf, gegen die Regierung der DDR und deren Maßnahmen zu protestieren. Gleichzeitig wurden die Sicherungskräfte aufgefordert, die DDR zu verlassen.
Am 25.11.1961, 15.30 Uhr, hetzte ein Senatssender an der gleichen Stelle: »Wenn es anders kommt, hängen wir euch alle auf.« Er rief weiter die Sicherungsposten auf, nach Westberlin zu kommen und die Grenzmauer zu stürmen. Vielfach wurden auch Menschenansammlungen an der Grenze durch die Lautsprecherwagen beeinflusst und indirekt angestiftet, Grenzzwischenfälle und andere Provokationen zu inszenieren.
Z. B. kam es am 23.8.1961, 21.00 Uhr, an der Grenze Heinrich-Heine-Str. auf Westberliner Gebiet zu einer Ansammlung von ca. 600 Menschen, die durch einen in der Nähe stehenden Lautsprecherwagen des Westberliner Senats zu provokatorischen Handlungen angestachelt und beim Randalieren unterstützt wurden.
Am gleichen Tage, gegen 22.00 Uhr, unterstützte ein Hetzsender des Westberliner Senats eine randalierende Menschenansammlung auf Westberliner Gebiet am KP Markgrafenstr., indem er die Grenzbevölkerung der DDR zu terroristischen Handlungen aufrief und forderte, »sich vom Kommunismus zu befreien«.
Die immer wiederkehrenden Methoden bei der Organisierung der Hetzsendungen lassen hauptsächlich drei Komplexe erkennen. Neben den sog. »Objektiven Nachrichten aus aller Welt« werden besonders die unter der Anrede »Männer der VP und NVA« stehenden feindlichen Kommentare zu Berliner Fragen und zur Situation an der Staatsgrenze und die Sendungen »Und das steht nicht im ND« zur Hetze, Verleumdung, Aufforderung zum Widerstand und zur Flucht benutzt.
Unter Missachtung der elementarsten Regeln menschlicher Grundrechte hämmern die Hetzsender von den Morgenstunden bis gegen Mitternacht ihre Lügen und Zweckmeldungen in dichtbesiedelte Wohngebiete entlang der Staatsgrenze in das Gebiet der DDR, selbst ohne Rücksicht auf Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten usw. zu nehmen.
In einer Vielzahl von Protesten empören sich Lehrer und Erzieher über die Störungen des Unterrichts durch die Hetzsender des Westberliner Senats. Ärzte und Patienten von Krankenhäusern, besonders in der Adalbertstr./Berlin-Mitte, führen Beschwerde gegen diese ständigen provokatorischen Ruhestörungen, die dem Gesundungsprozess der Kranken entgegenwirken.
Aber auch aus anderen Bevölkerungskreisen häufen sich die Beschwerden, in denen die Empörung über die Frontstadtmethoden des Westberliner Senats zum Ausdruck gebracht wird. Z. B. traten derartige Hetzsender in den Nachtstunden, u. a. am 29.8.1961, 23.15 Uhr, am KP Seehof/Potsdam und am 13.9.1961, 22.15 Uhr, im Raum Moorlanke/Potsdam auf.
In der ersten Dezemberhälfte wurden in den dichtbesiedelten Wohngebieten wie Köllnische Heide und Sonnenallee Hetzsendungen bis nach 22.00 Uhr durchgeführt.
Selbst ein großer Teil der Westberliner Bevölkerung fühlt sich durch diese Störmaßnahmen belästigt und wendet sich deshalb gegen den Westberliner Senat.
Nicht zuletzt wurde der Westberliner Senat durch Proteste der Westberliner Bevölkerung gezwungen, sich in seiner Sitzung am 18.12.1961 mit der Frage der Einstellung dieser Störsender zu befassen. (»Der Kurier« vom 20.12.1961)
Dass selbst Senatsangestellte aktiv gegen diese Provokationen auftreten, beweist die Haltung des Senatsangestellten [Name 1]. [Name 1] wurde vom Westberliner Senat entlassen und vor ein Gericht geschleppt, weil er es unter Berufung auf die Westberliner Verfassung ablehnte, einen senatseigenen Lautsprecherwagen zu provokatorischen Zwecken an die Staatsgrenze der DDR zu fahren.