Brandstiftung in einer LPG im Kreis Altentreptow
31. Oktober 1961
Einzel-Information Nr. 677/61 über die vorsätzliche Brandstiftung in der LPG des Ortsteiles [Name]/Gemeinde [Name], Kreis Altentreptow, Bezirk Neubrandenburg
In der Nacht vom 16. zum 17. Oktober 1961 brannte eine 1961 neu ausgebaute Scheune der LPG [Ortsname] durch vorsätzliche Brandstiftung vollkommen nieder.
Dadurch wurden Werte in Höhe von ca. 100 000 DM vernichtet, darunter die Scheune mit einem Einheitswert von 35 000 bis 40 000 DM, 1 200 dt Getreide (das sind 50 % des Staatsplanes der Gemeinde), ein Dreschsatz, generalüberholt, im Wert von 8 000 DM, ein Höhenförderer im Wert von 9 000 DM, Kleingeräte und 400 dt Stroh.
Kurze Zeit nach Brandausbruch wurde der Jugendliche [Name 1], geboren 1947, wohnhaft in [Ortsname], als Brandstifter festgenommen und inhaftiert. [Name 1] arbeitete zuletzt als Landarbeiter in der dortigen LPG. Er gibt als Tatmotiv an, aus Rache gegen LPG-Mitglieder und die Einwohner des Ortsteils [Ortsname] gehandelt zu haben, die ihn in der Vergangenheit schikaniert und als keinen vollwertigen Menschen behandelt hätten.
Ermittlungen ergaben, dass [Name 1] im Beisein anderer Jugendlicher gegen 23.00 Uhr – ca. 20 min vor der Brandstiftung – vom dortigen BHG-Leiter [Name 2] (SED) in der Form angesprochen wurde, dass er sich nach Hause scheren, aber unterwegs keine Dummheiten machen und nicht etwa noch ein Haus anstecken solle. Dabei wurden dem [Name 1] in der Vergangenheit durchgeführte Unarten und Flegeleien vorgeworfen. [Name 1] gibt an, zu diesem Zeitpunkt den Entschluss zur Brandstiftung gefasst zu haben, um der Gemeinde u. a. zu beweisen, dass er zu derartigen Handlungen fähig sei.
Bei dem [Name 1] handelt es sich um einen schwer erziehbaren Jugendlichen. Er wurde als außereheliches Kind geboren. Der genaue Wohnort seines leiblichen Vaters ist nicht bekannt. Sein Stiefvater [Name 3], wohnhaft in [Ortsname], beschimpfte den [Name 1] ständig, schlug ihn, verlangte eine Herauslösung des [Name 1] aus der Familie und hatte wegen ihm ständige Auseinandersetzungen mit seiner Frau. Nach wiederholten Drohungen des [Name 3], Mutter und Kind aus dem Haus zu werfen, konnte [Name 1] mit neun Jahren nach Einschalten des Rates des Kreises Altentreptow in ein staatliches Kinderheim in Vogelsang, Kreis Ueckermünde, eingewiesen werden, in dem er etwa fünf Jahre verblieb. Die Mutter des [Name 1] hatte aufgrund der Drohungen des [Name 3] fast keine Verbindung nach Vogelsang. [Name 1] kehrte nach Aussprachen, die Mitarbeiter des Rates des Kreises mit den Eltern führten, zu seinen Eltern zurück, nachdem er mehrmals von der VP nach erfolgreichen Ausreißversuchen aufgegriffen wurde.
Er wurde jedoch weiter von dem [Name 3] schikaniert, der u. a. verlangte, dass wiederum eine Einweisung in ein Heim erfolgte. [Name 3] wandte sich deshalb wiederholt an die örtlichen Vertreter des Staatsapparates.
Ende September 1961 wurde [Name 1] daraufhin vom Bürgermeister des Ortes in ein Zimmer einer leerstehenden Wohnung eingewiesen, das lediglich mit einem eisernen Bettgestell mit Strohsack und einer Decke eingerichtet ist. Ein Stück Pappe auf dem Fußboden sollte als Tisch dienen. Das Zimmer ist nicht heizbar, hat keinen elektrischen Anschluss für Licht und ist vollkommen verwahrlost. Irgendwelche Unterstützung durch den Rat der Gemeinde, den Vorstand der LPG, das Referat Jugendhilfe und Heimerziehung oder durch die Erziehungsberechtigten erhielt [Name 1] nicht.
Eine Untersuchungskommission der Brandursache schätzte ein, »dass [Name 1] durch das Versagen seiner Umwelt und der gesetzlich zu seiner Betreuung verpflichteten Personen buchstäblich zum Verbrecher gemacht wurde«. Er wurde von allen Personen, mit denen er in [Ortsname] zusammentraf, verstoßen und schikaniert, keiner wollte mit ihm etwas zu tun haben und er galt allgemein als »Aussätziger«. Diese objektiven Umstände trugen mit zur Brandstiftung des [Name 1] bei.
Im Zusammenhang mit dem Brand in [Ortsname] geführte Untersuchungen haben u. a. noch Folgendes ergeben:
Seit dem Frühjahr 1960 arbeitet die Gemeinde vollgenossenschaftlich in der 1958 gebildeten LPG Typ III1 »Vereinte Kraft«. Die LPG erreichte im Jahre 1959 einen Wert der Arbeitseinheit von 11,65 DM minus, 1960 einen Wert der Arbeitseinheit von 2,22 DM minus, und 1961 wird der Wert plus/minus Null betragen, obwohl die Arbeitseinheit für 1961 mit 6,67 DM plus geplant wurde.
Die Schulden der LPG aufgrund langfristiger Kredite belaufen sich auf 326 TDM.
Der Mangel in den ökonomischen Ergebnissen ist auf die ungenügende Organisations- und Leitungstätigkeit des LPG-Vorstandes und die mangelnde Arbeitsmoral und -disziplin der LPG-Mitglieder zurückzuführen.
Der Vorsitzende der LPG, Genosse [Name 4], vorher bester Einzelbauer des Ortes – führte häufig Trinkgelage mit den Genossenschaftsbauern durch, zeigte kein Interesse an der Arbeit und eine ungenügende politische Aktivität. Er hat die Absicht, die Gemeinde zu verlassen.
Der LPG-Vorstand beschäftigte sich in seinen wenigen Sitzungen nicht mit den die LPG betreffenden politischen und ökonomischen Hauptfragen.
Die mangelhafte Arbeit des Vorstandes wirkte sich auf die gesamte Genossenschaft aus, und Beispiele über schlechte Arbeitsmoral gab und gibt es täglich. So werden während der Arbeitszeit ausgedehnte Trinkgelage durchgeführt, die Arbeitsaufträge nur unwillig, nicht vollständig und interesselos erfüllt, Arbeitsbeginn und Pausen werden nicht eingehalten oder hinausgezögert, die Felder der LPG sind verunkrautet, sodass moderne Großgeräte, wie die Kartoffelkombine, nicht eingesetzt werden können, usw.
Demgegenüber besteht jedoch bei einem großen Teil der LPG-Mitglieder reges Interesse an der Instandhaltung der individuellen Wirtschaft im Gegensatz zu der der LPG. Das ist u. a. im gut gepflegten Viehbestand der Eigenwirtschaften, in der Pflege des Ackers und in der guten Ernte augenscheinlich. In diesem Zusammenhang sind auch Diebstähle von Milch und Futtermitteln aus Beständen der LPG zu erwähnen, die bisher, weil der LPG-Vorstand keine Ermittlungen einleitete, nicht aufgeklärt wurden.
Bei den Viehbeständen der LPG sind die Verluste hoch. Die Ferkelverluste betrugen z. B. im August 1961 = 60 %. Von den Schweinepflegern wird u. a. beanstandet, dass sie, weil im Schweinestall bisher keine elektrischen Leitungen montiert wurden, bei ihrer Arbeit Kerzen verwenden müssen. Bisher wurden die Beschwerden nicht beachtet.
Die politische Arbeit liegt in [Ortsname] vollkommen am Boden, obwohl der Parteiorganisation der SED 23 Genossen angehören. In [Ortsname] besteht außerdem eine Ortsgruppe der CDU mit über 30 Mitgliedern, und eine Person gehört der DBD an. Im DFD sind 16 und in der FDJ 8 Mitglieder organisiert. Der Ortsausschuss der Nationalen Front existiert ebenfalls nur auf dem Papier. Eine Arbeit mit der Jugend durch die FDJ, GST oder Sportorganisationen gab es bisher nicht. Gespräche mit den Einwohnern ergaben, dass sie wenig Vertrauen zur Partei und den örtlichen Organen haben, nicht daran glauben, dass sich die Zustände im Ort jemals ändern und nicht von der Perspektive der genossenschaftlichen Entwicklung überzeugt sind.
Der Parteisekretär, Genosse [Name 5], der einzige Dipl.-Landwirt im Ort, wirkt weder in politischer noch in ökonomischer Hinsicht auf die Entwicklung im Dorf ein und trägt sich mit dem Gedanken, den Ort zu verlassen.
Der Bürgermeister, Genosse [Name 6], hat den Willen, etwas zu schaffen, kann sich jedoch nicht durchsetzen.
Das kulturelle Leben ist in [Ortsname] nicht entwickelt. Bisher wurde kein Dorf-Club, keine Gaststätte, kein heizbarer Kulturraum geschaffen, und die wöchentlichen Filmveranstaltungen fallen seit längerer Zeit aus. Da somit fast jede Möglichkeit der Freizeitgestaltung genommen war, kam es in der Konsum-Verkaufsstelle häufig zu größeren Trinkgelagen.
[Ortsname] macht rein äußerlich einen unsauberen und ungepflegten Eindruck, Verschönerungs- oder Aufräumungsarbeiten im Rahmen der nationalen Front wurden nicht durchgeführt. Viele Gebäude befinden sich in einem baufälligen Zustand, darunter das ehemalige Gutsgebäude, jetzt Sitz der Gemeindeverwaltung, der BHG und des LPG-Büros, wo z. T. Türen und Fenster fehlen.
Dadurch konnten – so begründeten es die örtlichen Organe – z. B. auch zumutbare Unterkünfte für elf Jugendliche, die 1960 als Industriearbeiter aufs Land kamen, nicht zugewiesen werden. Die Jugendlichen erhielten verwahrloste Zimmer ohne Mobiliar in baufälligen Wohnungen. Um die weitere Unterbringung der Jugendlichen kümmerte sich kein Funktionär der Gemeinde.
Obwohl der Kreisleitung der SED sowie dem Rat des Kreises die Verhältnisse in der Parteiorganisation und in der gesamten Gemeinde [Ortsname] bekannt waren, wurden von keiner Seite Anstrengungen zur Beseitigung der Unzulänglichkeiten unternommen.
Unverständnis äußerten einige LPG-Mitglieder über die mangelhafte Hilfe seitens der staatlichen Organe, insbesondere der Abteilung Innere Angelegenheiten, Plankommission, Kreisbauamt und Organisations-Instrukteure-Abteilung beim Rat des Kreises Altentreptow, mit denen ein Patenschaftsvertrag bestand. Als die LPG infolge fehlender Arbeitskräfte ihre Hilfe in Anspruch nehmen wollte, wurde erwidert, dass der Vertrag aufgehoben sei und keine Hilfe gewährt werden könne.
Aufgrund der nach der Brandstiftung durchgeführten Untersuchungen fanden ab 17.10.1961 mehrere Besprechungen in [Ortsname] unter Beteiligung von Vertretern des Staatsapparates und der Partei statt, während der erste Maßnahmen zur Veränderung der Situation in [Ortsname] eingeleitet wurden. Durch die bezirklichen Sicherheitsorgane wurden am 19.10.1961 Maßnahmen zur Beseitigung der Gesetzesverletzungen und der Missstände beschlossen.
So soll gegen den [Name 3] ein Ermittlungsverfahren gemäß § 223 b StGB2 mit anschließender Inhaftierung eingeleitet werden. Mit dem BHG-Leiter [Name 2], ehem. Mitglied der NSDAP, jetzt SED-Mitglied, werden Aussprachen geführt, da er im Strafverfahren gegen den [Name 1] sowie in der Gemeinde eine negative Rolle spielte.
Absprachen zwischen den Funktionären des Kreises Altentreptow sollen ergeben, inwieweit Mitarbeiter des Rates des Kreises Altentreptow, Abteilung Jugendfragen, hinsichtlich der unzulänglichen Unterbringung von Jugendlichen in [Ortsname] strafrechtlich oder disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden müssen. Gegen den LPG-Vorsitzenden und Bürgermeister werden Parteierziehungsmaßnahmen in gleicher Sache eingeleitet.