Dossier zum Literaturwissenschaftler Hans Mayer
10. März 1961
[Einzel-Information] Nr. 102/61: Einige Hinweise zur Person und zur politischen Haltung von Prof. Dr. jur., Dr. phil. Hans Mayer
Prof. Mayer, geboren 19.3.07 in Köln, wohnhaft in Leipzig C 1, Tschaikowskistr. 23, Direktor des Instituts für Deutsche Literatur der Karl-Marx-Universität Leipzig, kam 1948 in die DDR und ist seit dieser Zeit Professor an der Karl-Marx-Universität Leipzig.1
Mayer entstammt bürgerlichen Verhältnissen, seine Eltern wurden im KZ Auschwitz ermordet. (Juden)
Verschiedener übereinstimmender Angaben ehem. KPO-Mitglieder zufolge war M. leitender Funktionär der KPO in Köln und hatte bis etwa August 1933 die Leitung der KPO im Bezirk Rhein-Ruhrgebiet überhaupt.
Er hatte Verbindung – zumindest schriftlicher Art – zu Brandler, der sich zu dieser Zeit in Paris befand. M. hielt politische Vorträge vor KPO- und SAP-Gruppen, organisierte illegale Kurierverbindungen und Widerstandsarbeit. Seit Sommer 1933 wurde er von der Gestapo wegen Hochverratsverdacht gesucht, weshalb er nach Frankreich und später nach der Schweiz emigrierte, wo er bis 1945 blieb. (Am 16.3.35 wurde vom Ermittlungsrichter des damaligen »Volksgerichtshofes« Haftbefehl gegen ihn erlassen.)
In der Schweiz trat er der Bewegung »Freies Deutschland« bei, war Chefredakteur der Zeitschrift gleichen Namens und Vorsitzender des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in der Schweiz. Nach seiner Rückkehr 1945 war er zunächst Chefredakteur der Nachrichtenagentur DENA und bis 1947 Chefredakteur und Kommentator von Radio Frankfurt. Im März 1947 wurde er zum Landesvorsitzenden der VVN in Hessen gewählt und übernahm im April 1947 eine Dozentur für Staatslehre und soziale Theorie an der Frankfurter Universität. Eine Berufung an die Uni Halle lehnte er damals ab.
Aus der Schweizer Emigrationszeit ist M. mit dem inhaftierten Verräter Steinberger (Harich-Gruppe) bekannt. Nach der Rückkehr Steinbergers aus seiner ersten Haft in der Sowjetunion 1955 traf M. mehrmals mit Steinberger zusammen, war über seine Rückkehr sehr erfreut und schenkte ihm 500 DM.
Fachlich ist M. sowohl als Institutsdirektor als auch national und international gesehen allgemein anerkannt und er erhält zahlreiche Einladungen zu Vorträgen, Aussprachen usw. in kapitalistische Länder.
M. ist in keiner Partei organisiert, betont aber immer wieder, dass er sich für einen »Marxisten« hält.
Aus inoffiziellen Hinweisen ist dem MfS jedoch bekannt, dass er politischen Schwankungen unterliegt und seine Grundhaltung negativ ist. U. a. vertritt er besonders im internen Kreis eine Reihe feindlicher Argumente, beschimpft und verleumdet führende Genossen der Partei und Regierung und auch Wissenschaftler. Nach außen hin versucht er dagegen in doppelzünglerischer Weise sich positiv, zumindest loyal zu geben.
So stimmt er einerseits den revisionistischen Auffassungen Prof. Blochs,2 zu dem ein enges Vertrauensverhältnis besteht und mit dem er auch häufig zusammenkommt, zu und berät mit ihm diese Fragen und unterstützt Bloch in jeder Weise. Auf der anderen Seite distanziert er sich in offiziellen Gesprächen gegenüber dritten Personen von Blochs Auffassungen. M. nutzte z. B. 1957 eine Vortragsreise in Westdeutschland dazu aus, einen der größten Verlage Westdeutschlands (Kiepenheuer und Witsch/Köln) für das Verlegen der Werke Blochs zu gewinnen und übermittelte Bloch ein entsprechendes Angebot seitens des Verlages. Der Leiter dieses Verlages, Witsch, ist ein enger Schul- und Studienfreund von Mayer und M. weiß, dass Witsch »mit Liebe alles herausgibt, was antimarxistisch und antiöstlich ist« und dass dieser Verlag mit amerikanischen Geldern »zum großen antiöstlichen Verlag gemacht werden soll«, wie M. selbst einschätzt. Mayer leitete auch bereits Maßnahmen ein, um eine Vortragsreise Blochs nach Westdeutschland zu organisieren, um damit eine Zusammenkunft Blochs mit diesem Verlag zu tarnen.
Mayer und Bloch besprechen auch gemeinsam ihr Verhalten zu wichtigen politischen Fragen. Auch dabei wird die schwankende und oft feindliche Haltung Mayers offensichtlich. Z. B. erklärte M.:
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Man könne mit SED-Funktionären nicht verhandeln, weil für diese Leute schon vorher feststünde, was sie sagen müssten.
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Die Politik der Partei und Regierung sei vielleicht für die breite Masse ganz gut, aber die Behandlung der Intelligenz entspreche nicht seiner Vorstellung.
Als nach der Amnestie des wegen feindlicher Gruppenbildung inhaftierten Zehm es Bloch ablehnte, Zehm zu empfangen, warf Mayer ihm Ungerechtigkeit vor und versuchte, seinen Einfluss bei Bloch geltend zu machen, damit Bloch »den armen Kerl« doch empfangen sollte.3
Auch bei solchen Fragen wie Teilnahme an der Kulturkonferenz 19604 oder Leistung der Unterschrift unter einen öffentlichen Aufruf von Geistesschaffenden zur aktiven Unterstützung des Friedenskampfes, berät sich M. mit Bloch, wobei sie meist übereinkommen, nicht teilzunehmen oder sich irgendwie herauszuhalten.
Außerdem berät M. in diesen Zusammenkünften mit Bloch, wie sie sich zweckmäßigerweise gegenüber den fortschrittlichen Wissenschaftlern an der Universität Leipzig verhalten sollten.
Der Widerspruch zwischen der wirklichen Einstellung Mayers und seiner nach außen gezeigten Handlungsweise lassen auch die folgenden Beispiele erkennen:
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In mehreren Äußerungen brachte M. zum Ausdruck, dass er konsequent den »Bitterfelder Weg«5 für die Germanisten ablehnt, nach außen hin unterstützt er aber aktiv die Maßnahmen der Parteileitung zur Bildung eines Zirkels schreibender Studenten.
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Auf der Lenin-Konferenz des Instituts für deutsche Literaturgeschichte im Juni 1960 stellte sich M. als treuen und dankbaren Schüler Lenins hin, dem er alles zu verdanken habe. Anschließend interpretierte er den Begriff der Parteilichkeit sinngemäß wie folgt: Es gebe eine Parteilichkeit für Genossen, die der Parteidisziplin gleich sei und es gebe eine Parteilichkeit für die Wissenschaft. Diese Parteilichkeit für die Wissenschaft stünde über dem alltäglichen Geschehen, streng den der Wissenschaft eigenen Gesetzen unterworfen. Diese Darstellung brachte M. so geschickt, dass er auf der Konferenz selbst von Genossen der Parteileitung unterstützt wurde, die sich dann aber später davon distanzierten.
Prof. Mayer ist der festen Überzeugung, dass er bekämpft wird und fühlt sich deshalb in einer ähnlichen Rolle wie Bloch bzw. Harich und Lukács. Dabei betont er jedoch, dass es sich bei ihnen (Mayer und Bloch) nur um Randfiguren handle. Solche Überlegungen, dass er bekämpft würde, leitete er u. a. aus der Tatsache ab, dass von ihm keine Werke in Ungarn herauskämen, weil er im Westen veröffentliche. Es sei denn, dass er sich »gleichschalten lassen würde«. Damit verlöre er aber sein Gesicht und seine Anerkennung im Westen.
Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist die Einschätzung seiner Vorträge und seines Auftretens in Westdeutschland durch westdeutsche intellektuelle Kreise.
Seine Vorträge über ästhetische und literarische Fragen schätzt man zwar zu einem großen Teil als gut und interessant, aber keineswegs als marxistisch ein.
Aus dieser Tatsache schlussfolgert man u. a., dass eine so »wissenschaftlich denkende und profilierte Persönlichkeit« wie M. gar nicht anders könne, als den Boden des Marxismus zu verlassen. Das führt zu Ansichten wie:
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Im Unterrichtswesen in der DDR gelte auf dem Gebiet der Literatur der Marxismus bereits als überholt.
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Dass Mayer seine Position als Professor der Literaturgeschichte halten und dass er derart oft und mit dieser Toleranz in Westdeutschland auftreten könne, beweise die »Unwissenschaftlichkeit des dialektischen Materialismus«.
Man führt ferner offen an, dass M. Haltung pro-westlich sei und verbreitete nach einer Vortragsreise M. gerüchteweise, dass er sich bereits »abgesetzt« habe.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine Reihe solcher Überlegungen, dass man die Haltung M. und seine zahlreichen Vortragsreisen in Westdeutschland mit der »autoritativen Ansicht der DDR« identifiziert und als Ausdruck geistiger Freiheit und Toleranz in der DDR einschätzt.
Im Herbst 1960 trug sich M. mit dem Gedanken nach Italien zu gehen, evtl. über Österreich. Diese Absicht hat er auch offiziell dem Staatssekretariat für Hochschulfragen vorgetragen und mit seinem schwankenden Gesundheitszustand begründet. Zzt. hat er diesen Gedanken jedoch wieder verworfen.