Entwicklung der Hochseefischerei
10. März 1961
Bericht Nr. 142/61 über vorhandene Mängel bei der Entwicklung der Hochseefischerei und bei der Planerfüllung im Fischfang nach Menge, Sortiment und Qualität
[Für die] geplante Präsidiumssitzung des Ministerrates
Nach vorliegenden Informationen im MfS ergaben sich bei der Entwicklung der Hochseefischerei der DDR in der Vergangenheit einige Probleme in der Leitungstätigkeit der Fischkombinate, in der Zuführung neuer Fangkapazitäten, in der Durchführung von Maßnahmen der sozialistischen Rekonstruktion1 und in der Verbindung sozialistischer Leistungsprinzipien mit dem Kampf um die Erfüllung der Staatsplanaufgaben nach Menge, Sortiment und Qualität.
Die Hochseefischerei erfüllte 1960 den Mengenplan mit 104,5 %, darunter Saßnitz mit 121,8 % und in der Planposition »Fisch für Futterzwecke« mit 360,8 %. Dagegen wurde die wichtigste Planposition »Fisch für die menschliche Ernährung« nur mit 86,8 % erfüllt. Diese Ergebnisse weisen auf eine Reihe von Mängeln bei der Lösung der staatlichen Planaufgaben in den Fischkombinaten hin.
1. Mängel in der Leitungstätigkeit der Kombinatsleitungen
In der Leitungstätigkeit der Fischkombinate trat offensichtlich bei der Organisierung und Lösung der staatlichen Planaufgaben eine Trennung zwischen politischen, ökonomischen und technischen Problemen auf.
Die Arbeitsorganisation wies eine Reihe von Mängeln auf. Der Arbeitsverlauf in den Kombinaten verlief unkontinuierlich. Zeitweilig lag eine große Anzahl von Fischereifahrzeugen im Hafen. Das Löschen und Verarbeiten der Fänge konnte nur durch eine große Anzahl von Überstunden bewältigt werden, dem aber Zeiten mit geringem Arbeitsanfall und Stillstandszeiten gegenüberstehen.
In den Produktionsberatungen wurden meist nur fachliche Fragen beraten, der Erfahrungsaustausch über Neuerermethoden2 beim Fischfang und in der Verarbeitung wurde unter den Werktätigen kaum entwickelt.
Schwächen zeigten sich auch in der Verwirklichung der führenden Rolle der Partei des Fischkombinates Rostock, da die dortige Parteileitung keine allseitige politische Orientierung für das Kombinat entwickelte. Die gefassten Beschlüsse der Parteileitung wurden den Mitgliedern der Kombinatsleitung nicht zur Kenntnis gegeben, sodass daraus ein teilweises Nebeneinanderarbeiten zu verzeichnen war.
Den sichtbaren Ausdruck der bisherigen Arbeitsweise der Kombinatsleitung Rostock stellt das finanzielle Ergebnis des Jahres 1960 dar. Im Jahre 1960 entstanden in der Hochseefischerei pro 1 000 DM Warenproduktion 504,54 DM Verlust. Im Fischkombinat Rostock betrug der Verlust dagegen 762 DM pro 1 000 DM Warenproduktion. Die Ursache ist u. a. auch darin begründet, dass durch die Leitung des Fischkombinates Rostock es verabsäumt wurde, rechtzeitig mit der Vorbereitung zur Einführung der pelagischen Fischerei zu beginnen. Damit bereitete diese Frage dem Fischkombinat Rostock in politischer und wirtschaftlich-organisatorischer Hinsicht wesentlich größere Schwierigkeiten als dem Fischkombinat Saßnitz.
Durch die ungenügende politische Arbeit von Partei und Gewerkschaft unter den Seeleuten und Kapitänen ist allgemein feststellbar, dass die Trawlerflotte, meist unter Führung älterer Kapitäne, von denen ein großer Teil aus Westdeutschland kommt, einen Rückgang in den Fangergebnissen zu verzeichnen hat, während die Loggerflotte, deren Kapitäne überwiegend nach 1945 ausgebildet wurden, ständig steigende Fangergebnisse erzielt. Diese Entwicklung dürfte wesentlich mit darauf zurückzuführen sein, dass die politische Arbeit unter den Besatzungen sehr mangelhaft ist und kaum die politische Bedeutung der Planerfüllung erläutert wird.
2. Probleme bei der Erfüllung der Staatsplanaufgaben nach Menge, Sortiment und Qualität
In der Vergangenheit wurde durch die Leitungen der Fischkombinate Abweichungen vom Prinzip der materiellen Interessiertheit im Zusammenhang mit dem Kampf um die Erfüllung der Staatsplanauflagen zugelassen. Die hohe Erfüllung in der Planposition »Futterfisch« mit 360,8 % hat z. B. ihre Ursache im ungünstig gestalteten Prämiensystem für angelandeten Futter- bzw. Speisefisch. Im Verlauf des Jahres 1960 ging die Orientierung durch die Kombinatsleitungen dahin, mehr Futterfisch anzulanden. Der Verdienst war dabei so angestiegen, dass kein ausreichendes Interesse am Fang von Speisefischen mehr bestand. Dieser Zustand wurde jedoch von den Kombinatsleitungen in der Zwischenzeit verändert.
Der Durchschnitt der angelandeten B-Ware (Industrieware) betrug im Fischkombinat Rostock 15,1 %, im Fischkombinat Saßnitz 6,8 %. Die unterschiedlichen Ergebnisse sind auf die schlechten Vereisungsarbeiten der Besatzungen mit zurückzuführen. In vielen Fällen mussten ganze Schiffsladungen Hering verworfen werden, da sich der Fisch für die menschliche Ernährung nicht mehr eignete.
Die Bedeutung der pelagischen Fischerei als Neuerermethode zur Steigerung der Fangergebnisse wurde im Fischkombinat Rostock zu spät erkannt. Als im Fischkombinat Saßnitz die Einführung dieser neuen Fangmethode bereits abgeschlossen war und gute Ergebnisse zeitigte, begann das Fischkombinat Rostock erst mit den Vorbereitungen. Die Ausrüstung der gesamten Flotte zog sich bis September/Oktober 1960 hin, sodass die Einführung der neuen Fangmethode keine nennenswerten Auswirkungen auf die Planerfüllung für das Jahr 1960 hatte.
Mit der Einführung der pelagischen Fischerei waren eine Reihe von ideologischen Auseinandersetzungen unter den Seeleuten verbunden. Dabei wurde erneut sichtbar, dass durch die ungenügende Parteiarbeit die Hauptfragen wie die Steigerung der Arbeitsproduktivität usw., die durch diese neue Methode erreichbar ist, nicht in ihren Zusammenhängen als Einheit von Politik und Ökonomie diskutiert wurden. Daher konnten eine Reihe von Argumenten gegen diese neue Methode sich im Bewusstsein eines Teiles der Seeleute über einen längeren Zeitraum erhalten und festsetzen. So wurde von den Fischern diese Methode als ungeeignet bezeichnet, da sie »mehr Arbeit mit sich bringen wird und den Schlaf der Matrosen verkürze«. Oder »die Logger und Trawler seien nicht so wendig wie die Kutter und daher für die pelagische Fischerei ungeeignet«. Zudem wurde der Erfahrungsaustausch über diese neue Fangmethode ungenügend organisiert.
Unzureichende Anstrengungen der Kombinatsleitungen während der Plandiskussionen bilden einen weiteren Schwerpunkt bei der Sicherung maximaler Fangergebnisse. Mit solchen Argumenten wie »… die Fanggründe sind abgefischt und der Plan muss herabgesetzt werden« wurde von Beginn an eine Diskussion um die Reduzierung des Planes zugelassen, die keinen mobilisierenden Einfluss auf die Werktätigen der Fischkombinate ausüben konnten.
Selbst durch die Kombinatsleitungen wurden keine energischen Anstrengungen zur Steigerung der Fangergebnisse unternommen. Suchschiffe zum Auffinden von Heringsschwärmen kamen verspätet zum Einsatz. Es konnte auch festgestellt werden, dass die Schiffe nicht auf die ertragreichsten Fangplätze dirigiert wurden.
Zur Planerfüllung des Fischkombinates Saßnitz wäre noch hinzuweisen, dass die Erfüllungszahlen etwas verschleiert erscheinen. Dem Fischkombinat Saßnitz wurden Anfang 1960 50 Stahlkutter geliefert, die nach geltenden gesetzlichen Bestimmungen nach drei Monaten Einfischzeit in den laufenden Plan mit einbezogen werden müssten. Im Fischkombinat Saßnitz erfolgte jedoch keine Einbeziehung in den Plan 1960, wohl aber erfolgte die Abrechnung der Fangergebnisse auf den Plan 1960.
3. Die Durchführung der sozialistischen Rekonstruktion in der Hochseeflotte und der Fischverarbeitung
Die Verwirklichung der festgelegten Aufgaben im Rahmen der sozialistischen Rekonstruktion war unzureichend. Im Fischkombinat Rostock wurden 1960 von 50 vorgesehenen Maßnahmen nur ca. ⅔ realisiert. Im Fischkombinat Saßnitz erfolgte von 98 vorgesehenen Maßnahmen 1960 eine Realisierung von etwa 88 %, wobei ca. 16 % der Maßnahmen nur teilweise realisierbar waren. Die Art und Weise der Erfüllung vorgesehener Maßnahmen zeigen folgende Beispiele.
Im Fischkombinat Rostock sollte im Dezember 1960 eine Küt[.]-Förderanlage fertiggestellt werden, die die Abfälle von der Verarbeitungshalle zur Fischmehlanlage transportiert. Da jedoch von der Kombinatsleitung keine Baumöglichkeiten geschaffen wurden, musste die Fertigstellung verschoben werden. Eine Fassförderbrücke im Fischkombinat Rostock konnte im 3. Quartal 1960 nicht fertig gestellt werden, da technische Mängel vorhanden waren. Vom Mühlenbau Dresden wurden Kistenlöschbänder im Fischkombinat Rostock aufgestellt, welche Konstruktionsfehler aufwiesen.
Aufgrund der schlechten Arbeitsweise der ehemaligen Kombinatsleitung wurde die Durchführung der meisten Maßnahmen ungenügend kontrolliert.
4. Die Zuführung neuer Fang- und Verarbeitungskapazitäten für die Hochseefischerei und die Probleme des planmäßigen Reparaturprogrammes an Fang- und Verarbeitungsschiffen
Lt. Plan sollten zum 1.1.1960 ein Fang- und Verarbeitungsschiff und im Verlauf des Jahres 1960 fünf Trawler vom Typ III (mit eigener Fischmehlanlage) in Dienst gestellt werden.
Das Fang- und Verarbeitungsschiff kam mit vierteljähriger3 Verspätung zum Einsatz, da Terminverzug in der Mathias-Thesen-Werft auftrat. Von den fünf Trawlern wurden dem Fischkombinat Rostock der erste im November 1960 übergeben, welcher nach der ersten Fangreise zurückgezogen werden musste, da die Schwingungen am Schiff derart groß waren, dass sie sich gesundheitsschädigend auf die Besatzung auswirkten.
Negativ für die Planerfüllung wirkte sich auch ein erhöhter Reparaturanfall der Fangfahrzeuge aus. Die Neptunwerft Rostock führte die Reparaturen nicht termingemäß aus. So kam es im Fischkombinat Rostock zu einem Fangausfall von ca. 3 598 t. Die abgelöste Kombinatsleitung hatte es verabsäumt, die erforderlichen Einzelheiten, Bezeichnung der auszuführenden Reparaturen und Termine der Fertigstellung vertraglich festzulegen.
Es machten sich auf der Neptunwerft auch solche Erscheinungen bemerkbar wie der Einsatz der am schlechtesten qualifizierten Arbeitskräfte für das laufende Reparaturprogramm an Fangschiffen. Dadurch sollen die geplanten Werftliegezeiten oft mit 50 % überschritten worden sein.
5. Einige Probleme der Anleitung und Kontrolle der Küstenfischerei durch den Staatsapparat des Bezirkes Rostock
Die Abteilung Fischwirtschaft beim Wirtschaftsrat des Rates des Bezirkes Rostock ist nach den uns vorliegenden Hinweisen zzt. nicht in der Lage, die notwendige Anleitung und Unterstützung für die FGS und FPG zu organisieren. Der Arbeitsstil besteht hauptsächlich im Verfassen und Verschicken von Rundschreiben und Anweisungen.
Besonders zeigt sich diese Arbeitsweise in der Vorbereitung der Sprottenaktion 1961. Bekanntlich musste 1960 ein großer Teil der Sprotten industriell verwertet werden, weil keine ausreichenden Räucherkapazitäten vorhanden waren. Lt. Maßnahmeplan sollen 1961 täglich 100 t Sprotten geräuchert werden. Der Plan der Abteilung Fischwirtschaft sieht jedoch nur eine tägliche Verarbeitung von 48,4 t vor. Nach bestehenden Übersichten wird es 1961 aber nur möglich sein etwa 25 t täglich zu räuchern, wenn nicht durch operatives Eingreifen zuständiger und verantwortlicher Stellen Maßnahmen für die Erweiterung der bestehenden Räucherkapazitäten eingeleitet werden.
Der politisch-moralische Zustand in den FPG wird teilweise durch das Vorhandensein bestimmter Schwächen in der kollektiven Leitung, durch Unstimmigkeiten innerhalb der Vorstände und zwischen Vorstand und Mitgliederschaft, schlechter Arbeitsorganisation und Arbeitsmoral charakterisiert.
Eine Unterstützung der FPG durch das wissenschaftliche Institut der Deutschen Akademie für Landwirtschaftswissenschaften in Saßnitz ist zzt. noch nicht feststellbar.
Abschließend ist allgemein festzustellen, dass die Fragen der Leitungstätigkeit, insbesondere in der VVB Fischwirtschaft und den Kombinatsleitungen von Rostock und Saßnitz, ungenügend verbunden wurde mit den Problemen der Mobilisierung der Initiative der Werktätigen, der Herstellung der notwendigen Komplexität in den Plänen, der Organisierung der Arbeit mit dem bestätigten Volkswirtschaftsplan, der Lösung gestellter Aufgaben im Rahmen der sozialistischen Rekonstruktion und der zweckmäßigsten Formen des Prinzips der materiellen Interessiertheit.
Es scheint daher empfehlenswert, besonders auf der Grundlage der aufgezeigten Probleme, die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen in diesen Leitungsebenen weiter zu führen und dabei durch die verantwortlichen Mitarbeiter der Staatlichen Plankommission und des ZK die notwendige politische und fachliche Unterstützung zu organisieren.