Entwicklung des Fluchtgeschehens im 1. Quartal 1961
18. Mai 1961
Bericht Nr. 242/61 über die Entwicklung der Republikflucht im I. Quartal 1961 und über Maßnahmen und Ergebnisse ihrer Bekämpfung
1. Statistische Übersicht
Nach Meldungen der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei (HVDVP) verließen im Zeitraum von Januar bis März 1961 insgesamt 40 904 Personen illegal die DDR. Gegenüber dem Zeitraum 1960, mit insgesamt 28 166 republikflüchtigen Personen, entspricht das einer Steigerung um 12 738 Personen oder 45,22 %.
Ein Vergleich der Monate Januar bis März 1961 mit diesem Zeitraum des Jahres 1960 sowie den veröffentlichten »Westzahlen« ergibt folgende Übersicht:
[Monat] | 1960 | 1961 | »Westzahlen« I/61 |
---|---|---|---|
Januar | 9 337 | 16 286 | 16 697 |
Februar | 7 565 | 11 176 | 13 576 |
März | 11 264 | 13 442 | 16 094 |
[gesamt] | 28 166 | 40 904 | 46 367 |
Im Berichtszeitraum war eine Steigerung in der Republikflucht vor allem bei Ärzten, Lehrern, Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern, bei Handwerkern, Gewerbetreibenden, Genossenschaftsbauern und -mitgliedern sowie bei Arbeitern und Angestellten der Industrie festzustellen. Rückläufig waren die Fluchten nur bei Besitzern privater Betriebe und, bedingt durch die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft, bei Einzelbauern. Im Verhältnis zu 1960 ergibt sich folgender zahlenmäßiger Vergleich in diesen Berufsgruppen:
[Berufsgruppe] | Jan.–März 1960 | Jan.–März 1961 |
---|---|---|
Ärzte einschl. Tierärzte | 109 | 174 |
Lehrer | 258 | 444 |
Wissenschaftler | 28 | 30 |
Ingenieure u. Techniker | 252 | 527 |
Handwerker | 243 | 361 |
Besitzer von Privatbetrieben | 83 | 61 |
Gewerbetreibende | 333 | 400 |
Genossenschaftsbauern und -mitglieder | 466 | 1 569 |
Einzelbauern | 473 | 63 |
Arbeiter aus der Industrie | 8 477 | 11 724 |
Angestellte aus Industriebetrieben | 3 653 | 5 800 |
Von Januar bis März 1961 wurden aufgrund der von den Sicherheitsorganen eingeleiteten Maßnahmen insgesamt 3 575 republikfluchtverdächtige Personen auf dem Wege nach Berlin gestellt und damit zunächst an ihrer Flucht gehindert.
An diesem Ergebnis hatten die einzelnen Organe wie folgt Anteil:
- –
VP: 405 Personen,
- –
Trapo: 2 768 Personen,
- –
DGP: 94 Personen,
- –
AZKW: 308 Personen.
Diese Personen untergliedern sich in 2 468 Erwachsene, 848 Jugendliche und 259 Kinder.
Außerdem konnten – auch aufgrund von Hinweisen der Organe des MfS – in dieser Zeit durch die VP weitere 1 061 Personen, die bereits Fluchtvorbereitungen getroffen hatten, schon in den Heimatorten zurückgehalten werden.
Damit ergibt sich für das I. Quartal 1961 eine Gesamtzahl von 4 636 Personen, die von den Sicherheitsorganen gestellt oder zurückgehalten wurden. Das sind zur Gesamtzahl der erfolgten Republikfluchten etwa 11,3 %.
Wie aus Hinweisen der HVDVP ersichtlich ist, haben sich von den 3 575 auf der Fahrt nach Berlin gestellten Personen, denen eine PM 7 a1 ausgehändigt wurde, 144 Personen nicht auf den Dienststellen der VP gemeldet. Es ist deshalb anzunehmen, dass diesen Personen, obwohl ihnen der DPA entzogen worden ist, trotzdem die Flucht gelang. Bei den Aussprachen, die Angehörige der VP mit den zurückgeschleusten Personen führten, hat sich in 1 852 Fällen der Verdacht der versuchten Republikflucht bestätigt. 929 Personen, die ebenfalls in diesem Verdacht standen, konnte die Absicht der Republikflucht nicht nachgewiesen werden.
2. Eingeleitete Maßnahmen zur Bekämpfung der Republikflucht und deren Erfolge
Die Zahl der im I. Quartal 1961 gestellten und zurückgehaltenen Personen zeugt davon, dass die einzelnen Sicherheitsorgane nach wie vor entsprechend den für ihre Dienstbereiche erlassenen speziellen Anweisungen zur Bekämpfung der Republikflucht handeln und damit auch gewisse Erfolge erzielen.
Nach den vorliegenden Berichten der Bezirke wurde von den Dienststellen des MfS in stärkerem Maße die Methode angewandt, mit Personen, von denen die Absicht der Republikflucht bekannt wurde, entsprechende Aussprachen durchzuführen bzw. durchführen zu lassen, um sie von diesem Vorhaben abzubringen. Dabei hat sich am besten bewährt, die Durchführung dieser Aussprachen leitenden Mitarbeitern des Staatsapparates oder Funktionären der Parteien und Massenorganisationen zu übertragen, die in der Lage sind, überzeugend auf diese Personen einzuwirken bzw. verbindliche Zusagen zur Änderung bestehender Missstände zu geben, die Anlass für die beabsichtigte Republikflucht gaben. Als besonders wirksam erwies sich dabei, wenn noch nicht bearbeitete oder in Arbeit befindliche Beschwerden dieser Personen an den Staatsapparat als Gesprächsgrundlage genommen wurden.
So wurden z. B. im März 1961 der Kreisdienststelle des MfS in Angermünde/Frankfurt/O. 24 geplante Republikfluchten bekannt. Die durch Mitarbeiter des MfS, Angehörige des Staatsapparates und Funktionäre der Partei mit diesen Personen geführten Aussprachen hatten zum Ergebnis, dass nur fünf von den 24 geplanten Republikfluchten erfolgten.
In der Stadt Nauen/Potsdam verließen im Januar 24, im Februar 37 und im März nur fünf Personen illegal die Republik. Dieser Erfolg im März ist darauf zurückzuführen, dass in 22 Fällen Aussprachen mit solchen Personen erfolgten, die eine Republikflucht vorbereiteten bzw. planten.
Im Bereich der SDAG Wismut konnte durch Aussprachen die Republikflucht von zehn Wismut-Angehörigen verhindert werden.
Von der Poliklinik Halle nahm ein Arzt Abstand von der Republikflucht, nachdem die bei der Aussprache von ihm aufgezeigten Unzulänglichkeiten beseitigt wurden. In Weißenfels/Halle konnte durch entsprechende Aussprachen die Republikflucht von sieben Schwesternschülerinnen der dortigen medizinischen Fachschule verhindert werden. Ähnliche Beispiele berichten auch andere Bezirke.
In der Arbeit der VP gibt es ebenfalls Beispiele, wo durch die Verbesserung der Aussprachetätigkeit Erfolge in der Verhinderung von Republikfluchten erzielt wurden. So werden z. B. im VPKA Meißen/Dresden alle verantwortlichen Offiziere des VPKA an den Sprechtagen dazu mit eingesetzt, bei abgelehnten Anträgen auf Westreisen den Antragstellern in einer klaren politischen Form den Grund der Ablehnung darzulegen. Damit wird weitgehend eine routinemäßige Abfertigung der Bürger, die häufig Anlass zur Republikflucht war, ausgeschaltet.
Im VPKA Leipzig wurde eine Brigade aus Angehörigen der Abteilungen K und PM gebildet, die die durch die Trapo gestellten Personen bearbeitet. Erfolgreich erweist sich in der Tätigkeit dieser Brigade vor allem, dass sie mit den Arbeitsstellen und anderen Einrichtungen gemeinsame Maßnahmen einleitet und dadurch in den meisten Fällen verhindert, dass diese Personen zu einem späteren Zeitpunkt erneut den Versuch unternehmen, die DDR illegal zu verlassen.
Durch das MfS und die VP sowie durch enge Zusammenarbeit beider Organe wurden im I. Quartal 1961 auch wieder zahlreiche in der DDR tätige Abwerber aufgeklärt und liquidiert.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt z. B. wurde ein Rückkehrer ermittelt und festgenommen, der vor allem weibliche Personen durch Drohung zur Republikflucht verleitete. Die Eltern des Täters sind in Westberlin wohnhaft und für den RIAS sowie das Flüchtlingslager Marienfelde tätig.
In Weinböhla/Meißen bestand ein Schwerpunkt der Abwerbung von Bürgern der DDR. Gemeinsam mit der VP geführte Ermittlungen führten zur Festnahme eines in Stuttgart/Westdeutschland wohnhaften, zzt. aber bei seiner Mutter in Weinböhla zu Besuch weilenden Täters, der vermutlich im Auftrage der revanchistischen »Landsmannschaft Sachsen« handelte.
Im Kreis Grevesmühlen/Rostock wurde ein Rentner als Abwerber ermittelt und festgenommen, als er versuchte, im Auftrage seiner in Westdeutschland wohnenden Tochter ein 16-jähriges Mädchen abzuwerben. Die Tochter des Rentners leitet in Westdeutschland einen Rollschuhclub.
In Leipzig wurde ein selbstständiger Häusermakler als Abwerber festgenommen, da er seine Geschäftstätigkeit dazu benutzte, Personen zum illegalen Verlassen der DDR zu verleiten. Der Täter unterhielt Verbindung mit einer Person in Westberlin, durch die er sich für diesen Zweck sogenannte Flüchtlingsscheine beschaffen ließ.
Im Bezirk Frankfurt/O. wurde ein jugendlicher Rückkehrer festgenommen, der im Auftrage eines Westberliner Werbers der französischen Fremdenlegion in der DDR Jugendliche anwerben und dafür 75,00 DM Kopfgeld pro Person erhalten sollte.
In Arnstadt/Erfurt wurde eine Rückkehrerin festgenommen, die im Auftrage eines ausländischen Mitarbeiters einer »Sichtungsstelle« im Flüchtlingslager Berlin-Marienfelde etwa 20 männliche und weibliche Jugendliche zwischen 16 und 22 Jahren dazu verleitet hatte, mit ihr die DDR zu verlassen.
In Sondershausen/Erfurt wurde eine Jugendliche inhaftiert, da sie einen koreanischen Studenten von der TH Dresden zur Flucht verleitet hatte.
Von der VP wurden nach Meldungen der HVDVP im I. Quartal 1961 insgesamt 72 Ermittlungsverfahren wegen Verleiten zum Verlassen der DDR2 eingeleitet. Darunter befinden sich zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen bekannte, aber zzt. republikflüchtige Abwerber, die deshalb in Fahndung gestellt wurden, sowie mehrere Verfahren gegen anonyme Täter, die mittels Drohungen arbeiten.
In der Tätigkeit des AZKW erwies sich im Bezirk Leipzig die Paketkontrolle von Bedeutung für die Verhinderung von Republikfluchten. Dadurch wurden zahlreiche Personen bekannt, die ihre Flucht durch Verschicken von Wäsche und anderes Umzugsgut vorbereiteten oder in beiliegenden Briefen entsprechende Andeutungen machten. Da das AZKW von diesen Fluchtvorbereitungen die Betriebe der angefallenen Personen informierte, konnten entsprechende Aussprachen mit den Personen erfolgen und in einigen Fällen die Fluchten zunächst verhindert werden.
3. Mängel in der Bekämpfung der Republikflucht
Trotz dieser Erfolge in der Bekämpfung der Republikflucht gibt es nach vorliegenden Berichten immer noch grundlegende Mängel in der Arbeit der verschiedenen örtlichen Organe und der Massenorganisationen. Im Wesentlichen wird auf folgende, in den Kreisen und Bezirken noch bestehende Mängel verwiesen:
Durch die Mehrzahl der Volkspolizeikreisämter (VPKA) werden die Aussprachen mit den auf dem Wege nach Westberlin gestellten und zurückgeschleusten republikfluchtverdächtigen Personen noch nicht ernsthaft dazu benutzt, durch diese Personen die Ursachen der beabsichtigten Republikflucht zu erfahren, diese Ergebnisse schriftlich festzuhalten und zu analysieren, um daraus für die gesamte staatliche und gesellschaftliche Arbeit im Kreis entsprechende Schlussfolgerungen ziehen zu können.
Im Zusammenhang damit wird in der Mehrzahl der Berichte darauf hingewiesen, dass die republikfluchtverdächtigen Personen, mit denen vonseiten des MfS oder der VP Aussprachen geführt wurden, sich danach selbst überlassen sind. Auf sie wird vonseiten der Massenorganisationen, Betriebsleitungen und des örtlichen Staatsapparates kein positiver Einfluss weiter ausgeübt, um sie von dem Entschluss, die DDR illegal zu verlassen, restlos abzubringen.
Als Mangel wird auch die im Januar 1961 an die Zugbegleitkommandos (ZBK) der Transportpolizei (Trapo) erteilte Anweisung eingeschätzt, wonach bei Kontrollen in den Reisezügen nach Berlin nur noch dann Befragungen durchgeführt werden dürfen, wenn der begründete Verdacht der illegalen Abwanderung vorhanden ist. Diese Anweisung verminderte die Intensität der Kontrollen durch die ZBK und führte dazu, dass die Zahl der zurückgeschleusten Personen in den letzten Wochen stark zurückgegangen ist.
Eine weitere Schwäche in der Arbeit zur Bekämpfung der Republikflucht ist die mangelhafte Koordinierung der Maßnahmen zwischen den einzelnen Dienststellen, Verwaltungen und Massenorganisationen. Dadurch wird die Arbeit zur Verhinderung der Republikflucht nicht nur unterschätzt und als Ressortaufgabe der Sicherheitsorgane und einzelner Mitarbeiter des Staatsapparates betrachtet, sondern es werden auch noch ungenügend die Sorgen und Beschwerden der Bevölkerung beachtet und vielfach sogar noch übergangen. Besonders unterschätzt wird die Arbeit zur Verhinderung von Republikfluchten durch die Kreisorganisationen der FDJ und des FDGB.
Die Kommissionen für Ordnung und Sicherheit fühlen sich in ihrer Mehrzahl nur ungenügend für die Verhinderung von Republikfluchten verantwortlich und wirken deshalb auch selten aufklärend auf die Bevölkerung.
Ein weiterer Mangel ist die unzureichende Arbeit in den Rückkehrerlagern zur Ermittlung der Ursachen der Republikflucht sowie der Methoden der Abwerbung durch feindliche Zentralen, Konzerne und andere Institutionen.
Bei der Behandlung von Anträgen auf legale Umsiedlung nach Westdeutschland ist vielfach festzustellen, dass den Antragstellern lediglich die Ablehnung ihres Antrages kurz mitgeteilt wird, ohne mit diesen Personen gründliche Aussprachen zu führen, um zu erreichen, dass sie bei Ablehnung der legalen Übersiedlung wirklich in der DDR bleiben und nicht illegal nach Westdeutschland gehen.
4. Ursachen der Republikflucht und begünstigende Erscheinungen
a) Ursachen und Anlässe der Republikflucht
Übereinstimmend wird in vorliegenden Materialien eingeschätzt, dass bei der Mehrzahl der untersuchten Republikfluchten die Ursachen wiederum darin liegen, dass das Bewusstsein dieser Personen mit der Entwicklung in der DDR nicht Schritt gehalten hat. Bei einer großen Anzahl dieser Personen waren erhebliche politisch-ideologische Schwankungen und Unklarheiten vorhanden. Außerdem bestanden überwiegend bereits Verbindungen zu Verwandten oder bereits flüchtigen Personen nach Westdeutschland. Vielfach waren diese Personen auch ständige Hörer des West-Rundfunks und West-Fernsehens, wodurch die Unklarheiten noch verstärkt wurden. Daher bedurfte es teilweise nur des Nichtverstehens politischer Probleme, zeitweilig auftretender Schwierigkeiten, falschen Verhaltens durch Mitarbeiter des Staatsapparates oder anderer äußerer Anlässe, um an der Politik der DDR zu zweifeln und den Entschluss zum Verlassen der DDR herbeizuführen. Diese Einschätzung trifft allgemein auf alle Berufsgruppen zu.
Im Wesentlichen sind deshalb für alle Personenkreise folgende Ursachen der Republikflucht, neben der direkten Abwerbung, gleichermaßen typisch:
- 1.
Ideologische Unklarheiten über die Perspektive und den Sieg der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Die Ursachen liegen in erster Linie in der unzureichenden massenpolitischen Arbeit der Massenorganisationen, besonders des FDGB und der FDJ und einer Reihe von Grundorganisationen unserer Partei.
- 2.
Starke Beeinflussung von Bürgern der DDR durch Verwandte, Bekannte und bereits flüchtige Personen aus Westdeutschland, indem diese zum Verlassen der DDR auffordern und Versprechungen in Bezug auf gute Arbeits-, Verdienst- und Wohnungsmöglichkeiten machen. (siehe dazu auch den Abschnitt 5 über Zentralen und Methoden der Abwerbung)
- 3.
Nichtgewährung von PM 12 a3 für Reisen zu Verwandten oder bereits republikflüchtigen Familienangehörigen nach Westdeutschland, was von diesen Personen als »Zerreißen der Familienbande« betrachtet und ausgelegt wird.
- 4.
Schlechte Wohnverhältnisse und mangelhafte Arbeit seitens des Staatsapparates zur Beseitigung bestehender Härtefälle oder Nichteinhaltung gegebener Versprechungen in dieser Frage.
- 5.
Verärgerung durch herzloses und sektiererisches Verhalten von Mitarbeitern des Staatsapparates und der Betriebsleitungen gegenüber der Bevölkerung, Angehörigen der Intelligenz und Arbeitern. (siehe dazu 4 b: Falsches, die Republikflucht begünstigendes Verhalten)
- 6.
Angst vor Bestrafungen; Erwägungen, durch die Flucht zerrütteten Familienverhältnissen aus dem Wege zu gehen.
Außerdem ergaben zahlreiche Hinweise und Untersuchungen bei den als Schwerpunkte anzusehenden Berufs- und Personengruppen noch folgende Anlässe und Besonderheiten:
Lehrer und Erzieher:
Untersuchungen in den Bezirken Halle und Erfurt ergaben, dass entgegen den Weisungen der Partei immer noch Diskrepanzen zwischen der beruflichen Tätigkeit und den gesellschaftlichen Anforderungen bei den Lehrern bestehen und das gleichfalls noch verbreitet anzutreffende Nichtbeachten der persönlichen Belange der Lehrer durch die Schulfunktionäre zu Konflikten und bei anhaltender Dauer schließlich zu Republikfluchten führt. In einigen Berichten wird außerdem auf Diskussionen unter den Lehrern aufmerksam gemacht, in denen – wie z. B. an der II. Oberschule in Eisleben/Halle – Forderungen nach besserer Entlohnung, besserer ärztlicher Betreuung, nach mehr Ferienschecks und Urlaub, mehr Wohnraum sowie Gleichstellung mit der medizinischen Intelligenz erhoben werden.
Ärzte und Zahnärzte:
Bei den Nachforschungen über die Ursachen erfolgter Republikfluchten von Ärzten der Reichsbahnpoliklinik Halle machten Ärzte darauf aufmerksam, dass für die erfolgten Fluchten folgende Gründe mit ausschlaggebend gewesen seien:
- 1.
Wenn in einer Poliklinik der DDR von 20 vorhandenen Planstellen nur 10 besetzt werden können, dann würden auch nur diese 10 Planstellen bezahlt. In Westdeutschland dagegen würden die 10 vorhandenen Ärzte die Bezahlung für die 20 geplanten Stellen erhalten.
- 2.
Die lange Wartezeit bei hochwertigen Gütern wie Pkw, Fernsehapparate usw.
- 3.
Das Passgesetz, das den Arzt »daran hindern« würde, wenn er alle Verwandten in Westdeutschland habe, diese öfter zu besuchen, obwohl er finanziell dazu in der Lage wäre.
- 4.
Die Befürchtung, ähnlich wie in der ČSSR und SU, später niedriger bezahlt zu werden.
Angehörige der technischen Intelligenz:
Untersuchungen in der Filmfabrik Wolfen/Bitterfeld/Halle – einem Schwerpunkt der Republikflucht von Angehörigen der technischen Intelligenz – erbrachten, dass diese Kreise durch folgende Gründe mit zur Flucht bewogen wurden:
- –
Die unzureichende Erläuterung ihrer Perspektiven und die damit verbundene ungenügende Erteilung von Forschungs- und Entwicklungsaufgaben,
- –
die bestehende tarifliche Begrenzung in der Entlohnung, die es in Westdeutschland selbst bei den dort besseren Löhnen nicht gäbe,
- –
der in Westdeutschland bestehende Bedarf an Leitungskräften,
- –
der materielle Vorteil bei gleicher oder höherer Entlohnung in Westdeutschland vor allem bei der Anschaffung hochwertiger Güter wie Pkw, Waschmaschinen u. a.,
- –
die teilweise unzureichende Versorgungslage in der DDR und die daraus resultierende Beeinflussung zur Flucht durch ihre Ehefrauen.
Angehörige des Mittelstandes:
Im Bezirk Erfurt ergaben die Untersuchungen über die Gründe der Republikflucht mehrerer Bäckermeister, dass diese den Mangel an Arbeitskräften, Lehrlingen und Gesellen zum Anlass nahmen, die DDR illegal zu verlassen.
Mitglieder der LPG:
Der überwiegende Teil von Republikfluchten aus den LPG erfolgt aus dem Kreis der Mitglieder der Feldbaubrigaden. Wie Ermittlungen im Bezirk Rostock ergaben, sind die Ursachen dafür der wesentlich geringere Verdienst gegenüber den Viehzuchtbrigaden, die Verletzung der innergenossenschaftlichen Demokratie sowie die Nichtberücksichtigung der Vorschläge der Mitglieder aus den Feldbaubrigaden durch die Vorstände, wenn es über die Entlohnung zu Auseinandersetzungen kommt. Die Mitglieder dieser Brigaden, darunter vielfach junge Kräfte, sehen deshalb keine Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung und eines höheren Verdienstes und nehmen dies zum Anlass der Republikflucht.
b) Falsches, die Republikflucht begünstigendes Verhalten
Die Bekämpfung der Republikflucht wird weiterhin dadurch behindert oder führt dadurch noch nicht zu den möglichen Erfolgen, dass die Organe des Staatsapparates, die Parteien und Massenorganisationen ungenügend die Erscheinungen beseitigen, die die Republikflucht begünstigen. Zu den wesentlichsten Problemen zählen dabei weiterhin bürokratische und administrative Arbeitsweise, ungenügender Kontakt zur Bevölkerung, Nichtbeachten von Kritiken und Vorschlägen und diktatorisches und herzloses Verhalten. In einer Reihe von Fällen konnten aus diesen Gründen geplante Republikfluchten durch klärendes Eingreifen der Organe des MfS verhindert werden.
Weit größer ist jedoch die Zahl der Beispiele, wo diese Erscheinungen Anlass zur Republikflucht wurden. Dazu folgende typische, den vorliegenden Materialien entnommene Beispiele:
Im Februar 1961 wurde bekannt, dass der Goldschmiedemeister Buchholz aus Eberswalde, einer der besten Fachkräfte auf diesem Gebiet in der DDR, Fluchtvorbereitungen trifft. Nach Absprache mit dem Rat des Kreises sollte ein verantwortlicher Mitarbeiter mit dem B. eine Aussprache führen, um die Republikflucht zu verhindern. Der Abteilungsleiter Handel und Versorgung, Gesch, beauftragte jedoch den Sachbearbeiter [Name 1], der zwar mit B. sprach, aber nicht über die Anlässe seiner Fluchtvorbereitungen, sondern über den Abschluss eines Kommissionsvertrages. Dadurch wurde für B. der Zweck der Aussprache nicht ersichtlich und entstand noch mehr Verwirrung. B. bat in der Aussprache um Aufklärung über die Kündigung seines Messestandes und die seit November 1960 nicht mehr erfolgte Belieferung mit Gold und Silber, wozu [Name 1] jedoch nicht in der Lage war. Auch danach wurde diese Aussprache von keinem verantwortlichen Mitarbeiter des Rates des Kreises wiederholt, sodass Buchholz illegal die DDR verließ.
Aus Berlin-Rahnsdorf wurde der Orthopäde Wirsch aus Verärgerung über die Arbeitsweise des Rates des Stadtbezirkes Köpenick flüchtig. Wirsch, der u. a. auch orthopädische Artikel für den Export produzierte, hatte um die Genehmigung zur Erweiterung seiner Betriebsräume ersucht. Daraufhin wurden ihm die Räume der ehemaligen orthopädischen Werkstatt Schoepa in Berlin-Friedrichshagen zugewiesen. W. war damit einverstanden und hat diese Räume für 4 000 DM renovieren lassen. Als dies erfolgt war, erhoben die Mieter Einspruch, und es wurde eine Aussprache einberufen, an der auch Stadtbezirksrat Schmitz (NDPD) sowie der Verantwortliche der Kommunalen Wohnungsverwaltung, Caspar, teilnahmen. Beide stimmten den Argumenten der Mieter zu, sodass auch W. schließlich davon Abstand nahm, seine Werkstatt dort einzurichten. Da ihm die investierten 4 000 DM nicht zurückerstattet wurden und er auch keine Unterstützung zur Erweiterung seiner alten Werkstatträume erhielt, verließ der die DDR.
In Letschin/Seelow/Frankfurt/O. bemühten sich die Gärtner [Name 2] und [Name 3] mit zwei weiteren Gärtnern seit 1960 um die Bildung einer GPG. Bereits im Frühjahr 1960 wandten sich diese Gärtner deshalb an den Rat des Kreises und beantragten gleichzeitig zur Entlastung der einzelnen Betriebe die Errichtung eines zentralen Verkaufsstandes in Letschin. Als die Registrierung der GPG durch den Rat des Kreises Seelow im März 1961 immer noch nicht erfolgt war und die Errichtung des Verkaufsstandes abgelehnt wurde, verließen die Gärtner [Name 2] und [Name 3] die DDR.
Im Metallwerk Oranienburg/Potsdam musste für das Planjahr 1961 eine Arbeitskräftereduzierung vorgenommen werden. Diese Gelegenheit benutzte der Kaderleiter, um zwölf Betriebsarbeiter, die einer hohen Lohngruppe angehören, zur kurzfristigen Entlassung vorzuschlagen. Damit wollte der Kaderleiter zur Einhaltung des Lohnfonds beitragen. Die Durchführung dieser Maßnahme konnte verhindert werden, der Kaderleiter wurde abgelöst.
Aus dem Funkwerk Kölleda/Erfurt wurde der Redakteur der Betriebszeitung flüchtig. Er hatte in der Betriebszeitung die Werkleitung kritisiert, was dazu führte, dass ihn die Teilnahme an einem Meisterlehrgang verweigert wurde. Dadurch sah er keine Entwicklungsmöglichkeit mehr für sich.
Der Lehrer [Name 4] von der 13. Oberschule in Leipzig wurde im November 1960 versetzt, obwohl er mit seiner Versetzung nicht einverstanden war. Die Aussprache über die Versetzung führte der Stadtbezirksschulrat Steinl im Beisein des Direktors der Oberschule. Dabei wurde dem [Name 4] durch Steinl sinngemäß erklärt: »Wenn Sie nicht selbst ja sagen, werden Sie ohne ihre Zustimmung vom Rat der Stadt versetzt, aber es ist besser, wenn man es nicht auf dem Verwaltungswege macht«. [Name 4] fühlte sich dadurch unter Druck gesetzt und verließ Anfang 1961 die DDR.
Eine Familie aus Emleben/Gotha wollte in Gotha ein Wohnhaus kaufen. Obwohl alle Vorbereitungen dazu abgeschlossen waren, wurde durch den Stadtrat Krämer der Umzug nach Gotha nicht genehmigt. Daraufhin verließ diese Familie illegal die DDR. Bei einer danach erfolgten Rücksprache erklärte Krämer: »Ein Glück, dass diese Familie weg ist, da habe ich weniger Arbeit.«
Der Arzt Dr. [Name 5] aus dem Städtischen Krankenhaus Berlin-Pankow bewohnte mit seiner Familie schon längere Zeit ein Leerzimmer. Obwohl seit 1956 ein Wohnungsantrag von ihm bei der Abteilung Wohnungswesen beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-Pankow vorlag, wurde dieser Antrag bisher nicht berücksichtigt. Dr. [Name 5] wurde daraufhin republikflüchtig.
Von der Außenstelle der Akademie der Wissenschaften in Dresden wurde der Dipl.-Ing. [Name 6] republikflüchtig, da sein Antrag auf eine bessere Wohnung fünf Jahre unberücksichtigt blieb.
Ein Ingenieur aus Brand-Erbisdorf/Karl-Marx-Stadt bemühte sich schon seit acht Jahren um eine Wohnung. Bei seinen Vorsprachen beim Bürgermeister erhielt er nie eine befriedigende Auskunft, oder er wurde gänzlich abgewiesen. Daraufhin wandte er sich an den Rat des Bezirkes, von dem die Anweisung an den Rat des Kreises erging, dieses Problem zu klären. Da der Bürgermeister die Sachlage jedoch falsch darstellte, erhielt der Ingenieur wiederum keine Wohnung, sodass er beabsichtigte, die DDR zu verlassen. Durch klärendes Eingreifen des MfS konnte die Republikflucht verhindert werden.
Die Köchin [Name 7] aus Bad Salzungen lebte mit ihrem Sohn in schlechten Wohnverhältnissen. Beide hatten für eine Neubauwohnung bereits 800 Aufbaustunden geleistet. Als ihnen auf eine Anfrage geantwortet wurde, dass sie erst 1964 eine Neubauwohnung bekämen, wurden sie aus Verärgerung darüber republikflüchtig.
Weitere Beispiele, in denen herzloses Verhalten bei dringlichen Wohnungsersuchen oder schleppende Bearbeitung von entsprechenden Anträgen als Anlass zur Republikflucht ermittelt wurden, liegen in einer größeren Anzahl vor.
5. Feindzentralen und Organisationen, die sich mit Abwerbung befassen und Methoden der Abwerbung
Auf die aktive Abwerbetätigkeit der westlichen Geheimdienste, ihrer Zweig- und Tarnorganisationen und auf ihre Methoden wurde bereits im Abschnitt 2 dieses Berichtes im Zusammenhang mit den Beispielen inhaftierter Abwerber hingewiesen.
Ein weiteres Beispiel der Abwerbung – offensichtlich durch den amerikanischen Geheimdienst – ist die Republikflucht des wissenschaftlichen Mitarbeiters des Mineralogischen Instituts Jena, [Name 8]. [Name 8] hat während seiner Dienstreise in Westdeutschland das Angebot erhalten und auch angenommen, dort seinen Doktortitel zu machen und anschließend nach Kalifornien zu gehen, um dort in einem Institut zu arbeiten.
Im Zusammenhang mit der Gleichschaltung der in den westdeutschen Ländern bestehenden sog. Anerkennungsausschüsse ist die VOS4 in Zusammenarbeit mit dem »Verband der Ostzonenflüchtlinge«5 bestrebt, mindestens zwei Mitglieder in diese Ausschüsse zu entsenden. Nach der vorliegenden Information erhalten Republikflüchtige, die wegen Vergehen gegen die DDR verurteilt waren, ab 3. Haftjahr eine zusätzliche Summe von 250 Mark für jedes Vierteljahr Haftzeit.
Zur Erleichterung der Republikflucht wurden in Westdeutschland und Westberlin eine Reihe sog. Beratungs- und Auskunftsstellen für Republikflüchtige geschaffen. U. a. wurden in den Hinweisen genannt die »Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlingsärzte« in Berlin-Charlottenburg, Wilmersdorferstr. 94, das »Haus der Einheit und Freiheit« in Bonn, der »Reichsverband des CVJM« in Kassel mit sog. Betreuungsstellen in Westberlin, Uelzen und Gießen. (Seine »Flüchtlingsbetreuung« wird vom Lemmer-Ministerium6 finanziert.)
Zuverlässig wurde bekannt, dass sich die Bonner Regierung damit beschäftigen würde, zur Forcierung von Republikfluchten von Mitarbeitern aus dem Staatsapparat der DDR bestimmte Vergünstigungen zu gewähren. Ihr Bemühen gehe dahin, eine Regelung zu treffen, nach der republikflüchtige Mitarbeiter des Staatsapparates den 131ern7 gleichgestellt werden und eine entsprechende Bezahlung nach ihrer in der DDR ausgeübten Tätigkeit unter Anrechnung des Dienstalters usw. erhalten sollen, ohne sie jedoch in entsprechende Stellungen in Westdeutschland einzubauen.
Der »Bundesstudentenring« vermittelt republikflüchtige Studenten an Hochschulen Westdeutschlands und setzt sich für ihre Zulassung und die Auszahlung eines Stipendiums in Höhe von 250 DM ein.
Während der »Grünen Woche« 1961 in Westberlin versuchte in der Halle X am Stand des DGB, Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft, eine Person, die sich mit »Boss« ansprechen ließ, Besuchern aus der DDR die Arbeit in der westdeutschen Forstwirtschaft sehr schmackhaft zu machen, ohne dabei direkte Arbeitsangebote zu unterbreiten.
Durch ein Westberliner Arbeitsamt wurde eine Beschäftigte des VEB Starkstrom-Anlagenbau Berlin als Maschinenbuchhalterin mit einem Monatsgehalt von DM-West 355 an eine Firma in Düsseldorf/Rhein vermittelt. Die Flugkarte stellte ihr diese Firma unter der Bedingung zur Verfügung, dass sie mindestens zwei Jahre in diesem Betrieb arbeitet. Bei der Ankunft auf dem Flughafen Düsseldorf-Lohausen wurde sie von einem Vertreter des Werkes abgeholt und in ein Hotel gebracht. Als Vorschuss erhielt sie 150 DM-West, die sie durch Überstunden tilgen kann.
Ende Januar 1961 fand in München eine Besprechung der Berufsberatung München mit den Vorständen der Betreuungsstellen für republikflüchtige Jugendliche, dem Vorsitzenden der Münchner Jugendberater an den Berufsschulen, Berufsschuldirektor Hörmann, dem Leiter des Berufsförderungsdienstes für republikflüchtige Jugendliche, Dr. Lerum, dem Direktor des Arbeitsamtes München und dem Leiter der Arbeitsvermittlung, Dr. Krasny, statt. Hauptthema dieser Besprechung war eine Koordinierung der Arbeit aller Jugendinstitutionen bei der Betreuung republikflüchtiger Jugendlicher. Dabei kam vor allem das Bemühen der katholischen Trägerschaft zum Ausdruck, die gesamte Betreuung in ihre Hände zu bekommen. Nach gegenseitigen Vorwürfen über unzureichende Zusammenarbeit wurde u. a. die Forderung erhoben, die »Freizügigkeit« der Firmen, »Jugendliche in Berlin-Lichterfelde oder direkt in der SBZ« anzuwerben, dadurch aufzuheben, wenn sie sich schon SBZ-Arbeitskräfte holen, dass dann »alle Betriebe verpflichtet werden, diese den Arbeitsämtern zumindest zu melden, damit auch die Betreuer sich der Jugendlichen annehmen können«. Eine Betreuerin äußerte daraufhin, dass sich ein so straffes Verfahren niemals durchführen lasse, da z. B. einige Firmenvertreter direkte Werber in der DDR hätten und deswegen die Firmen auch jeden Namen von Abgeworbenen geheimhalten würden. Ihr sei z. B. bekannt, dass die Firma Optische Werke G. Rodenstock, München 5, Isartalstr. 39–43, durch einen Werber in der DDR zu Weihnachten vier Mädchen abgeworben habe. Weiterhin schilderte sie Beispiele, wie diese Firmen ihre Versprechen nicht einhalten, auf Jugendliche Druck auszuüben, um sie an eine Rückkehr in die DDR zu hindern und dadurch dazu beitragen, vor allem jugendliche Mädchen den Freudenhäusern zuzutreiben. Weitere Firmen, die ebenfalls Abwerbungen in der DDR betreiben und in dieser Beratung genannt wurden, sind die BMW-Werke München und die Firma Krauss-Maffei, Lokomotiv- und Fahrzeugbau, München-Allach, Krauss-Maffei-Str. 2. Dieses Eingeständnis einer organisierten Abwerbung wurde durch den geistlichen Rat Bleyer mit den Worten abgebrochen, dass man zusammengekommen sei, um Maßnahmen zu beraten, wie die Jugendlichen zu betreuen sind und nicht darüber zu sprechen, wie sie nach Westdeutschland kommen.
Als sogenannte Betreuungsstellen für republikflüchtige Jugendliche sind in Bayern folgende Einrichtungen tätig:
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Jugendgemeinschaftswerk St. Stephan, München 22, Christoph-Str. 12, Tel.: 22 18 65, Träger: Verein für innere Mission, Landesverband Bayern,
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Jugendgemeinschaftswerk München 8, Gravelottestr. 8 , Tel.: 44 11 62, Träger: Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband München-Stadt,
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Jugendsozialwerk Stadtbetreuungsstelle München 13, Adalbertstr. 94/IV, Tel. 37 38 51 mit Wohnheimen für republikflüchtige Jugendliche in München 23, Kefestr. 24, Träger: Intern. Bund für Sozialarbeit, Jugendspezialwerk,
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Evangelisches SBZ-Gilden Zentrum, München 12, Golliesstr. 75, Eingang Astallerstr., Träger: Verein für Innere Mission,
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Arbeitsgemeinschaft für Studenten und Abiturienten aus Mitteldeutschland, München 22, Christophstr. 12, Rückgebäude 1. Stock, Träger: Katholische und Evangelische Studentengemeinschaft,
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Jugendgemeinschaftswerk, München 13, Schellingstr. 47–49, Träger: Katholischer Mädchen-Schutz-Verein München,
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Jugendgemeinschaftswerk, München 9, Pilgerheimerstr. 11 und Jugendgemeinschaftswerk München-Land, Gut Mittenheim bei München-Schleißheim, Träger: Katholischer Männerfürsorgeverein, München 9, Maria-Hilfs-Platz,
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Jugendgemeinschaftswerk für Ostzonenjugend und Spätaussiedler des Lehrlingsschutzvereins München, Morrassistr. 10–14, Träger: Verein für Lehrlingsschutz München.
Um eine einheitliche »Betreuung« des verhältnismäßig starken Zustroms jugendlicher Flüchtlinge durch die Betriebe und Industrieverbände ist auch die »Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände« schon längere Zeit bemüht. Wie erst jetzt bekannt wurde, bildet die Grundlage dazu eine im Jahre 1956 vom »Ausschuss für Nachwuchs und sozialpolitische Jugendarbeit« herausgegebene zehn Punkte umfassende »Empfehlung«. Der Inhalt dieser »Empfehlung« ist darauf gerichtet, durch eine Reihe von Maßnahmen und Vergünstigungen die Jugendlichen zur Bejahung der in Westdeutschland herrschenden demokratischen und sozialen Gesellschaftsordnung zu bringen und sie dadurch von einer Rückkehr in die DDR abzuhalten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sehen u. a. vor: Hilfeleistung bei der Beschaffung von Zimmern, bei der Lehrausbildung oder Umschulung, Einbeziehung in die Selbst- und Mitverwaltung vor allem in betriebseigenen Wohninternaten, Teilnahme an Bildungsseminaren usw.
Im Berichtszeitraum wurden außerdem eine Vielzahl von Einzelbeispielen bekannt, die von den angewandten Methoden her die einheitlich forcierte Abwerbung von Arbeitskräften aus der DDR durch die Konzerne und Wirtschaftsunternehmen beweisen.
Die zur Störung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in der DDR geführte Kampagne wird gegenwärtig noch durch die in Westdeutschland herrschende Hochkonjunktur erheblich begünstigt und erleichtert. Besonders aktiv traten dabei bereits in Westdeutschland existierende Gegenwerke bzw. neu im Aufbau befindliche Unternehmen aus der DDR geflüchteter Fabrikanten sowie in diesen Unternehmen und bei Konzernen tätige Republikflüchtige in Erscheinung.
So wurde z. B. bekannt, dass das Gegenwerk Zeiss in Oberkochen gegenwärtig umfangreiche Vorbereitungen für die Durchführung des sog. Verteidigungs-Geräte-Programms trifft, das durch »Beschaffung von Arbeitskräften aus dem VEB Zeiss Jena sowie durch die Freistellung aus anderen Fertigungszweigen« verwirklicht werden soll. Nach Verlautbarungen aus Kreisen der Fa. Zeiss Oberkochen kämen »bald von Jena eine Anzahl dringend gebrauchter Arbeitskräfte«.
Der in der Deutschen Export- und Importgesellschaft Feinmechanik/Optik in Jena beschäftigte Kaufmann [Name 9] erhielt aus Westdeutschland einen anonym gehaltenen Brief, in dem sich eine der »Frankfurter Zeitung« entnommene Annonce folgenden Inhalts befand: »Bilanzsicherer Kaufmann für späteren Auslandseinsatz gesucht. Zeiss Oberkochen«.
Aus dem VEB Zeiss Jena, Zubringerbetriebsleitung/Halle I, wurden im I. Quartal 1961 drei Fräser republikflüchtig. Wie die Ermittlungen ergaben, wurden diese Personen durch den republikflüchtigen Fräser [Name 10] abgeworben, der briefliche Verbindungen unterhielt und einen seiner Briefe auch einen Lohnstreifen von sich beigelegt hatte, aus dem ersichtlich war, dass er in Westdeutschland ein Einkommen von monatlich 700 DM hat.
Im Bezirk Dresden erwies sich in der Berichtszeit der Kreis Sebnitz als Schwerpunkt der Republikflucht. Wie die Ermittlungen über die Ursachen ergaben, baut ein Teil der republikflüchtig gewordenen Kunstblumenfabrikanten in Westdeutschland neue Betriebe auf und wirbt dafür ehemalige Betriebsangehörige aus Sebnitz ab.
Der ehemalige Betriebsleiter der Glasbejouterie Zittau leitet in Westdeutschland einen gleichgelagerten Betrieb und wirbt dafür Fachkräfte aus dem Zittauer Betrieb ab.
Der republikflüchtige Fabrikant [Name 11] hat unter gleichem Namen in Reseroth/WD einen neuen Betrieb aufgebaut. Durch die dort beschäftigten Republikflüchtigen lässt er Fachkräfte in der DDR brieflich abwerben. In diesen Briefen wird der im Lager Berlin-Marienfelde, Haus 2, beschäftigte [Name 12] als Verbindungsmann und Vermittler angegeben.
Im Bezirk Rostock wurde ein Kellner in Fahndung gestellt, der ihm bekannte Arbeiter der Volkswerft Stralsund für die Werft Blohm & Voss in Hamburg abzuwerben versuchte.
Die Firma Rosenthal-Kondensatoren in Selb/Bayern beschäftigt den aus den Keramischen Werken Hermsdorf/Gera geflüchteten Ingenieur [Name 13]. [Name 13] warb während der Osterfeiertage einen Arbeiter aus den Keramischen Werken Hermsdorf, der mit einer Fußballmannschaft der BSG Motor in Selb weilte, ab, indem er seinen Lebensstandard in Westdeutschland verherrlichte und zum »Beweis« einen Volkswagen vorführte.
Die Asta-Werke AG, Chemische Fabrik, Brackwede, Westfalen, stellen mit Vorliebe Facharbeiter aus der DDR ein, wobei sie besonderen Wert auf Arbeits- und Fachkräfte legen, die beim VEB Jenapharm beschäftigt sind oder waren. Der Anteil der ausgebildeten Chemiefacharbeiter aus der DDR zu den westdeutschen Facharbeitern beträgt in einigen Abteilungen dieses Werkes über 50 %.
Die Ausnutzung der Leipziger Frühjahrsmesse 1961 für die Vorbereitung bzw. direkte Organisierung von Abwerbungen beweisen folgende bekanntgewordene Beispiele:
Der Dipl.-Physiker [Name 14] vom Institut für angewandte Radioaktivität der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Leipzig wurde am Stand der Firma Sunvia Regler GmbH/Solingen-Wald von einem Mitarbeiter der Firma angesprochen und aufgefordert, nach Westdeutschland überzusiedeln. Es wurde ihm ein Monatsgehalt von 1 400 DM angeboten.
Am 6.3.1961 erschien der Leiter der Forschungsabteilung der Chemischen Fabrik Preuss & Temler, Berlin-Tempelhof, am Stand des Leipziger Arzneimittelwerkes und übergab ein Repräsentationsgeschenk seiner Firma. In der Unterhaltung betonte er die guten Arbeitsbedingungen in der westdeutschen pharmazeutischen Industrie als wissenschaftlicher Vertreter. Er bemerkte, dass diese 900 bis 1 000 DM verdienen und darüber hinaus einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt bekommen.
Am gleichen Tage wurden vom Standpersonal des VEB Berlin-Chemie Gespräche darüber geführt, dass ein wissenschaftlicher Vertreter der westdeutschen pharmazeutischen Industrie 900 bis 1 000 DM verdiene. Es ist anzunehmen, dass auch dieser Stand von Vertretern Westberliner bzw. westdeutscher Unternehmen aufgesucht wurde.
Das Zweigbüro Wiesbaden der Firma Dorr GmbH/New York ist daran interessiert, Ingenieure aus dem VEB Maschinen- und Apparatebau Staßfurt abzuwerben. Bereits während der ACHEMA-Tagung brachten Mitarbeiter dieses Büros zum Ausdruck, dass sie die Leipziger Messe besuchen werden.
Der Vertreter der Firma de Limon Plamo, Dr. [Name 15]/Düsseldorf brachte in einem Gespräch am Stand des VEB Sprio-Werke/Holzhausen zum Ausdruck, dass seine Firma großen Bedarf an Fachkräften und Ingenieuren für den Außendienst habe. Das Monatsgehalt betrage 1 500 DM. Zwei ehemalige Angehörige der Spiro-Werke befinden sich bereits in Düsseldorf.
Der Vertreter der Demag/Düsseldorf, [Name 16], äußerte gegenüber dem Kaufmännischen Direktor der Volkswerft Stralsund, Grollmuts, dass er, wenn er nach Westdeutschland komme, innerhalb von 24 Stunden eine angemessene Beschäftigung erhalte.
Der Betriebselektromonteur [Name 17] vom VEB Kombinat »Otto Grotewohl«, Böhlen, hat von seinem Schwiegervater, der zum Standpersonal der westdeutschen Firma Voigt & Haeffner, Frankfurt/M. gehört, ein Angebot erhalten, in Westdeutschland zu arbeiten. Es wurden ihm eine gute Stellung und günstige Verdienstmöglichkeiten in Aussicht gestellt. [Name 17] hat daraufhin den Oberenergetiker [Name 18], Kombinat »Otto Grotewohl«, in dessen Arbeitszimmer aufgesucht und angedeutet, dass in Westdeutschland auch Ingenieure gebraucht würden.
Der westdeutsche Bürger [Name 19] aus Hannover, tätig in der Statistischen Abteilung des Innenministeriums, Dienststelle Hannover, suchte einen Arzt in Leipzig auf, der ihm von früher bekannt ist. Im Gespräch lobte er die Lebensverhältnisse in Westdeutschland und versuchte zu erfahren, wie der Arzt zu einer evtl. Republikflucht stehe. [Name 19] soll darüber hinaus Verbindungen nach Wernigerode und Altenburg unterhalten.
Der Vertreter der Firma Wulff/Kopenhagen, [Name 20], machte dem stellvertretenden Generaldirektor Wegwert von Polygraph-Export das Angebot, falls er einmal die Absicht habe, sich zu verändern, in seiner Firma zu arbeiten.
Der ehemalige Fuhrunternehmer [Name 21] aus Zwenkau kommt alljährlich zur Frühjahrsmesse nach Leipzig und sucht aus diesem Anlass Zwenkau auf, wo er vermutlich unter Geschäftsleuten Abwerbungen vorbereitet. [Name 21] wurde 1951 republikflüchtig und ist jetzt Inhaber eines Hotels in Langen/Hessen. Es ist bekannt, dass bei [Name 21] in Westdeutschland ein Treffen republikflüchtiger Zwenkauer Geschäftsleute stattfand.
Dem Dipl.-Ing. [Name 22] von der Technischen Hochschule Dresden und dem Technischen Zeichner [Name 23], VEB Gaswerk »Max Reimann«/Leipzig, wurden am Stand der italienischen Firma Terni-Stahlwerke/Genua Angebote gemacht, bei dieser italienischen Firma zu arbeiten. Der Direktor Torella erklärte sich bereit, vor der Arbeitsaufnahme der genannten Personen ihnen Urlaubsplätze zu besorgen, die vom Betrieb bezahlt würden. Außerdem würde der Betrieb für die weitere Ausbildung sorgen.
In welchem Umfange die Republikflüchtigen die Abwerbung von Arbeitskräften unterstützen und fördern, beweisen nachstehende typische Auszüge aus einer Vielzahl beschlagnahmter Briefe von Personen, die daraufhin bereits republikflüchtig geworden sind:
»Lieber Jürgen! … Mir geht es hier sehr gut. Ich habe am 1.3. angefangen bei Siemens & Halske als Monteur zu arbeiten. Anfangsstundenlohn ist 2,49 WM. Später, in der 5. Woche, 2,59 WM. Auslösung erhält man 14,00 WM pro Tag, aber im Moment fahre ich noch nicht auf Montage, vielleicht später, wenn ich ein bisschen Anfangskapital habe. Übrigens, falls Du einmal in Verlegenheit bist, Elektriker werden hier jede Menge gesucht, wie überhaupt Facharbeiter in allen Berufen …«
»Lieber Bodo! Es ist eigentlich sehr schade, dass Du so eisern zur Republik hältst. Wir könnten in unserer Abteilung noch ganz gut einen Mann unterbringen. Der würde auch dieselben Verdienstmöglichkeiten haben. Wir kommen nach einer gewissen Anlaufzeit auf 3,23 WM in der Stunde …«
Vom VEB Kraftverkehr Torgelow/Ueckermünde/Neubrandenburg wurden mehrere Kraftfahrer flüchtig, nachdem ein bereits früher geflüchteter Fahrer Ansichtskarten aus Frankreich und anderen Ländern an sie geschickt hatte, auf denen er sie als »internationaler Kraftfahrer« grüßte.
Der Abwerbung von Arbeitskräften sollten auch in der Mehrzahl die von Konzernen und Wirtschaftsunternehmen in Westdeutschland organisierten Tagungen, Kongresse u. dgl. dienen. In der Berichtszeit wurden z. B. von Bürgern der DDR PM 12 a zur Reise nach Westdeutschland beantragt, deren Ziel, wie aus den vorgelegten Einladungen ersichtlich war, folgende Tagungen, Kongresse u. dgl. sein sollten:
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Delegiertentag des Schaustellerverbandes vom 22. bis 25.1.1961 in Frankfurt/M.,
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Mitgliederversammlung der »Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kinderwagenhändler« am 15.1.1961 in Hannover,
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Tagung der »Landwirtschaftsgesellschaft« vom 15. bis 23.1.1961 in Wiesbaden,
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»Bundesgartenschau« vom 28.4. bis 15.10.1961 in Stuttgart,
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Delegiertentag des bayrischen Landes-Fachverbandes ambulanter Gewerbetreibender vom 20.1. bis 25.1.1961 in Hof,
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Deutsche Friseurmeisterschaften vom 7. bis 9.5.1961 in Hamburg,
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17. Kongress für Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik vom 19. bis 21.4.1961 in Hamburg.
Die lenkende und organisierende Einflussnahme Bonner Regierungskreise auf die Republikflucht äußerte sich auch wieder in der dazu von den Presse- und Rundfunkorganen geführten Kampagne. U. a. wurde diese Einflussnahme in einem Artikel des amerikanischen Journalisten George Bailey in der Zeitschrift »Reporter« vom 16.3.1961 eingestanden, den die »Welt« am 18.3.1961 unter der Überschrift »Die Wiedervereinigung findet täglich statt«8 nachdruckte. Bailey schreibt darin: »Immer dann, wenn der Flüchtlingsstrom etwas nachlässt, nimmt die offizielle Erklärung der Befriedigung einen besorgten Ton an. Und immer, wenn der Flüchtlingsstrom wächst, ist in der offiziellen Erklärung der Besorgnis eine Note der Befriedigung zu spüren.«
Dieses Bestreben, den Zustrom von Republikflüchtigen unter allen Umständen aufrechtzuerhalten und nach Möglichkeit noch zu verstärken, fand auch in den Presse- und Rundfunkveröffentlichungen des Gegners im I. Quartal 1961 wieder seinen Ausdruck.
Im Vordergrund stand dabei wieder die Verkündung von Bonner- und Westberliner Regierungsstellen beschlossener oder beabsichtigter angeblicher Vergünstigungen für republikflüchtige Personen, um einen erhöhten Anreiz zur Flucht zu bieten.
So gewährte z. B. der »Bundesvertriebenenminister« Dr. v. Merkatz am 19.1.1961 dem Sender »Freies Berlin« und am 24.1.1961 dem Sender Frankfurt/M. Interviews, in denen er erklärte, dass das »Ministerium für Vertriebene und Flüchtlinge« zzt. an einer Gesetzesvorlage arbeitet, nach der auch Republikflüchtige ohne C-Ausweis9 eine »Einrichtungsbeihilfe ähnlich der Hausratsentschädigung« erhalten sollen.
Am 24.3.1961 berichtet der Sender »Freies Berlin«, dass der Westberliner Senat »bereits einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern über die Gewährung dieser Beihilfen zugestimmt hat« und mit dem Erlass der »erforderlichen Verwaltungsvorschriften« noch im April gerechnet wird, »sodass voraussichtlich schon im Juni die Sozialämter in den Bezirken die ersten Anträge für die Gewährung der Beihilfen zur Beschaffung von Möbeln und sonstigem Hausrat entgegennehmen können.« Nach dieser Vereinbarung wird Westberlin »in diesem Jahr 8 % der Bundesmittel … das sind 1,4 Mio. Mark erhalten, wozu noch rund 480 000 Mark aus dem Berliner Etat kommen. In den nächsten Jahren werden in Berlin für diesen Zweck dann jedoch 10,7 Mio. Mark zur Verfügung stehen.« In dieser Sendung wurde nochmals betont, dass die Beihilfen ausschließlich für Republikflüchtige gedacht sind, »denen nur die Aufenthaltsgenehmigung für Westberlin oder das Bundesgebiet erteilt worden ist, die aber nicht den C-Ausweis für Flüchtlinge erhalten haben« und von denen diese Beihilfen »auf ausdrücklichen Wunsch Westberlins u. a. Bundesländer nicht zurückgezahlt werden müssen«. An Einzelheiten wird dann mitgeteilt, dass als »Richtzahlen bisher 400 Mark für Alleinstehende und 1 200 Mark für Ehepaare, sowie 150 Mark für jedes weitere Familienmitglied« zu zahlen beabsichtigt ist.
Die »Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn Frankfurt/M.« ließ am 19.1.1961 über den Sender »Freies Berlin« einen Hinweis verbreiten, in dem auch die Eisenbahner der DDR angesprochen wurden. Demnach wurden von der »Bundesbahn« die Bestimmungen des allgemeinen Dienstalters neu geregelt und als Dienstzeit auch »der Grundwehrdienst, der Arbeitsdienst und der Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg« angerechnet. Voraussetzung dafür sei, dass »sich der Betreffende innerhalb von vier Monaten nach Beendigung dieser Dienste nachweisbar ernsthaft um die Einstellung in den Eisenbahndienst beworben habe.« Als Eisenbahndienst gilt nach dieser Verfügung der Bundesbahn auch der Dienst bei der Deutschen Reichsbahn in der DDR.
Nach einer Meldung der »BZ« vom 14.3.196110 beabsichtigt der Westberliner Senat den Zuzug nach Westberlin für Bewohner der DDR und der Bundesrepublik von sofort an wesentlich zu erleichtern. Mit dieser Erleichterung sei beabsichtigt, der Westberliner Wirtschaft »mehr Arbeitskräfte« zu beschaffen.
Als neues Moment in den Presse- und Rundfunkberichten zum Zwecke der Organisierung der Republikflucht erwiesen sich in letzter Zeit auch eine Reihe Veröffentlichungen über Flüchtlingslager. Darin wurde, entgegen der bisherigen Praxis, mit den Flüchtlingen weniger über den Grund ihrer Flucht und über ihre Fluchtwege gesprochen, als vielmehr durch geschickte Befragung der Flüchtlinge und des Lagerpersonals versucht, das bestehende Lagerelend zu leugnen und die Lager als sozial gut eingerichtete Wohnkomplexe darzustellen.
So behauptete z. B. der Abteilungsleiter im Innenministerium von Baden-Württemberg, Dr. Manner, in einem Interview am 27.1.1961 mit dem Sender Stuttgart: »Im Allgemeinen haben wir die früheren Lager inzwischen ersetzt durch sog. Übergangswohnheime. Das sind normale Wohngebäude, in denen normal eingerichtete, normal ausgestattete Wohnungen bestehen, … wobei jede Familie ihre eigene Kochgelegenheit hat.«
Der Hessische Rundfunk berichtete am 12.3.1961 in einer Reportage über das Flüchtlingslager Gensrodt. In dieser Reportage wird nicht nur eine Schilderung des Wohnraumes gegeben, sondern betont hervorgehoben, dass das Lager einen Kindergarten besitzt, kulturell und sozial gut betreut wird, wobei besonders die Nähstube, die Spendenkammer und die Krankenstube sowie die wöchentlich zweimal stattfindende ärztliche Sprechstunde erwähnt werden. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass das Landesarbeitsamt unmittelbar im Lager bereits die Arbeitsvermittlung in die entsprechenden Arbeitsstellen vornimmt.
Offensichtlich ist mit dieser Propaganda beabsichtigt, den Veröffentlichungen der Presse-, Fernseh- und Rundfunkorgane der DDR entgegenzuwirken und Bürger der DDR zur Flucht zu verleiten, die bisher aus Furcht vor dem Lagerelend von einer Republikflucht Abstand nahmen.