Entwicklung und Lage in den VEG
27. April 1961
Bericht Nr. 214/61 über die Entwicklung und die Lage in den Volkseigenen Gütern (VEG)
[Für die] geplante Präsidiumssitzung [des Ministerrats]
Im vorstehenden Bericht wird zu einigen Problemen im Zusammenhang mit der staatlichen Leitungstätigkeit gegenüber den VEG, der innerbetrieblichen Leitung und der Kadersituation in den VEG sowie zu Ursachen der hohen außerplanmäßigen Verluste der VEG Stellung genommen, ohne jedoch mit diesen Hinweisen Anspruch auf allumfassende Einschätzung der Entwicklung und der Lage in den VEG zu erheben.
Nach uns vorliegenden Hinweisen ist bei der Einschätzung der gesamten Situation dabei unbedingt zu beachten, dass von März 1958 – dem Zeitpunkt der Auflösung der Hauptverwaltung VEG im Ministerium für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft (MfLEu.F) – bis zur Bildung der Abteilung VEG im Frühjahr 1959 die Anleitung der Unterabteilungen VEG bei den Räten der Bezirke nicht gewährleistet war.1
Auch gegenwärtig wird die operative Anleitungstätigkeit der Abteilung VEG des MfLEu.F als völlig unzureichend eingeschätzt. Die Leiter der Unterabteilungen VEG bei den Räten der Bezirke werden nur alle drei bis vier Monate zu Beratungen zusammengerufen, während eine direkte operative Anleitung der VEG angeblich wegen ungenügender Besetzung der Abteilung VEG des MfLEu.F fast völlig fehlt. Die Direktoren der zentralgeleiteten VEG werden zwar in gewissen Zeitabständen zur Berichterstattung zusammengerufen, wobei jedoch die damit verbundene Anleitung so eingeschätzt wird, dass es sich dabei um »Ratschläge vom grünen Tisch« aus handeln würde. Ähnlich wird auch die Anleitungstätigkeit der Vereinigung Volkseigener Güter (VVEG – Z) gegenüber den zentralgeleiteten VEG eingeschätzt.
Diese Lage wird u. a. auch noch dadurch charakterisiert, dass z. B. im MfLEu.F und bei den U-Abteilungen VEG der Räte der Bezirke bis 1960 keine Grundlagen zur Planung vorhanden waren, sondern erst mit der Planung 1961 geschaffen werden mussten.
Als ungünstig für die Entwicklung der VEG wird außerdem eingeschätzt, dass vom MfLEu.F keine Planzahlen für die VEG an die Bezirke gegeben wurden, sondern erst in Vorbereitung auf die zentrale VEG-Konferenz die Perspektive der VEG erarbeitet wird.
Aus den Bezirken wird berichtet, dass die Anleitung und Unterstützung der bezirks- und kreisgeleiteten VEG durch die Unterabteilungen VEG der Räte der Bezirke und Kreise ebenfalls unzureichend ist und nicht entscheidend dazu beiträgt, die VEG zu mustergültigen sozialistischen Großbetrieben der Landwirtschaft zu entwickeln.
Die von den entsprechenden Organen vorgetragene Begründung, die kadermäßige Zusammensetzung der Unterabteilungen VEG und die ständige oder durch Qualifizierungsmaßnahmen bedingte zeitweilige Unterbesetzung wären die Hauptursachen für diesen Zustand, sind nach vorliegenden Einschätzungen nur bedingt zutreffend.
Die wesentlichste Ursache der unzureichenden Anleitung und Unterstützung der VEG durch die Unterabteilungen VEG besteht vielmehr darin, dass sich bei den vorhandenen Kadern im Verlaufe ihrer meist langjährigen Tätigkeit ein ausgesprochen administrativer Arbeitsstil entwickelt hat.
Die VEG werden selbst in entscheidenden Fragen wie der Entwicklung ihrer Perspektive oder der Steigerung der Produktion durch schriftliche Weisungen mittels Fern- und Rundschreiben angeleitet. Dabei kommt es häufig zu Anordnungen, die aufgrund der betrieblichen Voraussetzungen irreal sind, oder aber die bereits vollzogene Spezialisierung der VEG bzw. die Standortbedingungen nicht berücksichtigen.
So wurde z. B. dem VEG Klötze die Auflage erteilt, 1961 4 500 dt Zuckerrüben zu produzieren, was einer Anbaufläche von 17 ha entspricht. Da die Böden des VEG Klötze nicht rübenfähig sind, ist dem Gut höchstens der Anbau von 8 ha möglich.
Das VEG Prillwitz/Dresden hatte für 1961 850 000 St. Eier geplant. Diese Zahl ist aufgrund der betrieblichen Voraussetzungen real. Vonseiten des Rates des Bezirkes wurde die Planmenge ohne Rücksprache mit der Leitung des VEG und ohne Überprüfung der betrieblichen Möglichkeiten administrativ durch schriftliche Weisung auf 1 250 000 St. Eier erhöht. Diese Veränderung erfolgte mit dem Hinweis, den Hühnerintensivstall schnellstens fertigzustellen. Dabei wurde jedoch nicht berücksichtigt, dass dieser Stall frühestens im Juni 1961 fertig werden wird und dann erst die erforderlichen Küken beschafft werden können, diese aber bis Ende 1961 nicht mehr legereif werden.
Dem VEG Canitz/Wurzen/Leipzig wurden noch keine Hinweise über die Spezialisierung gegeben. Auf der Grundlage der Planziffer für Schweinemast im Jahre 1961 wurden bereits 1960 zwei Schweinemastställe im Werte von 50 000 DM gebaut. Für 1962 ist jedoch keine Produktion von Schweinefleisch mehr vorgesehen, sodass die zwei Schweinemastställe als Läuferställe umgebaut werden müssten.
Die von den Unterabteilungen VEG organisierten Besprechungen, Aussprachen und dgl. mit den Leitungen der VEG werden nach vorliegenden Berichten unzureichend dazu genutzt, gute Erfahrungen in der Anwendung von Neuerermethoden sowie Beispiele guter Arbeitsorganisation wirtschaftlich arbeitender VEG auszuwerten, zu popularisieren und auf andere zum Teil noch mit hohen Verlusten arbeitende VEG zu übertragen. Diese Zusammenkünfte werden daher häufig so eingeschätzt, dass sie lediglich den Mitarbeitern der Räte der Bezirke dazu dienen, sich über den Stand der Arbeiten und über die Produktion der VEG einen groben Überblick zu verschaffen und den VEG Aufgaben aufzudiktieren. Letzteres trat vor allem bei der Plandiskussion für 1961 häufig in Erscheinung.
So hatte z. B. das VEG Walkendorf/Teterow/Neubrandenburg 1960 je dt produzierten Schweinefleisches 5,8 Getreideeinheiten verbraucht. Für 1961 hatte die Belegschaft beschlossen, nur 5,2 Getreideeinheiten je dt zu verbrauchen und diese Zahlen in den Plan aufzunehmen. Bei einer Aussprache über den Plan 1961 mit der Mitarbeiterin Behner von der Unterabteilung VEG des Rates des Bezirkes verlangte diese, 4,5 Getreideeinheiten je dt Schweinefleisch einzuplanen. In der darauf folgenden Auseinandersetzung beantwortete die Mitarbeiterin Behner Einwände des Schweinemeisters mit der Frage: »Seit wann haben Sie denn auch schon etwas zu sagen?« Der Schweinemeister brachte daraufhin zum Ausdruck: »Wenn so geplant wird, ist eine Beratung des Planes durch die Belegschaft nicht mehr notwendig.«
Auch in anderen Bezirken wurde gegenüber den VEG bei Aussprachen und Besprechungen ähnlich verfahren, sodass zahlreiche Direktoren nur noch von »Antanzen« oder vom »Befehlsempfang« sprechen. Diese Haltung hemmt auch jede eigene Initiative der VEG zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen.
Aus vorliegenden Einschätzungen geht hervor, dass die Mitarbeiter der Räte der Kreise gegenüber den Mitarbeitern der Räte der Bezirke zwar unmittelbar in den VEG tätig werden, ohne jedoch dabei die Lage der VEG konkret zu untersuchen und Hilfe bei der Überwindung vorhandener Schwierigkeiten zu leisten. Die Einsätze erfolgten daher häufig mit der Zielstellung, vorübergehend aufgetretene Schwierigkeiten im Marktaufkommen an landwirtschaftlichen Produkten oberflächlich zu überwinden oder Schwierigkeiten in LPG mithilfe der VEG zu lösen, wobei diese Hilfe fast ausschließlich auf Kosten der VEG erfolgt.
Zum Beispiel wurde vom Rat des Kreises Sternberg/Schwerin an das VEG Kulden die Forderung gestellt, 26 ha Wiesen der LPG Typ I2 in Zaschendorf zu überlassen, um die dort bestehenden Futterschwierigkeiten zu lösen. Obwohl das VEG Kulden ebenfalls Futterschwierigkeiten hatte, wurde diese Maßnahme vom Rat des Kreises durchgesetzt.
Vom VEG Blankenfelde/Berlin wurde am 20.3.1961 gefordert, 400 bis 500 Schweine zur Erfüllung des Marktaufkommens sofort zur Schlachtung zur Verfügung zu stellen. Das VEG verwahrte sich dagegen, dieser Forderung voll nachzukommen, da ca. 300 Schweine erst ein Gewicht von 75 kg hatten. Dem Gut wären dadurch für ca. 30 000 DM Marktproduktion verloren gegangen.
Derartige Beispiele könnten ebenfalls erweitert werden.
Im Zusammenhang mit der genannten Erscheinung, auftretende Schwierigkeiten auf Kosten der VEG zu lösen, wurden aus den Bezirken Dresden, Gera, Erfurt, Rostock und Frankfurt/O. Hinweise über negative Auswirkungen aufgrund der doppelten Unterstellung der bezirksgeleiteten VEG bekannt. Demnach verlangen die Räte der Kreise von den bezirksgeleiteten VEG zwar die Erfüllung der tierischen und pflanzlichen Produktion, zeigen aber andererseits wenig Interesse für die wirtschaftliche Weiterentwicklung und die Rentabilität dieser Güter, da für diese Fragen die Räte der Bezirke verantwortlich sind.
Das VEG Klingenberg/Freital/Dresden z. B. ist ein bezirksgeleiteter Betrieb. Mittel für Bauvorhaben, Treibstoffzuwendungen u. a. erhält das VEG jedoch vom Rat des Kreises. Aufgrund dieser doppelten Unterstellung entstanden dem VEG im 1. Quartal 1961 erneut Schwierigkeiten in der Treibstoffversorgung. Das VEG hatte für diesen Zeitraum 1 800 l Treibstoff geplant und vom Bezirk auch genehmigt gehalten, vom Rat des Kreises Freital jedoch nur 1 000 l bekommen.
Für das VEG Lüssow wurde durch den Rat des Bezirkes Rostock der Bau von acht Wohnungen genehmigt. Der Rat des Kreises Stralsund hat jedoch diese Wohnungen aus dem Plan gestrichen und keine Baukapazität dafür freigegeben. Dem VEG entstanden dadurch Schwierigkeiten in der Arbeitskräftebeschaffung, da Neueinstellungen wegen der fehlenden Wohnungen nicht erfolgen konnten.
Im Zusammenhang damit wird auch auf immer noch anzutreffende Tendenzen verwiesen, Investitionsmittel nicht auf der Grundlage konkreter Untersuchungen über die wirtschaftliche Notwendigkeit zu verteilen, sondern nach der Überredungskunst einzelner Direktoren.
So berichtete z. B. der Bezirk Frankfurt/O., dass dem VEG Wellmitz/Fürstenberg in den letzten beiden Jahren sämtliche Rinderstallungen neu gebaut und ein neues Wohnhaus mit acht Wohnungseinheiten errichtet wurden. Dem VEG Ziltendorf/Fürstenberg dagegen, das aufgrund seiner ungünstigen territorialen Lage viel dringender Wohnungen benötigt hätte, wurden 1960 und auch 1961 die Investitionsmittel dafür gestrichen. Das trifft auch für Investmittel zur Schaffung entsprechender Unterstellungsmöglichkeiten für Maschinen und Geräte zu, da diese – mit Ausnahme der Traktoren – alle im Freien stehen.
Nach den vorliegenden Materialien aller Bezirke bestehen auch in der innerbetrieblichen Leitung der VEG gegenwärtig noch ernsthafte Mängel und Schwächen, die sich hemmend auf eine schnelle Entwicklung der VEG zu mustergültigen sozialistischen Großbetrieben und die Erreichung der Rentabilität auswirken.
Besonders hemmend wirkt sich in einer Vielzahl VEG die noch nicht überwundene Landarbeiter-Ideologie aus, die einer kollektiven Lösung der Aufgaben in den VEG entgegensteht. Die Arbeit mit den Menschen wird daher noch weitgehend unterschätzt, und die Beschäftigten werden zu wenig zur Lösung bestimmter ökonomischer Aufgaben konsultiert und herangezogen.
Diese Lage findet ihren unmittelbaren Ausdruck vor allem darin, dass
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bei einer großen Anzahl von VEG keine kollektive Leitung besteht, sondern ehemalige Inspektoren junkerlicher Güter, Großbauern, Zuwanderer aus Westdeutschland u. a. Personen als Direktoren tätig sind, die ohne engere Verbindung zu den Beschäftigten deshalb häufig mit den Mitteln des Druckes oder der Intrige gegenüber anderen leitenden Kadern ihre Interessen durchzusetzen versuchen,
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neben der unzureichenden Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der leitenden Kader, vor allem die fachliche Qualifikation der mittleren Kader noch nicht den Anforderungen gerecht wird,
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Kritiken und Vorschläge der Beschäftigten vielfach noch missachtet und nicht zum Anlass zur Beseitigung vorhandener Unzulänglichkeiten und Missstände genommen werden,
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die Beschäftigten der VEG nur ungenügend in die Beratungen über die Planung und Erfüllung der Marktproduktion einbezogen werden und die Produktionsberatungen vorwiegend formalen Charakter tragen.
Da die führende Rolle der Parteiorganisationen in den VEG kaum wirksam wird, werden fast keine politischen Auseinandersetzungen um den Plan, um die Bildung sozialistischer Brigaden und um die Erziehung der Beschäftigten in den VEG geführt. Außerdem ist auch die Entwicklung der Kritik und Selbstkritik noch sehr zurückgeblieben, und es werden Missstände und Mängel in der Arbeit der Leitungen oft mit objektiven Schwierigkeiten begründet und dadurch vertuscht.
Zur Veranschaulichung der Auswirkungen dieser Mängel und Schwächen in der Leitungstätigkeit und der politisch-erzieherischen Arbeit wird aus einer größeren Anzahl vorliegender Beispiele auf die Entwicklung des VEG Klein-Krauscha/Niesky/Dresden verwiesen.
Dieses VEG zählt schon seit seinem Bestehen zu den schlechtesten des Bezirkes Dresden. In den letzten zehn Jahren waren dort bereits sieben Betriebsleiter tätig. Trotzdem die Überplanverluste dieses VEG in dieser Zeit wesentlich gesenkt werden konnten, betrugen sie im Jahre 1960 immer noch 95,6 TDM. Die Ursachen für diese Situation liegen vor allem in ungenügenden politischen Auseinandersetzungen unter den Beschäftigten des VEG. Der hauptamtliche Parteisekretär besitzt nicht das notwendige Vertrauen der Belegschaft, da er als Mitglied der Betriebsleitung Kritiken an der Betriebsleitung unterdrückt oder abschwächt. Obwohl regelmäßige Leitungsbesprechungen durchgeführt werden, steht dabei zu wenig die Steigerung der Marktproduktion im Vordergrund. Auch bei Produktionsberatungen gibt es keine Zielstrebigkeit, und die Beschäftigten des VEG werden nur ungenügend in die Beratung und die Erfüllung der Aufgaben einbezogen. Außerdem bestehen innerhalb der Leitung persönliche Differenzen und Intrigen.
Aus einer Reihe von Untersuchungsvorgängen ist ersichtlich, dass feindliche Elemente diese Schwächen in der Leitungstätigkeit der VEG für ihre Schädlingstätigkeit auszunutzen versuchen. Im Vordergrund der gegnerischen Störungen stehen vor allem die Desorganisierung der Arbeit entsprechend den Arbeits- und Betriebsordnungen und Maßnahmen gegen die tierische und pflanzliche Produktion. Von den festgenommenen Personen wurde u. a. versucht, ein Zustandekommen kollektiver Leitungen zu verhindern, Leitungssitzungen nur unregelmäßig und unsystematisch durchzuführen und eine konkrete Aufgabenerteilung und Festlegung der Verantwortung zu unterbinden. Im Ergebnis dieser feindlichen Tätigkeit sind in einzelnen VEG hohe Verluste in der tierischen und pflanzlichen Produktion eingetreten, was dazu führte, dass die staatlichen Planaufgaben nicht erfüllt werden konnten und staatliche Stützungsgelder in erhöhtem Umfange in Anspruch genommen werden mussten.
Erhebliche Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Produktionsaufgaben entstehen den VEG auch durch den Abgang von Arbeitskräften. Den VEG fehlten 1960 ca. 6 500 Arbeitskräfte zum Arbeitskräfteplan. Effektiv waren in den VEG durch Republikfluchten und durch Abwanderungen in andere Industriezweige oder in LPG ca. 1 000 Arbeitskräfte weniger vorhanden als 1959. Dabei wird jedoch in Einschätzungen darauf hingewiesen, dass die Mechanisierung mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten hat.
Nach vorliegenden Hinweisen handelt es sich bei den Abwanderungen aus den VEG vorwiegend um junge Arbeitskräfte. Als Ursachen treten vor allem unzureichende soziale und kulturelle Betreuung, Wohnraummangel sowie die gegenwärtige Entlohnung der Beschäftigten der VEG gegenüber anderen vergleichbaren oder industriellen Wirtschaftszweigen in Erscheinung.
Der Wohnraummangel erschwert zunehmend den Leitungen der VEG in allen Bezirken die Gewinnung ausgebildeter leitender Kader, qualifizierter Fachkräfte oder anderer Arbeitskräfte und ihre Bindung an die VEG. Da diesen Kräften keine Wohnungen zur Verfügung gestellt werden können, kommen vor allem in der Viehwirtschaft immer mehr unqualifizierte Kräfte zum Einsatz. Auf das Fehlen von Arbeitskräften bzw. den Einsatz von unqualifizierten Kräften ist auch weitgehend das Ansteigen von Überstunden bei den Produktionsarbeitern der VEG zurückzuführen. Damit im Zusammenhang ist auch der geplante Durchschnittslohn weit überschritten worden. Nach Schätzungen verantwortlicher Mitarbeiter des Sektors VEG wurden 1960 je Produktionsarbeiter 190 Überstunden geleistet, was mit dazu führte, dass der Durchschnittslohn je Produktionsarbeiter auf ca. 4 300 DM anstieg. Allein im Bezirk Neubrandenburg leisteten die Produktionsarbeiter in den VEG 1960 insgesamt 1 569 000 Überstunden.
Der Wohnraummangel ist nach vorliegenden Berichten vor allem dadurch entstanden, dass den VEG die für Wohnungsbauten vorgesehenen Investmittel durch die Räte der Kreise gestrichen wurden und andererseits aus den VEG ausgeschiedene Arbeitskräfte bzw. durch die Gemeinde und Stadträte eingewiesene Betriebsfremde die Werkwohnungen der VEG blockieren. Allein im Bezirk Neubrandenburg waren 1960 von den 3 000 Werkwohnungen der VEG noch etwa 25 % durch Betriebsfremde belegt. Ähnlich ist es in anderen Bezirken. Bisher war es aber nicht möglich, diesen Personen andere Wohnungen zuzuweisen.
Wie sich dieses Problem in den VEG auswirkt, zeigt folgendes typisches Beispiel: Dem VEG Gamisch-Röhrsdorf/Pirna/Dresden fehlen Arbeitskräfte. Es würden jedoch sofort mehrere Landarbeiterfamilien dort Arbeit aufnehmen, wenn sie Wohnung bekommen könnten. Zzt. werden jedoch 20 betriebseigene Wohnräume mit 321 qm von acht Familien blockiert, die früher im VEG Gamisch-Röhrsdorf tätig waren, später aber in die Industrie abwanderten. Dabei ist es so, dass dem VEG nicht nur dieser Wohnraum verloren geht, sondern diese ehemaligen Landarbeiter aufgrund ihres jetzigen höheren Verdienstes auch noch ständig die Beschäftigten des Gutes beeinflussen und Lohndiskussionen hervorrufen.
Nach unseren Feststellungen nehmen gegenwärtig die Lohndiskussionen in allen VEG bereits wieder einen breiten Umfang an. Wie bereits angeführt, ist die Entlohnung mit ein wesentlicher Anlass für die zunehmende Abwanderung der Arbeitskräfte in andere Industriezweige. Verantwortliche Mitarbeiter aus VEG vertreten dazu die Meinung, dass sich zwischen dem Durchschnittslohn der VEG und dem Durchschnittslohn anderer vergleichbarer Wirtschaftszweige ein Widerspruch entwickelt hat. Nach derartigen Berechnungen waren die Durchschnittslöhne der Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe 1960 um ca. 400 DM und die Durchschnittslöhne der MTS sogar um 1 400 DM höher als in den VEG. Als noch krasser wird das Verhältnis zu industriellen Wirtschaftszweigen eingeschätzt, wo ungelernte Kräfte bis zu 500 DM im Monat verdienen, während die im Feldbau der VEG tätigen Landarbeiter im Monat höchstens 250 bis 300 DM Verdienst haben.
Allein im Bezirk Magdeburg wanderten deshalb 1960 insgesamt 364 Beschäftigte aus den VEG in LPG oder Industriezweige ab, um sich lohnmäßig zu verbessern. In den Kreisen Jena, Eisenberg und Pößneck/Gera sind wegen Lohnfragen 1960 etwa 28 % der Arbeitskräfte der VEG ausgeschieden.
Diese Abwanderung vorwiegend jüngerer Arbeitskräfte macht sich für die VEG besonders nachteilig bemerkbar, da sich in den VEG zum großen Teil bereits eine erhebliche Überalterung der Beschäftigten abzeichnet.
In letzter Zeit wurden auch auf zentralen Tagungen und Konferenzen wiederholt die Lohnfragen durch die Direktoren der VEG angesprochen. Während der von der VVB Saatgut Ende Januar 1961 in Kühlungsborn durchgeführten Schulung der Direktoren der VEG wurde z. B. der Mitarbeiter des Zentralvorstandes der Industriegewerkschaft Land und Forst, Münnich, von den Direktoren befragt, wie sie angesichts der immer größer werdenden Fluktuation die Arbeitskräfte in den Gütern halten sollen. Von Münnich wurde den Direktoren daraufhin vorgeschlagen, die Löhne mithilfe des Leistungslohnes zu erhöhen. Alle anwesenden Direktoren waren sich darüber einig, dass dieser Vorschlag nur zu verwirklichen ist, wenn die bestehenden Normen gesenkt werden, um dadurch eine höhere Normerfüllung zu erreichen. Derartige den sozialistischen Leistungsprinzipien widersprechenden Ansichten vertraten auch schon andere Mitarbeiter des Zentralvorstandes der IG Land und Forst auf zentralen Zusammenkünften der Direktoren der VEG.
Die bisher geschilderte Situation in den VEG hatte ebenfalls Auswirkungen auf die Rentabilität und die Erfüllung der Planaufgaben. Der Plan 1960 sah z. B. vor, dass 430 VEG = 66 % rentabel arbeiten sollten. Nach vorliegenden Hinweisen wurde diese Zahl nicht erreicht, obwohl gegenüber 1959 weitere Fortschritte in der Entwicklung der VEG zu rentabel arbeitenden Betrieben erzielt worden sind. Ähnlich verhält es sich nach diesen Informationen mit der Entwicklung der Selbstkosten, die zwar die geplante Höhe noch überschritten, trotzdem aber unter denen des Jahres 1959 blieben.
Die größten Ausfälle sind demnach in der Erfüllung der Planpositionen pflanzliche- und tierische Produktion aufgetreten. Bei der pflanzlichen Produktion verweisen Fachkräfte vor allem auf den hohen Ausfall von Grün- und Silomais und von anderen Futterpflanzen, was in den VEG zu einer erheblichen Einschränkung der Futterbasis führte. Da die Maiserträge außerdem unter den geplanten Erträgen blieben, besteht auch die Gefahr, dass das Vertrauen in diese Futterkultur beeinträchtigt wird.
Die Untererfüllung der tierischen Produktion ist vor allem auf die großen Tierverluste zurückzuführen, die nicht nur durch Seuchen, sondern besonders durch subjektive Handlungen in der Viehwirtschaft tätiger Personen entstanden.
Nach vorliegenden Hinweisen wurden außerdem zur Erfüllung der Marktproduktion erhebliche Eingriffe in die Tierbestände vorgenommen. Das ist auch mit eine wesentliche Ursache dafür, dass trotz erheblicher zusätzlicher Käufe die geplanten Jahresendbestände an Tieren nicht erreicht wurden.
Allgemein zeigen die Überprüfungen, dass die Rinderbestände zum Teil gesunken sind und die Milchleistung pro Kuh im Jahre 1960 zurückgegangen ist. Durch die Betriebsleitungen der VEG wurde wie in den Vorjahren auch 1960 der Bedeckung der Kühe und Färsen wenig Beachtung geschenkt. Die Zwischenkalbzeiten, die normalerweise 11 bis 12 Monate betragen sollen, liegen in vielen Betrieben noch zu hoch. Sie betrugen im Bezirk Neubrandenburg in den VEG Conow 435 Tage, Leppin und Laugenhagen 450, Alt-Gerz 486, Alt-Temmen 421, Friedenfelde und Eschenhörn 420 Tage. In diesen Gütern wurde die Trockenstellung der Kühle teilweise 100 bis 200 Tage vor dem Abkalben durchgeführt, obwohl dies normalerweise erst 40 bis 60 Tage vorher erfolgen soll.
Die wichtigsten Ursachen für die hohen Verluste in den VEG sind nach vorliegenden Informationen subjektiver Art, besonders die schlechte Leitungstätigkeit, die mangelnde Qualifikation vor allem der mittleren Kader und die Schlamperei und Misswirtschaft, die noch in zahlreichen VEG herrscht.
Auf folgende Erscheinungen wird dabei von allen Bezirken verwiesen:
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mangelhafte Pflege des Viehes und dadurch hervorgerufene oder begünstigte Fütterungs- und Haltungsfehler,
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unzureichende Bedeckung der Tierbestände, vor allem der Bestände an Kühen und Färsen,
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schlechte Lagerung, damit verbunden der Verderb von Futtermitteln und Saatgut und
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die Nichtauslastung der vorhandenen Technik.
Die in dem Bericht erwähnten objektiven Faktoren, die zu der Lage auf dem Sektor VEG führten, resultieren zum Teil ebenfalls aus Mängeln in der Leitungstätigkeit, besonders des Staatsapparates. Dies äußert sich z. B.
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in der Nichteinhaltung der Kaufverträge und der schlechten Zulieferung von Vieh durch die VEAB,
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in der völlig ungenügenden Bereitstellung von Baukapazitäten für die VEG zur Verbesserung unzureichender Stallverhältnisse und
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in der schleppenden Beseitigung festgestellter und dem Staatsapparat mitgeteilter Mängel und Missstände in den VEG.
So wurde z. B. der Rat des Bezirkes Gera im November 1960 aufgrund eingehender Untersuchungen des MfS darauf aufmerksam gemacht, dass im VEG Zöthen/Jena bei den meisten der dort vorhandenen Gebäude akute Brand- und Einsturzgefahr besteht und deshalb selbst die einfachsten Unfallschutzbestimmungen nicht eingehalten werden können.
Die Auswirkungen auf die Produktion zeigten sich u. a. darin, dass in vier Monaten von 338 Mastschweinen 286 Tiere verendeten bzw. notgeschlachtet werden mussten, da der Zustand des Stalles keinen Kälteschutz gewährleistet. Vom Rat des Bezirkes wurden jedoch noch keine entscheidenden Maßnahmen zur Veränderung eingeleitet.
Weitere Beispiele liegen vor.
Zur Veränderung der gegenwärtigen Situation in den VEG wurden dem MfS in entsprechenden Informationen eine Reihe von Vorschlägen gemacht, von denen die folgenden einer engeren Beratung und Untersuchung unterzogen werden sollten:
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Zur Gewährleistung einer entsprechenden Anleitung der zentral, bezirks- und kreisgeleiteten VEG wird vorgeschlagen, neben der VVB Saatzucht noch eine VVB Tierzucht zu bilden, der die entsprechende Anzahl VEG direkt unterstellt werden sollte. Die bezirks- und kreisgeleiteten VEG sollten den bei den Räten der Bezirke zu bildenden VVB unterstellt werden. Außerdem sollte nach diesen Vorstellungen im MfLEu.F ein stellv. Ministerbereich für Tierzucht, Saatzucht und VEG zur Koordinierung und Kontrolle sämtlicher die VEG betreffenden Maßnahmen geschaffen werden.
- 2.
Die in einigen Bezirken vorgenommene Zusammenlegung mehrerer Güter zu einem VEG sollte entsprechend den Hinweisen unter der Zielsetzung überprüft werden, ob sich diese Maßnahme als günstig erwiesen hat, oder ob eine erneute Trennung im Interesse der Rentabilität nicht doch vorteilhafter wäre.
- 3.
Schaffung von Möglichkeiten, den VEG mithilfe zentraler Organe die betriebseigenen aber durch betriebsfremde Personen belegten Wohnungen wieder zugänglich zu machen, um die Abwanderung vor allem von Fachkräften zu unterbinden.
- 4.
Weiterhin wird als notwendig erachtet, durch zentrale Organe das Lohnsystem der Beschäftigten der VEG besonders im Zusammenhang mit den Löhnen der Beschäftigten gleichgearteter Zweige zu überprüfen, um durch entsprechende Maßnahmen ein reales Verhältnis zu schaffen. Dabei sollte vor allem das System des materiellen Anreizes einer eingehenden Überprüfung unterzogen werden, wobei solche Möglichkeiten mit in Betracht gezogen werden sollten, die Entlohnung weitgehend nach dem erreichten Endprodukt in der Produktion vorzunehmen.
- 5.
Weiterhin wäre es zweckmäßig, die den VEG betreffenden Gesetze, Verordnungen usw. entsprechend den gegenwärtigen Bedingungen zu überprüfen. U. a. wird z. B. darauf verwiesen, dass die Direktive zum RKV 1955 in solchen Fragen wie Prämien, Lohn, Naturalversorgung usw. längst überholt wäre. Der FDGB z. B. erklärt schon seit vier Jahren, dass diese Direktive überarbeitet werden sollte, ohne dass dies jedoch bereits erfolgt wäre.