Ergebnisse der Telefon-Überwachung
19. August 1961
[Einzel-Information] Nr. 453/61 über erste Ergebnisse der Maßnahmen auf dem Gebiete des Fernsprech-Inlands- und -Auslands-Verkehrs
Im Inlandsverkehr waren neben den vorwiegend geschäftlichen und dienstlichen Verbindungen besonders die rein privaten Gespräche aufschlussreich.
Hauptsächlich bei den privaten Gesprächen würden auf die Maßnahmen in Berlin eingegangen, aber nicht in einem sehr großen Umfange. In den meisten Fällen wurden Erkundigungen bei in Berlin wohnhaften Personen, oft Familienangehörigen, eingezogen, wie die Situation in Berlin ist. Dabei wurde überwiegend positiv reagiert und erklärt, dass alles normal und kein Anlass für Beunruhigungen gegeben sei. Besonders zeigte sich das bei Gesprächen, an denen Angehörige der bewaffneten Kräfte beteiligt waren.
Nur vereinzelt wurde negativ oder pessimistisch reagiert und sinngemäß darauf hingewiesen, dass man abwarten müsste, dass die Lage ernst und besorgniserregend sei. Ebenfalls waren versteckte Andeutungen, die auf eine gewisse Panikstimmung schließen lassen, nur sehr vereinzelt.
Z. B. bat eine in Berlin beschäftigte Frau ihren bei der SED-Kreisleitung Oschersleben tätigen Ehemann, schnellstens die Kinder aus Berlin wegzuholen. Sie wäre gegenwärtig auf Anraten ihrer Kollegen zu Hause. Im Laufe des Gespräches teilte sie ihm noch mit, dass »in Klingenberg etwas gesprengt« worden wäre und deshalb ganz Berlin für einige Zeit ohne Strom war. Sie endete mit der Bemerkung, noch mehr erzählen zu können, wolle das aber am Telefon nicht tun.
Bei den dienstlich geführten Gesprächen, an denen Angehörige der bewaffneten Organe, besonders der VP, teilnahmen, konnte mehrmals festgestellt werden, dass nicht die notwendige Wachsamkeit geübt und Angaben übermittelt wurden, die Ansatzpunkte für den Gegner darstellen können. Z. B. wurden Tätigkeits- und Stimmungsberichte telefonisch über Amtsleitungen gegeben. In einem Falle erfolgte über die Amtsnummer 55 00 19 sogar ein Bericht über die Festnahme eines Angehörigen des Wachregiments mit internen Einzelheiten (genaue Personalien, Dienstausweis-Nr. usw.), der von einer Dienststelle der DGP an das Wachregiment des MfS gegeben wurde.
Nur vereinzelt ließen Gespräche den Verdacht aufkommen, dass es sich um Verbindungen feindlicher Personen bzw. um Treffvereinbarungen handelt. Diese Hinweise werden noch operativ überprüft.
Im Auslandsverkehr wurden überwiegend geschäftliche Gespräche geführt, in denen aber in vielen Fällen auf die Situation in Berlin eingegangen wurde und ausländische Geschäftsleute sich nach wirtschaftlichen Auswirkungen erkundigten und um Hinweise für ihr Verhalten ersuchten.
Die in diesem Zusammenhang erfolgenden Äußerungen Westberliner Bürger waren unterschiedlich. In vielen Fällen wiesen sie darauf hin, dass es Schwierigkeiten durch den Ausfall der ehemaligen Grenzgänger gibt. Von verschiedenen Westberliner Bürgern wurden stark übertriebene Schilderungen einer »brenzligen und gefahrvollen« Situation in Berlin gegeben. (Stacheldraht, Betonmauer, Panzer usw. waren dabei Gesprächsthema.)
Neben bewussten Überspitzungen entspringt dies zweifellos auch einer gewissen Unsicherheit und teilweisen Panikstimmung und musste von den Gesprächspartnern mit Sicherheit auch so aufgefasst werden.
Es wurden auch Andeutungen über ein Verlassen Westberlins gemacht und in zahlreichen anderen Auskünften wird auf »abwarten« (auch in geschäftlicher Hinsicht) orientiert. Nur wenige Bürger Westberlins erklären, dass sich die Lage beruhigt habe, z. B. ein Westberliner Geschäftsmann zu seinem Gesprächspartner: »Er nehme das Gerede von Brandt nicht ernst, und die Situation in Berlin habe sich beruhigt.«
Für die geschäftlichen Gespräche ist ferner typisch, dass im Zusammenhang mit den Maßnahmen in Berlin Anweisungen gegeben werden, im Falle neuer ähnlicher Ereignisse finanzielle und materielle Dinge so zu ordnen, dass kein Verlust eintritt.
Ein Westberliner Geschäftsmann wies beispielsweise seinen Schweizer Geschäftspartner an, sein Guthaben, »wenn es einmal brenzlig wird«, an die Dresdner Bank in Frankfurt/M. zu überweisen.
Während eines Geschäftsgespräches gab ein vermutlich geschäftlich in der Schweiz weilender Herr [Name 1] einem Herrn [Name 2] in Westberlin die Anweisung, sich um sein Haus zu kümmern. Auf die Frage, ob es richtig sei, eine italienische Delegation nach Berlin kommen zu lassen (es wurde befürchtet, dass alles »zugemacht«) wird, beschwichtigte [Name 2]: Es wäre alles nicht so schlimm, man solle sich nicht von irgendwelchen Latrinen aus den Hinterland verwirren lassen.
Ein Herr [Name 3] aus Kopenhagen fragte eine Teilnehmerin in Berlin (unbekannt, ob aus Westberlin oder dem demokratischen Berlin), ob es möglich sei, seine in Berlin bei einem Herrn [Name 4] deponierten 700 DM umzutauschen oder ob er selbst nach Berlin kommen muss, um sie zu verbrauchen. Er sei davon überzeugt, dass eine Geldumwertung kommt. Weil er nicht an eine Umtauschmöglichkeit glaubt, will er schnellstens nach Berlin kommen, um das Geld zu verwenden.
Aufschlussreich waren ferner folgende Gespräche:
Teilnehmer aus Österreich und der Schweiz brachten in einem Gespräch über Handelsbeziehungen zum Ausdruck, dass sie jetzt schon Handelsbeziehungen zu neutralen Staaten aufnehmen wollen, falls ein Krieg zwischen NATO und dem sozialistischen Lager ausbrechen sollte, um somit jeglichen Risiken aus dem Wege zu gehen.
In einem Gespräch über einen Geschäftsabschluss (Westberlin/Stockholm) wurde erwähnt, dass die Lieferungen von Schweden nach Westberlin eingeschränkt werden sollen. Eine andere Gesprächsteilnehmerin aus Stockholm sagte im Gespräch mit Westberlin, dass sie mehr Päckchen schicken würde, wenn sie wüsste, dass alles ankäme. Darauf wurde ihr entgegnet, dass der reibungslose Postverkehr garantiert ist und 100 %ig klappt.
Während eines Gesprächs eines Westberliner Professors [Name 5] mit einem Teilnehmer in Graz/Österreich vertrat [Name 5] die Meinung, dass in den westdeutschen Regierungskreisen eine allgemeine Hilflosigkeit und in der Westpresse große Aufregung herrsche. Der Grazer Gesprächsteilnehmer wies darauf hin, dass sich bei ihm alle fragen, ob es bald losgehe.
In Gesprächen von Teilnehmern aus Westberlin und Hannover sowie Westberlin und Kopenhagen wurde vereinbart, sich wie früher zur Leipziger Messe zu treffen, ohne die Ereignisse in Berlin zu berücksichtigen.
Rein private Gespräche waren nicht sehr häufig. Bei den privaten Gesprächen zwischen Berlin und Wien (Wien stellt die Vermittlung zwischen DDR und Westdeutschland dar) traten z. B. trotz regen Sprechverkehrs keinerlei negative Meinungen auf.
In einzelnen Fällen standen Gespräche im Zusammenhang mit Möglichkeiten der Republikflucht und Versuchen Westberliner Bürger dazu mit auszunutzen. [sic!]
In einem Gespräch zwischen Westberlin und Westdeutschland, vermutlich Hannover, erklärte eine am 15.8.1961 von der Ostsee kommend republikflüchtig gewordene Person, wie es ihr gelang, nach Westberlin zu kommen. Demnach sei sie im Bahnhof Friedrichstraße unkontrolliert in die S-Bahn Richtung Westen gestiegen. Ihre Koffer sind dabei in Friedrichstraße geblieben. Sie hätte lediglich einen Andrang ausgenutzt. Sie erklärte weiter, dass ihre Eltern noch zu lange zögerten. Berlin wäre aber die einzige Möglichkeit durchzukommen. Nach dieser Schilderung schaltete sich eine männliche Person beim westdeutschen Gesprächsteilnehmer ein und erklärte, dass ihre Eltern unbedingt morgen rüber kommen müssen. Er könne wahrscheinlich auch nicht mehr lange fahren.
Eine Westberliner Teilnehmerin beauftragt von einem Anschluss aus dem demokratischen Berlin ([sechs Ziffern]) aus ihren Vater in Zehdenick Nr. [drei Ziffern] auf diese Weise Verbindung zu ihr nach Westberlin zu halten und weiteren Personen diese Verbindung bekanntzugeben.
Die Republikflüchtige [Name 6] beauftragte aus der Schweiz den Westberliner [Name 7], zu einer Familie [Name 8] im demokratischern Berlin zu gehen, um sie zu veranlassen, die Wohnung der [Name 6] auszuräumen und andere Bekannte ebenfalls dazu aufzufordern.