Festnahme von Jugendlichen (staatskritische Tendenzen)
22. August 1961
Einzel-Information Nr. 472/61 über die staatsfeindliche Tätigkeit einer jugendlichen Gruppe in Strausberg, Bezirk Frankfurt/O.
Am 19.8.1961 wurden durch die Organe des MfS in Zusammenarbeit mit der Volkspolizei die in Strausberg wohnhaften Jugendlichen
- 1.
Resag, Gerd, 17 Jahre alt, Oberschüler, Vater: Dozent an der ABF Berlin,
- 2.
Riediger, Gerd-Peter, 18 Jahre alt, Malergehilfe, Vater: Hauptmann der NVA, zzt. Militärakademie Dresden,
- 3.
Lehmann, Karl-Heinz, 17 Jahre alt, Schlosser, Vater: Gleisbauarbeiter,
- 4.
Gartenschläger, Michael, 17 Jahre alt, Autoschlosserlehrling, Vater: selbstständiger Gastwirt,
wegen dringenden Verdachts einer staatsfeindlichen Tätigkeit festgenommen.1
Diese Gruppe war bereits im Dezember 1960 bekanntgeworden, weil sie Störaktionen anlässlich der Jahresabschlussfeier an der Oberschule Strausberg plante, die jedoch durch eingeleitete Absicherungsmaßnahmen im Wesentlichen verhindert werden konnten.
Diese Vorkommnisse wurden damals an der Oberschule ausgewertet. An diesen Störaktionen waren außer den bereits genannten Gartenschläger und Resag die Jugendlichen
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[Name 1] (Vater: Abteilungsleiter im Außenministerium),
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Höpfner (Vater: Offizier der NVA),
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[Name 2] (Vater: VP-Vertragsarzt)
beteiligt.
Zur damaligen Zeit wurde ermittelt, dass die genannten Jugendlichen einer Gruppe mit der Bezeichnung »Ted Herold Club« in Strausberg angehören, deren Leiter Gartenschläger ist. Dieser unterhielt umfangreiche Verbindungen brieflicher Art zu Clubmitgliedern in Westberlin und Westdeutschland sowie in der DDR. Weiterhin wurde festgestellt, dass die Jugendlichen nach den Vorkommnissen an der Oberschule Zusammenkünfte auf dem Laubengrundstück des Gartenschlägers durchführten, wo sie einen Schuppen als Bar eingerichtet hatten und den gemeinsamen Empfang von »heißer Musik« organisierten.
Durch die weitere Ermittlungstätigkeit wurde bekannt, dass die Gruppe eine aktive feindliche Tätigkeit gegen die DDR durchführt. Aufgrund dessen erfolgte am 19.8.1961 die Inhaftierung der vorgenannten Personen.
Wie die bisherigen Untersuchungen ergaben, bildete sich der »Ted Herold Club« in Strausberg nach dem Besuch einer Filmveranstaltung in Westberlin im März 1960 heraus, nachdem die Jugendlichen dort von der Existenz solcher Clubs in Westdeutschland und Westberlin erfahren hatten.
Das Ziel des Clubs bestand anfangs in der Verherrlichung westlicher »Stars« und Musik. Anfang des Jahres 1961 gingen die Clubmitglieder dazu über – angeblich angeregt durch den Fund von Hetzflugblättern – selbst aktiv feindlich tätig zu werden. Da ihnen die Herstellung von Flugblättern mittels eines eigenen Druckkastens zu langsam erschien, beschlossen sie auf Vorschlag von Resag, vom sog. Amerikahaus in Westberlin Flugblätter abzuholen und bei ihrem Aufenthalt in Westberlin eventuell mit einer Agentenzentrale in Verbindung zu treten. Zu diesem Zweck fuhren kurze Zeit später Resag und Riediger nach Westberlin. An der Fahrt nahm eine weitere Person teil, die noch ermittelt wird.
Da sie im »Amerikahaus« keine Flugblätter erhielten, wandten sie sich an einen Angehörigen der Stummpolizei2, der sie an eine Dienststelle in der Clayallee verwies, die jedoch noch nicht konkret bekannt ist und die sie angeblich nicht aufgesucht haben.
Einige Tage danach hat Resag wiederum – diesmal im Beisein des Gartenschläger – das »Amerikahaus« aufgesucht; nach seinen bisherigen Aussagen jedoch ebenfalls ohne Erfolg. Weitere Versuche sind angeblich nicht unternommen worden.
Am 15.8.1961 traf Resag mit Riediger zusammen, wobei sie festlegten, gegen die Schutzmaßnahmen der Regierung der DDR vom 13.8.1961 aufzutreten und zunächst Hetzlosungen zu malen. Gegen 20.30 Uhr malten sie mit Unterstützung des hinzugezogenen Lehmann mittels Farbe in der verkehrsreichen Kastanienallee in Strausberg an verschiedenen Stellen – u. a. an einem Fenster des Aufklärungslokals der Nationalen Front und einer Straßenbahnhaltestelle – vier Hetzlosungen. Diese Losungen hatten folgenden Wortlaut: »Macht das Tor auf«, »SED – Nee«, »Nazis und Kommunisten raus« und »Freie Wahlen«. Die Farbtöpfe und Pinsel haben sie danach weggeworfen. (Sie konnten sichergestellt werden.)
Bei einer Zusammenkunft am 16.8. zwischen Lehmann, Gartenschläger und Resag in der Wohnung des Resag, erklärte dieser, dass die angeschmierten Losungen nicht den erwarteten Erfolg gehabt hätten, weil sie sofort unkenntlich gemacht worden sind. Sie müssten deshalb dazu übergehen, ein »großes Ding« zu drehen.
Auf den Vorschlag hin, eine Scheune der LPG in Brand zu setzen, vereinbarten sie am gleichen Tage, zu diesem Zweck nach Wilkendorf, Kreis Strausberg zu fahren. Resag hat dort einen Onkel zu wohnen und wusste durch Besuche, dass auf den Feldern der LPG mehrere Scheunen stehen.
Verabredungsgemäß fuhren sie gegen 19.30 Uhr mit den Fahrrädern nach Wilkendorf. Dort versteckten sie ihre Fahrräder in einem etwas entfernt liegenden Wald. Da sie dort zunächst eine leere Scheune vorfanden, deren Inbrandsetzung ihren Ansichten nach sich nicht lohnte, suchten sie sich als Brandobjekt eine mit Erntegut gefüllte Scheune aus. Während Lehmann beauftragt wurde, die Sicherung zu übernehmen, begaben sich Resag und Gartenschläger in die Scheune und steckten sie mit den von Resag aus seiner elterlichen Wohnung mitgebrachten Kerzen in Brand. Der durch den Brand entstandene Schaden beträgt etwa 50 000 DM.
Anschließend fuhren sie nach Strausberg zurück, und als dort Alarm gegeben wurde, begaben sie sich zur Feuerwehr, um ein Alibi zu haben.
Alle Beschuldigten sagen übereinstimmend aus, dass sie mit dieser Brandlegung der DDR Schaden zufügen und darüber hinaus dem Westen zeigen wollten, dass es in der DDR auch Kräfte gibt, die mit den Schutzmaßnahmen nicht einverstanden sind.
Am 17.8. gab Resag die Anregung, einen Panzerspähwagen zu sprengen. Da ihnen die notwendigen Chemikalien zur Herstellung eines Sprengstoffes fehlten, wollten sie in die Berufsschule Strausberg einbrechen und dort die erforderlichen Chemikalien entwenden.
(Dazu ist es durch die Festnahme nicht mehr gekommen.)
Lehmann besaß bereits zwei Dynamit-Patronen, die er zu diesem Zweck dem Resag übergab. Resag hat unabhängig davon selbst Schwarzpulver hergestellt und damit Versuche gemacht. Bei der Hausdurchsuchung von Riediger wurden außerdem auch fünf Sprengkapseln vorgefunden.
Bereits am 14.6. hatte Resag den übrigen Beschuldigten den Vorschlag gemacht, dass sich die Gruppe Waffen beschaffen müsste. Zu diesem Zweck schlug er vor, eine sowjetische Streife zu überfallen, diese mit Sandsäcken niederzuschlagen und ihnen die Waffen abzunehmen.
Am 18.8. beschlossen die Beschuldigten erneut Hetzlosungen anzubringen, wobei sie ihr Vorhaben in zwei Gruppen verwirklichen wollten. Die eine Gruppe – bestehend aus Resag und Gartenschläger – hat an einem Aufklärungslokal der Nationalen Front die Losung »SED – nee«, an einer Straßenbahnhaltestelle »Heute rot – morgen tot« und auf einer Straße »SED – nee« angeschmiert.
Die zweite Gruppe – bestehend aus Riediger und Lehmann – sollte zur Armeesiedlung gehen und dort Hetzlosungen anbringen. Dazu sind sie jedoch nicht gekommen, weil der Verkehr zu stark war.
Durch die Untersuchungen wurde weiter bekannt, dass die Beschuldigten Resag, Gartenschläger und Lehmann beabsichtigten, am 1.9.1961 nach Westdeutschland zu flüchten. Auf dem Fluchtwege zur Staatsgrenze West planten sie, in Sachsen und Thüringen Scheunen und andere Objekte in Brand zu setzen, mit dem Ziel, die DDR zu schädigen und in Westdeutschland dadurch materielle Vorteile zu erhalten.
Vom MfS wurden die notwendigen Maßnahmen eingeleitet, um einen schnellen Abschluss der Untersuchungen zu gewährleisten und um die Gruppe schnell und wirkungsvoll aburteilen zu können.3
An der Aufklärung des Einflusses und Verhaltens der Eltern auf die genannten Jugendlichen wird ebenfalls gearbeitet.