Festnahme von Leipziger Kabarettisten
[ohne Datum]
Einzel-Information Nr. 709/61 über die Festnahme von sieben Mitgliedern des politisch-satirischen FDJ-Studenten-Kabaretts der Karl-Marx-Universität Leipzig »Rat der Spötter«
Durch das MfS wurden am 9.9.1961 die nachstehend genannten Mitglieder des Kabaretts »Rat der Spötter« wegen staatsgefährdender Hetze und Verleumdung festgenommen:
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Sodann, Peter, geboren 1.6.1936, Student an der Theaterhochschule Leipzig, Mitglied der SED und Leitungsmitglied der SED-Grundorganisation an der Theaterhochschule Leipzig,
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Benecke, Heinz-Martin, geboren 19.5.1938, Student für Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Mitglied der SED und Gruppenorganisator der Parteigruppe des Kabaretts,
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Albani, Manfred, geboren 19.10.1936, Student für Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig, parteilos,
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Seidel, Peter, geboren 10.10.1934, Student für Journalistik an der Karl-Marx-Universität, parteilos,
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Herschel, Rolf, geboren 26.7.1932, freischaffender Grafiker, parteilos
alle wohnhaft in Leipzig.
Am 12.9.1961 wurde der
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Röhl, Ernst, geboren 25.12.1937, Kulturredakteur der »Volksstimme« Magdeburg, Kandidat der SED
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und am 18.9.1961 Diesch, Karlheinz, geboren 13.7.1934, beschäftigungslos, parteilos, wohnhaft in Meerane
in diesem Zusammenhang festgenommen.1
Die Festgenommenen haben seit Frühjahr 1960 die Kabarettproben und private Zusammenkünfte zu staatsfeindlichen Diskussionen ausgenutzt und diese auch in die Seminare der einzelnen Fakultäten und Hochschulen getragen, wobei besonders Seidel führende Persönlichkeiten der DDR verleumdete.
Ihre Hauptmethode bestand in der Entfachung von »Fehlerdiskussionen«, mit denen sie nachzuweisen versuchten, dass die Politik von Partei und Regierung falsch sei.
Zur Rechtfertigung ihrer Hetze benutzten sie u. a. folgende hauptsächliche »Argumente«:
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Die in Dokumenten von Partei und Regierung enthaltenen Kritiken seien nicht die wahren Ursachen für »Mängel und Unzulänglichkeiten« in der DDR; diese würden von Partei und Regierung bewusst nicht aufgedeckt.
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Zu diesem Zweck wäre auch die persönliche Freiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Presse- und Informationsfreiheit in der DDR eingeschränkt, um die Aufdeckung der »Fehler von Partei und Regierung« zu verhindern.
In diesem Zusammenhang vertraten sie die Forderungen, sowohl in Presse, Funk und Versammlungen, als auch auf dem Gebiete der Kunst und Literatur, der Politik der Partei und Regierung der DDR teilweise und auch grundsätzlich entgegengesetzte Auffassungen zu popularisieren, mit der Absicht, eine umfassende »Fehlerdiskussion« zu entfachen.
Gleichfalls auf die Änderung der Politik von Partei und Regierung hinzielende Forderungen waren die von ihnen vertretenen »personellen Veränderungen« im ZK der SED, in der Regierung der DDR sowie in allen nachgeordneten Partei- und Staatsorganen, die erzwungen werden sollten.
Auf dieser feindlichen Grundlage wurde ständig gegen die führende Rolle der Partei, gegen die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft, gegen das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Intelligenz, gegen die Kultur- und Hochschulpolitik, gegen die Tätigkeit demokratischer Massenorganisationen und gegen Genossen Walter Ulbricht gehetzt. Die DDR wurde von ihnen als »totalitäres Regime« bezeichnet.
Auf dieser feindlichen Grundhaltung aufbauend, erarbeiteten sie seit Frühjahr 1961 ein Kabarettprogramm, um in teils versteckter aber auch sogar offener Form ihre feindlichen Ansichten und Forderungen bewusst auf die Zuschauer zu übertragen. Dieses Programm mit dem Titel »Wo der Hund begraben liegt« enthält eine Vielzahl direkter Angriffe gegen die Partei und Staatsführung und sogar direkte Anspielungen auf den Genossen Walter Ulbricht.
Das ganze Programm ist in seiner Wirksamkeit so aufgebaut, dass man sogar bei größter Nachsicht eindeutig Teile konterrevolutionärer Forderungen nicht übersehen kann.
Der feindliche Inhalt des Programms wird auch in einem Gutachten des Direktors der Theaterhochschule Leipzig, Prof. Dr. h.c. Kuckhoff, bestätigt2.
In ihrem Vorhaben zur Erarbeitung dieses feindlichen Kabarett-Programms wurden sie u. a. auch vom Parteisekretär des Leipziger Kabaretts »Pfeffermühle«, Külow3, durch seinen Hinweis »schärfer zu schießen«, durch Diskussionen mit westdeutschen Studenten während ihres Gastspiels an der Universität Marburg und durch ihre prowestliche Haltung bestärkt.
Ihr bewusstes Handeln wird ebenfalls durch die bereits seit Längerem angewandte Taktik bewiesen, in vorhergehenden Programmen in ganz offensichtlicher Form gegen die DDR gerichtete Szenen aufzunehmen (die dann gestrichen werden mussten), um damit von den versteckten feindlichen Andeutungen abzulenken. Bezeichnend ist ferner, dass bei allen Beschuldigten westliche Hetzschriften und Pressematerialien sichergestellt wurden.
Das von den Festgenommenen geplante Programm wurde von einer Abnahmekommission verworfen und gelangte nicht öffentlich zur Aufführung.