Grenzvorfälle an der Berliner Mauer (2)
30. Dezember 1961
Einzel-Information Nr. 807/61 über im Auftrage des amerikanischen Geheimdienstes durchgeführte und geplante Provokationen
Am 28.12.1961 wurden der [Name 1], geboren [Tag, Monat] 1944, wohnhaft: Berlin-Reinickendorf, [Straße, Nr.] und der [Name 2], geboren [Tag, Monat] 1943, wohnhaft: Berlin-Charlottenburg, [Straße, Nr.] festgenommen, weil sie aus einem von Schönholz in Richtung Charlottenburg fahrenden S-Bahnzug heraus auf dem Bahnhof Bornholmer Str. die Sicherungskräfte durch Herauswerfen eines Feuerlöschers provozierten.
Die sofort durch das MfS geführten Untersuchungen ergaben, dass [Name 1] durch Vermittlung seines Freundes [Name 3] mit dem Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes [Name 4] in Verbindung gebracht wurde.
[Name 4] machte [Name 1] mit einem weiteren Mitarbeiter in Berlin-Dahlem, Bötticher Str. bekannt, der ihn am 15.8.1961 zur Mitarbeit für den amerikanischen Geheimdienst verpflichtete.
Entsprechend dem Auftrag benannte er die ihm befreundeten Jugendlichen [Name 5] und [Name 6] beide in Westberlin wohnhaft, zur Mitarbeit, die auch Ende August vom amerikanischen Geheimdienst angeworben wurden.
[Name 5] und [Name 6] gehörten ebenso wie [Name 1] und der genannte [Name 3] einer Bande in Berlin-Reinickendorf an, die das Ziel verfolgte, Provokationen an der Staatsgrenze durchzuführen.
In der Folgezeit fanden wöchentlich freitags Zusammenkünfte der genannten in der Villa des amerikanischen Geheimdienstes (Berlin-Dahlem, Bötticher-Str.) statt, bei denen sie durch den Amerikaner darauf orientiert wurden, ständig Provokationen und Ausschreitungen an der Staatsgrenze Berlin zu organisieren. (Z. B. Steinwürfe gegen die Posten, Beschädigungen der Mauer usw.)
Außer diesen gemeinsamen Aufträgen erhielt [Name 1] auch individuelle Aufträge. Z. B. wurde er Ende August 1961 von dem Amerikaner [Name 4] beauftragt, einen an der Staatsgrenze der DDR stehenden Schreitbagger zu vernichten. Zu diesem Zweck erhielt er eine Aktentasche mit fünf Aluflaschen phosphorhaltigen Inhalts.
Ferner wurde [Name 1] für provokatorische Sendungen des Westfernsehens vorgesehen und am 25.9.1961 gemeinsam mit [Name 5] und [Name 6] bei provokatorischen Handlungen an der Staatsgrenze der DDR (Durchschneiden des Sicherungsdrahtes) von dem Westberliner Bildreporter G. Joachim Jung1, wohnhaft Berlin-Grunewald, [Straße, Nr.] zu Propagandazwecken fotografiert.
Jung lernte [Name 1] durch Vermittlung des amerikanischen Geheimdienstes kennen und hat bereits eine Anzahl derartiger Provokationen für die Westpresse fotografiert.
Die angeführten Verbrechen werden durch die Aussagen des festgenommenen [Name 2] bestätigt. [Name 2] ist ferner bekannt, dass [Name 1] an mehreren Grenzprovokationen in Berlin-Schönholz beteiligt war und mit anderen Jugendlichen die Sicherungsanlagen und Beleuchtungskörper zerstörte sowie die Sicherungskräfte mit Steinen bewarf. [Name 1] wird als Anführer einer Rowdygruppe bezeichnet, die sich aktiv an den Grenzprovokationen beteiligte.
Nach Aussagen des [Name 1] hat der amerikanische Geheimdienst auch angeworbene Jugendliche mit Schusswaffen ausgerüstet. Z. B. erhielt der genannte [Name 3] im August 1961 von [Name 4] eine Pistole 08, mit der er im September 1961 einen Offizier unserer Sicherungskräfte bedrohte. [Name 3] erklärte gegenüber [Name 1], dass der amerikanische Geheimdienst erforderlichenfalls weitere Waffen zur Verfügung stellen würde.
Durch die Aussagen des [Name 1] wird ferner bestätigt, dass die Grenzprovokationen im engen Zusammenwirken mit der Stupo erfolgen. Z. B. lernte [Name 1] etwa eine Woche nach seiner Anwerbung durch den amerikanischen Geheimdienst in der Dienststelle Berlin-Dahlem den Stupo-Angehörigen [Name 7] vom Revier 296 in Berlin-Reinickendorf, Residenzstraße 156, kennen. [Name 7] ist, nach der Aussage des [Name 1], in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Geheimdienst ebenfalls an der Organisierung von Provokationen an der Staatsgrenze der DDR beteiligt. Er erschien, wenn [Name 1] und die anderen genannten Personen an der Staatsgrenze provozierten, mehrfach zu sog. Inspektionen in dem betreffenden Grenzabschnitt.
Als Termin für weitere Grenzprovokationen wurde entsprechend einer Instruktion des Amerikaners [Name 4] Silvester 1961 festgelegt. Der bereits genannte [Name 3] teilte [Name 1] dazu mit, dass er von [Name 4] auch Geldmittel zum Ankauf von Unkrautex, Löschblättern und anderen Materialien erhalten hat. Aus diesen Materialien sollen Explosionskörper hergestellt werden und in der Silvesternacht im Grenzgebiet von Schönholz über die Sicherungsanlagen geworfen werden. Entsprechend dem Auftrag [Name 4] hat [Name 3] bereits derartige Explosionskörper hergestellt und ausprobiert, die eine »über Erwarten große Wirkung« gezeigt hätten.
Um die an der Staatsgrenze Berlin geplanten feindlichen Provokationen schnell und schon vorher zu entlarven, wurde [Name 1] in einer Fernsehsendung am 29.12.1961 in diesem Sinne auftreten gelassen. Heute werden beide Festgenommenen noch einmal im Fernsehen zu diesen Provokationen Stellung nehmen.
Eine weitere Auswertung ist vorerst nur über den Rundfunk möglich, weil am Sonntag keine Zeitungen erscheinen. Auch ein Protest durch das Auswärtige Amt kann aus technischen Gründen erst nach den Feiertagen erfolgen.
Weitere Maßnahmen sind eingeleitet worden. Das MfS befindet sich in Bereitschaft. Erhöhte Wachsamkeit an der Staatsgrenze Berlin und nach Westdeutschland ist angeordnet. Die Maßnahmen des MfS und der VP beschränken sich jedoch nicht nur auf die Abwehr der Provokationen von Westberlin aus, sondern wurden auch unter dem Aspekt eingeleitet, feindlichen Elementen den illegalen Übertritt nach Westberlin unter Ausnutzung von Silvester unmöglich zu machen. Außerdem wird auf evtl. die Silvesternacht zu Provokationen auf dem Gebiet der DDR ausnutzende Rowdys geachtet.
In Abwesenheit des Innenministers wurde sein Stellvertreter, Generalmajor Seifert, von den Provokationsabsichten in Kenntnis gesetzt. Genosse Hoffmann erhielt gleichfalls Mitteilung.
Von den Mitgliedern des Politbüros wurden die Genossen Kurella und Stoph verständigt.