Havarien im Pumpspeicherwerk Niederwartha
7. Dezember 1961
Einzel-Information Nr. 762/61 über einige Vorkommnisse im VEB Pumpspeicherwerk Niederwartha
Die vorliegenden Berichte über die Ursachen einiger Vorkommnisse im VEB Pumpspeicherwerk Niederwartha weisen übereinstimmend auf konstruktive Schwächen im Generatorenbau des VEB Sachsenwerk Niedersedlitz hin. Dabei ist jedoch festzustellen, dass trotz entsprechender Erkenntnisse von den verantwortlichen Funktionären noch keine Maßnahmen zur Überwindung dieser Mängel und damit auch zur Verhinderung weiterer Schäden eingeleitet wurden.
Am 13.1.1961 z. B. musste die Maschine 5 des Pumpspeicherwerkes Niederwartha wegen Generatorenbrandes außer Betrieb gesetzt werden. Der Schaden wurde auf 200 TDM geschätzt. Die Leistung der Maschine 5 (25 MW) fiel bis zum 21.3.1961 aus. Diese Maschine war seit Juli 1960 in Betrieb. Sie stellte eine Neuentwicklung des VEB Sachsenwerkes Niedersedlitz dar.
Eine Sachverständigenkommission unter Leitung des Prof. Dr. Kühn befasste sich mit den Ursachen der Havarie. Die Untersuchungen ergaben, dass vermutlich eine Schwächung der Isolation an der Überschlagstelle die Ursache des Brandes war. Später stellte sich jedoch heraus, dass die Auflösung eines Schlosses als Fehlerquelle anzusehen war. Dieser Fakt wurde jedoch nicht bis in alle Einzelheiten untersucht.
Zur Klärung des technischen Versagens dieser Konstruktionsart muss hinzugefügt werden, dass bei der kollidierten Maschine 5 sowie der Maschine 6 im Pumpspeicherwerk ursprünglich die Lötösen genietet waren. Bei der Neuentwicklung der Maschinen durch den VEB Sachsenwerk Niedersedlitz wurde die Nietung weggelassen und durch eine geschlossene Löthülse (Weichlot) ersetzt. Die Hersteller im Niedersachsenwerk waren der Meinung, dass diese konstruktive Lösung den technischen Anforderungen genüge, da auch die Generatoren 1 bis 4 die gleichen Weichlötverbindungen besitzen und bis dahin einwandfrei arbeiteten. Verschiedene Fachleute, vor allem in der VVB Verbundwirtschaft, zweifelten damals bereits die Haltbarkeit dieser Weichlötverbindungen an und setzten beim Hersteller durch, dass bei den neu herzustellenden Lötstellen Keile zur zusätzlichen Verspannung eingetrieben werden.
Trotz dieser Hinweise wurden nach der Havarie an der Maschine 5 für die in gleicher Konstruktion ausgeführten Maschinen 1 bis 4 und 6 keine Überprüfungs- und Vorbeugungsmaßnahmen eingeleitet, da vom VEB Sachsenwerk Niedersedlitz eine Unbedenklichkeitserklärung abgegeben worden war.
Auch aus der Feststellung der Expertenkommission, dass besondere Maßnahmen zur einwandfreien Schließung der Abluftjalousie eingeleitet werden müssten, weil durch diese Mängel die Ausweitung des Brandes wesentlich begünstigt wurde, sind keine Schlussfolgerungen gezogen worden.
Am 22.9.1961 wurde die Maschine 6 dann ebenfalls durch Generatorbrand außer Betrieb gesetzt. In diesem Fall wurde die Brandausdehnung durch das Versagen der automatischen Steuerung der CO2-Anlage begünstigt. Der Schaden wird mit 300 TDM angesetzt. Die Leistung der Maschine 6 (25 MW) wird voraussichtlich bis zum 15.12.1961 ausfallen. Die Brandursachen wurden von einer Expertenkommission unter Leitung des Genossen Ingenieur Loos ermittelt und ergaben beim Schadenfall der Maschine 6 gleiche Ursachen wie bei der Havarie der Maschine 5. Im Einzelnen ist ein Wicklungsschaden angegeben, der durch das Auflösen der Schlossverbindung vom Röbelstab zum Evolventenbügel eintrat.
Da die Generatoren 1 bis 4 mit gleichen Verbindungsarten bisher einwandfrei liefen, hat es auch bei diesem Vorkommnis die Expertenkommission unterlassen, die Ursache der Havarie an Maschine 6 einwandfrei als konstruktiven Mangel zu kennzeichnen. Dem VEB Sachsenwerk Niedersedlitz wurde dadurch die Möglichkeit gegeben, nur die alten Röbelstäbe aufzuarbeiten, um die evtl. vorhandenen versteckten Risse bzw. Mängel im Gefüge, die die Auflösung begünstigen, zu beseitigen. Eine grundlegende Beseitigung der Fehlerquelle wurde damit erneut umgangen.
Das Versagen der Automatik der CO2-Anlage ist auf Verschmutzung eines Steuerschützes zurückzuführen.
Im Zusammenhang mit diesen Schadenfällen muss darauf hingewiesen werden, dass diese und andere Vorkommnisse im VEB Pumpspeicherwerk Niederwartha durch eine Reihe von Missständen und Hemmnisse subjektiver Art begünstigt werden, deren Beseitigung besonders durch eine strengere Betriebsordnung und Verbesserung der betrieblichen Leitungstätigkeit erreicht werden müsste. Davon zeugt z. B. das wiederholte Versagen der Sicherheitseinrichtungen an Generatoren.
Zur Charakterisierung sei nur auf ein Vorkommnis am 7.10.1961 verwiesen, das in auffallender Form die Notwendigkeit einer strengeren Betriebskontrolle zeigt.
An diesem Tag kam es an der Maschine 3 durch Versagen der Ölpumpe zur Erhitzung eines Lagers und zum Ausfall dieser Maschine. Als wirkliche Ursache muss jedoch die Anwendung eines »Kunstkniffes« des verantwortlichen Maschinisten angesehen werden. Dieser hatte durch Ausschalten der Automatik und Herausnahme des Relais 18 H versucht, einen bestimmten Betriebszustand (Kühlwasserdruck der Ölpumpe) zu erreichen, um sich damit den Weg in den Keller zwecks Öffnen eines Schiebers zu ersparen. Dieses unerlaubte Schaltmanöver wird auch von anderen Maschinisten durchgeführt, ohne dass von den verschiedenen Aufsichtspersonen, die davon Kenntnis haben, dagegen eingeschritten wird.
Zur schnellsten Überwindung dieser und weiterer Mängel wäre es zweckmäßig, durch den Volkswirtschaftsrat eine Kontrolle über die Durchführung der von einer Brigade der VVB Verbundwirtschaft (Protokoll vom 23.10.1961) festgelegten Maßnahmen zu organisieren und evtl. noch weitergehende Veränderungen festzulegen.
In diesem Zusammenhang wird es als notwendig erachtet, durch die entsprechende Fachabteilung des Volkswirtschaftsrates auf den VEB Sachsenwerk Niedersedlitz Einfluss zu nehmen, um in Zukunft derartige technische Mängel weitgehend auszuschalten.
Gleichfalls sollte geprüft werden, ob nicht die Verantwortlichkeit der Sicherheitsinspektoren, besonders in den energieerzeugenden Betrieben, durch entsprechende Maßnahmen wesentlich erhöht werden könnte.