Havarien im VEB Erdöl und Erdgas Gommern
17. Juli 1961
Bericht Nr. 380/61 über das Auftreten von Havarien bei der Durchführung von Bohrarbeiten im VEB Erdöl und Erdgas Gommern
Im Verlauf des Jahres 1960 und in den Monaten Januar bis Mai 1961 ist bei der Durchführung von Bohrarbeiten im Verantwortungsbereich des VEB Erdöl und Erdgas Gommern ein ständiger Anstieg von Havarien feststellbar.
Die Untersuchungsergebnisse veranlassen das MfS zu einer Stellungnahme, da die überwiegende Zahl der registrierten Havarien auf Versagen der verantwortlichen Mitarbeiter im VEB Erdöl und Erdgas Gommern zurückzuführen ist.1
Im Jahre 1960 wurden insgesamt 249 Havarien mit 1 004 Ausfalltagen registriert. Das bedeutet im Verantwortungsbereich des Kombinates Gommern einen ganzjährigen Ausfall von fast drei Bohranlagen. Die vergleichbaren Zahlen für die Monate Januar bis Mai 1961 ergeben zum Vorjahr ein Ansteigen der Havarien (167 Havarien mit 358 Ausfalltagen), wobei die gegenwärtigen Verhältnisse auf den Bohranlagen erkennen lassen, dass sich diese Entwicklung noch weiter verschärfen kann.
Die hauptsächlichsten Arten von Havarien treten in Form von Festfahren des Gestänges, Gestängebruch und Schwerstangenbrüchen sowie in Brüchen der Werkzeuge auf.
Eine Vielzahl der aufgetretenen Havarien war vermeidbar, da in den meisten Fällen Verletzungen von technischen Sicherheitsbestimmungen, Fahrlässigkeit, Verantwortungslosigkeit und Nichtbeachtung gegebener Anweisungen als Ursachen anzusehen sind.
Zur Erläuterung werden folgende nähere Einzelheiten genannt:
Auf der Basisbohrung Reinkenhagen Z 2 Kreis Grimmen/Rostock erfolgte am 22.3.1961 ein Erdgasausbruch. Ein offener Ausbruch des Gases konnte durch schnelles Schließen des Ausbruchschiebers (Preventer) verhindert werden. Es bestand jedoch weiterhin die Gefahr des Erdgasausbruches, da der Lagerstättendruck über 350 atü betrug, die maximale Arbeitsbelastung des Preventers jedoch nur 280 atü betragen darf. Am 29.3. konnte eine Abdichtung im unteren Teil des Bohrloches erreicht werden. Größere Einheiten der Volkspolizei und Feuerwehr waren zur Bekämpfung des Gefahrenherdes eingesetzt. Neben dem ausgebrochenen Erdgas traten an der Ausbruchstelle auch Erdöl mit ca. 20 % Benzinanteilen auf. Im Fall einer Eruption bestand für den ca. 100 m von der Bohrstelle entfernten Ort Reinkenhagen größte Gefahr.
Als Ursache wurden die Verletzung der Sicherheitsvorschriften und die Nichtbeachtung gegebener Anweisungen durch den Oberbohrmeister [Name 1] und Bohrhauptingenieur [Name 2] ermittelt. Die Hinweise erfahrener sowjetischer Spezialisten wurden nicht beachtet. Zur schnellen Bekämpfung von Ausbrüchen müssen bestimmte Sicherheitsmengen an Schwerspat oder anderer Beschwerungsmittel für die Spülung vorhanden sein. Bereits Ende 1960 wiesen die Genossen Madwejew und Bauerschäfer darauf hin, dass für die Bohrstelle ein Mindestvorrat von 400 t Schwerspat vorhanden sein müsste. Zum Zeitpunkt des Ausbruches waren jedoch nur ca. 60 t Schwerspat auf der Baustelle.
Der sowjetische Hauptkonsultant im Kombinat, Genosse Iwanow, war kurze Zeit vor dem Ausbruch auf der Bohranlage und wies bei dieser Gelegenheit darauf hin, dass bei den erreichten Bohrtiefen mit »höffigen Horizonten« zu rechnen sei. Das Anbohren der höffigen Horizonte dürfe nicht ohne die erforderlichen Mengen Schwerspat und Reservespülung sowie der Totpumpleitung erfolgen.
Obwohl dieser Umstand auf der Bohranlage Reinkenhagen und die Hinweise des sowjetischen Spezialisten der Kombinatsleitung Gommern bekannt waren, wurden die vorgesehenen Schwerspattransporte für Reinkenhagen von der Kombinatsleitung zum Erkundungsbetrieb Mittenwalde umgeleitet.
Die Totpumpleitung befand sich zzt. des Erdgasausbruches noch im Erkundungsbetrieb Ludwigslust, obwohl sie zwei Tage vorher vom Kombinat Gommern ausgeliefert wurde. Es lag ein Versagen der Dispatcherabteilung im EKB Ludwigslust vor.
Der EKB Ludwigslust hatte zum Zeitpunkt der Havarie Schulden in der Meterplanerfüllung. Bei der Befahrung der Anlage durch den Leiter des Erkundungsbetriebes, Genosse Arlt, brachte der Gebietsbohrmeister [Name 1] zum Ausdruck, dass er aufgrund der Hinweise des sowjetischen Hauptkonsultanten Iwanow nicht mehr bohren dürfe, bis die Totpumpleitung und Schwerspat in ausreichenden Mengen vorhanden seien. Vom Genossen Arlt soll sinngemäß erwidert worden sein, »das interessiere ihn nicht, er brauche Meter und die zu erbringen wäre Aufgabe der Anlage«. Aus dieser Äußerung ist zu entnehmen, dass bei dem Genossen Arlt und einer Reihe anderer leitender Wirtschaftsfunktionäre, die ähnliche Standpunkte vertreten, die Planerfüllung nach Bohrmeter im Vordergrund steht, ohne dabei zu erkennen, dass das Ziel und die Aufgabe der Erkundungsbetriebe im Fündigwerden der Bohrlöcher besteht.
Die Auswertung der Erdgaseruption von Reinkenhagen ist nahezu charakteristisch für die gesamte Situation in der Bekämpfung von Havarien im VEB Erdöl und Erdgas Gommern.
Die Bergbaubehörde Staßfurt, verantwortlich für das Kombinat Gommern, wurde z. B. über die ursächlichen Fakten der Havarie, wie sie im Bericht dargelegt wurden, falsch informiert. Der Leiter der Bohrtechnik, [Name 3], und der Produktionsdirektor Töpfer, stellten in ihrem Schreiben an die Bergbaubehörde fest, »… dass der angetroffene Lagerstättendruck bedeutend höher war, als nach der Voraussage der Hauptabteilung Geologie des Kombinates«. Mit dieser scheinbaren Verdrehung der Tatsachen wurde offensichtlich der Versuch unternommen, die Versäumnisse auf der Bohranlage und innerhalb der Kombinatsleitung zu verschleiern.
Diese Annahme muss noch bestärkt werden, da in einer Besprechung im Kombinat Gommern am 6.6.1961 statt der im Schreiben angegebenen 350 atü von einem Druck von ca. 550 atü gesprochen wurde.
In der offiziellen Stellungnahme des Kombinates werden die Schwierigkeiten in der Beschaffung von Schwerspat als Beschwerungsmittel dargestellt, womit indirekt zugegeben wird, dass auf der Bohrstelle ohne ausreichende Sicherheitsmaßnahmen gearbeitet wurde.
Die in der Stellungnahme an die Bergbaubehörde Staßfurt entwickelten Maßnahmen zur Verhütung von Havarien werden von Fachleuten als sehr allgemein gehalten charakterisiert. Diese Oberflächlichkeit ist nur ein Ausdruck der gröblichsten Unterschätzung in der Bekämpfung von Havarien im Kombinat Gommern.
Am 22.10.1960 ereignete sich auf der Bohranlage 303 auf der Struktur Staakow, Kreis Zossen eine Erdgaseruption. Als Ursache wurde wiederum festgestellt, dass die Anweisung des Leiters der Staatlichen Geologischen Kommission, Genosse Meißner, zur Einstellung der Bohrung und Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen vom verantwortlichen Geologen [Name 4] nicht befolgt worden war. Durch die vorausgegangenen Bohrungen war bekannt, dass die Struktur Staakow erdgasführend ist, das Erdgas jedoch einen Gehalt von 4 bis 6 % Schwefelwasserstoff aufweist. Dadurch bestand für die Bevölkerung der umliegenden Ortschaften eine Gefährdung.
Die aufgeführten Ursachen, die zum Ausbruch und Auftreten der Havarien führten, lassen allgemein erkennen:
- 1.
Die unverantwortliche Arbeitsweise bei der Erkundung und beim Aufschließen von Erdgas- bzw. Erdölvorkommen verleitet die technischen und ökonomischen Leitungskräfte des VEB Erdöl und Erdgas Gommern sowie die Betriebsfunktionäre der Erkundungsbetriebe zur Vernachlässigung bestehender Sicherheitsbestimmungen. Obwohl die möglichen Gefahrenmomente bei Auftreten von Erdgaseruptionen und anderen Havarien für die beschäftigten Arbeitskräfte auf den Bohrstellen und die im Gefahrenbereich der Bohrstellen lebende Bevölkerung bekannt sind, werden in betriebsorganisatorischer Hinsicht die notwendigen Voraussetzungen für die Bohrarbeiten mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen durch die leitenden Betriebsfunktionäre nicht immer gewährleistet. Die »Meterplanerfüllung« wird in den Vordergrund ihrer Überlegungen gestellt.
- 2.
Zur Hebung der Leistungsfähigkeit des Kombinates wurde eine Vielzahl sowjetischer Spezialisten herangezogen, deren Wirksamkeit durch die Überheblichkeit und politische Kurzsichtigkeit der leitenden Funktionäre stark herabgemindert wird. Aus der Handlungsweise vieler Funktionäre ist zu entnehmen, dass der Einsatz sowjetischer Spezialisten politisch unterschätzt wird.
- 3.
Nach dem Aufstellen von Bohranlagen erfolgt die Abnahme durch eine verantwortliche Kommission. Dabei stellen die Abnahmekommissionen häufig noch Versäumnisse, die während der Montage auftraten, fest, die insgesamt zu der Einschätzung führen können, dass die Anlagen unvollständig montiert zur Produktionsaufnahme freigegeben werden sollen. Dabei ist oftmals die Absicht zu bemerken, trotz der festgestellten technischen Mängel die Bohranlagen anzufahren. Die Abnahmekommissionen stellen z. B. häufig das Fehlen von Übertreibsicherungen, Kardanverkleidungen, Warnhupen bei Monoschreibern usw. fest, stellen auch Termine für die Mängelbeseitigung, wobei jedoch verabsäumt wird, konkret festzustellen, was noch vor Aufnahme der Bohrarbeiten zu erfolgen hat. Aus diesem Grund wäre die einheitliche Anleitung und Kontrolle der Abnahmekommissionen durch die zuständigen staatlichen Organe zu koordinieren, um Havarien aus Fahrlässigkeit stärker als bisher vorbeugen zu können.
Der Umfang mit den vorhandenen Anlagen und Ausrüstungsgegenständen auf den Bohranlagen durch die dort Beschäftigten bietet keine ausreichenden Sicherheitsgarantien bei Wiederverwendung dieser Anlagen für die durchzuführenden Bohrarbeiten. Dies verdeutlicht nachstehendes Beispiel:
Bei Neukrug, Kreis Salzwedel sollte die Bohranlage demontiert und an einem neuen Bohrpunkt aufgebaut werden. Durch die Fahrlässigkeit des verantwortlichen Richtmeisters wurden am 8.5.1960 unterhalb des Demontagepunktes aus dem Bohrturm Verstrebungen gelöst und ausgebaut, wodurch der Bohrturm einstürzte. Die vom Richtmeister praktizierte »Arbeitsweise« war nach dessen Angaben seinen unmittelbaren Vorgesetzten aus anderen derartigen Fällen bekannt, ohne dass er dafür zur Verantwortung gezogen bzw. auf das fehlerhafte Verhalten aufmerksam gemacht wurde. Auf derselben Bohranlage platzten innerhalb von 14 Tagen (Jan. 1961) fünf Standkompressoren. Jahreszeitliche Bedingungen können teilweise das Auftreten dieser Havarien beeinflusst haben.
Aus den gegebenen Hinweisen machten sich aber auf dieser Bohrstelle maßgebend folgende Faktoren bemerkbar:
- 1.
Bei Schichtübernahme erfolgte keine richtige Einweisung an den Übernehmenden. Dieser Umstand bewirkte, dass keine Übersicht über den Zustand der vorhandenen Geräte vorhanden war.
- 2.
Der Mangel an Manometern gewährleistete keine Kontrolle des Druckes durch den Motorenwart. Das vorhandene Manometer befand sich auf dem Bohrtisch, sodass der Motorenwart auf eintretende Störungen nicht schnell genug reagieren konnte.
Die von den sowjetischen Spezialisten gegebenen Hinweise werden in vielen Fällen von den Wirtschaftsfunktionären nicht beachtet. Der Genosse Madwejew übergab im 4. Quartal 1960 den Wirtschaftsfunktionären des Kombinats eine Ausarbeitung über die Ergebnisse der bisherigen Erkundungsarbeiten und die dabei aufgetretenen Mängel. Er entwickelte die notwendigen Aufgaben zur Fortführung der Erkundungsarbeiten für Erdöl und Erdgas in den nördlichen Gebieten der DDR. Die Auswertung enthält eine Kritik an der bisher geleisteten Arbeit des Kombinates und gibt wertvolle Vorschläge zur Veränderung der bestehenden Situation. Bis Ende Mai 1961 war jedoch nicht feststellbar, in welcher Form diese Anregungen von den Wirtschaftsfunktionären des Betriebes ausgewertet und in der Arbeit beachtet wurden.
Abschließend muss auf die Wirksamkeit des Leiters der Sicherheitsinspektion in der Staatlichen Geologischen Kommission, Genosse Köster, hingewiesen werden. Die gegenwärtigen Verhältnisse auf den Bohranlagen der Erkundungsbetriebe zwingen ihn oftmals, bei geringsten Anlässen die Bohrstellen aufzusuchen und Anweisungen für die Wiederherstellung der technischen Sicherheitsbestimmungen zu erteilen. Dieser Umstand führt dazu, dass ihm nicht genügend Zeit verbleibt, gemeinsam mit den betrieblichen Sicherheitsinspektoren das Auftreten von Havarien mit ihren grundsätzlichen Problemen ständig zu bearbeiten, wodurch auch die Wirksamkeit der betrieblichen Sicherheitsinspektoren erheblich gemindert wird. Eine Änderung des Arbeitsstils des Genossen K. ist nur zu erreichen, wenn die Leitung der Staatlichen Geologischen Kommission Voraussetzungen schafft, um ihm entsprechend seiner Aufgabenstellung in der Staatlichen Geologischen Kommission und in den EKB stärkere Geltung zu verschaffen, damit die von ihm entwickelten bzw. erteilten Auflagen auch entsprechend beachtet und verwirklicht werden.
Die Beseitigung der Schäden bei aufgetretenen Havarien erfordert einen erheblichen Aufwand an materiellen und finanziellen Mitteln. Eine Folge besteht u. a. darin, dass die planmäßigen Aufgaben der Erkundungsbetriebe und Bohranlagen nicht erfüllt werden und jährlich »Meterplanschulden« in größerem Umfange auftreten.
Der allgemein zu verzeichnende Zustand beim Auftreten der Havarien macht es nach Auffassung des MfS dringend erforderlich, dass durch die Leitung der Staatlichen Geologischen Kommission stärkerer Einfluss auf die Arbeitsweise der zentralen Havarie-Kommission im VEB Erdöl und Erdgas Gommern genommen wird. Dabei muss vor allem in der Leitung des Kombinates die Unterschätzung der Havariekommission beseitigt werden. Die Hinweise der Havariekommission im Kombinat müssen durch die verantwortlichen Leitungsmitglieder des Kombinates stärker beachtet werden.
Obwohl auf den Bohranlagen mit den Arbeitern und technischen Leitungskräften die technischen Bedienungsanweisungen durchgearbeitet wurden und Belehrungen über die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften durchgeführt wurden, zeigen die Hinweise, dass diese Maßnahmen noch nicht den erforderlichen Erfolg aufweisen. Die ständig steigenden Anforderungen an die Bohranlagen erfordern in zunehmendem Umfange die Erhöhung und Einhaltung der Betriebssicherheit, welche zum Teil nur durch eine systematische Schulungsarbeit mit zu gewährleisten ist.
Des Weiteren müsste zur Erhöhung der Betriebssicherheit die vollständige Ausrüstung der Bohranlage vor Inbetriebnahme erreichbar sein.
Es wäre eine Überprüfung fachlich geeigneter Personen erforderlich mit dem Ziel, inwieweit die Planauflage nach »Bohrmetern« den zu lösenden Aufgaben noch gerecht wird. Es wäre zu prüfen, ob nicht neue Kennziffern und Berechnungsmethoden angewendet werden sollten, die unter Berücksichtigung des Leistungsprinzips und der materiellen Interessiertheit auf den Bohranlagen bessere maximale Erkundungsergebnisse bei vollständiger Betriebssicherheit gewährleisten.
O[tto] Walter [Unterschrift des 1. Stellvertreters von Mielke]