Import von nicht benötigten Nahrungsgütern
4. Oktober 1961
Einzel-Information Nr. 479/61 über den Einkauf verschiedener Nahrungsgüter in den Volksdemokratien, für die bei uns kein Bedarf vorhanden ist
In den letzten Monaten mehrten sich die Hinweise aus den Bezirken der DDR, wonach verschiedene Nahrungsmittel, vor allem Obst- und Gemüsesorten sowie Geflügelfleisch und Innereien aus Importen abgenommen werden mussten, die im jeweiligen Versorgungsbereich bereits ausreichend – zum Teil aus dem Eigenaufkommen – zur Verfügung standen. Dabei wurden solche Warenarten genannt wie z. B. Weißkohl, Kohlrabi, Kopfsalat, Petersilienwurzel, Radieschen, Tomatensaft und Ananas oder Enten, Junghühner und Herzen. Dadurch ergab sich von vornherein ein großer Arbeitsaufwand bei der notwendigen Aus- und Umsortierung, ein Verlust an vitaminreicher Ware, ein Absinken der Umsatzziffer und nicht zuletzt eine Vergeudung von Devisen.
Die Überlieferung bei bestimmten Warensorten erklärt sich in der Hauptsache daraus, dass die abgeschlossenen Verträge mit den ausländischen Exporteuren keine festen Terminbindungen, Qualitäts-, Sortiments- und Gütebestimmungen beinhalten.1
Der Exporteur lieferte die Ware daher im Rahmen des sogenannten »Von-bis-Vertrages« (meistens wird die Zeit eines ganzen Quartals oder sogar eines Halbjahres für die zu erfolgende Lieferung vertraglich festgelegt), je nach Anfall.
Zurzeit liegen Hinweise vor, dass wiederum Mehrlieferungen verschiedener Gemüsesorten aus den Volksdemokratien auftraten und noch zu erwarten sind. In den Volksdemokratien befanden sich Regierungsdelegationen der DDR, um mit den dortigen Stellen über die Störfreimachung unserer Wirtschaft bestimmte Maßnahmen zu beraten.2 Neben diesen Aufgaben wurden von den Delegationen auch direkte Importverhandlungen geführt. Die in Bulgarien weilende Delegation unter Leitung des Genossen Gregor3 vom Volkswirtschaftsrat schloss in selbstständigen Verhandlungen über Gemüselieferungen für das IV. Quartal 1961 u. a. Verträge ab über:
- –
15 Mio. Bund Radieschen,
- –
5 t Kopfsalat,
- –
10 t Kohlrabi mit Laub,
- –
1 t Paprikaschoten.
Das sind Waren, die bei uns ausreichend vorhanden sind. Besonders bei Paprikaschoten sind unsere Lager übervoll, und der Abkauf durch die Bevölkerung ist schleppend. Die GHK Obst und Gemüse – Importleitstelle – lehnte nach Kenntnisnahme der vertraglichen Bindungen eine Abnahme des gesamten Gemüses ab, da der Absatz im Inland nicht gesichert ist.
In Vorbereitung dieser Aktion4 – Verhandlungen von Regierungsdelegationen in den Volksdemokratien – erhielt das Zentrale Warenkontor für Obst und Gemüse5 den Auftrag, eine Aufstellung über die Warenarten anzufertigen, die aus Bulgarien benötigt werden. Aus dieser Aufstellung geht hervor, dass bei Frischgemüse 30 t aller Art – außer Weißkohl, Rotkohl, Möhren und Kohlrabi – benötigt werden.
Gleichzeitig wurde aber darauf hingewiesen, dass vor dem evtl. Abschluss von Verträgen auf jeden Fall eine Abstimmung der Liefertermine und Qualitäten mit dem Bereich Lebensmittel des Ministeriums für Handel und Versorgung notwendig ist, damit bestimmte Warenarten in Bulgarien von Experten besichtigt werden können.
Diese Abstimmung hat nicht stattgefunden,6 und die Verträge wurden ohne Kenntnis und Einfluss der zuständigen DIA Fachanstalt und der Handelsvertretung in Bulgarien und ohne Festlegung der Gütebestimmung abgeschlossen.
Bei der kurzfristigen Vertragsbindung durch die Regierungsdelegation z. B. in Bulgarien konnten auch langjährige Erfahrungen aus der Handelspraxis nicht berücksichtigt werden. Hätten wir z. B. Paprikaschoten in Rumänien eingekauft, wäre uns von Rumänien die gleiche Menge Gurken geliefert worden, die wir von Bulgarien nicht erhalten können. Zum Teil sind die Liefertermine nicht sachgemäß festgelegt worden, sodass besonders bei Kohlrabi die Gefahr besteht, dass auf dem Transportweg ein Teil der Ware verdirbt.
Die nicht ausreichende Vorbereitung solcher Aktionen bereits durch das Zentrale Warenkontor für Obst und Gemüse bei der Erarbeitung der Aufstellung für erforderliche Gemüselieferungen aus Bulgarien ergibt sich aus einer unkonkreten Auftragserteilung. Infolge der Geheimhaltung erhielten verantwortliche Mitarbeiter des Zentralen Warenkontors keine Kenntnis von dem Zweck einer solchen Aufstellung.
Unter Handelsfunktionären wird die Meinung vertreten, dass es möglich sein müsste, durch die Regierungsdelegationen nur Globalverträge über Gemüse abzuschließen, die dann durch die zuständigen Organe des Außenhandels in Zusammenarbeit mit den Binnenhandel spezifiziert werden können.7
Ähnlich liegt die Situation bei den Abschlüssen über Lieferung von Fleischerzeugnissen.
Die Delegation unter Leitung des Genossen Gregor kaufte in Bulgarien ohne Berücksichtigung der Marktlage in der DDR und ohne Rücksprache mit Verantwortlichen des Ministeriums für Handel und Versorgung folgende tierische Produkte ein:8
- –
700 t Schmalz,
- –
100 t Fleischerzeugnisse,
- –
100 t Herzen,
- –
70 t Enten,
- –
930 t Junghühner,
- –
20 t Geflügelinnereien.9
Die Situation beim Abbau der Geflügelfleischbestände allein aus dem Eigenaufkommen veranschaulicht u. a. das Beispiel aus dem Bezirk Neubrandenburg, in dem der Bestand zzt. über 200 t beträgt, die nicht abgesetzt werden können. In dieser Menge sind bereits 60 % (Sorte C) verderbgefährdet.
Schätzungsweise wird das in Bulgarien eingekaufte Geflügel bis ca. 1. Halbjahr 1962 in Kühlhäusern lagern müssen, da ein sofortiger Absatz der Produkte nicht gewährleistet ist. Das bedeutet wiederum eine Blockierung der Kühlfläche.10 Hinzu kommt noch, dass der Außenhandel der DDR vor Monaten mit Bulgarien 500 t Junghühner und Masthühner sowie 500 t Enten vertraglich gebunden hat. Von diesen Verträgen kann kein Abstand genommen werden.
Von der Delegation unter Leitung des Genossen Gregor wurden in Bulgarien weiterhin 10 Mio. Stück Schmutzeier gekauft, die sich nur zum Versprühen eignen. Außerdem wurde ein Liefervertrag über 300 Mio. Stück Zigaretten aus Bulgarien abgeschlossen, ohne dass die Staatliche Genussmittel GmbH davon Kenntnis erhielt.11
Einige Mitarbeiter des Ministeriums für Handel und Versorgung sind der Meinung, dass diese Art von Verträgen keine wirkliche Hilfe bedeutet, sondern lediglich als Absatz handelsschwieriger Ware zu betrachten sei.12
Mielke [Unterschrift]