Kritik von Medizinern am Gesundheitswesen
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Einzel-Information Nr. 751/61 über das provokatorische Auftreten von Angehörigen der medizinischen Intelligenz auf der wissenschaftlich-ökonomischen Konferenz der Universität Halle
Ergänzend zu der Information vom 23.11.1961 über provokatorische Aktionen gegen die Störfreimachung auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgung (Tagung des Arbeitskreises Opthalmologie in Leipzig am 17.11.1961 und interne Besprechung der Klinik-Direktoren der Universität Halle am 18.11.1961) wurden weitere Einzelheiten über das offen feindliche Auftreten führender Mediziner an der Universität Halle bekannt. Diese Mediziner versuchten die am 29.11.1961 stattgefundene wissenschaftlich-ökonomische Konferenz der Universität Halle für eine offen provokatorische Aktion gegen die Politik von Partei und Regierung auszunutzen.
Auf der Konferenz erstatteten nach vorangegangenen Referaten des Rektors der Universität sowie des Verwaltungsleiters und des Prorektors für Studienangelegenheiten die Dekane der einzelnen Fakultäten Bericht über die eingeleiteten Maßnahmen zur Störfreimachung. Im Gegensatz zu den durchdachten Berichten der anderen Fakultäten stellte der vom Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Bruns, vorgetragene Bericht eine einzige Ablehnung der Möglichkeiten zur Störfreimachung dar.
Prof. Bruns ging in seinem Bericht von der »besonderen Rolle des Arztberufes« und der angeblich damit verbundenen »notwendigen Pflege übernationaler Beziehungen« aus. Nach seinen Worten seien die Vertreter der Medizinischen Fakultät überein gekommen, keine Schönfärberei zu betreiben. Deshalb müsste es als verantwortungslos angesehen werden, von einer Störfreimachung zu sprechen, wenn sie nicht möglich sei.
Prof. Bruns habe weiter ausgeführt, dass die DDR auf dem Gebiet der Röntgentechnik, der Elektromedizin, der Medizintechnik, der Laborchemikalien und der Arzneimittel nach wie vor im großen Umfange von Westimporten abhängig sei. Er wandte sich erneut gegen die Verordnung über das Verbot des illegalen Bezugs von Medikamenten aus Westdeutschland (Geschenksendungen usw.) und gegen eine angebliche Drosselung der Arzneimittelimporte. Er betonte in diesem Zusammenhang, dass die Ärzte »das Recht« haben müssten, Rezepte nach eigenem Ermessen auszustellen. Bruns wies auch auf einen Brief der Fakultät an das Ministerium für Gesundheitswesen hin, in dem auf den »Notstand« in der Arzneimittelversorgung hingewiesen wird und die Maßnahme der Regierung der DDR als »brutal und antihumanistisch« bezeichnet werden.
Wie Prof. Bruns weiter ausführte, würden die Maßnahmen der Regierung der DDR bei einem Teil der Patienten angeblich Leben und Gesundheit bedrohen und Siechtum, Blindheit und Frühinvalidität zur Folge haben. Die Ärzte würden gezwungen, gegen ihr Gewissen zu handeln.
Am Schluss seiner Ausführungen wandte sich Prof. Bruns gegen eine weitere Einschränkung der Importe von Westzeitschriften und westlicher Fachliteratur und setzte sich für die Durchführung von sogenannten wissenschaftlichen Reisen in das westliche Ausland ein. In seinen »Schlussfolgerungen« betonte er, dass die medizinische Fakultät das Ergebnis der Erhebungen zur Störfreimachung als »konstruktiven Beitrag« gewertet wissen wolle.
Die feindliche Hetze wurde von Prof. Scharf, der als einer der ersten Diskussionsredner sprach, fortgesetzt. Er griff besonders die These »Weltniveau ist nicht Westniveau« an und hob hervor, dass er und Prof. Bruns dieser These nicht zustimmen könnten. Er lehnte in diesem Zusammenhang das Studium sowjetischer Fachzeitschriften mit der Begründung ab, dass die SU auf seinem Fachgebiet 20 bis 30 Jahre im Rückstand sei. Da dies auch auf andere östliche Länder zutreffen würde, könne man sich nicht nach dem Osten orientieren. Deshalb stelle auch der Russisch-Unterricht für die Assistenten nur eine Belastung dar, und es käme für sie eher darauf an, Spanisch zu lernen. Scharf wandte sich auch gegen die Verantwortung der Hochschullehrer für die sozialistische Erziehung der Studenten, die den Verantwortlichen für gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium überlassen bleiben müsse, sowie gegen die Forderung, die Assistenten nicht nur nach ihren fachlichen Leistungen, sondern auch nach ihrer politischen Erziehungsarbeit zu beurteilen. Scharf verlangte außerdem, den Punkt zwei der Arbeitsentschließung, in dem eine engere Zusammenarbeit mit der Sowjet-Union und den anderen Ländern des sozialistischen Lagers gefordert wurde, abzuändern.
Von anwesenden Genossen wurde eingeschätzt, dass Prof. Scharf mit seinem »Diskussionsbeitrag« den Zweck verfolgte, die von verschiedenen Medizinern geforderte Fehlerdiskussion auf der Konferenz auszulösen.
Nachdem Staatssekretär Jahnke, die Genossen Baumann (DHZ Arzneimittel), Riesel (Staatssekretariat für Hochschulwesen) und Markowitsch (Stellv. des Vorsitzenden des Volkswirtschaftsrates) – später auch der stellv. Staatssekretär Bernhardt in seinem Schlusswort – die »Argumente« der provokatorisch auftretenden Mediziner zerschlagen und ihre Haltung scharf kritisiert hatten, versuchte Prof. Bruns am Schluss der Diskussion die Kritik »abzumildern«.
Neben Bruns und Scharf traten auch noch andere Professoren feindlich auf. Nach dem Beitrag von Staatssekretär Jahnke versuchte z. B. Prof. Mark die Vertreter der Medizinischen Fakultät zum demonstrativen Verlassen des Saales zu bewegen. Prof. Jacobi habe jedoch betont, in dieser Situation den Dekan nicht allein zu lassen, was bewirkte, dass die Medizin-Professoren bis zum Schluss an der Konferenz teilnahmen und auch der politisch-ideologischen Zielsetzung der Arbeitsentschließung der Konferenz durch Handzeichen zustimmten.
Prof. Berg von der Math.-Nat. Fakultät forderte provokatorisch die »Störfreiheit vor den Funktionären«. Prof. Schubert von der gleichen Fakultät, der auch in der Vergangenheit schon offen negativ auftrat und Mitglied der Leopoldina ist, äußerte »Ich hasse die Kommunisten genau so wie die Faschisten« und verließ die Konferenz.
Prof. Mothes blieb mit der »Begründung« anderweitig dienstlich in Anspruch genommen zu sein, der Konferenz fern, offensichtlich mit der Absicht, noch im Hintergrund zu bleiben und das weitere Vorgehen von der Reaktion auf das Auftreten der feindlichen Kräfte abhängig zu machen.
Es erscheint zweckmäßig, die Auseinandersetzungen an der Universität Halle fortzusetzen, um die positiven Kräfte zu stärken und die feindlich auftretenden Wissenschaftler weiter zurückzudrängen.
Vom MfS wurden die notwendigen Maßnahmen eingeleitet, um die entsprechenden Personen weiter unter operativer Kontrolle zu halten und um rechtzeitig vorschlagen zu können, welche Schritte gegen sie unternommen werden müssten.