Lage der jungen Intelligenz in der DDR
16. Februar 1961
Bericht Nr. 77/61 über einige Probleme der Arbeit mit der jungen Intelligenz
Die Mehrzahl aller Angehörigen der jungen Intelligenz leistet an ihren Arbeitsstellen auf den verschiedensten wissenschaftlichen und technischen Gebieten, der Forschung und Lehre eine gute fachliche Arbeit. Zum Teil zeigen sie dabei hervorragende Leistungen, die denen der älteren und erfahrenen Angehörigen der Intelligenz kaum nachstehen und sie verschiedentlich sogar übertreffen, besonders hinsichtlich einer intensiveren Erarbeitung von Forschungsergebnissen. Ein beträchtlicher Teil promoviert vorzeitig und mit teilweise sehr gutem Erfolg und es gibt auch verschiedene verantwortliche Funktionen, die schon von Angehörigen der jungen Intelligenz besetzt sind.
Dieses Verhalten in der rein fachlichen Arbeit zeigt gleichzeitig, dass die meisten Angehörigen der jungen Intelligenz bereits mit einer guten fachlichen Ausbildung von den Universitäten und Hochschulen bzw. Fachschulen abgehen.
Auch bringt die Mehrzahl der von den Universitäten, Hoch- und Fachschulen kommenden Angehörigen der jungen Intelligenz, besonders die, die in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Ländern studiert haben, eine gute politische Einstellung zur DDR und zur Politik der Partei und Regierung mit. Dies zeigt sich hauptsächlich in solchen Institutionen und Betrieben, wo es arbeitsfähige und aktive Parteiorganisationen und fortschrittliche fachliche Leitungen gibt, die es verstehen, richtig mit den Angehörigen der jungen Intelligenz umzugehen und sie in die Arbeit mit einzubeziehen.
In diesen Betrieben und Institutionen herrscht bei den meisten Angehörigen der jungen Intelligenz neben der Klarheit in den wichtigsten Grundfragen der Politik von Partei und Regierung auch Aufgeschlossenheit gegenüber allen politischen Fragen und gibt es teilweise auch eine aktive Mitarbeit parteiloser Angehöriger der jungen Intelligenz beispielsweise in Gewerkschaftsleitungen, Teilnahme am Parteilehrjahr usw.
Neben dieser grundsätzlich positiven politischen Haltung und der guten fachlichen Entwicklung gibt es jedoch eine Reihe ernsthafte Erscheinungen unter den Angehörigen der jungen Intelligenz, die zum Teil durch verschiedene ideologische Unklarheiten hervorgerufen werden, die aber gleichzeitig auch oft Ausdruck der ungenügenden Arbeit mit der jungen Intelligenz seitens der fachlichen Leitung, der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen und des Staatsapparates sind.
Als solche schädliche Erscheinungen auf ideologischem Gebiet müssen Tendenzen, sich unter Ablehnung jeglicher politischer Tätigkeit zum »Nur-Fachmann« zu entwickeln, und der Drang, sich durch westlichen Rundfunk und durch Westfernsehen »objektiv« zu informieren und sich auch in fachlichen Fragen nach dem Westen zu orientieren, angesehen werden.
Das widersprüchliche Verhalten eines Teiles der jungen Intelligenz zeigt sich dabei vor allem in der Tatsache, dass sie oft schon nach kurzer Zeit des Verlassens der Universitäten, Hoch- und Fachschulen in fast völlige Passivität in politischer Hinsicht verfallen. Das trifft sogar für solche Angehörige der jungen Intelligenz zu, die vorher eine gute gesellschaftliche Arbeit leisteten und aktiv in der FDJ – der sie fast alle angehörten und zum Teil noch angehören – tätig waren. Besonders stark sind diese Tendenzen in solchen Betrieben und Institutionen anzutreffen, wo die Partei-, Gewerkschafts- und FDJ-Arbeit schwach ist und wo sich die Instituts- bzw. Betriebsleitungen ausschließlich mit fachlichen Fragen beschäftigen und die Arbeit mit den Menschen speziell mit den Angehörigen der jungen Intelligenz offensichtlich unterschätzt wird.
Im Projektierungs- und Konstruktionsbüro Kohle Berlin, um nur einige Beispiele zu nennen, wurden von Angehörigen der jungen Intelligenz u. a. im Zusammenhang mit den Wahlen zur Konfliktkommission Forderungen nach einer anderen Wahlordnung in der Richtung sog. »freier Wahlen« gestellt. Obwohl auch ständig noch eine Reihe anderer Unklarheiten in politischen Grundfragen geäußert werden, setzt man sich mit diesen Fragen nicht auseinander. Im VEB Industrie-Projektierung Berlin äußern sich die jungen Ingenieure und Dipl.-Ingenieure nicht offen zu politischen Fragen und schieben stets die fachlichen Probleme in den Vordergrund, wobei die Mehrzahl westlichen Einflüssen unterliegt, verschiedentlich wird »mehr Toleranz« in politischer und ideologischer Hinsicht gefordert. In vielen Institutionen und Betrieben besteht die FDJ-Arbeit nur in der Beitragskassierung. Im VEB Metall-Projektierung Berlin z. B. ist der größte Teil der jungen Intelligenz zwar Mitglied der FDJ, aber nur ein verschwindend kleiner Teil nimmt am Verbandsleben teil, aber auch nur dann, wenn er dazu aufgefordert wird. Die meisten Jung-Ingenieure wollen sich ausschließlich ihren fachlichen Fragen widmen und vor allen übrigen »ihre Ruhe haben«.
Eine Reihe ernsthafter Mängel gibt es auch im Verhältnis zwischen den Angehörigen der jungen Intelligenz und der alten Intelligenz. Obwohl auch hier in der Mehrzahl ein gutes und kameradschaftliches Verhältnis auf der Basis der gegenseitigen Hilfe und Achtung herrscht, gibt es doch übereinstimmenden Hinweisen zufolge ziemlich häufig stark gespannte Verhältnisse, die sich mehr oder weniger stark hemmend auf die wissenschaftliche Arbeit insgesamt auswirken. Zum Teil sind solche ungesunden Verhältnisse auf die Haltung der Angehörigen der jungen Intelligenz zurückzuführen, die oft die Erfahrungen und Spezialkenntnisse der alten Wissenschaftler unterschätzen und die Meinung vertreten, dass sie selbst nach ihrem Studium bereits gleichermaßen vollwertige und ausgebildete Kräfte seien. In der Hauptsache wird aber das gespannte Verhältnis durch verschiedene Vorurteile der alten Intelligenz, durch eine mangelhafte Unterstützung und teilweise kleinbürgerliche egoistische Haltung hervorgerufen, die sich im besonderen gegen solche Angehörige der jungen Intelligenz richtet, die aus Arbeiterkreisen kommen, bzw. Mitglieder der SED sind und fortschrittlich auftreten.
Folgende Argumente und Handlungen von Angehörigen der alten Intelligenz sind für diese Haltung typisch: Die junge Intelligenz sei zu unerfahren und man könne sie nur in beschränktem Maße voll verantwortlich einsetzen.
Aus diesem Grunde werden auch Meinungen und Kritiken der jungen Intelligenz oft nicht akzeptiert (VEB Industrie-Projektierung Bahn Berlin, VEB Bau-Projektierung Wissenschaft Berlin).
Im Institut für Pflanzenzüchtung Bernburg versuchten kleinbürgerliche Wissenschaftler Absolventen von Hochschulen der SU, die sich von den Prinzipien der sowjetischen Agrarbiologie leiten ließen, unmöglich zu machen und auszubooten, und dafür ihre eigenen Söhne systematisch auf leitende Stellungen in den Instituten vorzubereiten.
An der Bergakademie Freiberg traten zahlreiche Professoren in letzter Zeit in Diskussionen gegen die staatlichen Maßnahmen zur planmäßigen Entwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses1 auf und zwar in einer Schärfe, wie dies bisher noch nicht der Fall gewesen war.
Einige der typischen Diskussionen waren dabei:
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»Was nützt Kaderplanung des wissenschaftlichen Nachwuchses, wenn die Auswahl doch nach parteipolitischen Gesichtspunkten vorgenommen wird.«
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»Wir lassen uns noch nicht abschieben und werden doch nicht noch über unsere Nachfolger diskutieren.«
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»Ideen (wissenschaftliche Arbeit) kann man nicht planen.«
Um die politische Situation an den Universitätskliniken der Universität Jena zu verbessern, war vorgesehen, eine möglichst große Anzahl von SED-Mitgliedern als wissenschaftlichen Nachwuchs an der medizinischen Fakultät zu behalten. So wurden neben 25 parteilosen Pflichtassistenten auch fünf SED-Mitglieder als Pflichtassistenten an den Universitätskliniken eingestellt. Diese Genossen wurden alle nach Absolvierung ihres Pflichtassistenten-Jahres dem Bezirksarzt »zur weiteren Verwendung« übergeben, dagegen kleinbürgerlich eingestellte Pflichtassistenten gleicher und zum Teil schlechterer Qualifikation behalten.
Aus dieser Haltung verschiedener Angehöriger der alten Intelligenz ergibt sich auch, dass sie den Nachwuchskräften einen wirklichen Einblick in ihre fachliche Tätigkeit verwehren, offensichtlich weil sie ein Verdrängen aus ihrer Stellung und um ihren wissenschaftlichen Ruf fürchten. Auf der gleichen Linie liegen auch die Versuche, eine Festlegung der Perspektive für den Nachwuchs zu umgehen. Diese mit der Perspektive für die junge Intelligenz zusammenhängenden Fragen stehen auch bei den meisten Diskussionen und Kritiken der Angehörigen der jungen Intelligenz im Mittelpunkt. Diese Unklarheiten über ihre Perspektive, die durch den oft mangelhaften Kontakt seitens verschiedener Wirtschaftsfunktionäre, fachlicher Leitungen, Partei- und Gewerkschaftsorganisationen und der sich daraus ergebenen ungenügenden Beeinflussung und Aufklärung – speziell zu den Fragen der konkreten Perspektive der jungen Intelligenz – indirekt gefördert werden, führen bis zur Unzufriedenheit, Abwanderung in andere Aufgabengebiete und teilweise zur Republikflucht.
So bestehen zwar für den größten Teil der jungen Intelligenz Perspektiv- und Qualifizierungspläne bzw. Förderungs-Verträge, aber sehr oft werden sie formal und oberflächlich aufgestellt oder nicht eingehalten. Im VEB Industrie-Projektierung Bahn und Bau-Projektierung Wissenschaft Berlin sind für die Angehörigen der jungen Intelligenz solche Entwicklungs- und Perspektivpläne vorhanden, aber die leitenden Betriebsfunktionäre richten sich nicht danach. Dadurch kommt es unter der jungen Intelligenz zu unzufriedenen Diskussionen und Äußerungen wie »Papier ist geduldig und wir können wenig daran ändern«. So werden auch von der Mehrzahl der jungen Intelligenz solche Meinungen vertreten, dass die Förderungsverträge praktisch überflüssig seien, weil sie nicht eingehalten werden, unkonkret und nicht individuell abgeschlossen sind und keinen genauen Entwicklungsweg und keine konkreten Qualifizierungsmaßnahmen enthalten.
Die vorgesehenen Betriebsabteilungen werden von den Absolventen nicht durchlaufen. Die periodisch vorgesehenen Aussprachen mit Vertretern der Betriebsleitung finden nicht statt und die Betreuer kümmern sich nicht um den Werdegang der Jung-Ingenieure.
Aus dem Institut für Mess- und Prüftechnik wurden zwei junge Dipl.-Ingenieure republikflüchtig, weil sie offensichtlich an ihrer wissenschaftlichen Perspektive zweifelten. Nachdem sie vor ca. zwei Jahren als Absolventen der Technischen Hochschule Dresden an dieses Institut kamen, erhofften sie sich eine gute fachliche Weiterentwicklung und Anleitung durch einen Fachmann. Die regelmäßigen Aussprachen, zu denen die Institutsleitung verpflichtet ist, wurden jedoch vernachlässigt und nach Ablauf ihrer Absolventenzeit erhielten sie solche Themen zur Erarbeitung, die in der Perspektive des Instituts geringe Bedeutung hatten. Beide glaubten deshalb, in Westdeutschland günstigere Voraussetzungen für ihre Entwicklung zu finden.
Von den auf Lehrgebiet tätigen Angehörigen der jungen Intelligenz, besonders von Assistenten in den Universitäten, Hoch- und Fachschulen, wird eine Perspektivlosigkeit von der großen Wartezeit zwischen Dozentur und Professur abgeleitet und vorgeschlagen, nach zweijähriger Dozentur die Professur zu verleihen und nach vier Jahren einen Einsatz als »Professor mit Lehrauftrag« vorzunehmen. Aus den gleichen Gründen wird auch von Wissenschaftlern, besonders auf dem Gebiet der Forschung, vorgeschlagen, außerplanmäßige Professuren (ohne Lehrstuhl) einzuführen und besonders befähigten jungen Wissenschaftlern das Recht auf Abnahme von Prüfungen zu geben, das zzt. nur den an Hochschulen beschäftigten Wissenschaftlern zukommt.
Eng im Zusammenhang mit den allgemein verbreiteten Diskussionen über die konkreten Perspektiven stehen die Fragen des derzeitigen Einsatzes junger Wissenschaftler, der oft nicht ihren Vorstellungen entspricht, aber mitunter auch nicht auf ihre spezielle Qualifikation abgestimmt ist. In Einzelfällen werden sie sogar für nebensächliche Aufgaben herangezogen. Zum Beispiel wird in der Deutschen Bauakademie die junge Intelligenz zu einem großen Teil mit nebensächlichen Arbeiten beschäftigt und der Präsident der Akademie und andere leitende Wissenschaftler erklärten selbst, dass sie es bisher versäumten, die junge Intelligenz auch für verantwortliche Forschungsaufgaben mit einzusetzen. Ähnlich ist es im VEB Energie-Projektierung Berlin, wo viele Jung-Ingenieure nur mit Zeichen- und Koordinierungsarbeiten betraut werden. Nur wenigen gelingt es eine wissenschaftliche Arbeit zu bekommen.
Im VEB Metall-Projektierung äußern die Jungingenieure ihre Unzufriedenheit darüber, dass sie einerseits nicht ihrem Fachwissen entsprechend voll wirksam werden können, andererseits aber Aufgaben erledigen müssen, die außerhalb ihrer Ausbildung liegen.
Von den jungen Wissenschaftlern an der Universität Jena wird zu Fragen des Einsatzes kritisiert, dass beim Prorektorat für wissenschaftlichen Nachwuchs keine konkrete Übersicht über freie Stellen in der Volkswirtschaft besteht und dass Bearbeitungen von Bewerbungen ca. sechs bis acht Monate dauern, weil sie erst über das Staatssekretariat für Hochschulwesen und über die Staatliche Plankommission geleitet werden. Aufgrund dieser langen Bearbeitungsfrist bemühen sich Wissenschaftler selbst um Anstellungen, ohne in vielen Fällen ein entsprechendes Tätigkeitsfeld zu bekommen. In verschiedenen Fällen versuchten deshalb Wissenschaftler eine Anstellung in Westdeutschland zu bekommen, wobei sie Verbindungen zu republikflüchtigen Personen und Stellenangebote in westdeutschen Fachzeitschriften ausnutzten. Es wurde deshalb vorgeschlagen, für die Vermittlung von Wissenschaftlern in die Industrie ein ähnliches System wie bei der Vermittlung von Studenten nach abgeschlossener Ausbildung zu schaffen.
Als weitere Gesichtspunkte der Unzufriedenheit über ihren Einsatz sind bei den Angehörigen der jungen Intelligenz vorhanden:
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finanzielle Erwägungen,
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Möglichkeiten für eine Promotion,
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Aufstiegsmöglichkeiten.
So gibt es eine Reihe in ihrem Fachgebiet eingearbeitete Angehörige der jungen Intelligenz, die befähigt sind, größere Aufgaben zu übernehmen, aber bestimmte Positionen nicht erhalten können, weil diese bereits von älteren Spezialisten besetzt sind. Dies trifft besonders für eine Reihe Aufgabengebiete zu, wo SU-Spezialisten konzentriert sind oder wo von älteren Angehörigen der Intelligenz nicht die entsprechenden Leistungen gebracht werden, sodass sich zum Teil ungerechtfertigte Unterschiede in finanzieller und leistungsmäßiger Hinsicht ergeben. Auch eine Reihe anderer grundsätzlicher finanzieller Unterschiede werden von den Angehörigen der jungen Intelligenz zum Anlass von Kritiken und unzufriedenen Diskussionen genommen.
Zum Beispiel liegt die Bezahlung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Lehrerbildungseinrichtungen wesentlich niedriger, als die Bezahlung von Lehrern in der Praxis. Ähnliche Unterschiede zwischen einer Lehrtätigkeit an Universitäten und Hochschulen und praktischer Tätigkeit werden bei den verschiedensten Fachrichtungen angeführt, z. B. bei Gesellschaftswissenschaftlern, Naturwissenschaftlern und anderen.
Zum Teil werden dadurch auch erfahrene Kräfte der Praxis abgehalten, in die wissenschaftliche Laufbahn zurückzugehen.
Im Heinrich-Hertz-Institut der Forschungsgemeinschaft z. B. sind die Angehörigen der jungen Intelligenz unzufrieden, weil sie zum größten Teil (besonders die Assistenten) keine Möglichkeiten zu einer Promotion sehen, weil es zu wenig Voraussetzungen für eigene Forschungsthemen gebe.
Ebenfalls übereinstimmenden Hinweisen zufolge wird von vielen Angehörigen der jungen Intelligenz bemängelt, dass besonders im Zusammenhang mit ihrer Qualifizierung noch große Schwächen bestehen. So gab es bisher nur sehr wenig Erfahrungsaustausche zwischen jungen Nachwuchswissenschaftlern im zentralen Rahmen bzw. Absolvententagungen bestimmter Fachrichtungen, Colloquien usw. Für die meisten der Nachwuchswissenschaftler gab es wenig Möglichkeiten, an nationalen und internationalen wissenschaftlichen Tagungen und Kongressen teilzunehmen, was umso mehr kritisiert wird, weil nicht immer eine Weitergabe der auf diesen Tagungen und Kongressen gewonnenen neuen Erkenntnisse an den wissenschaftlichen Nachwuchs erfolgt.
Es kostete beispielsweise großen Kampf, um drei jungen fortschrittlichen Ingenieuren die Teilnahme an der Tagebaukonferenz im Oktober 1960 als Zuhörer zu ermöglichen.
Ähnliche Unklarheiten der Behandlung der jungen Intelligenz zeigen sich auch darin, dass zzt. noch in vielen Betrieben und Institutionen die junge Intelligenz völlig ungenügend in Forschungsgemeinschaften vertreten ist, obwohl sich eine Reihe Nachwuchswissenschaftler ernsthaft um eine Mitarbeit in Forschungsgemeinschaften bemüht.
Neben den zahlreichen Schwächen bei der Arbeit mit der jungen Intelligenz, wie sie in diesem Bericht angeführt wurden, hat nach wie vor die bürokratische und herzlose Arbeitsweise verschiedener Funktionäre in den Betrieben und örtlichen Organen des Staatsapparates schädliche Auswirkungen, die mitunter dazu führen, dass das Vertrauen der jungen Intelligenz in die Partei und Regierung untergraben wird.
Von den zahlreich vorliegenden Beispielen des unpersönlichen und falschen Verhaltens und der Nichtbeachtung der Beschlüsse der Partei sollen hier nur einige charakteristische angeführt werden.
Der Dipl.-Geologe [Name 1] vom Geologischen Dienst in Schwerin hatte die Absicht, die DDR zu verlassen. [Name 1] bewohnte mit seiner Ehefrau nur ein kleines Zimmer ohne Ofen und wartete bereits seit zwei Jahren auf die Zuweisung einer Wohnung. Seine Ehefrau ist hoch schwanger. Trotz aller Bemühungen bekamen sie keinerlei Unterstützung von den staatlichen Stellen und wandten sich deshalb mit ihrer Bitte an das MfS.
Vom VEB Stickstoffwerk Piesteritz wurde der Dipl. Physiker [Name 2] republikflüchtig. Nach seiner Heirat im Frühjahr 1960 stellte [Name 2] Antrag auf eine Wohnung. Im Mai 1960 wurde ihm vom Betrieb eine Wohnung zugesichert, aber von seinem Beitritt in den FDGB abhängig gemacht. Als sich [Name 2] einen Monat später nochmals wegen einer Wohnung erkundigte, erklärte ihm der BGL-Vorsitzende: »Sie haben hier nichts zu sagen, Sie sind nicht Mitglied des FDGB.« Der Assistent am Institut für Reine Mathematik der Deutschen Akademie der Wissenschaften, [Name 3], verheiratet, ein Kleinkind, tätig im Arbeitsbereich Topologie an der Universität Greifswald, bemühte sich seit langer Zeit um ein zweites Zimmer, weil er auf einer Luftmatratze auf dem Fußboden schlafen musste. Seine Bemühungen wurden jedoch von allen Stellen ignoriert. Unter anderem erhielt er vom Wohnungsamt Greifswald den Rat, sich einer AWG anzuschließen. Daraufhin wandte er sich mit einem schriftlichen Hilfeersuchen an seinen Vorgesetzten, Prof. Dr. Grell in Berlin und deutete dort seine Republikflucht als »letzten Ausweg« an. Dieser Brief wurde an den Stellvertreter des Generalsekretärs der Forschungsgemeinschaft der naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Institute weitergeleitet. Obwohl die auf dem Spezialgebiet des [Name 3] führenden Wissenschaftler ihn als den begabtesten der Nachwuchsmathematiker einschätzen und anerkennen, wurde das Schreiben letzten Endes einer Sachbearbeiterin für Wohnungsfragen an der Akademie »zur Erledigung« gegeben, die objektiv dafür gar keine Möglichkeiten hat.
Neben solchen krassen Beispielen gibt es noch eine Vielzahl der verschiedensten anderen Erscheinungen, die bei den Angehörigen der jungen Intelligenz ähnliche Auswirkungen zur Folge haben. Im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld waren z. B. eine Reihe Angehörige der jungen Intelligenz mit ihrer wohnungsmäßigen Unterbringung unzufrieden. Sie mussten zusammen mit Bauarbeitern in Fünf- und Sechsbettzimmern wohnen und waren dadurch nicht in der Lage, ihr begonnenes Studium weiterzuführen, weil die Bauarbeiter oft unregelmäßig spät und betrunken ins Heim kamen. Die Angehörigen tragen sich deshalb mit dem Gedanken, das Kombinat zu verlassen.
Alle die im Bericht angeführten Probleme, die jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, lassen erkennen, dass es in der Praxis noch ernsthafte Schwächen in der Arbeit mit der jungen Intelligenz gibt.
Insbesondere die teilweise Unterschätzung und die Haltung der alten Intelligenz hemmen zum Teil die planmäßige Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Einhaltung der festgelegten Entwicklungszeiten und haben darüber hinaus zur Folge, dass die Angehörigen der jungen Intelligenz verschiedentlich dem Selbstlauf überlassen bleiben.