Lage im Werkzeugmaschinenbau
30. Juni 1961
Bericht Nr. 341/61 über die Lage im Industriezweig Werkzeugmaschinenbau
[Für die] geplante Sitzung des Ministerrates
Die Ergebnisse der Planerfüllung 1960 und des Plananlaufes 1961 im Industriezweig Werkzeugmaschinenbau weisen auf eine Reihe ernster Schwächen und Mängel hin.
Auf der Grundlage der dem MfS vorliegenden Informationen und Hinweise wird dabei besonders auf solche Erscheinungen eingegangen, die ihre Ursache in der mangelnden Leitungstätigkeit der VVB WMW und der Betriebe haben.
Der Bericht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll nur auf einige uns wichtig erscheinende Probleme im Zusammenhang mit der Lage im Industriezweig Werkzeugmaschinenbau hinweisen.
I. Die Arbeitsweise der VVB Werkzeugmaschinenbau bei der Durchsetzung sozialistischer Leitungsprinzipien
Der vorhandene Überblick im Industriezweig WMW gestattet keine umfassende Einschätzung der Arbeitsweise innerhalb der VVB. Dennoch lassen die vorliegenden Hinweise eine Reihe typischer Mängel und Schwächen erkennen.
Die Arbeitsweise der gesamten VVB WMW unterliegt einer allgemeinen Kritik vonseiten der ihr unterstellten Betriebe. Von einigen betrieblichen Wirtschaftsfunktionären wird die Auffassung vertreten, dass gegenüber der früheren Hauptverwaltung des Ministeriums für Allgemeinen Maschinenbau eine grundlegende Verschlechterung in der Anleitung eingetreten ist.1 Die verantwortlichen Funktionäre der VVB werden in den Betrieben kaum operativ wirksam. Es werden widersprechende Weisungen durch die verschiedenen Fachabteilungen der VVB an die Betriebe erlassen. Die Investitions- und Arbeitskräftepolitik der VVB wird von Fachexperten so eingeschätzt, dass sie zur Durchsetzung moderner Technologien und zur Änderung des Produktionsprofils (Herstellung hochproduktiver Werkzeugmaschinen) nicht oder kaum geeignet sei. Die auf betrieblicher Ebene vorhandenen vielfältigen Probleme, die teilweise auf die unterschiedlichen Weisungen der VVB bzw. auch auf die nicht den objektiven Bedingungen entsprechenden materiellen und finanziellen Fonds zurückzuführen sind, führen dazu, dass selbst in den Betrieben eine ausreichende Koordinierung und Abstimmung kaum noch gewährleistet ist.
Besonders hemmend für die Entwicklung im Werkzeugmaschinenbau wirkt sich auch offensichtlich das Fehlen eines Technisch-Wissenschaftlichen Zentrums (TWZ) aus. Grundsatzfragen der Technologie, Betriebsorganisation und der Projektierung werden daher nicht gelöst. Es zeigen sich auch Auswirkungen dahingehend, dass die Arbeit der VVB noch nicht den wissenschaftlichen Anforderungen entspricht.2
Das Institut für Werkzeugmaschinenbau orientiert sich nur auf konstruktive Entwicklungspläne, sodass die Mitarbeiter der VVB gezwungen sind, »nebenbei« solche Fragen zu erarbeiten und zu entscheiden, die an sich im TWZ geklärt werden müssten. Die Folgen sind dann, dass unwissenschaftliche Erkenntnisse bei Entscheidungen Anwendung finden und Fehlentscheidungen sich häufen.3
Nach einer Reihe von Hinweisen aus dem Industriezweig wird in diesem Zusammenhang besonders die Arbeitsweise des Hauptdirektors Dellheim bemängelt. Er arbeite gegenüber den Betrieben häufig mit Versprechungen, die, da sie nicht von den Bedingungen und Möglichkeiten der VVB ausgehen, vielfach unreal und nicht erfüllbar seien.4
Gegenüber den Mitarbeitern der VVB, besonders aber gegenüber den Werkleitern, tritt Dellheim sehr arrogant auf.
Er behandelt diese Mitarbeiter teilweise wie »dumme Jungen«, was auch dazu führt, dass in der VVB von einem gewissen »Managertum« des Dellheim gesprochen wird.5
Besondere Schwierigkeiten treten in den Betrieben während der Planungsperioden auf, da die Qualifikation der Mitarbeiter in der VVB unzureichend und für die Anleitung der Betriebe nicht ausreichend sein soll.
Dies betrifft auch die Unterstützung der Betriebe in technologischer Hinsicht, die keinesfalls gewährleistet ist, da technische und technologische Probleme in der Leitung der VVB nur eine formale Behandlung erfahren.
Die gesamte Situation im Apparat der VVB, auch des politisch-moralischen Zustandes, wird durch eine gewisse Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit charakterisiert.6 Tendenzen des Zurückweichens vor gestellten Aufgaben, mangelhafte Arbeitsorganisation, unzureichende Orientierung einzelner Abteilungen bzw. Mitarbeiter auf zu lösende Schwerpunkte und mangelhafte Kaderpolitik sind daher relativ weit verbreitete Erscheinungen in der VVB.
Routinemäßige Arbeit und eine allgemeine oberflächliche Art der Bearbeitung und Lösung von Problemen sind daher im täglichen Arbeitsablauf ebenfalls noch allgemein anzutreffende Erscheinungen.
Der Einfluss der Parteiorganisation und der Gewerkschaftsgruppe auf eine Veränderung dieses Arbeitsstils ist als gering einzuschätzen. Wiederholt wurde aufgrund von Informationen bekannt, dass keine systematische und zielstrebige politisch-ideologische Arbeit innerhalb der VVB geleistet wird. Wichtige Probleme, u. a. die Aufgaben aus dem 11. und 12. Plenum der Partei,7 stehen ungenügend im Mittelpunkt der Leitungstätigkeit der VVB. So wird z. B. das vom 12. Plenum besonders angesprochene Problem »Arbeitsproduktivität und Durchschnittslohn« mit den damit im Zusammenhang stehenden arbeitsökonomischen Fragen von der VVB WMW nicht genügend beachtet und bearbeitet. Lohnanalysen aus den Vorjahren wurden durch die Leitung der VVB nicht ausgewertet; es fehlen exakte Schlussfolgerungen für die zukünftige Richtung der Lohnpolitik. Dies führte mit dazu, dass gegenwärtig noch keine gründliche Konzeption zur Lösung dieser Aufgabenstellung des 12. Plenums besteht.8
Die vorhandenen Hinweise über die Zusammenarbeit der VVB mit den Betrieben lassen einen gewissen »Leerlauf« erkennen, der auf einen formalen Arbeitsstil der VVB zurückgeführt wird. Oftmals werden in der VVB Besprechungen angesetzt, die mit einer Vielzahl von Betriebsfunktionären besucht werden müssen, in denen jedoch der Aufwand an Zeit in keinem Verhältnis zum Ergebnis derartiger Tagungen steht.
So wurde am 20.4.1961 durch die Leitung der VVB eine Besprechung der Arbeitskreisleitung nach Karl-Marx-Stadt einberufen. Als Thema wurde die »Statistische Erhebung des Rahmenkollektivvertrages« behandelt. Die Besprechung hatte eine zeitliche Dauer von ca. 55 Minuten, wodurch den Teilnehmern ein ganzer Arbeitstag verloren ging. Die anwesenden Betriebsfunktionäre brachten teilweise zum Ausdruck, dass die Vorbereitung der Erhebung durch eine schriftliche Erläuterung ausreichend gewesen wäre. Ein weiteres Beispiel verdeutlicht in auffälliger Form die formale und bürokratische Arbeitsweise der VVB mit Wissen des Hauptdirektors. Im März 1961 erhielten die Betriebe der VVB die Anweisung der SPK zur Umrechnung der staatlichen Auflagen 1961 aufgrund der ab 1.1.1961 veränderten geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Die Anweisung enthielt einschließlich der Anlagen 29 Seiten. Im gleichen Monat wurde auf einer zeitlich später liegenden Planungsleitertagung in Karl-Marx-Stadt bekanntgegeben, dass von den 15 Anlagen 11 entfallen, da die in den Formblättern geforderten Planwerte bereits in andern Planteilen enthalten waren. Durch die verspätete Bekanntgabe der effektiv zu erarbeitenden Planungsunterlagen aufgrund der veränderten Bezugs- und Preisgrundlagen entstand in den Betrieben ein enormer Aufwand an Zeit und Papier, welcher bei rechtzeitiger Überlegung in der Planungsabteilung der VVB hätte vermieden werden können.
Die Anleitung der außerhalb des Bezirkes Karl-Marx-Stadt liegenden Betriebe der VVB weist ebenfalls erhebliche Schwächen auf. Von Funktionären dieser Betriebe wird die Auffassung vertreten, dass sich der Hauptdirektor Dellheim fast nur um die im Bezirk Karl-Marx-Stadt befindlichen Betriebe kümmert, während bei den anderen Betrieben die Anleitung nur in Form von vielen Rundschreiben vor sich geht.9
Diese Form der Anleitung findet allgemeine Ablehnung, da die Vielzahl der Rundschreiben eine systematische Auswertung und Anwendung auf die betrieblichen Bedingungen nicht mehr zulässt.
Auf die Fragen der Anleitung und Kontrolle der Betriebe bei der Durchsetzung der sozialistischen Rekonstruktion mithilfe des Planes »Neue Technik«,10 Fragen der Unabhängigmachung usw. wird, soweit entsprechende Hinweise vorliegen, in nachfolgenden Abschnitten des Berichtes noch eingegangen.
II. Probleme der Planerfüllung 1960 und des Plananlaufes 1961
Als wesentliche Faktoren der Untererfüllung des Volkswirtschaftsplanes 1960 sind anzusehen:
- 1.
Materialschwierigkeiten in bestimmten Positionen (legierte Werkzeugstähle, Schnellarbeitsstähle, Normteile, Hydraulikzubehör, elektronische Ausrüstungen),
- 2.
Rückgang an Arbeitskräften im VVB-Bereich,
- 3.
vorhandene Disproportionen zwischen der mechanischen Fertigung und der Montage in den Betrieben,
- 4.
mangelnde Bereitschaft einzelner Betriebe der VVB WMW, die Kooperationsbeziehungen zwischen den Betrieben im Interesse einer weiteren Spezialisierung der Produktion zu vertiefen, ungenügende Durchsetzung dieser Aufgaben durch die Leitung der VVB.
- 5.
Die Probleme, die sich aus der Kündigung des innerdeutschen Handels und der Aufgabenstellung zur Unabhängigmachung ergaben, wurden nicht rechtzeitig und in vollem Umfange durch die Leitung der VVB und durch die Betriebe erkannt und in der Tätigkeit der Leitungsorgane nicht genügend beachtet.11
Obwohl einige der benannten Faktoren zeitweilig einen objektiven Charakter tragen, gibt es auch Hinweise, nach denen durch eine straffe Leitungsarbeit der VVB eine wesentliche Verbesserung der Planerfüllung erreichbar gewesen wäre.
Die Hinweise aus einer Reihe von Betrieben des Industriezweiges WMW zeigen, dass die bei der Erfüllung der Aufgaben auftretenden Probleme den Arbeitern, Angestellten und den Angehörigen der Intelligenz nicht bekannt sind, was dazu führt, dass auch eine völlig unzureichende Einbeziehung dieser Kräfte in die Leitung und Lenkung der Betriebe erfolgt. Von den Partei-, Gewerkschafts- und Betriebsfunktionären gibt es keine klare politisch-ideologische Orientierung auf die Lösung dieser Aufgaben und die dazu notwendigen Mittel und Methoden. Die Einflussnahme der VVB auf die Betriebe in diesen Fragen weist ebenfalls erhebliche Mängel auf.
Wichtige Fragen der Betriebsführung, so z. B. der systematischen politischen Arbeit auf der Grundlage der Parteibeschlüsse, der Arbeit der Ständigen Produktionsberatung, der Planvorbereitung in den Abteilungen und Meisterbereichen, der Orientierung des sozialistischen Wettbewerbs auf exakte und messbare Ziele, der Orientierung auf die Lösung gegenwärtig wichtiger Probleme (Erreichung der Unabhängigkeit von Westdeutschland, Lohn- und Normfragen, Materialeinsparungen usw.) werden überwiegend nur allgemein behandelt. Entsprechende Maßnahmepläne zur Lösung dieser Aufgaben werden daher häufig ohne Beratung mit den davon betroffenen Abteilungen, Meisterbereichen oder Personengruppen aufgestellt, ignorieren die Vorstellungen dieser Personenkreise und hemmen ihre aktive Mitarbeit. Die unzureichende Verbindung der Werkleitungen mit den Betriebsangehörigen führte in Einzelfällen (hauptsächlich bei der jetzt zu behandelnden Problematik: Arbeitsproduktivität zum Durchschnittslohn und Normenfragen) zu bestimmten Gegensätzen, bei denen dann, zurückzuführen auf diese Situation, nicht genügend durchdachte betriebliche Maßnahmen von den Arbeitern so ausgelegt werden, dass sie für die Wirtschaftspolitik des Arbeiter-und-Bauern-Staates typisch und gegen die Interessen der Arbeiter gerichtet seien.
In einer Reihe von Betrieben, u. a. WEMA Gera und Saalfeld, wird allgemein die kritiklose Atmosphäre in der Leitung der Betriebe bemängelt. Es bestehen in der Produktionsleitung (Planung, Produktionslenkung und Kooperation) große Mängel bei der Koordinierung. Eine Reihe von Werkzeugmaschinenfabriken der VVB (Drehmaschinenwerk Leipzig, Werkzeugmaschinenfabrik Magdeburg u. a.) haben konkrete Ziele zur Erreichung und Überbietung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes auf dem Gebiet des Werkzeugmaschinenbaues ausgearbeitet und mit der Belegschaft beraten. Dabei traten jedoch innerbetriebliche Probleme auf, die nur mithilfe der VVB lösbar waren, z. B. Übermittlung von technisch-wissenschaftlichen Kennziffern und Unterlagen zur Ausarbeitung moderner, dem Welthöchststand entsprechender Produktionstechnologien und -fertigungen, damit auch mit dem geringsten Aufwand an Material und Arbeitszeit produziert werden konnte. Das Fehlen der Vergleichsdaten und Unterlagen führte mit dazu, dass die selbstständig ausgearbeiteten Ziele, die auch Bestandteil des Planes 1960 waren, nicht oder nur unvollständig realisiert wurden.
Zu der Orientierung des 12. Plenums, in den Betrieben stärker mit »Zeitnormativen« zu arbeiten, vertrat der Werkleiter des VEB »8. Mai« in Karl-Marx-Stadt, Prager, die Meinung: »… die Einführung des Lohndekadensystems hat genug Staub aufgewirbelt … und man müsse daher … mit der Einführung der Zeitnormative warten.« Dies ist offensichtlich mit darauf zurückzuführen, dass die Auswertung des 12. Plenums durch die VVB nicht gründlich genug erfolgte, besonders hinsichtlich der zur Lösung dieser Aufgabe notwendigen Mittel und Methoden.
In welcher Art und Weise speziell den Industriezweig WMW betreffende Probleme in der Leitungstätigkeit der VVB formal behandelt und gelöst werden, zeigt als typische Erscheinung das Beispiel des VEB WEMA Saalfeld mit seinem Sondermaschinenbauprogramm.
Der VEB WEMA Saalfeld hat wesentlichen Anteil am Sondermaschinenbauprogramm 1961 innerhalb der VVB WMW. Im Verantwortungsbereich der VVB befindet sich auch der VEB Werkzeugmaschinenfabrik Plauen/V., der für die Herstellung der Bohrsätze und Bohrsatzständerunterlagen für die Sondermaschinen verantwortlich gemacht wurde. (Vorher erfolgte die Produktion dieser Teile durch den VEB Sondermaschinenwerk der Elektrotechnik Dresden A 36.) Obwohl dem VEB WEMA Plauen Investitionsmittel zur Erweiterung der Produktionskapazitäten zur Verfügung standen, ist gegenwärtig eine solche Lage zu verzeichnen, dass der VEB WEMA Saalfeld die entsprechenden Zulieferungen nicht erhalten und vertraglich binden kann. Erst im III. und IV. Quartal sollen die erforderlichen Serien produziert werden können.12
Damit ist dem VEB WEMA Saalfeld die Möglichkeit genommen, das gesamte Jahr 1961 über kontinuierlich die Produktion von Sondermaschinen zu garantieren und seinen Exportverpflichtungen nachzukommen.
Andererseits gibt es aber mit Beteiligung der VVB im VEB WEMA Plauen auch schon wieder Überlegungen, die erst übernommene Produktion von Bohrsätzen bereits wieder an einen weiteren Betrieb abzugeben.13
In Aussicht soll der VEB Ellefelder Maschinenfabrik Ellefeld im Vogtland genommen worden sein, da er bereits Bohrsätze hergestellt hätte. Die VVB und auch Hauptdirektor Dellheim, die mehrmals auf die Dringlichkeit des o. g. Problems aufmerksam gemacht wurden, sahen ihre Aufgabe nur darin, die beiden Werkleiter anzuweisen, dieses Problem selbstständig zu lösen.
Dieses Problem wirkte sich bereits 1960 im VEB WEMA Saalfeld hemmend auf die Planerfüllung im Sondermaschinenbau aus und bereitet im Planjahr 1961 erneut und weitaus größere Schwierigkeiten, obwohl es in der Verantwortlichkeit der VVB WMW liegt und auch zu lösen wäre. Ähnliche Erscheinungen zeigen sich auch bei anderen in der VVB noch nicht geklärten Problemen.
III. Hemmnisse bei der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes in der Produktion und bei den Erzeugnissen mithilfe des Planes »Neue Technik«
Im I. Quartal 1961 hatten 13 Betriebe der VVB WMW 24 neue Erzeugnisse in die laufende Produktion einzuführen. Insgesamt wurden in zwei Betrieben und zehn Positionen die Planaufgaben termingemäß gelöst.14 Als Begründung für die unzureichende Planerfüllung wurden von den leitenden Mitarbeitern der VVB die ungenügende Klarheit über die Höhe der Produktion, die dadurch hervorgerufene ungenügende Koordinierung der Pläne »Neue Technik« und der Ausfall an Zulieferungen von hydraulischen und elektrischen Zubehörteilen in den Vordergrund gestellt, obwohl nur ein bedingter Zusammenhang besteht.
Ein wesentlicher Faktor für diese Situation besteht aber nach uns vorliegenden Hinweisen in der unzureichenden Leitung der sozialistischen Rekonstruktion mithilfe des Planes »Neue Technik« durch die VVB. Dem WEMA Berggießhübel15 z. B. wurde die Produktion von Schneckenvorplastifizierungsaggregaten für Kunststoff-Spritzautomaten übertragen. Ehe die endgültige Festlegung der Produktion erfolgte, hat der Betrieb binnen zwei Jahren sein Produktionsprogramm zweimal umstellen müssen. Diese laufende Änderung des Produktionsprofils im Betrieb schuf in der Vergangenheit, aus betrieblicher Sicht, erhebliche Unklarheiten über die Entwicklungsperspektiven16 und hatte negative Folgen für die Planung der sozialistischen Rekonstruktion. Die unklaren Perspektiven dieses Betriebes erschwerten die Ausarbeitung des Planes »Neue Technik«, behinderten nach erfolgreichem Beginn die Arbeit einer sozialistischen Arbeitsgemeinschaft und führten auch mit dazu, dass die Initiative der Belegschaft in eine abwartende und teilweise resignierende Haltung umgeschlagen ist.
Das Produktionsprogramm wurde in nahezu allen Betrieben der VVB MWM laufend geändert, sodass aufgrund der technischen bzw.17 technologischen Bedingungen die perspektivischen Kennziffern der Produktionsentwicklung für die Planjahre 1961 und 1962 die alleinige Grundlage für die Rekonstruktionsmaßnahmen bildeten, um auf deren Basis den Zusammenhang zwischen den Zielen der sozialistischen Rekonstruktion in den einzelnen Betrieben mithilfe des Planes »Neue Technik« und dem Produktionsplan herzustellen. Dieser Umstand führte u. a. auch dazu, dass die Pläne »Neue Technik« 1961 erhebliche Mängel aufweisen, faktisch nur eine Zusammenfassung der betrieblichen Verbesserungsvorschläge bzw. betriebsindividueller Wünsche beinhalten und keine zusammenhängenden Festlegungen zur systematischen Weiterführung der sozialistischen Rekonstruktion enthalten.18
Als grundsätzliche Mängel in den Plänen »Neue Technik« der Betriebe werden angesehen:
- 1.
Es fehlen konkrete Arbeitspläne, die die wichtigsten Arbeiten, die Reihenfolge und die Termingestaltung koordinieren.
- 2.
Änderungen und Verbesserungsvorschläge zur konstruktiven Gestaltung werden ungenügend zusammengefasst und koordiniert.
- 3.
Die Versuchsabteilungen sind ausrüstungsmäßig und personell nicht den Anforderungen gewachsen.19
- 4.
Die systematische Arbeit an Funktions- und Baumustern wird in den Fertigungsbetrieben noch unterschätzt.
- 5.
Die Erprobung der Anlagenteile und Mustermaschinen nach den Erprobungsplänen wird unterschätzt.
- 6.
Änderungen an Funktionsmustern erfolgen während der Erprobung. Eine prinzipielle Auswertung und endgültige Festlegung der konstruktiven und baulichen Seite von Funktionsmustern erfolgt nach der Beendigung der funktionellen Erprobung in den seltensten Fällen.20
Abschließend muss auf den bereits bekannten Umstand hingewiesen werden, dass die Arbeit mit dem Plan »Neue Technik«, durch die geringen Erfahrungen bedingt, auch in den Betrieben der VVB WMW noch sehr unterschiedlich ist. Die Einbeziehung der Werktätigen durch den Plan »Neue Technik« und deren Heranführung an die wichtigsten Probleme bei der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist auch im Bereich der VVB WMW mit wesentlichen Mängeln behaftet.
Von einigen Fachkräften auf dem Gebiet der Planung wird aufgrund der vielen Schwächen darauf verwiesen, dass die Ausarbeitung der Kennziffern des Siebenjahrplanes und der Rekonstruktionspläne im Jahre 1959 zu schnell, ohne gründliche Analysen und Überlegungen, erfolgte. Die Sicherung der vorgegebenen Entwicklungsziele laut Siebenjahrplandirektive durch die sozialistische Rekonstruktion und durch die bereitgestellten materiellen und finanziellen Fonds wurde in den Betrieben nicht exakt begründet.
Aus diesen Gründen heraus wird dahingehend diskutiert, dass die Ziele des Siebenjahrplanes keineswegs gesichert sind. Es werden starke Zweifel an der Erreichung solcher Kennziffern wie der Produktionshöhe, Steigerung der Arbeitsproduktivität oder Selbstkostensenkung, wie sie bis 1965 vorgesehen sind, geäußert.
IV. Schwierigkeiten bei der geplanten Überführung von Neuentwicklungen
Erhebliche Mängel bei der schnellen Überführung von Neuentwicklungen in die Produktion entstehen in den Betrieben durch die mangelhafte Zusammenarbeit der verantwortlichen Betriebsfunktionäre, durch die ungenaue Abstimmung in den Plänen und durch eine teilweise zu verzeichnende Unterschätzung der Entwicklungsarbeiten und deren schnelle Einführung in die Produktion seitens einiger Betriebsleitungen.
Im VEB Großdrehmaschinenbau »7. Oktober« Berlin ist die Weiterentwicklung der Zahnflankenschleifmaschinen BETZ 315 und 500 B seit ca. 1¼ Jahr kaum vorangekommen. Es wurde keine Nullserie gebaut, um noch vorhandene Fehlerquellen feststellen zu können und zu beseitigen. Da die Maschinentypen im Wesentlichen für den Export bestimmt sind, wird von verschiedenen betrieblichen Fachkräften die Auffassung vertreten, dass durch die ungenügende Erprobung vonseiten der ausländischen Kunden eine Reihe von Reklamationen kommen werden.
Im gleichen Betrieb wurde die Rollbogenschleifmaschine BETZ 250 × 6 R neu entwickelt. Seit 1958 soll der Bau eines Funktionsmustermodells erfolgen. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind noch nicht alle Maschinenteile gefertigt, da in den Produktionsabteilungen zunächst die Planerfüllung vorrangig gesichert wird. Bei dem festgestellten Tempo der Erprobung und Einführung in die Produktion besteht die Möglichkeit, dass die dem Weltniveau entsprechenden Qualitätsmerkmale in absehbarer Zeit wieder verloren gehen.
Ingenieure der WEMA-Union Gera haben Baukastensysteme für Bohrwerke entwickelt, deren Qualitätsmerkmale absolutes Weltniveau darstellen sollen. Trotzdem wird von leitenden Funktionären der WEMA Gera und der VVB der Standpunkt vertreten, dass die Anwendung der Baukastensysteme erst ab 1963 bzw. 1964 erfolgen könne.
Aus diesen wenigen, noch ergänzbaren Beispielen ist allgemein erkennbar, dass die Überführung der Neuentwicklungen in die Produktion durch die unsystematische Arbeit zur Herstellung von Mustermaschinen behindert wird, die Ergebnisse der Erprobung von Maschinen nicht genügend ausgewertet werden und daher Nachteile bei der Serienfertigung auftreten.
Diese und weitere Mängel in der Überführung von Neuentwicklungen in die Produktion sind sehr wesentlich auf subjektive Schwächen der verantwortlichen Funktionäre der Betriebe und auch der VVB zurückzuführen. Besonders die Leitungstätigkeit der VVB zur Lösung der wirtschaftspolitischen Schwerpunkte des Industriezweiges weist noch erhebliche Schwächen auf.
Mielke [Unterschrift]