Lage in der Backwarenindustrie
26. Oktober 1961
Bericht Nr. 666/61 über die Lage in der Backwarenindustrie der DDR
In letzter Zeit wurden dem MfS verstärkt Hinweise im Zusammenhang mit der teilweise ungenügenden Brotversorgung und dem Kapazitätsrückgang in der Backwarenindustrie bekannt. Diese Hinweise stehen im Gegensatz zu den Aufgaben dieses Industriezweiges im Rahmen des Siebenjahrplanes,1 entsprechend der ständig steigenden Bedürfnisse der Bevölkerung die Kapazität zu vergrößern, die Qualität der hergestellten Erzeugnisse zu verbessern und das Sortiment durch Einführung neuer Spezial- und Mischbrote zu erweitern.
Die vorliegenden Informationen lassen die Einschätzung zu, dass es im Interesse der Verwirklichung dieser Aufgabenstellung unbedingt notwendig wäre, die Einflussnahme der staatlichen Organe auf die Entwicklung dieses Industriezweiges wesentlich zu verstärken.
Seit einigen Jahren mehren sich die Anzeichen, dass die Backkapazität auf dem Territorium der DDR ständig abnimmt. Obwohl von dem Rückgang der Backkapazitäten ausschließlich der private Sektor betroffen ist, gewinnt aber die Entwicklung besondere Bedeutung, da noch 70 % der gesamten Backwarenproduktion aus dem privaten Sektor kommen. Auf diesen Teil der Backwarenproduktion besteht außerdem auch kein direkter staatlicher Einfluss hinsichtlich der Produktionslenkung bei dem Grundnahrungsmittel Brot.
Zur Veranschaulichung der Verteilung der Gesamtproduktion der Backwarenindustrie auf die einzelnen Eigentumsformen seien folgende Zahlen genannt: Der Anteil an der Bruttoproduktion beträgt bei VEB – einschließlich der Produktion der HO und der Mitropa = 7,9 %; bei den Konsumbetrieben = ca. 21,4 % bei den Privatbetrieben – einschließlich der Betriebe mit staatlicher Beteiligung = ca. 1,8 % und beim Handwerk – einschließlich der PGH = ca. 68,9 %.
Von den insgesamt 18 ½ Tausend Betrieben der Backwarenindustrie sind nur 50 als Großbetriebe mit etwa je 250 Beschäftigten anzusprechen, die sich zum überwiegenden Teil im sozialistischen Sektor befinden. Für die übrigen Betriebe ist die handwerkliche Fertigung typisch. Dies trifft auch auf die mittleren und kleineren volkseigenen und konsumgenossenschaftlichen Betriebe zu, da sie zum größten Teil aus dem Handwerkssektor übernommen worden sind.
In der Backwarenproduktion ist besonders die rückgängige Entwicklung der Anzahl der Handwerksbetriebe bedenklich. Die Anzahl der Handwerksbetriebe betrug 1955 20 592 und 1959 17 287. Jährlich trat demnach eine Schließung von ca. 1 000 Handwerksbäckereien auf.
Ab 1960 ist ein weiterer Rückgang in der Anzahl der privaten Backwarenbetriebe zu verzeichnen. Einige Beispiele aus den Bezirken: In Erfurt war in der Zeit vom 1.1.1960 bis 30.6.1961 ein Rückgang der Handwerksbetriebe um 112 zu verzeichnen, in Dresden in der gleichen Zeit um 131 Handwerksbetriebe, in Halle um 156 und im Bezirk Karl-Marx-Stadt um 357. Nur ein geringer Prozentsatz dieser Handwerksbetriebe konnte durch Neubesetzung bzw. Verpachtung oder Übernahme durch HO und Konsum wieder eröffnet werden. (in Karl-Marx-Stadt z. B. von den 357 privaten Handwerksbetrieben 108)
Diese Situation im Bäckerhandwerk ist neben der Abwanderung der Arbeitskräfte in andere Industriezweige im Wesentlichen auf Betriebsschließung infolge Überalterung der Inhaber der Betriebe zurückzuführen. Aber auch Lohn- und Arbeitsbedingungen (Nachtarbeit, starker körperlicher Einsatz) spielen dabei eine Rolle.
Infolge Überalterung der Inhaber der privaten Handwerksbetriebe werden in den kommenden Jahren weitere Betriebe schließen müssen, und es ist damit zu rechnen, dass in den nächsten zehn Jahren ca. 50 % der privaten Handwerksmeister ausfallen werden. Zurzeit ergibt sich aus dem Altersspiegel folgendes Bild:
- –
Meister bis 50 Jahre alt = 50%,
- –
Meister 50 bis 60 Jahre alt = 35%,
- –
Meister über 60 Jahre alt = 15%.
Die Neueröffnung der Betriebe scheitert häufig an den fehlenden Nachwuchskräften. Lehrlinge werden für diesen Beruf nicht ausreichend gewonnen, und die Zahlen der Bäckerlehrlinge gehen von Jahr zu Jahr zurück. Im Bezirk Magdeburg z. B. wurden 1956 noch 1 060 Bäckerlehrlinge in den verschiedensten Betrieben der Backwarenindustrie ausgebildet, im Jahre 1960 konnten nur noch 357 Lehrlinge für diesen Berufszweig gewonnen werden.
Im Bezirk Schwerin bestand 1960 ein Lehrlingsbedarf von 187; er konnte mit 32 Lehrlingen nicht erfüllt werden. Im Kreis Hildburghausen/Suhl wurden 1954 noch 35 Lehrlinge für den Bäckerberuf gewonnen, 1961 nicht ein Lehrling.
In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Einschätzung fast aller Bezirke Bedeutung, dass seit 1954 ungefähr 50 % der Bäckerlehrlinge entweder während der Lehrzeit oder nach Beendigung derselben in andere Berufe übergewechselt sind.
Das Arbeitskräfteproblem und die Gewinnung von Lehrkräften ist aufgrund des bestehenden Lohnniveaus im Vergleich zu anderen Industriezweigen, der Arbeitsbedingungen im Bäckerhandwerk und der fehlenden Möglichkeit zur weiteren technischen Qualifizierung besonders kompliziert.
Die Fluktuation der Bäcker in andere Industriezweige ist verhältnismäßig hoch. Von den Bezirken wird übereinstimmend eingeschätzt, dass 40 bis 50 % der gelernten Bäcker in anderen Berufen beschäftigt sind. Nur ca. die Hälfte dieser berufsfremd arbeitenden Bäcker kann als Grund des Arbeitswechsels Krankheit o. Ä. angeben. Die übrigen Bäcker versprechen sich durch anderweitigen Arbeitseinsatz höheren Lohn und geringere physische Belastung. Nach bisherigen Feststellungen wurde von den ehemaligen Bäckern ein Einsatz als Kraftfahrer, in der Bauindustrie oder in Werften (Nordbezirke) bevorzugt. In einigen Kreisen ergibt sich eine Konzentration ehemaliger Bäcker in Betrieben der Reichsbahn (z. B. im Kreis Güstrow). Im Bezirk Erfurt ist festgestellt worden, dass etwa 570 ehemalige Bäcker einer berufsfremden Arbeit nachgehen, im Bezirk Cottbus wurden 56 Bäcker in berufsfremdem Arbeitsverhältnis festgestellt, im Bezirk Potsdam 814. In den Betriebsabteilungen der Leuna- und Bunawerke/Merseburg arbeiten mehr als 700 ehemalige Bäcker.
Um während der Urlaubsmonate den Bedarf der Bevölkerung an Backwaren annähernd zu sichern, sind in diesem Jahr einige Bezirke (z. B. Cottbus und Halle) dazu übergegangen, ehemalige Bäcker aus den Industriebetrieben vorübergehend in der Backwarenindustrie zu beschäftigen. Da diesen Bäckern jedoch dafür der Durchschnittslohn des Industrietarifes gezahlt wurde, rief diese Lösung breiten Unwillen unter den niedriger bezahlten Bäckern, die in diesem Beruf verblieben sind, hervor.
Unzufriedenheit seitens der Bäcker in privaten Handwerksbetrieben gibt es über die notwendige Nachtarbeit, über die starke physische Belastung und über Lohnfragen. Dabei wird häufig die Meinung vertreten, dass man mit dem geringen Verdienst eine Familie nicht ernähren könne. In diesem Zusammenhang wird Unverständnis über die unterschiedliche Entlohnung im privaten und sozialistischen Bäckerhandwerk geäußert. Es wird nachgewiesen, dass der Stundenlohn in volkseigenen und KG-Bäckereien im Durchschnitt 1,80 DM und im privaten Bäckerhandwerk bei größerer manueller Arbeit nur im Durchschnitt 1,30 DM beträgt.
Dadurch sind mehrfach private Bäckermeister dazu übergegangen, ihre Gehilfen übertariflich zu bezahlen (ohne Steuerabgabe), um sie als Arbeitskraft in ihrem Betrieb zu erhalten. Durch die übertarifliche Bezahlung der Arbeitskräfte wird andererseits bei den privaten Bäckermeistern die Tendenz weiter verstärkt, die Produktion von Weiß- und Kuchenware zu erhöhen, da diese Waren einen höheren Gewinn für den Betrieb bringen. Die Backlohnspanne für Brot sei so niedrig, dass ein materieller Anreiz und somit ein Gewinn für den Betrieb kaum entstehen würde.
Viele Allein-Meister oder Meister mit einem Gehilfen sind aus steuerlichen Gründen nicht gewillt, Arbeitskräfte, soweit solche überhaupt vorhanden sind, evtl. aus der nichtarbeitenden Bevölkerung einzustellen. Die Betriebe der Handwerkssteuer A sind bestrebt, unter allen Umständen in der A-Steuer-Klasse zu verbleiben (bis zu 3 Beschäftigte, einschließlich Hausgehilfe und Verkaufskraft). Kritisiert wird, dass das Handwerk – darunter das Bäckerhandwerk – in tariflicher und steuerlicher Hinsicht sogar den privaten Industriebetrieben gegenüber benachteiligt sei.
Obwohl der Roggenbrotverbrauch in den letzten vier Jahren nach Angaben Sachverständiger um ca. 18 % gefallen ist, kann der Bedarf der Bevölkerung in diesem Grundnahrungsmittel von den verbliebenen Backwarenbetrieben (Rückgang der Handwerksbetriebe in den letzten 4 Jahren um ca. 14 %) bei Einhaltung des 8-Stunden-Tages nicht gedeckt werden. Dass die bedarfsgerechte Belieferung im Wesentlichen – abgesehen von den Urlaubsmonaten, Feiertagen usw. – doch erfolgte, ist auf eine zusätzliche Produktion zurückzuführen. In diesem Zusammenhang wurde übereinstimmend festgestellt, dass hauptsächlich von den privaten Bäckereibetrieben umfangreiche Überstunden geleistet werden (in den Urlaubsmonaten bis zu 18 Arbeitsstunden täglich), um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern.
Diese Mängel und Schwierigkeiten in der Produktion könnten jedoch bei gleicher Anzahl der Arbeitskräfte bereits zu einem Teil überwunden werden, wenn eine entsprechende technische Ausrüstung der Backwarenbetriebe gewährleistet werden könnte. In der Backwarenindustrie sind jedoch nach Einschätzung von Fachleuten nur vier Betriebe vorhanden, die in technischer Hinsicht als modern bezeichnet werden können. Die übrigen in dem Industriezweig vorhandenen Maschinen und Anlagen sind zum überwiegenden Teil überaltert und nur im Rahmen einer Kleinproduktion verwendbar. Die vorhandenen Backöfen (Backöfen mit ausziehbaren Herden, Einschießöfen) sind z. T. abbruchreif und werden den jetzigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Moderne Netzbandöfen sind in der Republik nur wenige vorhanden. Die Auszugsöfen stellen etwa den technischen Stand vor 30 oder 40 Jahren dar, die Einschießöfen sind 50, 60 und teilweise 80 Jahre alt. Der jährliche Abschreibungssatz für diese Produktionsmittel beträgt 6 %; sodass theoretisch der größte Teil der Backöfen wertmäßig bereits abgeschrieben ist.
In dem überwiegenden Teil der privaten Bäckereibetriebe ist eine völlige Modernisierung der Anlagen infolge der beengten und verbauten Räumlichkeiten nicht oder kaum möglich, auch dann nicht, wenn die alte Anlage vollkommen abgerissen wird. In diesen Betrieben wird fast ausschließlich manuelle Arbeit geleistet, wodurch ein großer Arbeitskräftebedarf entsteht, der längst nicht mehr gedeckt werden kann. Die Anschaffung kleinerer moderner Hilfsmaschinen (Knetmaschine, Brot- oder Brötchenabwiegemaschine usw.) wird von den Handwerksmeistern häufig mit der Begründung, dass die Aufgabe des Geschäftes infolge hohen Alters bevorstünde und ein Nachfolger aus der Familie nicht vorhanden sei, abgelehnt. Außerdem sei der Betrieb nicht in der Lage, die finanziellen Mittel für moderne Anlagen aufzubringen. (Neuanschaffungen meistens nicht unter 15 000 DM)
Aus Bäckereibetrieben des sozialistischen Sektors werden mehrfach Stimmen in der Richtung laut, dass die Neuentwicklung von Maschinen für die Backwarenindustrie äußerst ungenügend ist und selbst während der Leipziger Messe 1961 keine neuen Maschinen ausgestellt wurden.
In diesem Zusammenhang wird jedoch aus dem Bezirk Halle bekannt, dass in verschiedenen Maschinenbaubetrieben des Bezirkes Halle Neuentwicklungen für die Backwarenindustrie vorhanden sind, jedoch in der DDR keine Anwendung finden. So wurde von der Vereinigten Bäckereimaschinenfabrik Halle eine vollautomatische Brötchenteigteil- und -wirkmaschine entwickelt, die sich für Mittel- und Großbetriebe eignet. Der Entwicklung dieser Maschine wurde aber von zentralen Stellen keine Bedeutung beigemessen, sodass die Arbeiten an diesem Projekt auf Jahre hinausgezögert wurden. Der gleiche Betrieb entwickelte einen gasbeheizten Wanderherd, der bisher nur in der Konsum-Großbäckerei Leipzig aufgestellt wurde. (Entwicklung an dieser Maschine = 6 Jahre) Eine von diesem Betrieb geschaffene kontinuierliche Sauerteigaufbereitungsanlage, deren Funktionsprobe seit zwei Jahren abgeschlossen ist, läuft noch nicht in der Fertigung. Ähnlich verhält es sich mit einer Blätterteigziehmaschine, durch die die Arbeitsproduktivität in Großbäckereien enorm gesteigert werden könnte.
Die Vereinigte Bäckereimaschinenfabrik Halle verfügt über eine Reihe von Vorschlägen für die Fertigung von Geräten der Kleinmechanisierung im Bäckerhandwerk. Es wurde jedoch noch kein Betrieb gefunden, der die Produktion dieser Geräte übernimmt. So hat z. B. der für diese Zwecke geeignete VEB HaBäMFa Halle in sein Produktionsprogramm die Herstellung von Bücherregalen und Blumenständern aus Metall aufgenommen und die Übernahme der Produktion von diesen Geräten für die Backwarenindustrie abgelehnt. Die Vereinigte Bäckereimaschinenfabrik Halle bemüht sich seit 1959 bei der Staatlichen Plankommission um eine Abstimmung mit den Maschinenbaubetrieben, welche Geräte der Kleinmechanisierung sie in ihr Produktionsprogramm aufnehmen könnten, bisher jedoch ohne Erfolg.
Aufgrund der bisher erkannten Entwicklung in der Backwarenindustrie wird von Fachleuten nach groben Schätzungen mit einer Verminderung der derzeitigen Produktionskapazität bis 1965 um ca. 300 000 t gerechnet. Um den Rückgang der Backkapazitäten aufzufangen, sollen entsprechend dem Perspektivplan der DDR bis 1965 durch den Neubau von rund 40 Backbetrieben ca. 144 000 t Kapazität und durch Rekonstruktionsmaßnahmen 73 000 t Kapazität wiedergewonnen werden. Der verbleibende Kapazitätsausfall von 83 000 t ist zzt. noch nicht gedeckt. Es soll versucht werden, diesen Restbestand durch die Ausschöpfung aller Kapazitätsreserven – die in jedem Bezirk zweifellos vorhanden sind (Wiederaufnahme der Produktion in privaten Bäckereien, Einführung der 2. Schicht in Betrieben des sozialistischen Sektors) – auszugleichen. Diese Maßnahmen erfordern jedoch die Lösung des Arbeitskräfteproblems und der Nachwuchsfrage für das Bäckerhandwerk.
Bei der Durchführung der Neubauvorhaben und Rekonstruktionsmaßnahmen bestehen jedoch gegenwärtig noch weitere Schwierigkeiten, da vom Maschinenbau die Ausrüstungen noch nicht allseitig gesichert werden können. (Kapazitäten im Maschinenbau sind angeblich nicht vorhanden bzw. werden zum Teil zweckentfremdet genutzt.)
Fachleute vertreten die Meinung, dass der geplante Kapazitätszuwachs durch Neubauten bzw. Rekonstruktionsmaßnahmen nicht erreichbar ist. Sie bringen auch zum Ausdruck, dass mit den geplanten Neubauten und Rekonstruktionsmaßnahmen bis 1965 die Produktionsminderung nicht aufgefangen wird, da inzwischen weitere Kleinstbackwarenbetriebe stillgelegt werden würden.
Nach diesen Einschätzungen dürfte sich der Kapazitätsausfall infolge dieser Entwicklung nicht nur auf 83 000 t – wie vorher angegeben – sondern auf rund 220 000 t bis 1965 belaufen.
Die ständige Abnahme der Produktionskapazitäten in der Backwarenindustrie hat bereits zu ernsthaften Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung geführt. Vor allem in den Urlaubsmonaten, vor Feiertagen oder in Erholungszentren ist es häufig zu Schlangenbildungen gekommen. Teilweise können am Wochenende auch nicht die Anforderungen in Konditorware voll berücksichtig werden (z. B. Bezirk Karl-Marx-Stadt), obwohl besonders die privaten Handwerksmeister bestrebt sind, infolge der günstigen Verdienstspanne mehr Weißware als Brot herzustellen. Im Bezirk Potsdam wurde festgestellt, dass die Backzeiten aufgrund der nicht ausreichenden Produktionskapazität unverantwortlich stark gekürzt wurden. (Im Bezirk Potsdam wird die Brotversorgung an Wochenenden aus eigener Produktion nur bis zu 80 % gedeckt.)
Seit ca. zwei Jahren soll die Staatliche Plankommission, Abteilung Lebensmittelindustrie, Genosse Kurpaneck, auf die sich ständig verschärfende Lage in der Backwarenproduktion hingewiesen worden sein. Es wurde jedoch die Vermutung ausgesprochen, dass die gegebenen Hinweise nicht ernsthaft aufgegriffen worden sind.
Aus den hier vorliegenden Berichten ist ersichtlich, dass in der Backwarenbelieferung zwischen den einzelnen Bezirken keine zentral geleitete Koordinierung besteht. So schätzen einige Bezirke ein, dass der Bedarf der Bevölkerung an Backwaren bis 1965 restlos gedeckt werden kann, schließen jedoch in den Belieferungsplan die bisherigen Lieferungen aus anderen Bezirken mit ein. Diese betreffenden Bezirke schätzen jedoch in den unabhängig von der Festlegung dieses Bezirkes erarbeiteten Bericht ein, dass der Bedarf der Bevölkerung ihres Bezirkes nur nach Fortfall der Lieferungen in andere Bezirke bis 1965 gedeckt werden kann. Der Bezirk Halle z. B. schätzt ein, dass die Brotversorgung gesichert sei, verlässt sich dabei jedoch auf die Lieferungen aus den umliegenden Bezirken. Diese Bezirke benötigen jedoch in den kommenden Jahren alle Backkapazitäten zur Eigenversorgung.
Nach vorliegenden Hinweisen ist der örtliche Staatsapparat aufgrund der offensichtlich rückläufigen Entwicklung der Backwarenindustrie seit Mitte dieses Jahres mit der Ausarbeitung von Maßnahmen zur Beseitigung der Schwierigkeiten beschäftigt. Die Notwendigkeit ergab sich besonders aus der Tatsache, dass es in den Sommermonaten fast in allen Bezirken zu Schwierigkeiten gekommen war. Alle im Ergebnis dieser Überlegungen entstandenen Pläne beschäftigen sich überwiegend mit Rekonstruktionsmaßnahmen oder mit Neubauten, wobei zu bemerken ist, dass fast alle Pläne bisher jedoch noch nicht vom Volkswirtschaftsrat bzw. von der Staatlichen Plankommission genehmigt wurden, und in der Mehrzahl der Bezirke bestehen Diskrepanzen zwischen den aufgestellten Maßnahmeplänen und den dem Bezirk im Rahmen des Perspektivplanes bzw. Siebenjahrplanes zur Verfügung stehenden Mitteln. Außerdem wurden, wie erwähnt, keine Abstimmungen zwischen den einzelnen Bezirken über evtl. Ausfuhrverpflichtungen usw. getroffen. Insgesamt gesehen sind daher sämtliche bestehenden Pläne in den Bezirken zur Kapazitätserweiterung der Backwarenindustrie als nicht real einzuschätzen.
Trotz der bereits genannten Maßnahmen seitens des örtlichen Staatsapparates und der zahlreichen Bemühungen, ehemalige Bäcker in den alten Beruf zurückzugewinnen (Aussprachen jedoch meistens ohne Erfolg), könnte die Lage in der Backwarenversorgung durch verantwortungsvollere Arbeit des Staatsapparates in einzelnen Kreisen noch verbessert werden. Subjektive Mängel treten z. B. in der Zusammenarbeit zwischen den Räten der Kreise und den Produktionsbetrieben auf. Es erfolgen keine Benachrichtigungen bei Betriebsstilllegungen durch Urlaub, bei Krankheit oder vorübergehender Schließung durch Inventur, sodass es zu Versorgungsschwierigkeiten kommt.
In Einzelfällen gab es seitens des Staatsapparates unrichtiges oder sektiererisches Verhalten gegenüber Bäckern, wodurch Unzufriedenheit ausgelöst und einer Verbesserung der Brotversorgung entgegengearbeitet wurde. So wurden vom Rat der Stadt Cottbus – Abteilung Industrie und Handwerk – vor Monaten drei beantragte Gewerbegenehmigungen abgelehnt mit der Bemerkung, dass der VEB Großbäckerei Cottbus die Kapazitäten übernehmen würde. Die Großbäckerei kann jedoch den Bedarf seit Langem nicht mehr decken und muss Kapazitäten der Großbäckerei Stalinstadt in Anspruch nehmen.
Der Rat der Stadt Luckau/Cottbus – Abteilung Handwerk – bot einem Bäcker eine Bäckerei zur Weiterführung an, nachdem er vorher die darin befindlichen Maschinen und Geräte an den sozialistischen Sektor verkauft hatte. Da die Neuanschaffung von Maschinen infolge des fehlenden Angebotes an Geräten scheiterte, lehnte der Bäcker die Übernahme ab.
Einem Bäcker in Frankfurt/O. wurde die Gewerbegenehmigung nur unter der Bedingung erteilt, dass er sich bereit erklärt, den in der Bäckerei befindlichen Ofen zu reparieren. Nach Beendigung der Reparatur wurde dem Bäcker mitgeteilt, dass die Bäckerei jetzt von der HO, die vorher das Geschäft verwaltete, wieder übernommen wird. Für eine andere Bäckerei konnte dieser Meister nicht mehr gewonnen werden.
Andere Räte bereiten Schwierigkeiten bei der Unterstützung notwendiger Renovierungsmaßnahmen. (Bezirke Schwerin und Cottbus)
In einigen Bezirken scheiterte die Übernahme von Bäckereien durch Bäcker an der Wohnungsfrage. (Bezirke Frankfurt/O., Erfurt, Rostock, Magdeburg)
Im Kreis Prenzlau/Neubrandenburg erweiterte eine Privatbäckerei durch den Ankauf von modernen Kleingeräten ihre Kapazität und versorgte nach Einwilligung des Staatsapparates mehrere Gemeinden mit Backwaren. Nach kurzer Zeit wurde der Versorgungsbereich der Bäckerei durch den Staatsapparat wieder eingeschränkt mit der offiziellen Begründung, dass eine Stärkung des privaten Handwerks verhindert werden müsse. Die Versorgung erfolgt jetzt durch die Großbäckerei Pasewalk unkontinuierlich – der Fuhrpark reicht nicht aus – und gibt häufig infolge mangelnder Qualität zu Beschwerden der Bevölkerung Anlass.
Im Kreis Reichenbach/Karl-Marx-Stadt führt die vorrangige Belieferung der volkseigenen Bäckereien mit Mehl und Backzutaten zu häufiger Unzufriedenheit der Privatbäcker.
Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Situation in der Backwarenindustrie wurden uns folgende Vorschläge zur Veränderung unterbreitet, deren Durchführung wir zu überprüfen bitten:
- 1.
Die Pläne des Maschinenbaues müssten von der Staatlichen Plankommission bzw. dem Volkswirtschaftsrat mit dem Ziel überprüft werden, durch Aufdeckung von Produktionsreserven und evtl. Veränderung des Bedarfs anderer Planträger die für die Backwarenindustrie benötigte Produktionskapazität im Maschinenbau in voller Höhe bereitzustellen.
- 2.
In einer Abstimmung zwischen der Staatlichen Plankommission und dem Ministerium für Bauwesen müssten Maßnahmen festgelegt werden, die gewährleisten, dass das für den Neubau der Betriebe erforderliche Bauvolumen in dem Plan der Bauindustrie berücksichtigt wird.
- 3.
Im Interesse der Erhaltung der bestehenden Produktionskapazitäten und zur Sicherung der Durchführung der Instandhaltungsarbeiten in Bäckereien müssten die örtlichen Organe angewiesen werden, der Backwarenindustrie entsprechende Bauanteile vorrangig zur Verfügung zu stellen.
- 4.
Zur restlosen Ausschöpfung der Produktionskapazität im Handwerkssektor müssten vom Ministerium für Finanzen in Verbindung mit der Staatlichen Plankommission Regelungen getroffen werden, die verhindern, dass die Erweiterung der Produktion der Handwerksbetriebe durch besondere Steuerforderungen gehemmt wird. Dabei müssten Fragen der Urlaubsversorgung, der zeitweiligen Beschäftigung von Arbeitskräften aus der nichtarbeitenden Bevölkerung bzw. der Beschäftigungsgrenze, der Anerkennung höherer Löhne als Betriebsausgaben, der Backlohnspanne und der Einbeziehung der mitarbeitenden Handwerker-Ehefrauen in die soziale Pflichtversicherung Berücksichtigung finden.
- 5.
Zur Einschränkung der Fluktuation von Arbeitskräften aus der Backwarenindustrie in andere Industriezweige müsste das Komitee für Arbeit und Löhne in Verbindung mit der Staatlichen Plankommission evtl. Vorschläge für die Durchführung lohnpolitischer Maßnahmen ausarbeiten, die bei künftigen Lohnregelungen berücksichtigt werden sollten. Die Aussprachen seitens des örtlichen Staatsapparates mit ehemaligen Bäckern zur Rückgewinnung in ihren Beruf müssten verstärkt weitergeführt werden. In Erwägung gezogen werden müsste evtl. die Errichtung von Lehrkombinaten im Bezirksmaßstab zur Ausbildung von Bäckern. Es müsste durchgesetzt werden, dass ehemalige Bäcker, die ihren Dienst in der NVA versehen haben, von den zuständigen Kreiskommandos der NVA und den Abteilungen Arbeitskräftelenkung für ihren Beruf zurück gewonnen werden.
- 6.
Unter Berücksichtigung der geplanten technischen Entwicklung des Industriezweiges müssten Absolventen der einschlägigen Fachrichtungen der Hoch- und Fachschulen für den Einsatz in der Backwarenindustrie gewonnen werden. Die Kapazität der Fachrichtung »Backwaren« an der Ingenieurschule für die Lebensmittelindustrie in Dippoldiswalde könnte erweitert werden. Die Pläne der Berufsausbildung müssten mit einer stärkeren Orientierung auf die Qualifikationsforderungen in der maschinellen Großproduktion überarbeitet werden. Von den örtlichen Organen müsste die Werbung von Schulabgängern für die Backwarenindustrie verstärkt werden.
- 7.
Schaffung von Möglichkeiten der Hausbäckerei in Backbetrieben des sozialistischen Sektors.
- 8.
In Erwägung müsste die Einrichtung von Versorgungsbereichen gezogen werden, die nicht unbedingt von einem Kreis begrenzt sein sollten. Durch die Schaffung überkreislicher Lieferbeziehungen könnten die Kapazitäten gleichmäßig genutzt und die Transportkosten gesenkt werden. Zur besseren Transportmöglichkeit wäre die Standardisierung der Transportbehälter erforderlich.
- 9.
In Berlin gibt es unterschiedliche Unterstellungsverhältnisse in der Backwarenindustrie, die sich nachteilig auf die Leitung der Betriebe auswirken. Es müsste Klarheit geschaffen werden, ob die Notwendigkeit einer weiteren organisatorischen Unterstellung der Mitropa-Backbetriebe unter das Ministerium für Verkehrswesen besteht. In diesem Zusammenhang gibt es auch Bedenken gegen die Unterstellung von zwei HO-Backbetrieben unter die Verantwortlichkeit der Räte der Stadtbezirke Pankow und Weißensee und eines Frischbackbetriebes unter die Kontrolle des VEB Berliner Dauerbackwaren.