Lage nach dem Bau der Berliner Mauer (19)
7. September 1961
Bericht Nr. 546/61 über die Situation aufgrund der Schutzmaßnahmen der DDR (Berichtszeit 4. bis 7.9.1961)
Gegnerische Pläne und Aktionen in Westberlin
Die in den letzten Tagen in Westberlin durchgeführten bzw. vorbereiteten Maßnahmen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet dürften einerseits auf die »Einsicht« zurückzuführen sein, dass im Ergebnis der Schutzmaßnahmen der DDR nichts mehr zu ändern ist; andererseits sind sie ein Ausdruck der Bemühungen der Westberliner reaktionären Kräfte, Westberlin als Provokationszentrum zu erhalten und ständig nach neuen Möglichkeiten für provokatorische Aktionen gegen die DDR zu suchen.
Zu den bereits im Situationsbericht vom 1.9. angeführten Bemühungen des Westberliner Senats zum Ausbau Westberlins als angebliches Kulturzentrum und zur »Festigung der Westberliner Wirtschaft« wurden weitere Einzelheiten bekannt.1 Der Senat charakterisierte die Bestrebungen als »Maßnahmen mit besonderer Ausstrahlungskraft«.
Wie aus den bisherigen Veröffentlichungen über die inzwischen vom Westberliner Senat beschlossenen bzw. in Vorbereitung befindlichen Maßnahmen hervorgeht, gehören zu diesen Maßnahmen
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die Bemühungen zur Gewinnung von Arbeitskräften aus Westdeutschland und die Bereitstellung von Mitteln für Rationalisierungsmaßnahmen (etwa 20 Mio. Mark), um den Ausfall der Grenzgänger teilweise auszugleichen,
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die Forcierung von Besuchen prominenter ausländischer Politiker und ausländischer Journalisten in Westberlin,
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die Beeinflussung ausländischer Studenten und Wissenschaftler,
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die Forcierung der Spendenaktion in Westdeutschland für Westberlin usw.
Eine inzwischen ausgearbeitete Hetzbroschüre soll unter dem Titel »Es begann am 13. August« in deutscher, englischer, französischer und spanischer Sprache herauskommen.2
Aus einer in dieser Woche in Westberlin stattgefundenen provokatorischen Tagung des »Kuratoriums Unteilbares Deutschland«3 wurde erneut mit Schlagworten »argumentiert« wie Westberlin stehe vor einer neuen »Bewährungsprobe«, es müsse mit neuen östlichen Aktionen gerechnet werden usw. Zur »Rechtfertigung« der Haltung des Westberliner Senats wurde angeführt, es sei das östliche Fernziel, »die für Berlin lebenswichtigen Verbindungen mit der Bundesrepublik zu zerstören«. Außerdem wolle das Kuratorium der UNO ein neues sog. Weißbuch überreichen, möglichst noch bis zur Vollversammlung am 19.9.1961.
Im Rahmen der vom Senat geforderten Maßnahmen zur Beeinflussung der ausländischen Presse wurden, nach der Information einer zuverlässigen Quelle, vom Westberliner Pressezentrum mit Unterstützung des Lemmer-Ministeriums4 eine Reihe von Journalisten aus neutralen Staaten, die an der Belgrader Konferenz5 teilnahmen, eingeladen. Als »bedeutende Gegenmaßnahme« der Bonner Regierung wurde in diesem Zusammenhang die Unterrichtung aller Regierungen, zu denen Bonn diplomatische Beziehungen unterhält, im Sinne der Auffassungen Bonns genannt.
Nach einer anderen Information einer zuverlässigen Quelle habe das IWE, da seine Verbindungen zur DDR unterbrochen sind, Maßnahmen eingeleitet, um seine Hetztätigkeit fortsetzen zu können.
Dazu würde die Aufstellung zahlreicher Rundfunkgeräte gehören, um die Ortssender der DDR abzuhören, die damit verbundene Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte sowie Maßnahmen zur systematischen Auswertung der örtlichen lokalen Presse der DDR im Interesse der Hetztätigkeit.
Die Westberliner Dienststelle des Lemmer-Ministeriums wolle ab 11.9. täglich eine hektografierte Übersicht über den Inhalt der Zeitungen der DDR an die westlichen Korrespondenten in Westberlin und an die sich zeitweilig in Westberlin aufhaltenden ausländischen Journalisten herausgeben.
In einer weiteren Information wird hervorgehoben, dass die Westberliner DGB-Führung beschlossen habe, die sog. Ost-West-Schulungsarbeit in Westberlin zu verstärken. U. a. seien Sonderlehrgänge vorgesehen. Das SPD-Ostbüro wolle sich in die Maßnahmen zur Beeinflussung ausländischer Journalisten einschalten.
Es ist auch festzustellen, dass der Hetzsender »Stacheldraht«6 seine Hetzsendungen gegen die Schutzmaßnahmen der DDR an der Staatsgrenze nach Westberlin verstärkt fortsetzt. (An verschiedenen Stellen, wo vonseiten der DDR Lautsprecherwagen eingesetzt und Tonsäulen aufgestellt wurden, ist die Einstellung bzw. ein Rückgang der Hetzsendungen festzustellen.) Ein starker Einsatz Westberliner Lautsprecherwagen war vor allem am 6.9. festzustellen.
Es gibt auch nach wie vor Beispiele, wo vor allem Westberliner Jugendliche unsere bewaffneten Organe an der Grenze zu provozieren versuchen, ohne dass hier besondere methodische oder örtliche Schwerpunkte festzustellen sind. In der Berichtszeit ist allerdings festzustellen, dass Westberliner Jugendliche in zunehmendem Maße Knallkörper über die Grenze warfen.
An der Filmbühne am Steinplatz sei schon vor längerer Zeit ein Anschlag mit folgendem Text angebracht worden: »Berlins zornige junge Männer treffen sich freitags und sonnabends um 20.00 Uhr zum künstlerischen Protest und zur kulturpolitischen Diskussion im Club ›Kulturkeller – das Massengrab‹ Berlin-Charlottenburg, Schillerstraße 40.«
Angehörige der Grenzsicherungseinheiten der DDR wurden u. a. im Grenzgebiet Acker-/Bernauer Straße von Stumm-Polizisten7 mit Schusswaffen bedroht und im Gebiet Späthbrücke von einem Pkw aus mit KK-Gewehren beschossen.
Nach Einschätzung leitender Mitarbeiter in den zuständigen Stellen hat Ende der vorigen und Anfang dieser Woche die Benutzung der S-Bahn durch die Westberliner Bevölkerung wieder ständig zugenommen. Die Ursachen dafür wurden darin gesehen, dass die BVG den Personentransport nicht in vollem Umfang übernehmen konnte, die Reisenden nicht auf die billigen Fahrpreise verzichten wollten und bei der Westberliner BVG aufgrund der Rationalisierungsmaßnahmen in den letzten Jahren ein starker Personalmangel vorhanden ist. Über den gegenwärtigen Stand der Benutzung der S-Bahn können keine umfassenden Angaben gemacht werden. In diesem Zusammenhang verdienen jedoch interne Informationen Beachtung, wonach verschiedentlich randalierende Rowdys und Stupo-Posten aus den Schalterhallen der S-Bahnhöfe, u. a. des Bahnhofes Zoo, verschwunden sind oder sich nur noch vereinzelt dort aufhalten.
Offensichtlich sind in diesem Zusammenhang der Propagandarummel und die Bemühungen um den Einsatz westdeutscher Omnibusse in Westberlin zu sehen. Die westdeutsche und Westberliner Presse versucht diesen Einsatz als westdeutsche »Solidaritätsaktion« hinzustellen, mit der aufgrund des S-Bahnboykotts ein gewisser Ausgleich geschaffen werde.8
Neben den provokatorischen Forderungen einer Delegation der Westberliner Gewerkschaft der Eisenbahner, werden auch nach wie vor vor allem von Jugendlichen inszenierte Anschläge gegen die S-Bahn durchgeführt. Allein am 7.9. wurden sieben S-Bahnzüge beschädigt, wobei als Schwerpunkt die Strecke Wannsee–Frohnau festgestellt wurde. Am 4.9. wurde berichtet, dass auf Westberliner Strecken 13 S-Bahn-Beschädigungen vorkamen, wobei der Schwerpunkt die Strecke Friedrichstraße–Spandau-West war. In der Zeit vom 4. bis 7.9. wurden – nach allerdings unvollständigen Meldungen – auf Westberliner Gebiet 26 S-Bahnwagen beschädigt und in zahlreichen Wagen Hetzlosungen angebracht.
In der Nähe des Bahnhofes Humboldthain wurde am 6.9. auf der Bahnböschung ein Sprengkörper gefunden und durch einen Feuerwerker der Stupo beseitigt. Am gleichen Tage versuchten Jugendliche vor dem Bahnhof Sonnenallee einen Entstörwagen umzukippen.
Nach einer internen, gegenwärtig aber noch nicht zu überprüfenden Information aus führenden Westberliner SPD-Kreisen sei es der Westberliner SPD-Führung gelungen, nach dem 13.8. ca. 180 SPD-Mitglieder aus dem demokratischen Berlin über die Grenze nach Westberlin zu schleusen.
Wie ebenfalls intern bekannt wurde, teilte die Leitstelle des Westberliner Zollfunks intern mit, dass Westberliner Ärzte, die im demokratischen Berlin arbeiten, davor »gewarnt« würden, ihren Wohnsitz im demokratischen Berlin zu nehmen.
Der Chefkorrespondent von UPI in Westberlin erklärte, dass in absehbarer Zeit die Kontrollen in Westberlin an der Grenze zum demokratischen Berlin erheblich verschärft würden. U. a. sei beabsichtigt, alle Reisenden in das demokratische Berlin zu erfassen. In Senatskreisen würde sogar erwogen, die U-Bahnlinie zwischen Leopoldstraße und Friedrichstraße zu sperren.
Militärische Maßnahmen der Besatzungsmächte in Westberlin
Die taktischen Handlungen der Besatzungsmächte an der Staatsgrenze nach Westberlin sind auch weiterhin überwiegend durch eine rege Streifentätigkeit mit SPW, PSW, MTW und Jeeps gekennzeichnet. Bemerkenswert erscheint, dass die Franzosen vereinzelt auch Panzer des Typs AMX 13 zur Grenzkontrolle einsetzen.
Nach wie vor liegen die Schwerpunkte der Streifentätigkeit im Stadtzentrum. Streifenfahrzeuge der Besatzungsmächte erscheinen besonders häufig an den KP Brandenburger Tor, Chausseestraße, Invalidenstraße und Potsdamer Platz. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Streifentätigkeit der Besatzungsmächte mit den Maßnahmen der Westberliner Polizei abgestimmt ist.
Von den mot. Streifen der Besatzungsmächte werden an verschiedenen Stellen der Staatsgrenze immer wieder Kartenvergleiche und – eintragungen vorgenommen sowie unser Territorium fotografiert. Zur Unterstützung der Streifentätigkeit waren in der Regel mehrere US-Hubschrauber und ein franz. Beobachtungsflugzeug eingesetzt. Teilweise wurden Luftaufnahmen von unserem Territorium gemacht.
Nach Schätzungen haben die Besatzungsmächte im Stadtgebiet an der Staatsgrenze etwa folgende Kräfte ständig im Einsatz:
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Franzosen: ca. ein Zug mot. Schützen mit 2 bis 3 SPW und mehreren Jeeps,
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Engländer: ca. zwei Züge mot. Schützen mit 6 bis 8 SPW bzw. PSW, etwa 4 bis 8 MTW und eine größere Anzahl von Jeeps,
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Amerikaner: ca. ein Zug mot. Schützen bzw. Militärpolizei mit etwa sechs Jeeps.
Die Fahrzeuge sind fast ausnahmslos mit nachrichtentechnischen Mitteln ausgestattet.
Bei den engl. Truppen wurden folgende Streifenwege, die regelmäßig abgefahren werden, erkannt:
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Abschnitt Kieler Straße/Reichstag,
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Abschnitt Reichstag/Linkstraße (Potsdamer Platz).
Zur Enklave Eiskeller fahren unverändert in einem Abstand von 30 bis 60 min SPW und Jeeps. Während der Nachtzeit dehnen sich die Zeitabstände aus. Inzwischen wurde ein Betonmischer angefahren. Angeblich soll ein 60 m langes und 4 bis 5 m hohes Stahlgerüst aufgestellt werden.
Der bereits gemeldete britische Beobachtungsposten auf dem Reichstagsgebäude wird noch immer täglich besetzt. Von diesem Posten führt eine Telefonleitung zu einem Zelt in der Nähe des Reichstagsgebäudes. Es wird angenommen, dass hier eine britische Führungsstelle untergebracht ist. Offiziell wurde bekannt, dass britische Truppen damit begonnen haben, im Tiergarten in der Nähe des Reichstages, des Brandenburger Tores und des sowjetischen Ehrenmals winterfeste Unterkünfte zu errichten. Ein britischer Sprecher habe hierzu mitgeteilt, dass noch nicht entschieden sei, ob das britische Kommando während des ganzen Winters an der Grenze in Westberlin stationiert bleiben soll.
Weiter wurde festgestellt: eine französische Funkstation zwischen den KP Provinz- und Klemkestraße, eine Beobachtungsstelle an der Sebastiankirche und eine amerikanische Beobachtungsstelle auf dem Turm des Eternit-Werkes9 in Rudow.
Die von den Besatzungsmächten eingesetzten Hubschrauber und Beobachtungsflugzeuge verletzten in der Berichtszeit mehrmals den Luftraum des demokratischen Berlin bzw. der DDR, z. B.
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am 4.9.: 14.30 Uhr zwischen den KP Sebastian- und Kommandantenstraße,
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am 5.9.: 9.25 Uhr an dem KP Dankmarsteig,
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am 6.9.: gegen 10.15 und 10.20 Uhr im Bereich Stolpe-Süd und an der S-Bahnstrecke Lichtenrade–Mahlow,
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am 7.9.: 10.00 Uhr an KP Kiefholzstraße.
Die Grenzverletzungen und Provokationen durch Angehörige der Besatzungstruppen der Westmächte werden nach wie vor fortgesetzt. Besonders fiel auf, dass im Verlaufe des 4.9. beim KP Friedrichstraße die Staatsgrenze etwa 35-mal durch US-Soldaten einzeln oder in Gruppen überschritten wurde.
Am gleichen Tage gegen 13.20 Uhr bedrohten US-Militärpolizisten am KP Heinrich-Heine-Str. die dort befindlichen Sicherungsposten mehrmals mit der Waffe.
Am 5.9. warfen US-Soldaten an der Ecke Sülzhayner/Heidelberger Straße Tränengaskörper über die Staatsgrenze und wenig später nochmals an der Ecke Treptower/Heidelberger Straße.
Gegen 21.30 Uhr versuchte ein Jeep der britischen Streitkräfte, der mit mehreren Offizieren besetzt war, die Sicherungslinien zu passieren.
Grenzdurchbrüche und Desertionen
In der Berichtszeit wurden insgesamt 27 Grenzdurchbrüche mit 45 Beteiligten festgestellt.
Davon an der Staatsgrenze
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nach Westdeutschland 13 mit 21 Personen,
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nach Westberlin 14 mit 24 Personen.
Im gleichen Zeitraum gelang es 22 Grenzdurchbrüche mit 36 Beteiligten zu verhindern und die Personen festzunehmen.
Davon an der Staatsgrenze
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nach Westdeutschland 14 mit 26 Personen,
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nach Westberlin 8 mit 10 Personen.
An der Staatsgrenze nach Westberlin waren die Grundstücke unmittelbar an der Grenze ein weiterer Schwerpunkt, wobei es den Grenzverletzern in mehreren Fällen gelang, durch die Fenster der oberen Stockwerke auf Westberliner Gebiete zu entkommen.
Am 5.9. sprangen zwei weibliche Personen mit einem Kind aus einer Wohnung (1. Etage) in der Waldemarstr. auf Westberliner Gebiet. In der Bernauer Straße sprangen zwei männliche Personen durch das Fenster nach Westberlin. In der Ackerstraße 43 stieg die Familie [Name 1] mit Unterstützung der Westberliner Feuerwehr aus ihrer Wohnung (2. Etage) nach Westberlin. Am 6.9. ließen sich zwei Personen mittels Seil aus ihrer im 3. Stock gelegenen Wohnung in der Dresdener Straße 114 auf Westberliner Gebiet.
Zu einem schweren versuchten Grenzdurchbruch an der Staatsgrenze nach Westdeutschland kam es am 7.9.1961 am GKA Marienborn. Gegen 23.40 Uhr versuchten fünf Jugendliche aus Halberstadt mit einem gestohlenen H3A (Kennz. […]) die Grenze am GKA Marienborn zu durchbrechen. Am letzten Schlagbaum, an der Ausfahrt nach Westdeutschland, stießen sie auf den westdeutschen Pkw »Taunus« (Kennz. […]).
Der Fahrer des Pkw, [Name 2], aus Osnabrück, wurde tödlich und die Ehefrau schwer verletzt. Die Ehefrau wurde in das Krankenhaus Neundorf/Oschersleben überführt. Beide befanden sich auf dem Rückweg von der Messe in Leipzig.
Die Jugendlichen [Name 3], [Name 4], [Name 5], [Name 6] und [Name 7], sämtliche aus Halberstadt, wurden festgenommen.
Im Rahmen der Untersuchungen wurden weitere vier Jugendliche in Halberstadt festgenommen. Zwei Jugendliche hatten bei der Entwendung des Lkw Beihilfe geleistet und zwei weitere Jugendliche beabsichtigten ebenfalls mit einem Motorrad die Grenze am GKA Marienborn nach Westdeutschland zu durchbrechen. (Die weitere Bearbeitung erfolgt durch die Abteilung K der VPKA Oschersleben und Halberstadt.)
In der Berichtszeit gab es auch eine Reihe von Vorkommnissen, die darauf schließen lassen, dass in verstärktem Maße der Wasserweg über die Ostsee zum Verlassen der DDR benutzt wird.
Am 4.9. sprang im dänischen Hafen Gedser ein Tourist aus Dresden vom MS »Warnemünde« und schwamm an Land.
Am 5.9. sprang ein Maschinenassistent des Kutters SAS 281 über Bord und schwamm zu einem westdeutschen Schiff, welches ihn aufnahm.
Ein weiblicher Ingenieur aus Wismar verließ illegal die DDR und teilte mit, dass sie im Badeanzug in Hamburg angekommen sei. Es besteht der Verdacht, dass sie im Hafen von Wismar an den schwedischen Tanker »Penny« schwamm und mit diesem nach Hamburg fuhr.
Am 6.9. versuchte ein Oberschüler aus Neubrandenburg, von Kühlungsborn aus, mit einem Ruderboot die DDR zu verlassen. Er wurde auf See durch die Volksmarine gestellt und der VP übergeben.
Am gleichen Tage versuchte ein Kaufmann aus Rostock in Gedser von Bord des MS »Warnemünde« zu springen. Er wurde festgenommen.
In der Berichtszeit wurde auch weiterhin in starkem Maße von Westberliner Gebiet aus versucht, unsere Sicherungskräfte negativ zu beeinflussen und sie zur Desertion zu verleiten.
Dabei wurden vor allem die Lautsprecherwagen des Senders »Stacheldraht« eingesetzt, die an den verschiedenen Grenzabschnitten ihre Hetzsendungen (meist in Form von Nachrichten) abspielten. Es wurde festgestellt, dass unsere Gegenmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit noch nicht den Erfordernissen entsprechen. Z. B. wird kaum eine Störung der Sender durchgeführt und in den jeweiligen Einheiten der DGP und BP wird von den Politorganen der Inhalt dieser Sendungen in Auseinandersetzungen zu wenig widerlegt und entlarvt.
Am 4.9. wurden zwischen dem KP 50 und 51 unseren Posten von einer älteren Frau aus dem Haus Betanienstraße [Nr.] (Westberlin) Zigaretten zugeworfen, die von den Posten zurückgeworfen wurden. Danach schmiss die Frau einen Beutel mit Zigaretten und einen Zettel über die Grenze. Auf dem Zettel war vermerkt, dass die Posten die Zigaretten ruhig rauchen sollten, da es ehrlich gemeint sei. Zwei anwesende jüngere Frauen wären in die beiden Posten verliebt, obwohl sie verheiratet seien.
In der Berichtszeit kam es zu zehn Desertionen. Davon acht an der Staatsgrenze nach Westberlin und zwei an der Staatsgrenze nach Westdeutschland.
Auf die jeweiligen Einheiten aufgeschlüsselt:
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5 Angehörige der DGP,
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4 Angehörte der BP,
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1 Angehöriger der Trapo.
Im Einzelnen handelt es sich um die Deserteure:
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Soldat [Name 8], GB Hildburghausen (4.9.),
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Gefr. [Name 9], GB Grabow (4.9.),
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Gefr. [Name 10], GB Blankenfelde (5.9.),
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Uwm. [Name 11], 2. Abteilung BP (6.9.),
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Owm. [Name 12], 5. Abteilung BP, 2. Komp. (7.9.),
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Owm. [Name 13], 5. Abteilung 2. Komp. BP (7.9.),
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Sold. [Name 14], SGA 3. Brig. der DGP (7.9.),
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Sold. [Name 15], SGA 3. Brig. der DGP (7.9.),
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Owm. [Name 16], 1. mot. Brigade der BP (7.9.),
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Owm. [Name 17], Trapo (7.9.).
Am 6.9., 20.30 Uhr wurde die Grenze am Posten 3 (Puschkin-Allee/Freiarchenbrücke) durch eine Frau und einem vier Monate alten Kind und einem Jungen mit Einverständnis der Uwm. [Name 18] und Uwm. [Name 19] (beide 8. Bereitschaft der VP) in Richtung Westberlin durchbrochen.
Gegen 17.00 Uhr bat diese Frau den Uwm. [Name 18], sie zu ihrem Ehemann nach Westberlin zu lassen, der auf der gegenüberliegenden Seite stand. Uwm. [Name 18] lehnte dieses Ansinnen zunächst ab, vereinbarte aber später mit der Frau, dass sie gegen 20.30 Uhr wiederkommen soll, um im Schutze der Dunkelheit zu ihrem Mann zu gelangen.
Als die Frau um 20.30 Uhr wieder kam, ließen sie diese die Grenze passieren.
Der Ehemann rief [Name 18] zu sich und übergab ihm ein Bündel 20-DM-Scheine mit dem Bemerken, dass es 2 000 DM wären. Gleichzeitig schlug er [Name 18] vor, nach Westberlin zu kommen. Im Beisein der Uwm. [Name 19] und [Name 20] übergab [Name 18] das Geld auf Anraten des Uwm. [Name 20] einem ihm bekannten Mädchen zur Verwahrung. Nach der Ablösung gegen 23.00 Uhr meldete Uwm. [Name 20] diesen Vorfall jedoch seinem Vorgesetzten. Dadurch wurde der Betrag von 980 DM bei der [Name 21], wohnhaft Treptow, sichergestellt. (Uwm. [Name 18] erhielt zunächst zehn Tage Arrest und die Bearbeitung wird dem Militärstaatsanwalt übertragen.)
Provokationen und Vorkommnisse im demokratischen Berlin
Nach vorliegenden Berichten war der Umfang der im Berichtszeitraum im demokratischen Berlin bekanntgewordenen gegnerischen Handlungen äußerst gering und ließ keine zunehmende Aktivität und Intensität erkennen.
Auch ergaben sich im Hinblick auf den Charakter und die Methoden dieser feindlichen Handlungen keine neuen Gesichtspunkte. Sie erstreckten sich wieder auf:
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Schmieren von Hetzlosungen, gegen die Partei und gegen die Wahlen gerichtet,
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Faschistische Schmierereien,
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Abreißen von Wahlagitation und Fahnen,
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Mündliche Hetze gegen die Maßnahmen der Regierung, die Wahlen und die Partei,
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Widerstand gegen eingreifende Volkspolizisten,
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Versenden von anonymen Postkarten hetzerischen Inhalts.
So wurden z. B. am 4.9.1961 gegen 2.00 Uhr in der Brehmestraße in Berlin-Pankow vier Personen durch die VP festgenommen, da sie bei einer Kontrolle ihrer Ausweispapiere hetzerische Reden führten.
Eine anonyme Postkarte mit Hetze gegen die Regierung und gegen den Empfänger wurde u. a. auch dem Schauspieler und Nationalpreisträger Günter Simon zugeschickt.
Feindtätigkeit und besondere Vorkommnisse in der DDR
Wie berichtet wird, hat in den Bezirken der DDR die Feindtätigkeit im Berichtszeitraum an Umfang nachgelassen. Die gegnerischen Handlungen erstrecken sich auch in den Bezirken der DDR im Wesentlichen auf folgende Delikte:
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Faschistische Schmierereien (in mehreren Fällen in den Bezirken Rostock, Magdeburg, Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Potsdam festgestellt.),
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Anschmieren von Hetzlosungen, gegen die Maßnahmen der DDR, die Partei und anderen Inhalts (in den Bezirken Rostock, Magdeburg, Halle, Cottbus, Neubrandenburg, Leipzig und Potsdam bekanntgeworden.),
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Zusenden anonymer Drohbriefe an fortschrittliche Bürger (in den Bezirken Magdeburg, Cottbus, Neubrandenburg, Halle und Karl-Marx-Stadt in Erscheinung getreten.),
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Mündliche Hetze gegen die Schutzmaßnahmen der DDR (mehrfach in den Bezirken Rostock, Halle, Neubrandenburg, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Potsdam festgestellt, wobei die Mehrzahl der inhaftierten Täter ihrer Hetze Argumente der Westsender zugrunde legten),
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Beschädigung und Abreißen von Wahlagitation (in zahlreichen Fällen in den Bezirken Magdeburg, Cottbus, Neubrandenburg, Halle und Karl-Marx-Stadt),
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Staatsverleumdung (vereinzelt in fast allen Bezirken, besonders im Zusammenhang mit der Werbung für die NVA und der Aktion zur Beseitigung der »Ochsenkopf«10-Antennen festgestellt).
Folgende, besonders beachtenswerte Beispiele dieser Feindtätigkeit wurden in den Berichten angeführt:
In Bautzen/Dresden wurden an drei verschiedenen Stellen selbstgefertigte Klebestreifen mit der Forderung nach »freien Wahlen« angebracht.
In Hoyerswerda/Cottbus wurden in der Nacht zum 6.9. in mehreren Straßenzügen Hetzlosungen angeschmiert. Diese Losungen waren 9 m lang und die Buchstaben 1 m hoch. Geschmiert wurden sie mit einer Kalkanstrichisoliermasse, die beim Bau der Neustadt von Hoyerswerda verwendet wird.
In der Toilette der Abteilung Fahrkarten des Leipziger Hauptbahnhofes wurde am 4.9.1961 die Hetzlosung: »Kein Stacheldraht, Frieden, freie Wahlen« angeschmiert. Dies ist seit dem 13.8.1961 das dritte Vorkommnis dieser Art. (An der Aufklärung aller Fälle des Schmierens von Hetzlosungen wird gegenwärtig noch gearbeitet.)
Im Bezirk Frankfurt/O. konnte in der Berichtszeit der Täter ermittelt werden, der in der Nacht zum 14.8.1961 in Stendell/Angermünde mehrere Hetzlosungen gegen die Schutzmaßnahmen der DDR anschmierte. Es handelt sich um einen kriminell vorbestraften Bürger aus Passow/Angermünde, der mit dem SPD-Ostbüro in Verbindung stand und auch Hetzflugblätter verbreitete.
Von den anonymen Drohungen gegenüber fortschrittlichen Bürgern in der Berichtszeit sind folgende, vom Inhalt bzw. Anlass her, beachtenswert:
Dem Geophysiker vom Schacht 366 der Wismut in Aue, Mitglied der SED, wurde ein Drohbrief folgenden Inhalts zugesandt: »Du stirbst – rote Hand – letzte Warnung.«
In Wendischbrome/Klötze/Magdeburg erhielt der Genossenschaftsbauer [Name 22] am 5.9. einen Brief, indem gegen ihn Drohungen ausgesprochen werden, weil er der Grenzpolizei fünf Grenzgänger mitgeteilt hat.
Der Hausgemeinschaft Sennefelder Straße 11 in Zeitz/Halle wurde ein anonymer Brief zugesandt, indem die Verachtung der Leuna-Kumpel darüber ausgesprochen wird, dass diese Hausgemeinschaft ihre Fernsehantennen auf Sender der DDR ausrichtete.
Der Bürgermeister von Artern/Halle erhielt einen in Bitterfeld aufgegebenen anonymen Brief folgenden Inhalts: »Genossen: … Walter Ulbricht wird die Rede am 13. Jahrestag der DDR nicht mehr halten. Haltet nach dem Attentat zu Willi Stoph.«
Dem Instrukteur der SED-Kreisleitung Demmin/Neubrandenburg, Thiedtke, wurde über die Post ein anonymer Brief zugeschickt, der Westzeitungsausschnitte mit Überschriften wie »auch Deine Stunde hat einmal geschlagen« u. Ä., enthielt. Aufgegeben war der Brief in Westdeutschland.
Die Mitarbeiterin der landwirtschaftlichen Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig, Dr. [Name 23], erhielt mit der Post einen Brief zugesandt, der Hetzschriften der SPD enthielt. Aufgabeort war Mücheln bei Leipzig.
(An der Aufklärung der Herkunft der bekanntgewordenen anonymen Drohbriefe wird gegenwärtig noch gearbeitet.)
Besondere Vorkommnisse von Bedeutung wurden in der Berichtszeit folgende mitgeteilt:
Am 5.9. erhielt der Vorsitzende des Rates des Kreises Seelow/Frankfurt/O. einen Brief vom Superintendenten des Kreises Seelow, Richter, indem gegen die Maßnahmen, die gegen Präses Scharf ergriffen wurden, protestiert wird.11 Der Brief ist von weiteren 17 Pfarrern unterschrieben.
Aus dem gleichen Grunde lehnten am 4.9. die evangelischen Pfarrer des Kreises Jüterbog/Potsdam eine Aussprache mit Vertretern des Kreises ab.
Bis zum 4.9. wurden dem Kreis Wernigerode/Magdeburg vom VE-Kühlbetrieb Magdeburg insgesamt 14 t Importschweinefleisch aus der SU geliefert. Die Lieferung erfolgte unter Zollverschluss. Wie danach festgestellt wurde, ist dieses Fleisch teilweise mit Salmonellen verseucht. Aus diesem Grunde mussten 24 Verkaufsstellen in 15 Gemeinden des Kreises geschlossen und das Fleisch eingezogen werden. (Die Versorgung der Bevölkerung wird mit Fleischkonserven aufrechterhalten.)
Im Kreis Templin/Neubrandenburg erkrankten ca. 120 Personen, meist Kinder, an der Ruhr. Die Ursache ist nach Vermutungen der Ärzte offensichtlich darin zu suchen, dass während der heißen Tage die Müllabfuhr in Templin nur ungenügend erfolgte, große Mengen Müll offen herumlagen und dass sich darin entwickelnde Ungeziefer diese Krankheit übertrug. (Maßnahmen zur Veränderung und genauen Untersuchung wurden eingeleitet.)
Am 5.9. wurde in Wahns/Meiningen/Suhl der Dreschmaschinist [Name 24] bei einer Reparatur unter der Dreschmaschine von einer fremden Person mit einer Pistole bedroht, die danach fluchtartig den Dreschplatz in Richtung des naheliegenden Waldes verließ. Bereits am 31.8. war es zu einem ähnlichen Vorkommnis in Wernshausen/Schmalkalden gekommen. (Fahndungsmaßnahmen wurden eingeleitet.)