Lage nach dem Bau der Berliner Mauer (21)
14. September 1961
Bericht Nr. 560/61 über die Situation aufgrund der Schutzmaßnahmen der DDR (Berichtszeit 11.9.–14./15.9.1961)
Gegnerische Pläne und Aktionen in Westberlin
Die führenden Bonner und Westberliner politischen Kreise setzen nach wie vor ihre von Westberlin ausgehende Provokationspolitik fort. Diesem Zweck, vor allem der Aufrechterhaltung der sog. Frontstadtmoral, dienen u. a. die von Bonn für Westberlin zusätzlich bereitgestellten Mittel in Höhe von 500 Mio. Mark. Der Hamburger CDU-Vorsitzende Blumenfeld forderte von der Bonner Regierung Maßnahmen zur Verbilligung von Reisen nach Westberlin. Er erklärte dazu, es müsse verhindert werden, dass die »Moral« der Westberliner untergraben wird.
Bonner und Westberliner Stellen sind offensichtlich bemüht, die Verletzung des Luftraums der DDR durch zwei Düsenjäger der Bonner Bundeswehr zu bagatellisieren.1 Die westdeutsche und Westberliner Presse lässt unter Berufung auf Beobachter und frühere Feststellungen des alliierten Flugpersonals sogar die Möglichkeit durchblicken, dass die Luftraumverletzung auf sog. östliche Störmaßnahmen zurückgeführt werden könne. Strauß habe den Vorfall in verschiedenen Stellungnahmen mit schlechtem Wetter und Ausfall der Funkgeräte zu begründen versucht. Brandt habe in einem Fernschreiben an Strauß zum Ausdruck gebracht, dass gegenwärtig derartige Vorfälle vermieden werden müssten.
Die Zwischenfälle auf den Flugplätzen Tempelhof und Tegel wurden von Bonner und Westberliner Seite dementiert und als östliche Zweckpropaganda darzustellen versucht.
Nach der Information einer zuverlässigen Quelle wurde in führenden Offizierskreisen der französischen Besatzer in Westberlin die Meinung vertreten, dass von drei aus Algerien abgezogenen Divisionen 1 500 Mann nach Westberlin versetzt würden. Quartiere seien schon bereitgestellt.
Von Brandt wurde in provokatorischer Absicht die Entsendung der UNO-Kommission für Menschenrechte nach Westberlin gefordert.2 Wie eine vertrauenswürdige Quelle berichtete, beabsichtigen die beiden Westberliner Schriftsteller Grass und Schnurre zusammen mit anderen Mitgliedern des Schriftstellerverbandes, eine »Protestresolution« an die UNESCO zu verfassen. (Diese beiden Schriftsteller waren bekanntlich auch die Initiatoren für den Offenen Brief an den Schriftstellerverband der DDR.)3 Es gibt auch Meldungen, wonach von Bonner- und Senatskreisen die Verlagerung von UN-Behörden in beide Teile Berlins gefordert worden sei.
Die führenden Westberliner politischen Kreise verstärken außerdem ihre Bemühungen, prominente ausländische Politiker (u. a. aus den afrikanischen und asiatischen Ländern), ausländische Wirtschaftler sowie möglichst viele westdeutsche Bürger und westdeutsche Organisationen für einen Besuch Westberlins zu gewinnen. Aufgrund des Beschlusses des DGB-Bundesvorstandes, verstärkt Delegationen nach Westberlin zu entsenden, wählte der DGB-Landesvorstand Hessen 20 bis 24 Funktionäre für einen Flug nach Westberlin aus. Diese Delegation sollte sich vom 14. bis 16.9. in Westberlin aufhalten.
Wie eine vertrauenswürdige Quelle berichtete, bemühen sich Westberliner SPD-Kreise darum, in größerem Umfang Päckchen und Briefe in die DDR zu versenden (u. a. an ehem. SPD-Mitglieder, Grenzgänger usw.). Die Aktion soll durch private Absender getarnt werden.
Um den Sicherungsmaßnahmen der DDR zu begegnen, sei vom »Collegium Politicum« (Prof. Lades/Erlangen) vorgesehen, einen »Studentischen Deutschlandfunk« aufzubauen. Es sei geplant, die Sendungen objektivistisch zu gestalten und keine so plumpen Methoden wie der RIAS oder andere Westsender anzuwenden.
Mit den bereits bekannten sog. Unerwünschtenlisten wird von den Westberliner Grenzkontrollorganen weiterhin gearbeitet. Die Grenzposten seien dazu angewiesen worden, bei Übertritten der in den Listen aufgeführten Personen (Eduard v. Schnitzler, Täve Schur usw.) so zu verfahren, als wenn es sich um Flüchtlinge handelt.4 (Abnahme des DPA, Überstellung in ein Flüchtlingslager usw.)
Aus zuverlässiger Quelle wurde bekannt, dass eine bestimmte Gruppe von Kriminalbeamten und leitenden Senatsangestellten damit beauftragt wurde, die S- und U-Bahn (Kopfbahnhöfe), einschl. Pendelverkehr, zu überwachen. Das geschieht ohne Genehmigung der zuständigen Kommandanten mit dem Ziel, diese von der Notwendigkeit einer solchen ständigen Kontrolle zu überzeugen. Bei diesen Kontrollen sollen Westberliner, die aus dem demokratischen Berlin zurückkommen, listenmäßig erfasst werden.
In Ausländerkreisen (auch von Bürgern der drei Westmächte) wird erklärt, dass ausländische Pässe von unseren Grenzsicherungsposten als unbedingt zuverlässig angesehen werden und den Übergang zur DDR sowie die Kontrolle erleichtern. (Diese Auffassung fand durch die inzwischen erfolgten Festnahmen ausländischer Bürger, die versuchten, Personen über die Grenze zu schleusen, Bestätigung.) In diesem Zusammenhang wird bekannt, dass eine Anzahl griechischer Staatsbürger in Westberlin ihre Pässe verkaufen und diese beim Konsulat als verloren melden. Die Pässe sollen jedoch zur Einschleusung von DDR-Bürgern benutzt werden.
Der Terror gegen die S-Bahn in Westberlin hält weiterhin an. In der Berichtszeit wurden 36 S-Bahnwagen beschädigt. Als Schwerpunkt werden bei den Beschädigungen die Strecken Heiligensee/Lichtenrade und Friedrichstraße/Spandau-West genannt. Zum wiederholten Male wurden von unbekannten Tätern zwischen den Bahnhöfen Schulzendorf/Tegel am 14.9. Betonplatten auf die Schienen der S-Bahn gelegt, die jedoch beim Befahren der Strecke von S-Bahntriebwagen beiseite geschleudert wurden.
Nachdem bereits der erste provokatorische Verstoß der Westberliner Eisenbahner-Gewerkschaft (Lohnumtausch) scheiterte, unternahm diese Gewerkschaft einen erneuten Versuch zur Provozierung der Verwaltung der Deutschen Reichsbahn. Vertreter der Westberliner Eisenbahner-Gewerkschaft schlugen der Verwaltungsstelle der Bonner Bundesbahn in Westberlin vor, den Lohnumtausch für die Westberliner Eisenbahner aus sog. Liegenschaftsgeldern zu gewähren.
Besonders im RAW Tempelhof verstärkten sich die Anfragen der Eisenbahner, wann sie die Möglichkeit des Besuchs ihrer Verwandten 1. Grades im demokratischen Berlin erhalten. Sie schlagen die Einrichtung einer Passierscheinstelle im RAW für Eisenbahner vor.
Am 12.9. fand am Steinplatz im Studentenhaus eine Hetzkundgebung der Vereinigung der Opfer des Stalinismus,5 des Studentischen Arbeitskreises Berlin6 und der Vereinigung politischer Häftlinge7 statt, während der hauptsächlich Republikflüchtige mit Hetzreden auftraten.
Aus einer zuverlässigen Information geht hervor, dass am 12./13.9. jeweils mehrere Stunden ca. 250 Arbeiter der Westberliner Maschinenbau-AG streikten, da die Betriebsleitung durch Veränderung der Vorgabezeiten eine Lohnsenkung angekündigt hatte. Die Reduzierung der Vorgabezeiten erfolgte, nachdem in Schränken ehem. Grenzgänger Abrechnungsbücher und Akkordzettel gefunden worden waren, aus denen Fälschungen in den Berechnungen hervorgingen.
Grenzdurchbrüche und Desertionen
In der Berichtszeit wurden insgesamt 46 Grenzdurchbrüche mit 76 Personen festgestellt.
Davon an der Staatsgrenze
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nach Westdeutschland 21 mit 37 Personen,
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nach Westberlin 25 mit 39 Personen.
An der Staatsgrenze nach Westberlin konnten 15 Grenzdurchbrüche verhindert und 19 Beteiligte festgenommen werden.
Von den 21 an der Staatsgrenze nach Westdeutschland gemeldeten Grenzdurchbrüchen wurden allein 12 mit 23 Personen am 11.9.1961 festgestellt.
Die Ursachen der Grenzdurchbrüche liegen vor allem in der mangelnden Organisation der Grenzsicherung durch die leitenden Offiziere der Grenzkompanien und in einer nachlässigen Dienstdurchführung der Grenzposten.
Am 11.9.1961, gegen 6.10 Uhr gelang drei Jugendlichen ein Grenzdurchbruch im Bereich der GB Mühlhausen, KP Rustenfelde nach Westdeutschland. Der im Durchbruchabschnitt eingesetzte Grenzposten führte einen oberflächlichen Dienst durch, und der Postenführer schlief während des Dienstes 5½ Stunden.
Am 11.9.1961, gegen 7.00 Uhr wurde ein schwerer Grenzdurchbruch im Bereich der GB Hildburghausen KP Truckendorf festgestellt. (4 Personen) Die Grenzdurchbruchstelle war nicht gesichert.
Schwerpunkt der Grenzdurchbrüche nach Westberlin sind weiterhin die Häuser unmittelbar an der Grenze. In der Berichtszeit wurden fünf gelungene und ein versuchter Grenzdurchbruch festgestellt, die unmittelbar aus den Fenstern von Grenzhäusern erfolgten. (Waldemarstr., Harzerstr., Bernauer Str., Swinemünder Str.)
Zu den in der Vergangenheit in diesem Gebiet durchgeführten und verhinderten Grenzdurchbrüchen wurde festgestellt, dass sich zu den Zeiten der Grenzdurchbrüche oftmals mehrere Einsatzkräfte der Stupo in diesem Gebiet aufhielten. Dies lässt darauf schließen, dass die Westberliner Polizei in den meisten Fällen Kenntnis von den geplanten Grenzdurchbrüchen hat und teilweise Hilfe leistet.
Als Schwerpunkt für Verbindungsaufnahmen und Nachrichtenübermittlung haben sich die Straßenabschnitte Bernauer Straße, Harzerstr. und Luckauer Str. herausgebildet. Aufgrund der dort vorhandenen Grenzverhältnisse ist das Abwerfen von Briefen und Zetteln sowie das Empfangen von Briefen mittels Emporziehen am Bindfaden zur Hauptmethode der Verbindung geworden.
In den meisten Fällen werden die abgeworfenen Briefe und Zettel von Stupos entgegengenommen.
Folgende Beispiele zeigen, dass die Grenzdurchbrüche zum Teil mit aktiver Unterstützung der Stupo durchgeführt werden:
Am 12.9., gegen 0.15 Uhr wurde eine 69-jährige Frau mithilfe der Westberliner Feuerwehr aus einer Wohnung im 1. Stock der Bernauer Str. 23 geholt.
Gegen 9.20 Uhr sprang eine 56-jährige Frau aus dem 3. Stock der Harzerstraße 113 in das bereitgehaltene Sprungtuch der Westberliner Feuerwehr.
Ein weiterer Schwerpunkt der Grenzdurchbrüche war in den letzten Tagen der VEB OLW Treptow. Vom Betriebsgelände aus wurden acht Personen über den Flutgraben flüchtig. Zwei Personen konnten beim Versuch des Grenzdurchbruchs festgenommen werden.
In zwei Fällen gelang es Grenzverletzern, durch Täuschen der Posten mit dem Lkw auf Westberliner Gebiet durchzubrechen. (Köpenicker Straße [am] 11.9. und Invalidenstraße [am] 14.9.)
In der Berichtszeit kam es wiederholt zu Verletzungen des Luftraums der DDR durch Flugzeuge, die von Westdeutschland in das Gebiet der DDR einflogen.
Am 13.9., gegen 17.49 Uhr flog bei Bermbach/Suhl ein Düsenflugzeug (Nationalität und Type unbekannt) in ca. 10 000 m Höhe in Richtung Gotha in das Gebiet der DDR ein. Der Ausflug erfolgte gegen 17.56 Uhr an der gleichen Stelle.
Am 13.9., gegen 17.10 Uhr flog im Kreis Mühlhausen/Erfurt ein einmotoriger Hochdecker in das Gebiet der DDR ein und gegen 17.14 Uhr bei Weidenbach wieder aus.
Gegen 17.45 erfolgte bei Treffurt/Eisenach ein erneuter Einflug dieser Maschine in Richtung Inselsberg. (Ausflug wurde nicht gemeldet)
Gegen 18.30 Uhr landete zwischen Catharinau und Rudolstadt/Gera ein einmotoriger Hochdecker (Typ Piper L 4), Zweisitzer, Kennzeichen: D-EDCT. Diese Maschine gehört der zivilen Flugschule FluWa GmbH in Kassel-Waldau. Der Pilot, [Name], wohnhaft Kassel, gab an, dass er sich auf dem Flug von Hannover nach Kassel befand und die Orientierung verloren habe. (Der Pilot befindet sich im VPKA Rudolstadt.)
Am 14.9.1961, gegen 15.00 Uhr überflogen zwei Düsenjäger der westdeutschen NATO-Luftwaffe das Gebiet der DDR vom Raum Eisenach bis nach Westberlin, wo sie auf dem Flugplatz Tegel landeten.
In der Berichtszeit kam es weiterhin fortgesetzt zu provokatorischen Handlungen des Gegners, wobei versucht wurde, die an der Grenze nach Westberlin eingesetzten Sicherungskräfte negativ zu beeinflussen, sie zu bestechen oder zur Fahnenflucht zu verleiten.
Neben dem Einsatz der Lautsprecherwagen, die an der Grenze auf Westberliner Gebiet ihre Hetzsendungen abspielten, wurden die Posten in verstärktem Maße durch Zivilpersonen, insbesondere weibliche, zur Niederlegung der Waffen, Verweigerung des Gehorsams gegenüber den Vorgesetzten und zur Fahnenflucht aufgefordert.
Im Abschnitt IV versuchten die Stupo-Posten verstärkt mit den neu eingesetzten Sicherungskräften Kontakt aufzunehmen.
Am 11.9. verbreiteten die Westberliner Lautsprecherwagen folgende Meldung: »Morgen von 19 bis 20 Uhr findet eine Kundgebung statt, auf der geflüchtete Angehörige der DGP sprechen werden.« (Der Kundgebungsort wurde nicht verstanden.)
Am 12.9. fuhr der Stupo-Volkswagen B-85 den KP 60 an. Die Insassen, ein Offizier und ein Zöllner, entfalteten provokatorisch eine Westzeitung mit der Schlagzeile: »Vier Vopos auf einen Schlag übergelaufen.«
Inoffiziell wurde bekannt, dass die Westberliner Polizei (K 1) in verstärktem Maße Fotos von den an der Grenze eingesetzten Volkspolizisten kauft und sammelt.
An mehreren Stellen der Grenze kam es wiederum zu Menschenansammlungen auf Westberliner Gebiet (meist Jugendliche), die unsere Posten beschimpften und zum Teil mit Steinen bewarfen. (z. B. am 13.9. in Groß-Ziethen, Karl-Marx-Straße; Heinersdorf, Osdorfer-Straße; Kleinmachnow, am Jägersteig u. a.) Im Bereich Groß-Ziethen stellten die Provokateure ihre Handlungen erst nach Abgabe eines Warnschusses durch unseren Posten ein.
Am 13.9., gegen 20.45 Uhr wurden unsere Sicherungskräfte in der Britzer Straße (Baumschulenweg) von Westberlin aus mit KK-Munition beschossen. Personen wurden nicht verletzt.
In der Berichtszeit wurden mehrere Fälle bekannt, wo versucht wurde, unsere Sicherungskräfte durch Bestechung zur Duldung bzw. Beihilfe von Grenzdurchbrüchen zu verleiten:
Am 12.9. wurden dem Posten Uwm. [Name 1], 2. Komp. 5. Abt. an der Mengerzeile von einem Westberliner 2 000 DM angeboten, falls er dessen Verlobte, [Name 2] aus Dresden, nach Westberlin schleusen würde. Der Westberliner warf dem Posten eine Westberliner Adresse und drei Briefmarken zu, damit ihm mitgeteilt werden könnte, wann und wo die Schleusung erfolgt.
Der Westberliner bot dem Uwm. [Name 1] 1 000 DM als Vorschuss. [Name 1] verhielt sich diszipliniert und ging nicht darauf ein.
Der Uwm. [Name 3], 7. Abt. der BP, nahm am 12.9. eine Zivilperson fest, die ihn mit 100 DM bestechen wollte, um nach Westberlin zu kommen.
Nach vorliegenden Informationen bestehen bei einem Teil der Sicherungskräfte Unklarheiten in der Behandlung der Besucher von Bewohnern in Häusern unmittelbar an der Grenze. Unter der Bevölkerung gibt es deshalb Unzufriedenheit, da sie nicht mehr Besucher aus dem demokratischen Berlin empfangen können, die ohne besondere Genehmigung nicht in die Sperrzone gelassen werden. Dazu wird geäußert, dass die eingesetzten VP-Angehörigen ständig andere Anweisungen geben würden. Ein Teil der Posten lasse Besucher in die Häuser an der Grenze, andere wiederum verweigerten Besuchern den Zutritt.
In der Zeit vom 11. bis 14.9. kam es zu sieben Desertionen, davon eine an der Staatsgrenze nach Westdeutschland.
Dabei handelt es sich um:
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Soldat [Name 4] (GB Eisenach, Ausbildg. Komp.) 11.9.,
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Uwm. [Name 5] (Trapo) 12.9.,
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Wm. [Name 6] (1. mot. Brig. 1. Abt.) 12.9.,
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Wm. [Name 7] (1. mot. Brig. 3. Abt.) 12.9.,
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Wm. [Name 8] (1. mot. Brig. 1. Abt.) 12.9.,
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Uffz. Schüler [Name 9] (Lehrber. Potsdam BP) 13.9.,
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Uwm. [Name 10] (6. Abt. 1. Komp. d. BP) 14.9.
Feindliche Handlungen und Vorkommnisse auf dem Gebiet des demokratischen Berlin
Eine Zunahme der feindlichen Handlungen war im Berichtszeitraum im demokratischen Berlin nicht festzustellen. Die bekanntgewordenen Handlungen erstreckten sich wiederum auf:
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staatsgefährdende Propaganda und Hetze,
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Anschmieren von Hetzlosungen,
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Staatsverleumdung gegenüber Angehörigen der VP und
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Abriss und Beschädigung von Wahlagitation.
Die Hetzlosungen wurden vorwiegend auf Wahlplakaten angeschmiert bzw. Losungen zur Wahl durch Abänderungen zu Hetzlosungen gestaltet.
Derartige Feststellungen wurde getroffen an fünf Litfaßsäulen in Berlin NO 55, in Berlin-Mahlsdorf am O-Bus 37, Unter den Linden und am U-Bahnhof Stadtmitte.
Im Zusammenhang mit den Vorfällen der Hetze, der Staatsverleumdung und einer Provokation am KP Gartenstr. wurden fünf Personen festgenommen.
Am 11. und 12.9.1961 versammelten sich am KP Gartenstraße jeweils ca. 100 Personen, die nach der Westseite winkten, unsere Maßnahmen verächtlich machten und versuchten, die VP-Posten zu provozieren. Sie wurden am 11.9.1961 mit SPW und SKM und am 12.9. mit Nebelkerzen zurückgedrängt. Gegenansammlungen auf Westberliner Seite wurden von der Stupo auseinandergetrieben.
Am 13.9. wurden im Gelände der Offiziersschule in Treptow, an mehreren Stellen der Staatsgrenze, im Kraftwerk Klingenberg, im Gelände des VEB Bergmann-Borsig sowie um die Freilichtbühne in Berlin-Biesdorf Flugblätter des SPD-Ostbüros mit der Überschrift »Macht das Tor auf – nun erst recht« gefunden. Die Art der Verbreitung ist nicht bekannt.
Außerdem wurden im Gelände des VEB Gasversorgung und der Koreanischen Botschaft je eine Hetzschrift »Der Wachturm« gefunden.
Eine gleiche Hetzschrift wurde am 13.9. dem Bürger [Name 11], Bln.-Lichtenberg, Weitlingstr. [Nr.] in den Briefkasten gesteckt.
In der Deutschen Post wird bekannt, dass zzt. viele Telegramme mit folgendem Text versandt werden. »Komme morgen um die gleiche Zeit zur Grenze (Ortsangabe)«. Diese Personen sollen sich dann gegenseitig zuwinken, was auch von westlichen Fotoreportern fotografiert wurde.
Am 11. und 14.9. kam es in Berlin N 54 und in Berlin N 4 zu je einem Selbstmord, wobei diese Personen in ihren Abschiedsbriefen an ihre Verwandten bzw. Bekannten die Schutzmaßnahmen der DDR als Grund ihres Selbstmordes angaben.
Feindtätigkeit und besondere Vorkommnisse in der DDR
Nach vorliegenden Berichten war – mit Ausnahme des Bezirkes Potsdam – im Berichtszeitraum ein weiterer Rückgang der feindlichen Handlungen im Gebiet der DDR festzustellen. Während die Methoden unverändert blieben, wurde in der Mehrzahl dieser Handlungen im Inhalt besonders auf die bevorstehende Wahl Bezug genommen. Im Wesentlichen wurden wieder folgende gegnerischen Handlungen berichtet:
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Anschmieren von Hetzlosungen, die sich gegen die Wahl und den Staatsrat richten (Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Wismut, Dresden, Magdeburg, Frankfurt/O., Neubrandenburg),
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Anbringen faschistischer Schmierereien (Leipzig, Erfurt, Suhl, Frankfurt/O., Halle, Neubrandenburg, Karl-Marx-Stadt),
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staatsgefährdende Propaganda und Hetze und Staatsverleumdung (Dresden, Magdeburg, Halle, Neubrandenburg u. Karl-Marx-Stadt),
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Beschädigen und Abreißen von Wahlagitation (Leipzig, Erfurt, Cottbus, Magdeburg, Frankfurt/O., Halle, Karl-Marx-Stadt),
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Verbreiten und Zusenden selbstgefertigter Hetzschriften (Potsdam, Magdeburg, Karl-Marx-Stadt),
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Zusenden anonymer Drohbriefe und Anrufe (Potsdam, Leipzig, Frankfurt/O., Neubrandenburg).
Beachtenswert in diesem Zusammenhang sind folgende in den Berichten angeführte Beispiele:
Am 11.9. wurde dem Kreisvorsitzenden des DTSB von Neuruppin/Potsdam ein anonymer Drohbrief zugestellt, der u. a. beinhaltet: »Wir sind Deutsche und keine Kommunisten. In Neuruppin werden in kurzer Zeit viele öffentliche Gebäude in die Luft gesprengt.«
Die Verwaltung des RAW Kirchmöser/Potsdam erhielt durch die Post folgenden anonymen Kartentext zugestellt: »Wir Belegschaftsmitglieder des RAW fordern sofortige Haftentlassung des Kollegen [Name 12] und erklären uns mit ihm solidarisch. Montag erfolgt Streikbeginn.«
Am 13.9. wurde dem Genossen [Name 13] in Golzow/Frankfurt/O. durch die Post ein Drohbrief zugestellt, in dem er geschmäht und wegen seiner Mithilfe bei der Festnahme eines Jugendlichen, welcher Plakate zerstörte, mit Mord bedroht [wird]. Der Brief trägt die Unterschrift »Bund deutscher Wehrwölfe«.
In Delitzsch/Leipzig erhielt ein Mitglied der PGH des Fleischerhandwerks eine Drohschrift, in der ihm wegen seiner Bereitschaft, die Westantenne abzubauen, Mord angedroht wird.
Schwerpunkte größerer Schmierereien und feindlicher Handlungen waren nach vorliegenden Berichten die Orte:
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Schönfelde/Fürstenwalde/Frankfurt/O. – 15 Hakenkreuze geschmiert,
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Schöneiche/Fürstenwalde/Frankfurt/O. (Brennpunktgemeinde) – wiederum eine Hetzlosung angebracht,
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Zwickau/Karl-Marx-Stadt – mehrere Hakenkreuze und Hetzlosungen angeschmiert,
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Sonneberg/Suhl – 19 Hakenkreuze geschmiert,
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Eisenach/Erfurt – 33 Wahlplakate abgerissen.
(An der Aufklärung der Täter dieser gegnerischen Handlungen wird noch gearbeitet.)
In Harnekop/Freienwalde/Frankfurt/O. konnte durch die VP eine Hausfrau festgenommen werden, die am 13.9. an verschiedenen Stellen in der Gemeinde Hakenkreuze schmierte.
In den Kreisen Anklam, Demmin, Malchin und Teterow/Neubrandenburg wurden größere Mengen Hetzflugblätter des SPD-Ostbüros gefunden. In Alt Tellin/Demmin wurde ein derartiges Flugblatt am 12.9. an der Anschlagtafel befestigt.
Balloneinflüge mit Hetzschriften wurden am 12.9. im Kreis Ludwigslust/Schwerin beobachtet. Startplatz war vermutlich die Umgebung von Leckede8/WD.
Besondere Vorkommnisse von Bedeutung wurden im Berichtszeitraum folgende bekannt:
Auf den Bahnhöfen Falkenberg/Leipzig und Erfurt wurde vor der Ausfahrt von Güterzügen festgestellt, dass unbekannte Täter unter je einem Güterwagen Hemmschuhe gelegt hatten, die bei Nichterkennen zu Entgleisungen geführt hätten. (Ermittlungen werden zzt. geführt)
In Wenze/Klötze/Magdeburg wurde in einer Wohnung der LPG eine Stange Gelatine – Donarit-Sprengstoff von 20 cm Länge mit Schnur und elektrischem Zünder gefunden. Die Wohnung wird zzt. von Instrukteuren der Bezirksparteischule bewohnt. (Bearbeitung erfolgt durch VP und MfS)
An der Erweiterten Oberschule »Thomas Müntzer« in Aschersleben/Harz gründeten zwei Jugendliche, deren Väter Offiziere der faschistischen Wehrmacht waren, mit weiteren Jugendlichen eine sog. Partei mit der Bezeichnung »UPV«. Ein Schüler wurde bereits beauftragt, entsprechende Abzeichen zu fertigen. (Die Gruppe wird vom MfS bearbeitet.)
In der Ingenieur-Zentrale des VEB-Kombinat Böhlen/Leipzig versucht der Abteilungsleiter für Mess- und Regeltechnik in versteckter Form eine Diskussion über Fehler der Partei zu entwickeln. Seine Diskussionen zeigen eine parteifeindliche Tendenz und finden großen Anklang bei einem Teil der Ingenieure und Mitglieder der GO der Ingenieurzentrale. (Entsprechende Maßnahmen durch das MfS in Verbindung mit dem 1. Sekretariat der Kreisleitung der Partei wurden eingeleitet.)
Auf der Baustelle des BKW Halle, Chemiehochschule Merseburg nahmen am 14.9. fünf Arbeiter nach der Frühstückspause die Arbeit nicht wieder auf. Beeinflusst wurden sie dazu durch den FDGB-Vertrauensmann [Name], nachdem dieser in der Frühstückspause erfahren hatte, dass diese Brigademitglieder am 13.9. wegen ruhestörenden Lärms dem VPKA zugeführt worden waren. (Die Festnahme des [Vertrauensmannes] wurde angeordnet.)
In der Abt. 200 des VEB Optima Erfurt erklärten sich ca. 15 Arbeiter des Werkzeugbaues mit zwei Jugendlichen solidarisch, die die Delegierungsurkunden zur NVA ablehnten. (An der Aufklärung wird gearbeitet.)
In der Berichtszeit trat auch im Bezirk Schwerin in Erscheinung, dass, wie bereits aus den Bezirken Frankfurt und Erfurt gemeldet, einzelne LPG ihr abzulieferndes Getreide zurückhalten.
In Seifen/Marienberg/Karl-Marx-Stadt erkrankten bis zum 14.9. insgesamt 110 Kinder und 112 Erwachsene an der Ruhr. (Schutzimpfung wurde eingeleitet)