Lage nach dem Bau der Berliner Mauer (3)
19. August 1961
Bericht Nr. 457/61 über die Situation aufgrund der Schutzmaßnahmen der DDR
1. Zur diplomatischen und politischen Aktivität des Gegners
Auch heute gibt es keine wesentlichen neuen Momente in der diplomatischen und politischen Aktivität der führenden Kreise der Westmächte, Bonns und Westberlins. In der Reaktion auf die Schutzmaßnahmen der DDR sind die Forderungen nach »drastischen Gegenmaßnahmen« noch mehr als bisher in den Hintergrund getreten. Solche Forderungen tauchen nur noch vereinzelt auf.
Besonders charakteristisch trat dies anlässlich des Besuchs des amerikanischen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson zutage. Johnson traf am 19.8. vormittags in Bonn ein, konferierte dort drei Stunden mit Adenauer und reiste anschließend nach Westberlin weiter.1 Johnson wird mit seinen Begleitern am 20.8. eine Stadtrundfahrt unternehmen und dabei das Lager Marienfelde besichtigen.
Bei seinem öffentlichen Auftreten beschränkte sich Johnson darauf, die Maßnahmen der DDR zu verurteilen und auf die Erhaltung der amerikanischen Zufahrtswege nach Westberlin und der sogenannten Freiheit Westberlins zu bestehen. Mit keinem Wort deutete er irgendwelche Maßnahmen der USA gegen die DDR an. Er teilte lediglich mit, dass die USA ihre Truppen in Westberlin um 1 500 Mann verstärken wollen.2 Im Übrigen rief er die Bevölkerung des demokratischen Berlin dazu auf, »nicht zu verzagen«.3 In ähnlicher Weise äußerten sich in der Sondersitzung des Abgeordnetenhauses, die anlässlich des Besuchs von Johnson einberufen worden war, auch Brandt und Brentano. Brandt betonte lediglich die Notwendigkeit der Bestätigung der alliierten Garantien für Westberlin und forderte, vor der Weltöffentlichkeit Protest zu erheben.4 Nur in sehr unbestimmten Worten erklärte er, dass die Bundesregierung und der Senat »alle möglichen Anstrengungen zur Lösung der Westberlin-Frage« unternehmen müssen.
Der gesamte Ablauf des Besuchs von Johnson zeigt den rein demonstrativen Charakter dieser Maßnahme. Noch vor seiner Rede im Abgeordnetenhaus und vor Besprechungen mit Brandt wandte er sich in einer kurzen Ansprache an die Westberliner Bevölkerung, die sich vor dem Rathaus versammelt hatte, ohne jedoch Wesentliches zu sagen.
Ähnlich demonstrativen Charakter wie der Johnson-Besuch haben offensichtlich auch die Beschlüsse der amerikanischen, britischen und französischen Regierungen, die Truppen in Westberlin zu verstärken. Die USA werden 1 500 Mann nach Westberlin entsenden, die wie eine motorisierte Infanterie-Einheit ausgerüstet sind. Diese Truppen sollen im Laufe des 20.8. über die Autobahn nach Westberlin geschleust werden.
Die britische Regierung entsendet 18 Schützenpanzerwagen und 16 Panzerspähwagen, allerdings ohne die dazu gehörigen Mannschaften.
Über das Ausmaß der von der französischen Regierung beschlossenen Truppenverstärkung liegen noch keine Meldungen vor.
Sprecher des Senats haben die Truppenverstärkung offiziell begrüßt.
Weitere Schritte in Richtung dieser demonstrativen Aktionen zur Beruhigung der Bevölkerung sind offensichtlich die angekündigte Antwort auf die Noten der Sowjetunion an die drei Westmächte vom 3.8.,5 die nächste Woche überreicht werden soll und die Rede Adenauers im westdeutschen Fernsehen am 19.8., in der Adenauer nachdrücklich vor »drastischen Gegenmaßnahmen« warnte und demagogisch die Schrecken eines Atomkrieges heraufbeschwor.6
Wie aus führenden Bonner CDU-Kreisen dazu intern bekannt wird, sei diese Haltung aufgrund des Druckes der Westmächte zustande gekommen, die eine von Bonn »vollkommen unterschiedliche« Beurteilung der Lage erarbeitet hatten. Die Westmächte hätten in diplomatischen Gesprächen wiederholt von »Polizeiaktionen im eigenen Herrschaftsbereich« gesprochen. Die Forderung Adenauers nach einem geschlossenen Wirtschaftsembargo gegen die DDR habe bei den Westmächten nur Verstimmung ausgelöst. Führende Bonner CDU-Kreise hätten daraus den Schluss gezogen, dass die drei Westmächte keine Deutschlandpolitik verfolgten, die ihre eigene Sicherheit gefährden würde. Sie bezeichneten deshalb eine Änderung der Bonner Außenpolitik, die »irgendeine Form der de-facto-Anerkennung« der DDR einschlösse, um die westlichen Sicherheitsgarantien für Westberlin zu erhalten.
In führenden Kreisen der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg ist es um die Maßnahmen der DDR zu heftigen Auseinandersetzungen über das Vergehen der Kirche gekommen. In einer Tagung der Kirchenleitung, die am 17.8. stattfand, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Dibelius nahestehenden Kreisen, die sich auf die Linie Adenauers festlegten, und den Kreisen um Präses Scharf, die für eine Annäherung an Brandt eintraten.7 Durch die gegenwärtige Situation hätte sich die Notwendigkeit ergeben, die Kirche in Berlin-Brandenburg so umzuorganisieren, dass der Bischofssitz in das demokratische Berlin verlegt wird, um dem Bischof bessere Wirkungsmöglichkeiten in die DDR zu geben und gleichzeitig ein Gegengewicht gegen Bischof Mitzenheim zu schaffen.8
Die Kirche befürchtet einen schweren wirtschaftlichen Schaden durch die Maßnahmen der DDR, da es ihr nun nicht mehr möglich sei, eingehendes Westgeld in den Wechselstuben einzutauschen. Den Pfarrern wurde eine Kürzung ihres Gehaltes auf 70 % angekündigt.
Auch die leitenden Geistlichen der katholischen Kirche bemühen sich um eine Klärung der organisatorischen Fragen für den Grenzübergang der Bischöfe.9 Der neue Bischof Bengsch bemühte sich um einen Passierschein nach Westberlin. Auch Kardinal Döpfner beantragte einen Passierschein für den Abschiedsgottesdienst am 20.8. in der Herz-Jesu-Kirche, wobei er zusichern ließ, dass er sich jeder Angriffe auf die DDR enthalten werde.
Nach dem Besuch des DGB-Vorsitzenden Richter in Westberlin hat die DGB-Führung ein Programm ausgearbeitet, das den Boykott der Leipziger Messe, den Abbruch sportlicher und kultureller Verbindungen, den Boykott von SED-Mitgliedern in den Betrieben, die Schließung der SED-Büros in Westberlin, die Einberufung einer Tagung des Bundesausschusses des DGB nach Westberlin, die Durchführung einer Volksbefragung in Westberlin und Westdeutschland und eine Reihe anderer Maßnahmen vorsieht.10 U. a. wurde auch vorgeschlagen, die Berlin-Frage vor die UN zu bringen und den Gedanken einer Friedenskonferenz der 52 Siegerstaaten des Zweiten Weltkrieges zu fördern. Dieses Programm hat jedoch nach den uns vorliegenden Meldungen offensichtlich nicht die Billigung aller angeschlossenen Gewerkschaften und Landesverbände gefunden.
Der 1. Vorsitzende des DGB Bayern, Linnert, ließ jedenfalls erkennen, dass er von derartigen Protestschritten nicht allzu viel halte, da es der Bundesregierung nicht gelungen sei, eine gemeinsame Front zu schaffen. Offensichtlich versucht jedoch der DGB die westdeutschen Werktätigen aufzuhetzen, um Aufträge für den innerdeutschen Handel zu sabotieren. Ein solcher Sabotageakt soll am Montag bei MAN/Hamburg durchgeführt werden.
Nach wie vor wird aus Westberlin eine deprimierte Stimmung der Bevölkerung und der Wirtschaftskreise gemeldet. Für die in Westberlin stattfindende Funk- und Phono-Ausstellung 1961 haben sich bereits 30 % der Besucher abgemeldet. Ein großer Teil der Vorbestellungen in den Hotels und Pensionen für die Ausstellung wurde zurückgezogen. Die Angstkäufe in Westberlin halten an, sodass es selbst nach offiziellen Mitteilungen bei einigen Waren, so bei Kartoffeln, bereits zu Verknappungen gekommen ist. Ähnlich ist es bei Mehl und Zucker.
Bemerkenswert ist auch, dass im AEG/Zweigbetrieb Drontheimer Str. 3 die ausgesprochene Entlassung der Ehefrau eines SED-Genossen aufgrund der Proteste der Arbeiterinnen der Abteilung zurückgenommen werden musste.
2. Gegnerische Provokationen und Vorkommnisse
Zuverlässig wurden wiederum Hinweise auf die vom Westberliner Senat organisierten Anschläge gegen die S-Bahn bekannt. So wurden die ausgebildeten Hilfspolizeiangehörigen aufgrund der beabsichtigten Besetzung der S-Bahn-Einrichtungen in Westberlin in Alarmzustand versetzt. Zu diesem Zweck mussten alle Angehörigen der Hilfspolizei ihre Betriebsanschriften angeben, um im Falle der Auslösung des Alarms von den Arbeitsstellen geholt werden zu können. Außerdem wurden sie aufgefordert, Namen und Anschriften von Personen zu nennen, die im Besitz eines Pkw sind und bereit wären, an diesem Einsatz teilzunehmen.
Angehörige der Hilfspolizei die in öffentlichen Dienststellen arbeiten, haben nach vorliegenden Meldungen Uniform und Waffen griffbereit liegen. An der Aktion gegen die S-Bahn will sich auch der sog. »Freiheitsbund« von Berlin-Reinickendorf beteiligen.
In Alarmbereitschaft – Stufe I – befindet sich auch die Stupo im Polizeigebäude am Tempelhofer-Damm.
Zur Unterstützung der anhaltenden Boykottaktion gegen die S-Bahn hat die Direktion der West-BVG auf Parallelstrecken zur S-Bahn neue Omnibus-Linien eingerichtet. Bedingt durch die Boykottaktion, bei der am 19.8.1961 im Bahnhof Schöneberg sogar Fahrgäste vom Schalter weggestoßen und geschlagen wurden, ist die Zahl der S-Bahn-Reisenden um etwa 30 % zurückgegangen.
Der vom DGB organisierte Boykott soll nach einer Meldung des SFB am Montag, 21.8., auf 46 der insgesamt 60 Westberliner S-Bahnhöfe ausgedehnt werden.
Nach Mitteilung einer zuverlässigen Quelle trifft die West-BVG Maßnahmen, um auch die Zusammenarbeit mit der BVG zu beenden. Gegenwärtig werden an der Endstelle der Bernauer Straße Kehren eingebaut.
Die Provokationen gegen die SED werden mit dem Versand von Schreiben an die Mitglieder fortgesetzt, in denen die sog. Unabhängige Sozialistische Einheitspartei Deutschlands die Empfänger auffordert, das Parteidokument mit einer Austrittserklärung an die Kreisleitung der SED zu schicken. Gleichzeitig wird darin aufgefordert, offen gegen die Funktionäre der SED in der Grundorganisation aufzutreten. Ein solches Schreiben wurde am 19.8.1961 durch die Genossin [Name 1] von der Komplexbauleitung der Deutschen Reichsbahn am Anhalter Bahnhof bei der Politabteilung der Reichsbahn abgegeben.
Erneute Hinweise und Ergebnisse der Kontrollen Westberliner Bürger an den KP lassen erkennen, dass der Gegner auch weiterhin versucht, Westberliner Personalausweise einzuschleusen und Bürger des demokratischen Berlin damit nach Westberlin zu schleusen.11 So berichten zuverlässige Quellen, dass es der Berliner Bank in zwei Fällen und der Studenten-Corporation Germania in drei Fällen gelungen sei, Fachkräfte bzw. Familien auf diese Weise nach Westberlin zu holen.
Am Ostbahnhof wurde durch die Trapo der [Name 2] aus Berlin-Wilhelmshagen, [Straße, Nr.] festgenommen. [Name 2] wies sich durch einen Westberliner Ausweis aus, der auf den Namen [Name 3], Berlin-Tegel, lautete. Seinen eigenen Ausweis hatte der [Name 2] am Körper versteckt.
Durch das AZKW wurde am Bhf. Friedrichstraße der Westberliner [Name 4] der Trapo-Wache zugeführt, da er einen zweiten Ausweis bei sich führte. Der gleichen Wache wurde die [Name 5] aus Babelsberg zugeführt, da sie einen gefälschten Westberliner Pass bei sich trug.
Wie zuverlässig berichtet wird, gibt es gegenwärtig in Westberlin Erwägungen, sog. Passstuben einzurichten, wo Bürger der DDR gegen Hinterlegung ihres DPA durch Westberliner Bekannte Westausweise ausgehändigt bekommen sollen. Damit sei beabsichtigt, erneut Republikfluchten zu organisieren.
An den Kontrollpunkten wurde im Gegensatz zu den vorangegangenen Tagen festgestellt, dass am 19.8.1961 mehr Personen das demokratische Berlin betraten. Zum großen Teil trugen diese Personen Taschen bei sich, in denen Bananen und andere Südfrüchte sowie Schnaps und Zigaretten festgestellt wurden. Es besteht die Möglichkeit, dass damit Schwarzmarktgeschäfte organisiert werden, auf die bereits im letzten Bericht hingewiesen wurde.
In der Jesuiteneinrichtung »Offene Tür«12 in Westberlin sprechen seit den Sicherungsmaßnahmen der DDR laufend evangelische und katholische Personen vor mit der Bitte, mithilfe dieser katholischen Einrichtungen Geld und andere »Liebesgaben« an Angehörige im demokratischen Berlin und in der DDR zu vermitteln. Angeblich hat das bischöfliche Sekretariat derartige Vermittlungen abgelehnt und die evangelischen Personen an ihre Pfarrämter in Westberlin verwiesen.
Am 19.8.1961 wurde durch das AZKW auf dem Bhf. Friedrichstraße die Westberlinerin [Name 6] der VP zugeführt, da sie im Zwischenboden ihrer Einkaufstasche 1 925 DM versteckt hatte. Die [Name 6] hat in Berlin-Mahlsdorf ein Gartengrundstück und war von der ehem. Grenzgängerin [Name 7] beauftragt worden, 200 Westmark in der Wechselstube einzutauschen.
Durch eine zuverlässige Quelle wird in diesem Zusammenhang berichtet, dass die Mitarbeiter der U-Bahn am Körper versteckt Gehälter vom Westsektor in das demokratische Berlin bringen. Gleichzeitig würden die Angestellten der U-Bahn auch zur Übermittlung von Nachrichten eingesetzt, die sie in Containern und Zigarettenschachteln beförderten.
Mehrere Meldungen besagen, dass sich am 19.8.1961 auf Westberliner Gebiet wieder häufiger negative Gruppen gegenüber den KP ansammelten und versuchten, die Posten zu provozieren. Schwerpunkte waren die KP Onkenstraße, Eberswalder Straße, Lindenstraße, Chausseestraße und Bernauer/Ecke Brunnenstraße. In der Nähe der Bernauer Straße wurden außerdem drei Pkw gesichtet, die mit Hetzlosungen umherfuhren. In fast allen Fällen waren diese Gruppen von Film- und Fotoreportern begleitet.
Aus einem Telefongespräch, das [Name 8] vom »Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen« mit der Westberliner Abteilung I am 17.8.1961 führte, wurde bekannt, dass dieses Ministerium im Besitz von Mitteilungen über geflüchtete Angehörige der Sicherheitsorgane der DDR, deren Motive zur Flucht und ihre Fluchtwege sei. Diese Angaben sollen protokolliert und von den Flüchtigen unterschrieben sein. Außerdem seien Fotoaufnahmen der von der DDR getroffenen Schutzmaßnahmen von Interesse.
Im Zusammenhang damit steht möglicherweise die Tatsache, dass am 19.8.1961 im Bereich der Bernauer Straße Posten der Bereitschaftspolizei einzeln von Westberliner Seite aus fotografiert wurden. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass diese Bilder den Deserteuren zur Identifizierung vorgelegt werden sollen.
Weiter wird berichtet, dass Mitarbeiter des »Landesamtes für Verfassungsschutz« oder der Westberliner Kripo auf der Westseite des Überganges Friedrichstraße die aus dem demokratischen Berlin kommenden Passanten fotografieren und zum Teil befragen, was sie im demokratischen Berlin zu tun hatten.
Zuverlässig wird bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst über Funk beginnt, an Agenturen in der DDR Deckadressen aus europäischen kapitalistischen Ländern wie Schweiz, Belgien, Holland usw. auszugeben. Die Agenten werden aufgefordert, in verhältnismäßig kurzen Zeitabständen im Geheimschriftverfahren an diese Deckadressen Informationen zu übersenden.
Die Feindtätigkeit im demokratischen Berlin und in den Bezirken der DDR bestand in gleichem Umfange im Wesentlichen wieder in der Form von Hetze, im Anbringen von faschistischen Schmierereien und Losungen sowie in offenen und anonymen Morddrohungen gegen Funktionäre der Partei sowie andere fortschrittliche Bürger. Auch der Inhalt der Hetze und der Hetzlosungen hat sich nicht wesentlich geändert und richtet sich auch weiterhin gegen die Sicherungsmaßnahmen der DDR, gegen den Abschluss eines Friedensvertrages, für »freie Wahlen« sowie gegen Walter Ulbricht und andere Funktionäre. Neu im Inhalt sind die hetzerischen Stellungnahmen gegen den Kampfauftrag der FDJ.
In diesem Zusammenhang wurden wieder mehrere E-Verfahren, Festnahmen und Aburteilungen im Schnellverfahren durchgeführt. (Rostock, Halle, Cottbus, Magdeburg, Dresden, Neubrandenburg, Gera, Karl-Marx-Stadt, Frankfurt/O. und demokratisches Berlin)
In Strausberg/Frankfurt/O. wurden zu verschiedenen Zeiten insgesamt neun Hetzlosungen geschmiert. Hier konnten durch Einsatzgruppen des MfS und der VP als Täter vier Jugendliche, Mitglieder des sog. Ted-Herold-Clubs, festgenommen werden.
In Zittau/Dresden wurde in der Gaststätte »Zur Mandau« von einer unbekannten Person ein mit Druckkasten selbstgefertigtes Flugblatt abgegeben, das diese Person vor der Gaststätte gefunden haben will. Darin wird aufgerufen, keine Zeitung zu kaufen, kein Lotto zu spielen und die Versicherung nicht zu bezahlen sowie gefordert: »Übt Widerstand wo es möglich ist, beweist, dass Ihr Deutsche seid. Die Welt schaut auf Euch.« (Die Bearbeitung erfolgt durch das MfS und die VP.)
In Döbeln/Leipzig wurde der Kreistagsabgeordnete Erich Zerche vom Steinbrucharbeiter [Name 9] niedergeschlagen und erlitt dabei erhebliche Verletzungen. [Name 9] wurde inhaftiert. Das Motiv der Tat sind wahrscheinlich politische Gründe.
In der Gemeinde Uchtspringe/Stendal/Magdeburg wurde am 18.8.1961 durch den Gaststättenleiter [Name 10] die Klubgaststätte gegen 21.00 Uhr geschlossen und an der Tür ein Schild mit der Aufschrift »Wir streiken gegen Ungerechtigkeit und Willkürmaßnahmen« angebracht. Bei der Tatortbesichtigung wurde noch ein zweites Schild dieser Art gefunden, die [Name 10] mit noch anderen namentlich bekannten Personen angefertigt hat. Angeblich habe sich die Losung gegen den Konsum und das Krankenhaus gerichtet, da dem [Name 10] von beiden Institutionen für den 31.8.1961 die Kündigung ausgesprochen worden sei. (Weitere Untersuchungen werden noch geführt.)
In Leuna-Nord nahmen am 19.8.1961 insgesamt zehn Gleisbauarbeiter ihre Arbeit nicht auf. Sie begaben sich in eine Gaststätte, wo es später zu einer Schlägerei kam. (Untersuchungen werden zzt. noch geführt. Ergebnis wird nachgereicht.)
Nach vorliegenden Hinweisen versucht der Gegner jetzt auch verstärkt, Einfluss auf Mitglieder der SED in der DDR zu nehmen. So wurde z. B. im Bezirk Halle festgestellt, dass sog. Kettenbriefe verschickt werden. Außer Hetze gegen Walter Ulbricht enthalten diese Briefe folgende Forderungen: »Arbeite langsam – Versorge Dich mit Lebensmitteln – Nimm an keinen Kundgebungen teil. Am 11.9. Generalstreik – Bleib zu Hause, bis unsere Forderungen erfolgt sind – Gehe nicht zur Wahl.« Außerdem wird gefordert, dass der Empfänger diesen Brief an zehn Freunde oder Bekannte weiterbefördern soll.
Dem Wahlbezirksausschuss-Vorsitzenden von Berlin-Friedrichshain wurde eine westliche Zeitung in den Briefkasten gesteckt.
Im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf erhielt der aus der Partei ausgeschlossene Abteilungsleiter Schmiedel einen Brief aus Westberlin, dessen Absender dem Schmiedel unbekannt ist. In diesem Brief berief sich der Absender auf den aus dem Stahlwerk republikflüchtig gewordenen [Name 11] und forderte den Schmiedel auf, auszuharren. Aus dem Inhalt des Briefes geht weiter hervor, dass im Westen bekannt sei, dass Schmiedel ein Gegner des Kommunismus ist. Er brauche deshalb nicht befürchten, später einmal von westlicher Seite aus zur Verantwortung gezogen zu werden. Schmiedel beabsichtigt, diesen Brief der Betriebsleitung zu übergeben.
Zu dem Brand am 16.8.1961 in der Druckerei des »ND« konnte als Brandstifter der Stereotypeur der Druckerei ermittelt und festgenommen werden.
3. Grenzdurchbrüche, Desertionen und besondere Vorkommnisse
In der Berichtszeit wurden die Möglichkeiten des illegalen Abwanderns nach Westberlin durch die Einleitung weiterer Sicherungsmaßnahmen und die Erhöhung der Wachsamkeit der Einsatzkräfte weiterhin eingeschränkt.
Grenzdurchbrüche traten am 19.8. gegenüber den vorangegangenen Tagen nicht mehr in dieser konzentrierten Form und in diesem Umfange auf.
Gemeldet wurden:
- –
sechs Fälle mit insgesamt acht Personen von gelungenen Durchbrüchen,
- –
zwei versuchte Durchbrüche mit vier Personen vom demokratischen Berlin nach Westberlin,
- –
zwei versuchte Durchbrüche mit zwei Personen in umgekehrter Richtung.
Besonders beachtenswert ist der Durchbruch am 19.8., gegen 11.30 Uhr im Bereich der 14. Grenzbereitschaft der 2. Grenzabteilung Staaken am Nennhauserdamm mittels eines Konsum-Lieferwagens vom Typ »Granit«. Da es sich um einen Lieferwagen handelte der laufend die HOG »Volkshaus« Staaken belieferte, wurde er nicht kontrolliert und fuhr im Schritttempo ca. 100 m vor die Grenze. Am »Volkshaus« erhöhte er die Geschwindigkeit und fuhr über die dort errichtete Drahtsperre nach Westberlin. Im Fahrzeug befand sich eine männliche Person. Auf westlichem Gebiet versammelten sich daraufhin etwa 30 Personen, die jedoch durch einen Funkwagen der Stupo zerstreut wurden.
In der Nacht vom 18. zum 19.8. waren an der Schillingbrücke drei Durchbrüche zu verzeichnen, wobei eine Person festgenommen werden konnte. Auf der Westberliner Seite – 400 bis 500 m von der Grenze entfernt – war zu dieser Zeit zeitweilig ein aufflammendes Licht zu beobachten. Es ist anzunehmen, dass es sich herbei um Blinkzeichen handelte.
Gegen 4.50 Uhr wurde der 27-jährige [Name 12] am KP Elsenstraße gestellt, der durch das mit einfachem Maschendraht gesicherte Laubengelände zwischen Elsenstraße und Wildenbruchstr. in das demokratische Berlin kam. Nach seiner Festnahme durch die Sicherungskräfte versuchte er zu flüchten, konnte jedoch wieder gestellt werden. Die beim Fluchtversuch von ihm fortgeworfenen Ausweisdokumente konnten wieder gefunden werden. Nach eigenen Angaben ist er am 14.8. an der gleichen Stelle unbemerkt nach Westberlin gelangt.
Im Berichtszeitraum haben die Versuche der Kontaktaufnahme durch Stupo und andere gegnerische Kräfte mit Angehörigen der Einsatzkräfte und die damit verbundenen Bestrebungen, die zur Desertion zu verleiten, weiter angehalten.
So wurde am Potsdamer Platz versucht, einen Uwm. der Bereitschaftspolizei nach Westberlin zu locken und ihm dabei 7 000 DM angeboten.
Ein Angehöriger der Stupo forderte am KP 34 Einsatzkräfte zur Fahnenflucht auf.
Am KP 31 nahmen Westberliner Polizeiangehörige Kontakt zu unseren Posten auf und unterhielten sich über Dienstverrichtung und Sonderverpflegung.
Im Raum Schönefeld ist es der Stupo gelungen, Kontakt zu zwei Angehörigen der Bereitschaftspolizei aufzunehmen. Die Festnahme der Bereitschaftspolizisten wurde veranlasst.
An der Grenze in der Helmut-Just-Str. im Bezirk Prenzlauer Berg führte gegen 18.45 Uhr ein Offizier der Stupo längere Zeit ein Gespräch mit einem Offizier und zwei Wachtmeistern der Bereitschaftspolizei.
Trotzdem ist im Vergleich zu den Vortagen ein Rückgang bei Desertionen zu verzeichnen. Es wurden am 19.8. insgesamt zwei Desertionen gemeldet.
Es handelt sich dabei um den 20-jährigen VP-Wm. [Name 13] von der 3. Abteilung der Bereitschaft Leipzig, der in den Mittagsstunden in voller Ausrüstung während der Essenausgabe am KP Sonnenallee unter Mitnahme seiner MPi mit 48 Schuss Munition unter dem Stacheldraht hindurchkroch. Eine Verhinderung der Desertion durch den zweiten Posten war nicht möglich, weil dessen Waffe zu dieser Zeit Ladehemmung hatte.
Weiterhin desertierte gegen 21.15 Uhr der Wm. der Bereitschaftspolizei, [Name 14], 2. Abteilung Rummelsburg am KP 54 – Treptower Brücke/Lohmühlenbrücke. Untersuchungen über die Umstände und Ursachen sind eingeleitet.
Durch die Direktion des Friedrichstadtpalastes wurde am 19.8., gegen 14.30 Uhr mitgeteilt, dass es bei Kontrollen auf dem Bahnhof Friedrichstraße zwischen Mitarbeitern des AZKW und Mitgliedern des Balletts zu Auseinandersetzungen gekommen ist. Sie wurden mehrfach in die Kontrollräume gebracht und Kontrollen durch Abtasten der Kleider unterzogen. Einige Westberliner Ballettmitglieder sind daraufhin nach Westberlin zurückgefahren und haben der Direktion mitgeteilt, dass sie unter solchen Bedingungen nicht mehr zur Arbeit erscheinen.
Gegen 19.00 Uhr erschien auf dem VPR 242 der VPI Köpenick der Bürger [Name 15] – wohnhaft Bln.-Treptow, [Straße, Nr.], und teilte mit, dass er auf seinem Grundstück in Rahnsdorf, [Straße, Nr.], beim Aufräumen seines Schuppens drei Pistolen mit Munition gefunden hat. (Zwei Pistolen befinden sich in gutem Zustand, während eine Pistole angerostet ist.)
Etwa 23.30 Uhr wurde bekannt, dass am KP Onckenstraße drei Karabiner aufgefunden worden sind. In beiden Fällen wurden nähere Untersuchungen eingeleitet.
In einem bei der VP anhängigen Ermittlungsverfahren gegen [Name 16] wegen Verstoß gegen die Passverordnung wurde bekannt, dass an der Grenze Karpfenteichstraße in Berlin-Treptow die dort eingesetzten Posten Briefe nach Westberlin schleusen. [Name 16] hat nach eigenen Angaben einen Brief von seiner Braut auf diese Art und Weise erhalten. Befragte Personen sagen aus, dass eine derartige Briefschleusung am 15., 16. und 17.8. jeweils gegen 20 Uhr stattgefunden hat. Ermittlungen darüber werden noch geführt.
Wie erst jetzt bekannt wurde, hat am 18.8. der Schiffsführer, [Name 17] aus Zehdenick mit seiner Ehefrau und zwei Kindern auf einem Privatkahn, der an diesem Tage eine Ladung nach Westberlin transportierte, die DDR illegal verlassen. Bei seiner Ankunft in Westberlin erklärte er dem Schiffsführer [Name 18], dass er nicht mehr in die DDR zurückkehrt.
Am 19.8. wurde ein Inspektor des VEB Deutsche Binnenreederei beauftragt, nach Berlin zu fahren, um die konkreten Ursachen für seine R-Flucht in Erfahrung zu bringen. – Ein Ergebnis darüber liegt noch nicht vor.
Angehörige der Kampfgruppen haben das SPD-Kreisbüro in Bln. O 112, Krossener Straße geschlossen und versiegelt.
4. Stimmung und Reaktion der Bevölkerung
Die Diskussionen der Bevölkerung der DDR zu den Schutzmaßnahmen unserer Regierung tragen weiterhin überwiegend zustimmenden Charakter.
Die Rede des Genossen Walter Ulbricht wurde von allen Bevölkerungsschichten in der Mehrzahl gut aufgenommen. In einer Reihe Argumenten wurde der ruhige und sachliche Ton begrüßt, und aus mehreren Diskussionen geht hervor, dass durch die Erklärung die Angst vor einem neuen Weltkrieg genommen wurde.13
Neue Richtungen in der Argumentation der Bevölkerung zu den Schutzmaßnahmen haben sich im Wesentlichen heute nicht ergeben. Häufig wird von der Bevölkerung, insbesondere von den Berliner Arbeitern, eine schärfere Kontrolle der Westberliner Bürger gefordert, die mit ihrem Ausweis die Sektorengrenze zum demokratischen Berlin überschreiten können. In diesem Zusammenhang wird vereinzelt in unklaren Diskussionen zum Ausdruck gebracht, dass eine Bändigung der Wühltätigkeit von Westberlin aus nicht erreicht worden sei.
Unter Angehörigen der Intelligenz, davon besonders der technischen Intelligenz und der Ärzte, haben sich heute in verstärktem Maße unzufriedene Stimmen über die Einschränkung des Reiseverkehrs nach Westdeutschland ergeben. Unverständnis wird z. T. der noch bestehenden Maßgabe, vorübergehend Reisen aus der DDR in das demokratische Berlin zu unterlassen, entgegengebracht.
In wenigen Betrieben hat sich zzt. die Linie in der Diskussion durchgesetzt, dass die neu gebildeten »Komitees für Menschenhandel« nicht mehr notwendig seien und aufgelöst werden könnten. (Halle)
Das Gerücht über bevorstehende Aussiedlungsaktionen aus dem Gebiet der Staatsgrenze West und aus unmittelbarer Nähe der Sektorengrenze hält sich hartnäckig und hat sich in der Berichtszeit verstärkt.14 In Einzelfällen wird dabei die Meinung vertreten, dass es unter diesen Umständen keinen Zweck mehr habe, Felder in der Nähe der Staatsgrenze zu bearbeiten. (Kreis Nordhausen)
In den Dienststellen der Reichsbahn in Westdeutschland15 werden vorwiegend Fragen des Lohnumtausches diskutiert, wobei die Bereitschaft der Weiterarbeit in den Betrieben der Reichsbahn vorhanden ist, jedoch mit der Einschränkung, dass der Lohnaustausch auch in Zukunft gewährleistet wird. 44 Westberliner Eisenbahner haben bisher ihren Dienst bei der Reichsbahn gekündigt.
Unzufriedenheit herrscht teilweise unter den Westberliner Ärzten, die im demokratischen Berlin tätig sind, über die bisher ungeklärte Frage des Lohnaustausches. In geführten Aussprachen erklärte sich nur ein kleiner Teil Westberliner Ärzte bereit, ihren Wohnsitz in das Gebiet des demokratischen Berlin zu verlegen, da es schwerfalle, Hab und Gut in Westberlin zurückzulassen. Einige Ärzte kündigten ihr Ausscheiden an, sobald Repressalien von Westberliner Seite gegen sie erfolgen würden (Dr. [Name 19], vet.-medizinische Fakultät der Humboldt-Universität). Im Verlaufe der Aktion haben 17 Westberliner Ärzte ihre Tätigkeit im demokratischen Berlin nicht wieder aufgenommen. 50 Westberliner Ärzte und 40 Westberliner Beschäftigte aus dem mittleren medizinischen Personal verbringen zzt. ihren Urlaub in Westberlin oder Westdeutschland, und über ihre Entscheidung in diesen Fragen ist hier nichts bekannt. Aus dem demokratischen Berlin konnten während der Aktion trotz verstärkter Sicherungsmaßnahmen 33 Ärzte und 21 Beschäftigte aus den mittleren medizinischen Personal nach Westberlin flüchtig werden.
Unklar in der Zielstellung ist zzt. noch ein Angebot einer Abordnung der Westberliner Augenärzte-Gesellschaft an den Direktor der Universitäts-Augenklinik Berlin, Hilfsdienste zu leisten, da sieben Ärzte dieser Klinik republikflüchtig geworden seien.
Aus kirchlichen Kreisen wurde bekannt, dass unter Pfarrern Unsicherheit in Geldfragen besteht und die Frage erhoben wird, über welchen Weg westdeutsche Medikamente für die bisher versorgten Christen eingeschleust werden können. Im Allgemeinen verhalten sich die Pfarrer abwartend, aber vereinzelt werden bereits öffentlich Zustimmungserklärungen zu den Schutzmaßnahmen der DDR abgegeben. Während der bereits erwähnten Sitzung der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg wurde die Vereinbarung erzielt, am kommenden Sonntag in den Kanzelverkündigungen keine direkte Bejahung und auch keine Ablehnung der Regierungsmaßnahmen vorzunehmen, sondern nur auf die Notwendigkeit der Erhaltung des Friedens hinzuweisen.
Von einem Teil der Grenzgänger wird nach wie vor eine Arbeitsaufnahme im demokratischen Berlin abgelehnt, da sie auf eine Änderung der Verhältnisse hoffen.16 Dazu wird bekannt, dass auch heute Grenzgänger in den Besitz ihres restlichen Gehaltes oder des Urlaubsgeldes durch Westberliner Bürger, die die Grenze passieren konnten, gelangten. Es ist zu vermuten, dass durch die von den Konzernen geschickten Personen auch Westausweise an ehem. Grenzgänger verbracht werden, um diesen die Republikflucht zu ermöglichen.
Andere Informationen besagen, dass sich ehem. Grenzgänger sofort nach Antritt ihres neuen Beschäftigungsverhältnisses Bescheinigungen beschaffen, um den Kauf ihres Pkw u. a. zu garantieren. Dazu gibt es unzufriedene Stimmen aus der Arbeiterschaft in der Richtung, dass ein Kauf hochwertiger Industriegüter durch diese Personen vorläufig noch unterbunden werden müsse, da das hierzu benutzte Geld noch aus dem Schwindelkurs stammt und nicht ehrlich erworben sei.
Im demokratischen Berlin und in allen Bezirken der DDR hat der Kampfaufruf der FDJ ein breites Echo unter den Jugendlichen gefunden.17 Die Reaktion ist unterschiedlich. Es gibt eine Reihe positiver Beispiele. Im Allgemeinen wird jedoch berichtet, dass sich der größte Teil der angesprochenen Jugendlichen mit den gleichen Argumenten, wie gestern berichtet, noch ablehnend verhält. In den Diskussionen und Versammlungen kommt es häufig zu erregten und auch negativen Äußerungen. In anderen Versammlungen spricht kein Jugendlicher trotz wiederholter Aufforderung zur Diskussion. Viele Zusammenkünfte werden von den Jugendlichen, obwohl persönliche Einladungen erfolgen, ignoriert. Im Laufe des Tages hat sich das Gerücht verstärkt, dass in Kürze die Wehrpflicht eingeführt werde.
Im Bezirk Erfurt kam es im Zusammenhang mit der Werbung zu Überspitzungen. In der Gemeinde Holzthaleben gab es in der FDJ-Versammlung erregte Diskussionen, als der Versammlungsleiter (2. FDJ-Sekretär des Kali-Werkes »Glück auf« Sondershausen) erklärte, dass die Jugendlichen, die sich nicht freiwillig der NVA zur Verfügung stellen, dem Staatsorgan übergeben werden.
Die sog. Angstkäufe bei Lebensmitteln haben heute weiterhin nachgelassen. Der Abkauf bei Industriewaren ist in allen Bezirken jedoch enorm gesteigert worden. Im Bezirk Cottbus kaufte z. B. ein Arzt Goldwaren im Werte von 3 000 DM. Im demokratischen Berlin stieg z. B. heute der Umsatz an Goldwaren um 500 %, an Federbetten um 100 %, an Schuhwaren um 100 %, an Kaffee und Alkohol 150 % gegenüber vorhergehenden Sonnabenden. Einen breiten Umfang nimmt seit heute Mittag das Gerücht einer über das Wochenende bevorstehenden Geldentwertung bzw. eines Geldumtausches ein, wobei einige Personen wissen wollen, dass damit das in Westberlin befindliche Geld ungültig gemacht und die Beträge der ehem. Grenzgänger eingezogen werden sollen. Angeblich dürfe jedes Familienmitglied nur 60,00 DM umtauschen, der Rest des Geldes würde mit 1 : 4 abgewertet. Das Gerücht über die bevorstehende Geldumwertung am Wochenende wird über die westlichen Rundfunkstationen lanciert und besonders seit heute Mittag wiederholt verbreitet. Nach Verbreitung des Gerüchtes ist der Abkauf von Industriewaren besonders in den heutigen Nachmittagsstunden noch angestiegen.
Außerdem wird aus dem demokratischen Berlin und verschiedenen Bezirken gemeldet, dass die Geldeinzahlungen bei Sparkassen und besonders seit heute Mittag bei Postämtern sprunghaft angestiegen sind. In Postämtern ist es heute Nachmittag zu größeren Menschenschlangen gekommen, um Geld einzuzahlen. In Berlin wurden als Einzahler eine Reihe ehem. Grenzgänger beobachtet, die Beträge bis zu 3 000 DM einzahlen wollten. Im Laufe des heutigen Tages wurden im demokratischen Berlin bei der Post ca. 6 Mio. DM (nach Abrechnung um 20.00 Uhr) auf Sparkonten eingezahlt, gegenüber einer normalen Einzahlung am Sonnabend von 1,8 Mio. DM. Die Zahl der Personen, die neue Sparbücher anlegte, stieg erheblich. Ein Sparer zahlte auf ein neu angelegtes Konto 70 000 DM in bar ein.
In den Bezirken ist das Verhältnis ähnlich. So stieg die Einzahlung auf Postsparbücher heute in der Bezirkshauptstadt Magdeburg, in der Kreisstadt Salzwedel und in anderen Kleinstädten ebenfalls um durchschnittlich das 10-Fache.
Nachtrag zu Punkt 2)
Die Beschädigungen der S-Bahn-Züge in Westberlin nehmen nach vorliegenden Meldungen immer größeren Umfang an. In der Zeit vom 18.8.1961, 21.00, bis 19.8.1961, 6.00 Uhr, wurden 17 Fälle von Beschädigungen bekannt. Die Beschädigungsaktionen verteilen sich jetzt auf alle Strecken Westberlins mit Ausnahme des Ringes. Um den Polsterzerschneidungen entgegenzuwirken, werden vonseiten der Deutschen Reichsbahn die Züge mit Polstersitzen zu einem bestimmten Teil gegen Züge mit Holzsitzen ausgetauscht.
Die bisherigen Beobachtungen am Ausgang für Westberliner am Bahnhof Friedrichstraße zeigen, dass ein großer Teil der aus Westberlin kommenden Personen abgeholt wird. In zwei Fällen wurden durch die Beobachtung bereits Fakten bekannt, die darauf schließen lassen, dass es sich um Treffs bzw. um das Zusammentreffen von Personen [handelt], die in irgendeiner Form dunkle Geschäfte treiben. (An der Aufklärung wird weiter gearbeitet.)
Durch eine zuverlässige Quelle wurde bekannt, dass der in Berlin-Moabit wohnhafte Angestellte [Name 20] erklärte, verschiedene Betriebe in Westberlin würden auf Empfehlung des Senats heute bzw. morgen ihre Betriebsangehörigen zum Besuch des demokratischen Berlin auffordern, um dieselben mit Ostgeld versehen zu ihren Verwandten zu schicken, wo es bis zum Umtausch gelagert werden soll. (Diese Meldung steht offensichtlich im Zusammenhang mit den über die Westsender verbreiteten Gerüchten eines bevorstehenden Geldumtausches.)