Lage nach dem Bau der Berliner Mauer (9)
25. August 1961
[Bericht] Nr. 486/61 über die Situation aufgrund der Schutzmaßnahmen der DDR
1. Zur diplomatischen und politischen Aktivität des Gegners in der Woche vom 21. bis 26.9.1961
Im Mittelpunkt der gegnerischen Reaktion stand im Berichtszeitraum die sowjetische Protestnote gegen die Ausnutzung der Verbindungswege nach Westberlin für Hetze und Diversion gegen die DDR.1 Während ein amerikanischer Sprecher zu den Maßnahmen der DDR vom 23.8.2 bezüglich der Festlegung bestimmter Übergänge in das demokratische Berlin noch erklärt hatte, man sei sich nicht klar darüber, ob die »Rechte« der Westmächte damit berührt wurden, äußerten Sprecher der Westmächte zu der sowjetischen Note übereinstimmend, dass damit ein neues Kapitel der »Berlinkrise« begonnen habe, das eine Überprüfung der gesamten westlichen Haltung notwendig machen könnte. Die gesamte Reaktion vor allem der Westmächte auf die sowjetische Note war bedeutend schärfer als die Reaktion auf die Maßnahmen der Regierung der DDR vom 13.8.
In einer offiziellen amerikanischen Regierungserklärung zur sowjetischen Note heißt es, sie stelle eine »kaum verhüllte Drohung eines Angriffs auf die westlichen Luftkorridore« dar. Jede Störung des Zugangs nach Westberlin würde einen »aggressiven Akt« bedeuten.3
Regierungskreise in London erklärten, der Ernst der Note liege darin, dass sie besonders die Luftverbindungen nach Westberlin betreffe. Eine Kontrolle des Luftverkehrs sei technisch nur in der Form möglich, dass die Westmächte in der Luftsicherheitszentrale Passagierlisten ihres Flugverkehrs verlegen. Sie könnten sich jedoch darauf verlassen, dass die Sowjetunion im Luftverkehr zuerst Gewalt anwenden müsse, wenn sie eine derartige Kontrolle durchsetzen wolle.
Von französischer Seite wurde betont, mit der sowjetischen Note sei die Idee neuer Ost-West-Verhandlungen erst einmal in den Hintergrund getreten. Die französische Haltung zu derartigen Verhandlungen sei damit bestätigt worden. Am 25.8. trafen der französische Oberbefehlshaber in Deutschland General Crépin zu einem Inspektionsbesuch der französischen Truppen und der französische Botschafter in Bonn zu einem mehrtägigen Besuch in Westberlin ein.
Nach den vorliegenden offiziellen Meldungen herrscht zwischen den Westmächten noch immer keine Einigkeit über die Art und Weise der Vorbereitung neuer Ost-West-Verhandlungen. Nach wie vor seien die britische und die amerikanische Regierung für einen baldmöglichen Beginn der Verhandlungen. Ein Sprecher der Bonner Regierung verlangte eine Vorverlegung der für den 19.9. geplanten westlichen Außenministerkonferenz, die jedoch von den Westmächten nicht akzeptiert wurde.
In Vorbereitung neuer Verhandlungen hat die amerikanische Regierung eine sog. Dokumentation zur Westberlin-Frage zusammengestellt.4 Darin wird die Forderung nach dem sog. Selbstbestimmungsrecht wiederholt und erklärt, dass die Regierung von Westberlin die »einzige frei gewählte Regierung hinter dem eisernen Vorhang sei«.
Einerseits reagierten besonders die führenden politischen Kreise der USA sehr scharf auf die jüngste sowjetische Note. Nach Korrespondentenberichten würde in Washington bereits eine Störung des Flugverkehrs nach Westberlin durch elektronische Geräte als ein »gefährlicher Eingriff in die westlichen Rechte« betrachtet werden. Andererseits heißt es in einem Bericht der Londoner »Times« aus Washington,5 in amerikanischen Regierungskreisen werde das sowjetische Argument, die Tätigkeit Bonner Minister in Westberlin stelle eine Provokation dar, nicht ganz von der Hand gewiesen. Mit dem sog. 4-Mächtestatut lasse sich diese Tätigkeit nicht rechtfertigen. Es werde daher in Washington die Forderung erhoben, endlich einmal zwischen den Westmächten abzustimmen, was sie als »lebenswichtige Interessen« in Westberlin betrachten.
In anderen Korrespondentenberichten heißt es dazu, dass dieser Abstimmung im Hinblick auf den bevorstehenden Abschluss eines Friedensvertrages mit der DDR nunmehr unmittelbare praktische Bedeutung zukommt. Niemand wolle wegen eines Stempels (der DDR-Behörden) Krieg um Westberlin führen. Niemand wolle sich aber auch durch eine Schritt-für-Schritt-Taktik die »wirklichen Interessen« der Westmächte in Westberlin beschneiden lassen.
Vonseiten der Bonner Regierung und des Westberliner Senats wurde bereits nach den Maßnahmen der DDR vom 23.8. versucht, den Westmächten zu suggerieren, dass damit in ihre Rechte eingegriffen worden wäre. Diese Versuche und die damit verbundene maßlose Hetze steigerten sich noch nach der jüngsten sowjetischen Note.
Grundsätzlich neue Momente in der Frage sog. Gegenmaßnahmen wurden allerdings noch nicht bekannt. Es werden die Versuche fortgesetzt, westdeutsche Firmen durch Beeinflussung im Einzelnen an einen Besuch der Leipziger Herbstmesse zu hindern. Die Industrie- und Handelskammern in Westdeutschland raten generell von einem Besuch der Leipziger Messe ab, geben aber Messeausweise aus, wenn die Antragsteller darauf bestehen. Bisher besteht noch kein genauer Überblick über den zu erwartenden westdeutschen Messebesuch. Es ist jedoch zu erwarten, dass er in einem verhältnismäßig starken Maße zurückgehen wird.
Das britische Außenministerium hat bekanntgegeben, dass es britischen Bürgern generell von einem Besuch der DDR zum gegenwärtigen Zeitpunkt abrät. Es ist möglich, dass sich das auch bis zu einem gewissen Maße auf den britischen Messebesuch auswirken wird.
Der SPD-Parteivorstand hat vorgeschlagen, in den nächsten Wochen und Monaten alle Veranstaltungen in Westdeutschland und Westberlin mit »Gedenkminuten« gegen die Maßnahmen der DDR zu beginnen. Das westdeutsche Fernsehen hat eine besondere Sendezeit am Vormittag für die Bevölkerung der DDR eingerichtet. Der Hamburger Bürgermeister Engelhard (SPD) hat zu einem verstärkten Besuch Westberlins aufgerufen.
Die Spitzenvertreter der westdeutschen Wirtschaft, die in der vergangenen Woche in Westberlin tagten, gaben ein Kommuniqué heraus, in dem eine verstärkte Hilfe für die Westberliner Wirtschaft durch größere Auftragserteilung, Erhaltung des Arbeitskräftepotenzials in Westberlin und großzügige Kreditgewährung gefordert wird. Der DGB-Bundesvorstand gab nach seiner Sitzung in Westberlin in der vergangenen Woche eine Erklärung heraus,6 in der gefordert wird, die UN anzurufen, eine »Volksabstimmung in ganz Deutschland« durchzuführen und von den vier Mächten Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit »ganz Deutschland« zu fordern. Von den DGB-Landesbezirksvorsitzenden wurde beschlossen, in der nächsten Zeit in allen Landesbezirken in Zusammenarbeit mit dem »Kuratorium Unteilbares Deutschland« Versammlungen und Kundgebungen durchzuführen.
Nach einer internen Information soll es beim Besuch Adenauers7 Anfang der Woche in Westberlin im CDU-Landesvorstand zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen sein. Adenauer habe Lemmer und Amrehn vorgeworfen, Brandt die Initiative überlassen zu haben. Er habe gefordert, dass dieses Versäumnis schnellstens durch konkrete Maßnahmen der CDU nachgeholt wird. Zugleich habe Adenauer vor allen »übereilten und selbstständigen Handlungen« gewarnt. Alle Aktionen müsse man den Westmächten überlassen.
2. Gegnerische Pläne und Aktionen in Westberlin
Die vom Westberliner Senat beschlossenen Kontrollen aller die Übergänge nach Westberlin passierenden Personen wurden am 25.8. verstärkt fortgesetzt. An den Kontrollen beteiligten sich Angehörige des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Zivil, und auch Angestellte des Westberliner Senats wurden dazu herangezogen.
Zahl und Umfang der Provokationen an Grenzübergängen auf Westberliner Seite nahmen am 25.8. zu. Nach Durchführung eines taktischen Manövers durch die amerikanischen Besatzungsstreitkräfte am KP Heinrich-Heine-Straße kam es dort gegen 19.00 Uhr zu einer größeren Menschenansammlung. Brandt, der das Manöver beobachtet hatte, hielt eine kurze Rede. Es kam zu provokatorischen Äußerungen und einzelnen Steinwürfen gegen die Posten auf dem Gebiet der DDR. Als einige Provokateure ca. 1 m auf das Gebiet der DDR vordrangen, wurden Wasserwerfer und Nebelkerzen eingesetzt. Die Westberliner Bereitschaftspolizei bemühte sich, die Menschenansammlung auf Westberliner Gebiet zu halten. Gegen 22.45 Uhr hatte sich die Lage am KP wieder beruhigt.
Eine weitere Provokation aufgeputschter Jugendlicher ereignete sich gegen 20.35 Uhr am VEB Bergmann-Borsig. Von der Westseite her beschossen vier Jugendliche mit Luftgewehren einen Posten auf dem Beobachtungsturm 10 des Werkes und verletzten ihn leicht durch Steinwürfe.
Gegen 15.00 Uhr wurden die Posten auf dem Gebiet der DDR am ehem. Bahnhof Potsdamer Platz durch 10 bis 15 Jugendliche mit Steinen beworfen. Am KP Friedrichstraße näherten sich 11.35 Uhr ca. 30 Jugendliche den Absperrungen. Sie wurden durch Einsatz eines Wasserwerfers zurückgetrieben. Von verschiedenen KP wurde der Einsatz von Lautsprecherwagen auf Westberliner Gebiet in den Abendstunden gemeldet. Dabei kam es in allen Fällen zu kleineren Menschensammlungen mit provokatorischen Äußerungen gegen die bewaffneten Organe und die Regierung der DDR.
In der Zeit von 15.25 bis 15.45 Uhr besichtigten Brandt und Vizekanzler Erhard, der sich zur Eröffnung der Rundfunk- und Fernsehausstellung in Westberlin aufhält, die KP Brandenburger Tor, Eberswalder Straße und Brunnenstraße.
Offiziell wurde gemeldet, dass die Westberliner Bereitschaftspolizei über das Wochenende verstärkt wird, um Menschenansammlungen auf Westberliner Gebiet zu zerstreuen.
Die Provokationen gegen die S-Bahn in Westberlin wurden in der Berichtszeit fortgesetzt. Nach einer internen Information soll der Westberliner Senator für Finanzen für seine Senatsverwaltung ein generelles Verbot der Benutzung der S-Bahn ausgesprochen haben.
Der im RAW Tempelhof beschäftigte Schlosser [Name 1] wurde am 25.8. nach 0.00 Uhr zwischen Friedrichstraße und Potsdamerplatz in einem S-Bahn-Wagen niedergeschlagen. Die Brieftasche wurde ihm geraubt.
Nach einer internen Information einer zuverlässigen Quelle gibt es seitens des Westberliner Senats Pläne, nach denen alle Betriebe den Differenzbetrag zwischen den Preisen der S-Bahn und der Westberliner BVG aufbringen sollen, um damit den S-Bahn-Boykott noch zu verstärken.
Nachträglich wurde bekannt, dass am 23.8. Personen aus dem sog. Flüchtlingslager Marienfelde zum S-Bahnhof Zoo transportiert wurden, um bei den Boykottmaßnahmen eingesetzt zu werden. Ähnliche Meldungen für die anderen Tage liegen noch nicht vor.
Unter den in Westberlin Beschäftigten der Reichsbahn,8 die im demokratischen Berlin arbeiten, wird die Forderung laut, die ihrer Arbeitsstelle am nächsten gelegenen Grenzübergänge benutzen zu können. Sie hätten jetzt teilweise eine verlängerte Anfahrtszeit zum Arbeitsplatz von über zwei Stunden.
Die taktischen Handlungen der Besatzungsstreitkräfte an der Staatsgrenze in Berlin bestanden am 25.8. weiterhin zum überwiegenden Teil in Streifen- und Patrouillentätigkeit zwischen allen Stützpunkten in Zeitabständen von ein bis zwei Stunden. Wiederholt wurden Kartenvergleiche durchgeführt und Beobachtungen vorgenommen.
Die Stärke der eingesetzten Kräfte unmittelbar an der Grenze betrug schätzungsweise bei den französischen Streitkräften eine Inf.-Komp., bei den US-Streitkräften ein bis zwei Pz.-Komp. sowie ca. 20 Panzerspähwagen und Jeeps und bei den britischen Streitkräften einzelne Pz.-Spähwagen mit sechs bis acht Mann besetzt.
An nachstehenden Punkten wurde eine ständige Stationierung von Angehörigen der Besatzungsstreitkräfte festgestellt:
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Friedrichstraße: ständig zwei bis drei Panzer sowie einzelne Schützenpanzerwagen und Jeeps und Gruppen von Soldaten mit Inf.-Waffen und Funkgeräten,
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Heinrich-Heine-Str.: bis zu zwei Panzern und zwei Schützenpanzerwagen,
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Oberbaumbrücke: ein bis drei Panzer, einzelne Schützenpanzerwagen und MG-Nester,
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Sonnenallee: bis zu zwei Panzern.
Feste, mit ein bis drei Mann besetzte Beobachtungspunkte befinden sich auf dem Bunker im Humboldthain, auf dem Dach des Reichstagsgebäudes, in einem modernen Neubau Alte Jacob-/Ecke Stallschreiberstraße.
Im Verlaufe des 25.8. führten einzelne Gruppen der amerikanischen Streitkräfte an verschiedenen Punkten taktische Übungen in Richtung der Staatsgrenze der DDR durch. Eine Gruppe bewegte sich am KP Heinrich-Heine-Straße mit aufgepflanztem Bajonett gegen 19.00 Uhr mehrmals auf die Grenze zu. Um 21.00 Uhr fuhren ein Panzer und zwei Schützenpanzerwagen eine Übung in Richtung Grenze. Eine ähnliche Übung wurde am KP Puschkinallee durchgeführt. Am KP Lohmühlenstraße wurde um 16.30 Uhr eine Richtungsübung von drei Panzern durchgeführt. In der Treptower Straße fuhr ein amerikanischer Panzer am 26.8. gegen 1.00 Uhr wiederholt mit großer Geschwindigkeit in Richtung Grenze und wendete unmittelbar davor.
Über die Aktivität der Besatzungsstreitkräfte im übrigen Raum Westberlins wurde Folgendes bekannt:
In den Vormittagsstunden des 15.8. wurde eine verstärkte Hubschraubertätigkeit im Raum der Radarstation Rudow festgestellt. Das Territorium der DDR wurde fotografiert. In der Enklave Eiskeller südlich Schönwalde wurde eine verstärkte Tätigkeit der britischen Besatzungsstreitkräfte festgestellt. Mehrere Schützenpanzerwagen und Lkw fuhren für kürzere Zeit in dieses Gebiet. Auf dem Truppenübungsplatz Lichterfelde führten die amerikanischen Streitkräfte Übungen im Straßen- und Häuserkampf durch.
Es wurden einige Beobachtungsfahrten von Kraftwagen der Besatzungsstreitkräfte festgestellt. Gegen 8.40 Uhr passierte ein Pkw der französischen Streitkräfte mit zwei französischen Offizieren und einem Fahrer den KP Zimmerstraße und fuhr danach die gesamte Staatsgrenze der DDR ab, die dem französischen Sektor gegenüberliegt. Besonderes Interesse zeigten die Insassen des Pkw für Wohnblocks, die unmittelbar an der Sektorengrenze stehen. Entlang der Grenze zwischen Westberlin und der DDR im Abschnitt Birkholz fuhren in der Zeit von 14.00 bis 16.30 Uhr zwei Jeeps auf Westberliner Gebiet. Die Insassen nahmen Karteieintragungen vor.
In zwei Fällen wurde bekannt, dass Angehörige der Besatzungsstreitkräfte Posten der DDR zur Desertion zu überreden versuchten. Die Posten reagierten nicht darauf.
Nachträglich zu den Kontrollen an den Übergängen nach Westberlin wird offiziell bekannt,9 dass die vorliegende erste Liste »unerwünschter Personen« insgesamt 90 Namen enthält. Die Liste sei vom Westberliner Landesamt für Verfassungsschutz zusammengestellt worden. Unter den Namen befinden sich Kaul10, Schnitzler11, Schur12, Dengler13 und Langhoff14. Weitere Listen seien in Vorbereitung. Vonseiten des Senats wurde allerdings dazu bemerkt, die Maßnahmen seien unvollständig, solange man keine Handhabe gegen die Benutzung der S-Bahn durch diese Personen in Westberlin besitze.
3. Gegnerische Provokationen und Vorkommnisse im demokratischen Berlin
Am 25.8.1961 wurde gegen 15.40 Uhr im VEB TRO »Karl Liebknecht« in der Halle I, Abteilung MD 34 auf der Herrentoilette eine hetzerische Losung gegen die Partei festgestellt. Die Bearbeitung erfolgt durch das MfS und [die] VP, Abteilung K. Die Untersuchungen werden zzt. noch geführt.
In den Abendstunden gegen 23.40 Uhr durchfuhr der Genosse Alfred Neumann, Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport, mit einem Pkw die Lichtenberger Str. Auf der Höhe der Smetanastr. wurde der Pkw durch ca. 25 Jugendliche mit Bauschutt beworfen. Der Genosse Neumann konnte den [Name 2], ca. 26 Jahre, ergreifen und der VPI Weißensee zuführen. Durch den Einsatz eines Zuges der VP konnten in der dortigen Kleingartenanlage zwölf weitere Jugendliche gestellt und der VPI zugeführt werden. Es handelt sich dabei um eine Clique Jugendlicher, die in den Abendstunden den Rummel in Weißensee besucht hatte. Die Vernehmungen durch die VP werden zzt. noch durchgeführt.
4. Grenzdurchbrüche, Desertionen und Probleme des Verkehrs mit Westberlin
Die Anzahl der Grenzdurchbrüche vom demokratischen Berlin bzw. aus den Randgebieten nach Westberlin weist eine gleichbleibende Tendenz auf. Dabei traten im Vergleich zu vergangenen Berichtszeiträumen gleiche Methoden auf.
Im demokratischen Berlin ergaben sich im Verlauf des 25.8. sechs Grenzdurchbrüche, wobei in zwei Fällen eine Wiederholung bereits bekannter Methoden zu verzeichnen war.
In der Bernauer Str. 24 sprang gegen 20.20 Uhr aus dem 2. Stock der im selben Haus wohnhafte [Name 3] in den Westsektor, wobei er sich verletzte. Er wurde von der Stupo abtransportiert.
An dem KP Oberbaumbrücke gelang es einer männlichen Person im Alter von 18 bis 20 Jahren, sich bei Bauarbeiten zwischen die Bauarbeiter zu begeben und die Unachtsamkeit der Posten auszunutzen. Er konnte in die Westsektoren entkommen.
In der Mehrzahl konnte der Versuch des Grenzdurchbruches verhindert werden. Im demokratischen Berlin wurden im Berichtszeitraum neun Durchbrüche verhindert. In den meisten Fällen wurde der Versuch des Grenzdurchbruches an unübersichtlichen Sicherungsstellen unternommen. Am KP 71 – Wredebrücke – versuchte z. B. der [Name 4], wohnhaft Berlin-Adlershof, [Straße, Nr.], am 25.8., gegen 21.40 Uhr die Grenze zu überschreiten und das Gelände der »Eternit AG« auf Westberliner Boden zu erreichen.
Die Anzahl der Grenzdurchbrüche am Ring um Berlin/Bezirk Potsdam belief sich im Verlauf des 25.8. auf vier, an denen sechs Personen beteiligt sind. In zwei Fällen wurden die Grenzsicherungsarbeiten am KP Glienicke-Nordbahnhof bzw. Trafo-Werk Nauen von Bauarbeitern benutzt, um die DDR zu verlassen.
Bei der Einschätzung der Voraussetzungen für die Grenzdurchbrüche wurde festgestellt, dass noch immer einige Lücken in der Grenzsicherung am Ring um Berlin bestehen. In den Bereichen Glienicke-Nordbahn, Enklave Eiskeller, Klein-Glienicke, Drewitz–Stubenrauchstr. sind immer noch Grenzsicherungen erforderlich, da die bestehenden einige Schäden aufweisen.
Beschädigungen an Grenzbefestigungen traten im Bereich der 10. Komp., 14. Grenzbereitschaft der DGP, Stolpe, Am Waldeck, auf. Es wurden 13 Betonpfähle umgerissen; die Täter sind nicht ermittelt worden. Die Betonpfähle wurden erst am 25.8. gegen 17.10 Uhr gesetzt. Im gleichen Bereich wurden zwischen 19.30 Uhr und 20.40 Uhr sechs Betonpfähle umgerissen, die noch nicht verdrahtet waren.
In der Zeit des 25.8., 0.00 Uhr bis 24.00 Uhr wurden an der Staatsgrenze West vier Durchbrüche mit sieben Personen festgestellt. U. a. hat der Dipl.-Geologe [Name 5] vom VEB Geo-Physik Leipzig die Grenze nach Westdeutschland am KP Radegau, Kreis Salzwedel überschritten. [Name 5] hatte dienstlich am Chefturm II des VEB Erdöl und Erdgas Gommern zu tun, der im 10-m-Streifen sich befindet. Die Durchbruchstelle des [Name 5] konnte von der Streife der DGP nicht eingesehen werden, da das Gebiet bewaldet ist.
Nach den vorliegenden Hinweisen ist ein Anhalten der Desertionserscheinungen innerhalb der BP zu verzeichnen. Im Berichtszeitraum des 25.8. wurden insgesamt fünf Fälle der Desertion, darunter vier Fälle aus der BP, bekannt.
Vom Posten zwischen Dammweg und Karpfenteichstr. im Stadtbezirk Treptow desertierten gemeinsam zwischen 7.57 und 8.00 Uhr der VP-Uwm. [Name 6] und [Name 7] unter Mitnahme der Karabiner 44 und jeweils 20 Schuss Munition. Sie waren Angehörige der 9. Bereitschaft der BP, 1. Abteilung, 1. Komp. Beide BP-Angehörige sind noch nicht vereidigt. Die Untersuchung über die Ursachen der Desertion werde noch geführt.
Am 25.8., gegen 15.00 Uhr wurde der VP-Wm. [Name 8] von der 9. Bereitschaft der BP, 2. Komp. in Treptow, Harzer Str.–Onckenstr. fahnenflüchtig. Bereits am 22.8. wurde der Bataillonskommandeur, Hptm. Jahn, vom Mitarbeiter des MfS darauf hingewiesen, den [Name 8] nicht mehr in der 1. Linie einzusetzen, da er sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatte und in einer Gaststätte mit einer Zivilperson Bier trank. Auf Weisung des Mitarbeiters des MfS sollte [Name 8] zu seiner Stammeinheit nach Karl-Marx-Stadt zurückgeführt werden.
Am 25.8. setzte der Hptm. Jahn, trotz Hinweis des Kompanieführers, Oltn. Schuster und ohne Kenntnis des Mitarbeiters des MfS, den [Name 8] wieder für den Streifendienst in der 1. Linie ein. Dabei wurde er fahnenflüchtig.
Eine weitere Desertion erfolgte durch den Hwm. [Name 9], Gruppenführer der 1. mot. Brigade der III. Abteilung Rahnsdorf der BP, gegen 0.30 Uhr, am KP 67 Britzer Brücke. [Name 9] wurde 3 min vor seiner Flucht durch den Oltn. Hoffmann noch kontrolliert. [Name 9] schickte den 2. Posten mit fadenscheiniger Begründung dem H. hinterher. Der [Name 9] benutzte die Gelegenheit zur Desertion.
Am 25.8.1961, in der Zeit zwischen 9.30 Uhr und 9.45 Uhr wurde der [Name 10], Angehöriger der freiwilligen Feuerwehr Nauen, über die Enklave Eiskeller republikflüchtig. Die freiwillige Feuerwehr Nauen war in diesem Gebiet zu Pionierarbeiten eingesetzt.
Am 25.8., gegen 11.40 Uhr desertierte der Soldat [Name 11] von der 6. Komp. der DGP Sonneberg während der Arbeit am 10-m-Streifen im GB Heinersdorf, Kreis Sonneberg. Weitere Ermittlungen über die Ursachen werden zzt. noch geführt.
Verdacht der Fahnenflucht besteht bei den Soldaten der DGP [Name 12] von der GB Nordhausen, KP Ecklingerode. Er hatte vom 18.8 bis 25.8. Urlaub nach Strehlen, Kreis Eilenburg, kehrte jedoch noch nicht zu seiner Diensteinheit zurück. Fahndungsmaßnahmen wurden eingeleitet.
Die im Bereicht vom 24.8. enthaltenen Hinweise auf Verdacht der Fahnenflucht des Stabsgefr. [Name 13] vom GB Plauen, KP Gebersreuth ist bestätigt worden. Etwa acht Genossen dieser Kompanie haben seit etwa Januar 1961 Verbindung mit Zöllnern und Zivilisten an der Staatsgrenze West aufgenommen und zum Teil Adressen ausgetauscht. Die zurückgebliebenen DGP-Angehörigen wurden vorerst arrestiert. Weitere Bearbeitung erfolgt durch MfS.
Der Verdacht auf Fahnenflucht der Gefr. [Name 14] und [Name 15] von der GB Rostock bestätigten sich nicht. Sie wurden am 25.8., gegen 11.30 Uhr von Offizieren der Grenzbrigade Rostock in Magdeburg festgenommen und zur Dienststelle zurückgeführt.
Im Zusammenhang mit der Ausstellung von Passierscheinen für Westberliner und westdeutsche Bewohner wurde folgende Möglichkeit des Passierens der KP bekannt. Personen, die einen Passierschein zum Aufenthalt für einen längeren Zeitraum ausgestellt erhielten, benutzten die Gelegenheit, um ständig zwischen dem demokratischen Berlin und den Westsektoren zu pendeln. Damit ist die Möglichkeit gegeben, für Bürger der DDR und des demokratischen Berlins Probleme in Westberlin regeln zu lassen, z. B. Auflösung von Konten u. Ä.
Es wäre zu überprüfen, inwieweit die Möglichkeit gegeben ist, die Erteilung von Passierscheinen mit einer einmaligen Ein- und Ausreise zu beschränken.
Weiterhin wurde festgestellt, dass Personen, die mit einem Passierschein das demokratische Berlin über einen Kontrollpunkt betreten, über einen anderen KP wieder in die Westsektoren zurückkehren, sodass gegenwärtig keine umfassende Kontrolle über die ein- und ausreisenden Personen ausgeübt werden kann. Es muss noch darauf hingewiesen werden, dass zzt. noch keine fahndungsmäßigen Überprüfungen über einreisende Westberliner und westdeutsche Personen stattfinden. Unklarheiten treten zzt. bei den Mitarbeitern der VP, Abteilung PM darüber auf, wie mit solchen Westberliner und westdeutschen Bürgern zu verfahren ist, die die auf den Passierscheinen angegebenen Rückkehrzeiten wesentlich überschreiten.
5. Vorkommnisse und Festnahmen
In Bad Salzungen/Suhl wurden am 25.8. drei anonyme Hetzbriefe versandt, deren Inhalt faschistischen Charakter trägt. Der Empfänger waren die Kreisleitung der SED, das VPKA und die Kreisleitung der FDJ. Im Wesentlichen stimmt der Inhalt aller drei Briefe überein, sodass angenommen werden kann, dass es sich um den gleichen Verfasser handelt. Es wurden Forderungen nach »Freiheit« erhoben, Hetze gegen den Genossen Ulbricht geführt und Revancheforderungen gegen die VR Polen und ČSSR erhoben. Die anonymen Briefe waren im Geiste »Großdeutschlands« abgefasst. Aus dem Text geht offensichtlich hervor, dass es sich bei den Verfassern um faschistische Elemente handeln muss. Die Ermittlungen blieben bisher erfolglos.
In den frühen Morgenstunden, gegen 6.00 Uhr wurden in Leipzig »Der Tag« vom 8.8.196115 und »Vor 16 Jahren« (CDU) als Flugblätter verbreitet an mehreren Stellen aufgefunden. Der Umfang konnte noch nicht genau ermittelt werden. Kampfgruppen und Angehörige der VP sind für die Suchaktion eingesetzt.
Flugblätter des Ostbüros der SPD16 wurden in den Kreisen Liebenwerda und Jessen des Bezirkes Cottbus sowie in den Kreisen Löbau, Bautzen, Kamenz und Bischofswerda/Dresden aufgefunden.
Aus beiden Bezirken gibt es Hinweise, dass die aufgefundenen Flugblätter über Luftballons eingeschleust wurden. Der genaue Umfang und die Verbreitung waren zzt. noch nicht geklärt.
Am 25.8.1961, gegen 8.20 Uhr entgleiste auf der Strecke Berlin–Bernau zwischen den Bahnhöfen Zepernick und Buch der Güterzug DG 7172 mit neun Wagen. Der 4. Wagen hinter der Lokomotive, mit Schlacke beladen, kippte um. Es wurden 400 m Ferngleis aufgerissen und 10 m S-Bahn-Gleis verworfen. Der gesamte Verkehr auf der Strecke Bernau–Berlin musste gesperrt werden. Als Ursache der Havarie wurde Achsschenkelbruch eines Wagens angegeben. Der Verkehr wurde bis 26.8., 3.10 Uhr, unterbrochen. Der materielle Schaden wird mit ca. 41 TDM vorerst angegeben. Hilfszüge der DR befanden sich im Einsatz. Der Nahverkehr der S-Bahn musste durch Einsatz der BVG aufrechterhalten werden.
Im Verlaufe des 25.8. wurden wegen staatsverleumderischer Äußerungen und antidemokratischer Hetze sieben Personen im demokratischen Berlin festgenommen.
Wegen unbefugten Waffenbesitzes (Walther PP mit Munition) wurde der [Name 16], geboren [Tag, Monat] 1945, wohnhaft Berlin-Pankow, [Straße, Nr.], festgenommen. Die Waffe wurde auf dem Grundstück der Eltern gefunden. [Name 16] gibt an, die Waffe von einem [Name 17], Berlin-Tiergarten, Hansa-Viertel, ebenfalls 16 Jahre alt, erhalten zu haben. Über das Motiv des illegalen Waffenbesitzes ist noch nichts bekannt geworden. Die Untersuchungen durch die VP dauern an.
Von der Trapo wurden drei Personen wegen versuchten Grenzdurchbruches festgenommen, von denen zwei Personen an der Helmut-Just-Brücke die Grenze zu überschreiten versuchten.