Meinungen zur Wirtschaftskonferenz des SED-ZK
[ohne Datum]
Einzel-Information Nr. 632/61 über Stimmungen und Meinungen zur Wirtschaftskonferenz des ZK
Aus vorliegenden Informationen, die allerdings noch keine vollständige Einschätzung der Reaktion der Konferenzteilnehmer auf den bisherigen Verlauf der Wirtschaftskonferenz des ZK1 zulassen, wurden folgende interessante Stimmungen, Meinungen und Kritiken bekannt, die teils von einzelnen, teils von mehreren Konferenzteilnehmern geäußert wurden:
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Die Abgrenzung der Verantwortlichkeit zwischen Volkswirtschaftsrat, Staatlicher Plankommission und den Räten der Bezirke sei nicht klar herausgearbeitet worden.
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Die Bildung der Bezirksplankommissionen sei ohne gründliche Vorbereitung und ohne vorherige Absprache mit den beteiligten Genossen erfolgt. Die Notwendigkeit der Bildung von Plankommissionen bei den Bezirken und Kreisen wird noch nicht eingesehen.
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Die Kader der VVB sowie der örtlichen Staatsorgane seien nicht in der Lage, die gestellten Aufgaben zu lösen.
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Die Kennziffern des Volkswirtschaftsplanes 1962 wären den VVB noch nicht bekannt gegeben worden, obwohl die Planung für 1962 abgeschlossen sei.
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Die Zusammenarbeit mit den sozialistischen Ländern hätte konkreter angesprochen werden müssen. Aus der Tatsache, dass die Kennziffern des Volkswirtschaftsplanes 1962 den VVB noch nicht vorliegen, wird »geschlussfolgert«, dass es »ernste Schwierigkeiten« bei der Realisierung der langfristigen Abkommen mit den sozialistischen Ländern gibt.
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Die Staatliche Plankommission solle dem Außenhandel endlich einen Perspektivplan geben, damit er in der Lage sei, die enge Wirtschaftsgemeinschaft mit den sozialistischen Staaten zu verwirklichen.
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Die Auflösung von Außenstellen des MAI in den Bezirken führe zu noch größeren Schwierigkeiten bei der Exportplanerfüllung.
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Die Forderung des Genossen Neumann2, bis zum 21.10. den Tag der Exportkontrolle durchzuführen, sei unreal. Während der Leipziger Herbstmesse sei offiziell mitgeteilt worden, dass in diesem Herbst keine Exportkontrolle erfolge.
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Die Terminstellung für das Metallurgieprogramm durch den Genossen Neumann für Ende November stimme nicht mit Äußerungen des Genossen Zeiler3 vom ZK überein, der gesagt habe, der Termin für das Metallurgieprogramm sei vom 15.8. auf Ende Oktober verlegt worden.
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Die Normfrage, insbesondere im Maschinenbau, sei nicht kritisch angesprochen worden.
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Das Problem der Energiewirtschaft sei abermals vernachlässigt worden. Man hätte sich in erster Linie damit befassen müssen, wie die schwierige Lage der Energiewirtschaft im Winterhalbjahr 1961/1962 geklärt werden könne (Äußerung des Genossen Hinkelmann/ Energiewirtschaft4).
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Die Ausführungen des Genossen Mewis5 über die Entwicklung und Bedeutung der Chemischen Industrie, stünden nicht in Einklang mit dem noch gültigen Chemieprogramm.6
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Von Genossen Mewis hätte nicht nur [auf] die falsche Ausbildung von Ökonomen, sondern auch auf vorhandene »ökonomische Unzulänglichkeiten« bei technischen Kadern eingegangen werden sollen (Äußerungen von Ökonomen).
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Die Kritik am Bauwesen im Referat des Genossen Mewis sei unberechtigt gewesen. Für die angeführten Beispiele sei das Bauwesen niemals verantwortlich (Äußerung des Stadtbaudirektors von Berlin, Gierke).
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Die Forderung, die Planrückstände bei Baumwolle im Jahre 1961 aufzuholen, sei unreal (Äußerungen der Wirtschaftsfunktionäre im Volkswirtschaftsrat Dr. Feldmann7, Haschker und Bethe).
In der Mehrzahl der bekannt gewordenen Stellungnahmen zur Diskussion wird betont, dass die Diskussionsredner, insbesondere leitende Wirtschaftsfunktionäre, zwar teilweise auf die Referate eingingen und auch von den in ihrem jeweiligen Bereich angewandten Methoden berichteten, aber nur ungenügend zum Ausdruck brachten, wie sie vorhandene Mängel überwinden wollen.
Von den von Teilnehmern als gut eingeschätzten Diskussionsbeiträgen wurde – in fast allen Berichten übereinstimmend – besonders der Beitrag der Genossin Bruns (Schriftstellerin)8 hervorgehoben, deren »Appell« an die Ehrlichkeit gegenüber dem Staat (Arbeitsproduktivität und Lohn, gegen Normenschaukelei) besonders gut aufgenommen wurde.
Allgemein kritisiert wurden vor allem die Ausführungen des Hauptdirektors der VVB Mess- und Regeltechnik, Trautmann, und des Vorsitzenden der IG-Metall, Sommer, die ihre vorbereiteten Reden verlassen und zu wenig auf die angesprochenen Probleme eingingen. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie zu oberflächlich und allgemein zu Hauptfragen Stellung nahmen und nur ungenügend Schlussfolgerungen zogen.
Es wurde geäußert, dass Trautmann Fragen der Leitungstätigkeit nicht klar behandelt, das Prinzip der Einzelleitung und persönlichen Verantwortung verwässert und nur ungenügend die gesamtvolkswirtschaftlichen Interessen gesehen habe.
Bei den Ausführungen des Genossen Sommer habe man u. a. deutlich gespürt, dass der Zentralvorstand der IG-Metall mit seinen Aufgaben nicht fertig werde.
Der Diskussionsbeitrag von Prof. Dr. Dr. Nelles9 wurde von verschiedenen Konferenzteilnehmern widersprüchlich eingeschätzt. Während ein Teil behauptete, Nelles habe konkret gesprochen und treffende Beispiele gebracht, kritisierte ein anderer Teil, Nelles habe im Widerspruch zu den Tatsachen in den Buna-Werken die sozialistische Leitungstätigkeit hervorgehoben und die Probleme »unparteiisch« dargestellt. Sein Ausspruch, dass sinngemäß das Prinzip »Hilf dir selbst, so hilft dir Gott« angewandt würde, hat Anstoß erregt.
Beachtung verdient auch der Hinweis, wonach bei hauptamtlichen FDGB-Funktionären aus Furcht vor Auseinandersetzungen (Kritik an ihren Diskussionsbeiträgen) keine große Bereitschaft bestehe, sich an der Diskussion zu beteiligen.
Neben den bereits angeführten Kritiken und Forderungen, die im Zusammenhang mit den Stellungnahmen zu den Referaten und zur bisherigen Diskussion erhoben wurden, werden von verschiedenen Konferenzteilnehmern für den weiteren Konferenzverlauf grundlegende Ausführungen zu einigen weiteren Fragen als notwendig erachtet. Es handelt sich dabei um teils allgemeine und teils aus den jeweiligen Arbeitsbereichen heraus gestellte Probleme wie
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Maßnahmen der Partei zur Verwirklichung der ökonomischen Aufgaben, zur konkreten Führungsarbeit in den Industriezweigen und Betrieben, besonders zur Steigerung der Arbeitsproduktivität,
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richtunggebende Hinweise zur Frage der Perspektivplanung und zur Zielstellung, bis 1963 den Anschluss an die Kennziffern des 7-Jahrplanes zu erreichen, zur konkreten Darlegung der Planung 1962, wie ihr Anlauf erfolgen soll und wie die »endlosen Planänderungen« (»Zersplitterung der Kräfte«) überwunden werden können,
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Festlegung konkreter Maßnahmen zur Störfreimachung der Volkswirtschaft der DDR von den Bonner Ultras bis zum 1.12.1961, z. B. die Sicherung der Störfreimachung der Chemischen Industrie durch den Maschinenbau,
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konkrete Vorschläge zur Durchsetzung des Produktionsaufgebotes und zur Qualifizierung der Gewerkschaftsfunktionäre durch den FDGB für diese Aufgabe,
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die evtl. Umstellungen der Volkswirtschaft im Rahmen der Verteidigungsmaßnahmen der DDR, Ausführungen zu den Betriebsgesetzen,
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Möglichkeiten zur Überwindung von Disproportionen in der Volkswirtschaft einschließlich des Transportproblems, Einzelheiten über die Rolle der Eisenbahn und deren Aufgaben, Überwindung der wesentlichen Mängel, die zur Nichterfüllung des Transportplanes führten,
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Klarheit über die Einleitung von Maßnahmen, um das Problem der Mess- und Regeltechnik in der Chemischen Industrie und in der Volkswirtschaft überhaupt zu lösen (der derzeitige Stand hemmt die Steigerung der Arbeitsproduktivität und erfordert zu viel Arbeitskräfte),
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Schaffung von Voraussetzungen zur Verbesserung der Leitungstätigkeit u. a. in der Form, dass die Zahl der von zentralen Organen einberufenen Beratungen und Besprechungen wesentlich eingeschränkt wird und klare Festlegungen getroffen werden, wer Tagungen und Besprechungen einberufen darf,
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konkrete Festlegung der Verantwortlichkeit für die örtliche Industrie und ihrer Planung sowie Maßnahmen zur Überwindung des Bezirksegoismus (der derzeitige Zustand wird als »Durcheinander« und als »unhaltbar« bezeichnet, was die Spezialisierung der Produktion erschwere, einen Mehrbedarf an Rohstoffen erfordere und mit einem ständigen Arbeitskräfteabzug verbunden sei),
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Ausarbeitung konkreter Richtlinien zur Beseitigung des Missverhältnisses zwischen Arbeitsproduktivitäts- und Lohnentwicklung insbesondere durch das Komitee für Arbeit und Löhne, die Einleitung von Maßnahmen, um die derzeitige komplizierte Lohnpolitik den Arbeitern verständlich machen zu können,
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Begründung der Diskrepanz zwischen den Bestellterminen (30.6./ Lieferverordnung 2) und dem Termin der Fertigstellung des Betriebsprogramms (1.10.),
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Klärung der Frage, wie die ehem. Grenzgänger besser in den Produktionsprozess einbezogen werden können,
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die künftige Bilanzierung und die Erweiterung der Bilanzierung, die gegenwärtig nur das Material erfasst, auch auf die Bilanzierung von Geräten und Einbauteilen,
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zur Frage des Abschlusses von Vorverträgen des Handels mit der Industrie, der Vorbereitung der Perspektivplanung des Handels und die Bilanzierung der »Überplanproduktion« der Bezirke.
Bei einer Reihe von Genossen, insbesondere aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt und aus dem demokratischen Berlin, gibt es Unklarheiten bzw. Unzufriedenheit über die teils »formale« Einteilung in Arbeitsgruppen, da sie vorher von der Partei darauf orientiert worden seien (Karl-Marx-Stadt), dass sie in den Arbeitsgruppen mitarbeiten würden, wo ihre speziellen Fachprobleme behandelt werden.