Probleme bei der Saatguterzeugung
16. Oktober 1961
Bericht Nr. 640/61 über einige Mängel und Schwächen auf dem Gebiet der Saatguterzeugung
Nach vorliegenden Berichten bestehen in der Saatguterzeugung der DDR einige Mängel und Schwächen, die nach Auffassung von Mitarbeitern dieses Gebietes eine baldige Veränderung erforderlich machen.
Übereinstimmend wird eingeschätzt, dass in der Vergangenheit den Fragen einer ausreichenden Erzeugung von Saatgut von den zuständigen staatlichen Organen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit und Bedeutung beigemessen wurde, teilweise zurückzuführen auf die vorrangig zu lösenden Aufgaben zur Sicherung der tierischen Marktproduktion.
Entsprechend einer Übersicht war die Versorgung der landwirtschaftlichen Betriebe mit Saatgut im Planjahr 1961 bei Klee mit 81 %, Luzerne mit 51 % [und] Kartoffeln mit 92 % gesichert.
Diese Kennziffern verdeutlichen teilweise bereits den Umfang des aufgetretenen Fehlbedarfs bei wichtigen Saatgutkulturen.
Zu den Ursachen für die Mängel in der Saatgutbereitstellung wurde bei den einzelnen Kulturarten Folgendes festgestellt:
1. Feldfuttersaaten
Die Fehlmengen an Klee- und Luzernesaatgut verhinderten die Realisierung der Aufgabenstellung des 8. Plenums der Partei,1 550 Tha mehrjährige Futterpflanzen als Hauptfutterpflanze anzubauen. Demnach konnten 1961 ca. 120 Tha Ackerfläche nicht wie geplant mit Klee bzw. Kleegras und ca. 60 Tha Ackerfläche nicht mit Luzerne bestellt werden. Durch größere Flächenausfälle im Saatgutanbau für die Kleevermehrung 1961 und Importausfälle aus dem sozialistischen Ausland sind für den Feldfutteranbau nachteilige Auswirkungen zu erwarten.
Zu den Ausfällen bei Futtersaaten und -erträgen trugen nachweisbar verschiedene subjektive Ursachen bei, die, obwohl sie bereits 1960 festgestellt wurden, auch 1961 wieder in Erscheinung traten. Die wesentlichsten Ursachen sind die
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Nichteinhaltung der agrotechnischen Termine,
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Mängel in der Anbautechnik,
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ungenügende Spezialisierung der Anbaubetriebe,
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hohen Verluste bei der Ernte durch ungenügenden Einsatz der Großmaschinen,
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Fehlplanungen und unrationelle Auslastung der Drusch- und Reibekapazitäten,
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Schwächen in der Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den örtlichen Organen bzw. MTS/RTS und der Deutschen Saatgutgesellschaft/Handelsbetriebe.
Ergänzend ist zu bemerken, dass bereits 1960 in Auswertung der Ernteergebnisse durch die Leitung der VVB Saatgut die Futtersaatguterzeugung als Schwerpunkt festgelegt wurde, 1961 auch die Vermehrungsflächen für Klee mit 3 % zum Plan übererfüllt werden konnten, aber die o. g. Schwächen während der Aussaat und Ernte 1961 trotzdem wieder wirksam wurden.
Bei der Aussaat der Luzerne für Vermehrungszwecke gab es im Frühjahr 1961 erneut Schwierigkeiten. Obwohl wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass die Blanksaat der Luzerne für Vermehrungszwecke höhere Saatguterträge erbringt, wurde diese Methode besonders in den Bezirken Magdeburg und Erfurt von den bezirks- und kreisgeleiteten VEG sowie den Saatbau-LPG nicht angewandt. Vorhandene Hinweise lassen erkennen, dass diese Mängel auf die fehlerhafte Orientierung durch die zuständigen örtlichen Saatorgane zurückzuführen sind. Die dadurch entstandenen Fehlmengen im Saatgutaufkommen an Luzerne werden nach der bisherigen Übersicht zu einem Rückgang der Anbauflächen für Feldfutterpflanzen führen.
Als wesentlicher Mangel bei der Sicherung des planmäßigen Saatgutaufkommens ist die gegenwärtig angewandte Planmethodik anzusehen. Ohne reale Bezugsgrundlage in Form einer objektiven Einschätzung der bisher erzielten Hektarerträge in den vergangenen Anbaujahren erfolgt die Planung des Saatgutaufkommens auf der Basis des außergewöhnlich ertragreichen Jahres 1959. Als Grundlage für die Planung wurden außerdem Hektarerträge von Spitzenbetrieben auserwählt, die jedoch nicht verallgemeinert werden können.
Diese Einschätzung über die unreale Bezugsgrundlage bei der Planung des Saatgutaufkommens wird u. a. auch durch die nachfolgenden Kennziffern bestätigt:
Saatguterträge in dt/ha
Fruchtart | Durchschnittserträge 1956–58 | Ist 1959 | Ist 1960 | Plan 1960 |
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Rotklee | 0,45 | 1,11 | 0,28 | 1,3 |
Weißklee | 0,38 | 0,66 | 0,04 | 1,2 |
Schwedenklee | 0,53 | 1,23 | 0,43 | 1,4 |
Luzerne | 0,03 | 0,57 | 0,46 | 0,7 |
Knaulgras | 1,86 | 2,05 | 1,53 | 3,0 |
Wiesenfuchsschwanz | 0,69 | 1,20 | 0,71 | 1,5 |
Futtererbsen | 6,20 | 4,70 | 7,70 | 10,0 |
S-Lupinen | 3,40 | 1,60 | 3,60 | 7,0 |
Seradella | 1,30 | 0,40 | 1,20 | 4,0 |
Auf einer ähnlichen unrealen Grundlage basiert auch der Plan für 1961.
Auch bei Berücksichtigung der Schwierigkeiten, bei der Planung reale Durchschnittserträge für das kommende Anbaujahr festzulegen, muss eingeschätzt werden, dass die VVB Saatgut die Festlegung der Kennziffern für die Planperiode 1961 sehr oberflächlich handhabte. Die Festlegung der Planwerte wurde den einzelnen Fachreferenten selbst überlassen. Im Ergebnis dieser Arbeitsweise wurde z. B. bei den Futterpflanzen zwar auf die Erreichung des Weltniveaus in der Futterpflanzensaatgutgewinnung orientiert, ohne aber dabei den Durchschnitt der bisherigen inländischen Erträge real mit in Betracht zu ziehen.
Begünstigt durch größere Schwierigkeiten in der Realisierung der Vermehrungsverträge bei Klee und Luzerne mit den sozialistischen Vertragspartnern der europäischen Volksdemokratien ist jetzt eine solche Lage zu verzeichnen, dass der DIA Verbindung zu kapitalistischen Staaten aufnehmen musste, um die erforderlichen Bedarfsmengen abdecken zu können. Damit werden jedoch die Bemühungen zur Erreichung der Störfreiheit auf dem landwirtschaftlichen Sektor erheblich beeinträchtigt.
Nach uns vorliegenden Hinweisen wäre eine Veränderung dieser Situation durch entsprechende Vereinbarungen mit der VR Ungarn möglich, wobei aber zur Überwindung gewisser Schwierigkeiten zentrale Organe mit eingreifen müssten. Z. B. wurde bekannt, dass das ungarische Landwirtschaftsministerium bereit sei, die Vermehrungsflächen für die DDR zu erweitern, aber von den ungarischen Außenhandelsorganen entsprechenden Abmachungen Widerstand entgegengesetzt wird.
Zur Begründung wird von den Außenhandelsunternehmen u. a. angeführt, dass durch den Anbau von DDR-Sorten sich die Gefahr der Vermischung von Zuchtsorten vergrößern würde, was sich nachteilig auf den ungarischen Export auswirken könne, dass den Saatgutbetrieben wegen geringerer Saat- und Futterleistung der DDR-Sorten finanzielle Nachteile entstünden und dass bei weiterer Ausdehnung der Auslandsvermehrung durch die DDR die Exportmöglichkeiten Ungarns in das kapitalistische Ausland geschwächt werden könnten. Das letztgenannte Argument ist auch bei rumänischen Vertragspartnern in Erscheinung getreten.
2. Stoppelfruchtsaaten
Im Stoppelfruchtanbau ist ebenfalls ein solcher Zustand zu verzeichnen, dass in jedem Jahr Mängel in der Saatgutbereitstellung auftreten (einjährige Feldfutterpflanzen: Futtererbsen, Seradella, Lupinen und S-Wicken).
Der Saatgutbedarf z. B. für den Stoppelfruchtanbau 1961 konnte unter Berücksichtigung der vorhandenen Bestände in den landwirtschaftlichen Betrieben nur mit 62 % abgedeckt werden (ca. 150 Tha Futterflächenausfall). Als Hauptursache für diesen Zustand ist die ungenügende wirtschaftseigene Saatguterzeugung durch die Betriebe, besonders bei großfrüchtigen Leguminosen anzusehen, wobei die örtlichen Staatsorgane in den Bezirken und Kreisen ihrer Verantwortung für die Absaaten und wirtschaftseigene Saatguterzeugung keinesfalls gerecht werden. Bei der Ernte 1960 traten außerdem erhebliche Verluste auf, da die Aberntung der Saatgutflächen gegenüber den Konsumbeständen nicht vorrangig erfolgte.
3. Maissaatgut
In der Bereitstellung von Maissaatgut gab es in der Vergangenheit von der mengenmäßigen Seite her keine Schwierigkeiten. Dagegen weist jedoch die sortimentsgerechte Belieferung ständig Mängel auf.
Besonders die schleppende Bearbeitung in der Ermittlung der für die DDR günstigeren Anbausorten und die verspätete Übergabe der Bedarfswünsche an den DIA durch die Abteilung Pflanzliche Produktion im Ministerium für Landwirtschaft, Erfassung und Aufkauf2 führten zu verspäteten Verhandlungen mit den ausländischen Vertragspartnern, insbesondere der SU. Das führte u. a. dazu, dass die SU vor Eintreffen der Importwünsche aus der DDR bereits Verträge mit anderen Ländern abgeschlossen hatte und deshalb nur in der Lage war, von den gewünschten 11 Tt Saatgut (Sorten: WIR 25 F 1 und Bakowinski I F 1) 3 500 t der DDR zur Verfügung zu stellen. Da die Hybridmaise in der F 1-Generation für die Verhältnisse in der DDR die sichersten Erträge garantieren, muss sich das durch die schlechte Arbeitsweise des MfLEu.F verursachte Fehlen dieser Sorten nachteilig auf die Maiserträge auswirken.
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die jahrelangen Bemühungen zur Züchtung eigener Maissorten, die den Anforderungen der Landwirtschaft entsprechen, nach uns vorliegenden Hinweisen bisher noch keine nennenswerten Ergebnisse erbrachten. Nach Auffassung von Fachleuten sollte überprüft werden, inwieweit in der DDR überhaupt noch Züchtungsversuche gerechtfertigt sind, zumal die Versorgung der Landwirtschaft mit hochwertigem Maissaatgut aus Importen gesichert werden kann. Zur Begründung für diese Auffassungen werden die volkswirtschaftlich nicht vertretbaren hohen finanziellen Aufwendungen für diese Arbeiten angeführt, die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehr oder weniger ohne Nutzen blieben.
4. Pflanzkartoffelsaatgut
In der Pflanzkartoffelzüchtung bestehen gegenwärtig noch größere Mängel auf dem Gebiet des Frühkartoffelanbaus, insbesondere in der Beschaffung des erforderlichen Pflanzgutes für den Konsumanbau.
Nach uns vorliegenden Hinweisen bestehen die Ursachen für diese Mängel in der Pflanzkartoffelzüchtung vor allem in
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stärkeren Abbauerscheinungen bei einigen Sorten,
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schlechter Pflege der Kartoffelbestände,
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ungenügender Erfassungstätigkeit der DSG-HB,
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ungenügender Abgrenzung zwischen den Aufgaben der DSG-HB und der VEAB,
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Fehlen an leistungsfähiger Sortierkapazität,
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fehlendem Transportraum für den Transport des Pflanzgutes aus den nördlichen in die südlichen Bezirke der DDR.
Besonders der Mangel an leistungsfähigen Kartoffelsortierern muss hervorgehoben werden, da durch das Fehlen von maschinenbetriebenen Kartoffelsortierern die kartoffelvermehrenden Betriebe nicht in der Lage sind, sofort nach der Ernte die Kartoffeln zu sortieren und in die Anbaugebiete zu versenden.
Erwähnt werden muss außerdem der Rückstand gegenüber dem internationalen Niveau bei der technisierten Krautvernichtung zur schnelleren Bekämpfung der Virosen, in der Neukonstruktion von Krautziehaggregaten, in der Entwicklung der Krautabtötungsmittel und in der Entwicklung halbautomatischer Pflanzgeräte für die Pflanzung vorgekeimten Pflanzgutes.
Der Rückstand in der Entwicklung von halbautomatischen Pflanzgeräten wirkt sich besonders auf den Konsumkartoffelanbau nachteilig aus, der gegenwärtig nur unter relativ großem Arbeitskräfteaufwand durchgeführt werden kann. Aufgrund des akuten Arbeitskräftemangels in vielen landwirtschaftlichen Betrieben wirkt sich das Fehlen derartiger Maschinen besonders dahingehend aus, dass in den Betrieben ungenügende Vorbereitungen zum Vorkeimen der Kartoffeln getroffen werden, was sich dann nachteilig auf den Zeitpunkt der Ernte und auf die Erträge auswirkt.
5. Rübensamen
Die im Erntejahr 1958 erzielten außergewöhnlichen guten Ernteergebnisse an Futterrübensamen führten zu einer großen Saatgutreserve, deren Abbau durch die Ausdehnung des Maisanbaues und den Rückgang des Futterrübenanbaus zu Schwierigkeiten geführt hat.
Aufgrund der guten finanziellen Ergebnisse, die den landwirtschaftlichen Betrieben durch den Rübensamenanbau garantiert sind, wurden bisher noch keine gangbaren Wege beschritten, die Vertragsanbauflächen zu reduzieren. Bis 1961 stiegen die Vorräte an Futterrübensamen auf 98,5 Tt, wovon 27,5 Tt infolge zu lang andauernder Lagerung unbrauchbar geworden sind (der Einkaufspreis für diese Menge beträgt 6,6 Mio. DM, ohne Kosten für Lagerungsarbeiten und Aufbereitung). Diese Bestände sollen jetzt abgewertet und vernichtet werden, da die Keimfähigkeit stark gemindert ist.
Im Zusammenhang mit den dargelegten Problemen wurde uns aus Kreisen von Fachexperten folgende Überlegung unterbreitet, deren Durchführbarkeit wir zu überprüfen bitten.
Zur Schaffung einer besseren Übersicht über die gesamte Saatguterzeugung und zur Verhinderung der ständig notwendig gewordenen zusätzlichen Importe an Futtersaaten wird vorgeschlagen, bei Beibehaltung der Planzahlen für die Betriebe, die volkswirtschaftliche Bilanzierung zu verändern und auf einer realen Basis vorzunehmen, da der bisher angewandte Berechnungskoeffizient nur ungenügend die tatsächlich erreichten Erträge berücksichtigt.
In diesem Zusammenhang muss auch auf Meinungen hingewiesen werden, wegen der geringen Ergebnisse der bisherigen Züchtungsversuche bei Mais diese finanziell aufwendigen Arbeiten einzustellen und die Versorgung der Landwirtschaft der DDR mit Maissaatgut aus Importen zu sichern.