Probleme bei der Umsetzung des Chemieprogramms
31. Mai 1961
Bericht Nr. 252/61 über einige Mängel in der Erfüllung des Chemieprogramms
[Für die] geplante Präsidiumssitzung1 [des Ministerrats]
Vorhandene Informationen im MfS werden benutzt, um anlässlich der geplanten Sitzung des Präsidiums des Ministerrates zu einigen Mängeln bei der Realisierung des Chemieprogramms2 Stellung zu nehmen, ohne jedoch dabei den Anspruch auf eine umfassende Analyse erheben zu wollen.
Im Einzelnen wird im Bericht auf folgende Probleme eingegangen:
- 1.
Bisher festgestellte Ursachen für die Verzögerungen bei der Realisierung der Invest-Vorhaben in der chemischen Industrie und ihre Erscheinungsformen,
- 2.
Einige Probleme der Forschung und Entwicklung, der Überführung von Forschungs- und Entwicklungsthemen in die Produktion,
- 3.
Die Problematik des VEB KCA,
- 4.
Mängel der Leitungstätigkeit innerhalb der chemischen Industrie.
I. Bisher feststellbare Ursachen für die Verzögerungen bei der Realisierung der Invest-Vorhaben in der chemischen Industrie und ihre Erscheinungsformen
Die gegenwärtig vorhandenen Informationen und Hinweise zeigen als allgemeine Ursachen für die Nichteinhaltung der vorgesehenen Staatsplantermine bei wichtigen Investitionsvorhaben Folgendes:3
- 1.
In der anleitenden und kontrollierenden Tätigkeit der SPK, Abteilung Chemie, und den nachgeordneten VVB gegenüber den Investitionsträgern zeigten sich entscheidende Schwächen bei der Lösung der Grundsatzfragen mit perspektivischem Charakter und bei der Entscheidung von methodischen Problemen, z. B. Einarbeitung detaillierter Ausrüstungsprogramme der chemischen Industrie in die Liefer- und Leistungspläne des Maschinenbaues.4
Die vorliegenden Informationen weisen darauf hin, dass die Zusammenarbeit der Abteilung Chemie der SPK mit den am Chemieprogramm beteiligten Hauptabteilungen, wie Schwermaschinenbau, Perspektivplanung, Investitionen, Forschung und Technik, in den Fragen der Koordinierung der Schwerpunktaufgaben Mängel aufweist.5 Daher konnte in der Vergangenheit die Abteilung Chemie bei der Durchsetzung der Hauptprobleme des Chemieprogramms nicht immer voll wirksam werden.
- 2.
Verschiedene Hinweise aus den Betrieben der chemischen Industrie (Investitionsträger), den Maschinenbaubetrieben des chemischen Anlagebaues und den verschiedensten Leitungsorganen besagen, dass die beabsichtigte Funktion des VEB Komplette Chemieanlagen (KCA) nicht vollkommen erreicht wurde.6 Die Zusammenarbeit des VEB KCA mit den Investitionsträgern der chemischen Industrie bzw. mit den Betrieben des chemischen Anlagebaues wurde durch die unzureichende Klärung der Aufgabenstellung des VEB KCA in den VVB des Maschinenbaues hemmend beeinflusst. Das Hinauszögern wichtiger Entscheidungen über Arbeitsgrundlagen des VEB KCA durch die SPK bis in das Jahr 1960 behinderte die volle Wirksamkeit des Betriebes offensichtlich.
- 3.
Die Betriebe der chemischen Industrie leisteten bei der Aufstellung der Perspektivpläne eine unverantwortliche Arbeit, die zu erhöhten Anforderungen an das Investitionsvolumen führte.7
- 4.
Die geplante Arbeitsproduktivität in der Bauindustrie8 wurde nicht erreicht9 und führte zu Überhängen für das Planjahr 196110; der überbezirkliche Kapazitätsausgleich wurde durch die Räte der Bezirke und das Ministerium für Bauwesen nicht gesichert.
- 5.
Die Betriebe des Maschinenbaues konnten die Anforderungen auf den Gebieten des Rohrleitungsbaues, des Stahlbaues, besonders aber auf dem Sektor der Steuer-, Mess- und Regeltechnik u. a. nicht vollkommen erfüllen. Unzureichende Produktionskapazitäten auf diesen Gebieten, Unklarheiten in den zentralen Bilanzen und kurzfristige Verschiebungen in den Sortimentsanforderungen an Ausrüstungen durch die Investitionsträger waren die Hauptgründe für die Verzögerungen.
Im Einzelnen ergeben sich aus den uns vorliegenden Materialien bei der Vorbereitung und Durchführung der Investitionsvorhaben (Staatsplanvorhaben) im Bereich der VVB der chemischen Industrie folgende Probleme:
- 1.
VVB Mineralöle und organische Grundstoffe
Bei den im Bereich der VVB Mineralöle und organische Grundstoffe durchzuführenden Staatsplanvorhaben
- a)
VEB Erdölverarbeitungswerk Schwedt/O. (Neubau)
- b)
VEB-Leuna-Werk »Walter-Ulbricht« Werk II (Neubau)
- c)
VEB Mineralölwerk Lützgendorf (Erweiterung)
ergeben sich einige Faktoren, die nach Auffassung des MfS die planmäßige Realisierung des Chemieprogramms erheblich beeinträchtigen.
Für das EVW Schwedt bestehen zzt. noch erhebliche Unklarheiten über das endgültig zu produzierende Sortiment an Erzeugnissen (Benzolgewinnung, Bitumenherstellung, Produktion von o-Xylol und p-Xylol), sodass seitens des Projektanten (IZ-Böhlen) die Projektierungsarbeiten verzögert werden mussten bzw. durch die »gleitende Projektierung« nur an der Fertigstellung von Teilobjekten gearbeitet werden kann. In diesem Zusammenhang wird durch Hinweise aus dem IZ Böhlen bekannt, dass bereits die Forderung an die SPK erhoben wurde, über den RGW eine Abstimmung über die Gewinnung von Grundstoffen zur Erzeugung von synthetischen Fasern im Rahmen des sozialistischen Lagers herbeizuführen, aber bis jetzt noch kein Ergebnis vorliegen soll. Durch diese Abstimmung soll auch die Errichtung von Überproduktionskapazitäten vermieden werden, welches gegenwärtig noch befürchtet wird.
Die vorgenommenen Mittelkürzungen für das EVW Schwedt können in ihren Auswirkungen für die planmäßige Inbetriebnahme der 1. Ausbaustufe im Jahre 1964 nicht voll eingeschätzt werden. Die vorhandenen Übersichten lassen jedoch erkennen, dass dadurch zumindest die planmäßigen Aufschlussarbeiten gefährdet werden und somit ein ungenügender Vorlauf für die Bau- und Montagefreiheit auftreten kann. Die Konzentration der Investitionsmittel und ihre materielle Sicherstellung und Realisierung in Höhen von ca. 290 Mio. DM auf die Jahre 1962 bis 1964 wird vom zeitlichen Standpunkt durch dort tätige Fachexperten angezweifelt.
Nach dem bisherigen Bauablauf im EVW ist erkennbar, dass seitens der SPK, Abteilung Chemie, eine termin- und räumlich abgestimmte, mit den Produktionsmöglichkeiten koordinierte Errichtung notwendiger Tanklagerkapazitäten unterlassen wurde. Etwa ab 1.7.1961 stehen dem EVW für ca. 45 000 t Tanklagerkapazitäten zur Verfügung, die vorerst nur als Zwischenlager verwendbar sind.
Da für das Staatsplanvorhaben »Leuna-Werkteil II« u. a. die Errichtung von Tanklagerkapazitäten vorgesehen ist, vertraten Experten die Auffassung, diese Kapazitäten hätten zuerst in Leuna errichtet werden sollen. Damit wäre zugleich die Konzentrierung der Investitionsmittel im Bereich dieser VVB und der entsprechenden Maschinenbau- und Montagekapazitäten erreichbar gewesen.
Die Vorhaben im Leuna-Werk »Walter Ulbricht«, insbesondere der Neubau des Werkteils II, erfuhren durch wirtschaftspolitische Bedingungen in den vergangenen Planzeiträumen häufige Veränderungen, sodass die Perspektiven der Staatsplanvorhaben in diesem Werk z. T. offensichtlich bestimmte Unklarheiten aufweisen.
Die Verzögerungen 1960 in der Investitionsrealisierung waren dabei besonders auf die Untererfüllung auf dem Bausektor durch das BMK Chemie zurückzuführen. Die Verzögerungen im Bauablauf und Kürzungen von Investitionsmitteln gefährden die planmäßige Montage und Inbetriebnahme der Phenolsynthese (Import aus Westdeutschland) für die Caprolactamgewinnung. Bei nicht termingemäßer Inbetriebnahme dieser Anlage würde eine ernsthafte Lücke in der Rohstofferzeugung und -versorgung für die plasteverarbeitende Industrie und Kunstfaserherstellung (Guben, Premnitz, Schwarza) entstehen. Seitens der Werkleitung bestehen zzt. keine klaren Vorstellungen über die weiteren Perspektiven für den Aufbau und die Hauptproduktionsrichtungen des Werkes, da nur noch das Salzkohlekraftwerk im Werk I und das Tanklager im Werkteil II planmäßig errichtet werden. Der Bau der übrigen Anlagen ist jedoch noch völlig ungeklärt. Die gegenwärtig ungeklärten Perspektiven für das Leuna-Werk Teil II wirken sich u. a. auch dahingehend aus, dass bei der Abteilung Chemie der SPK ein Antrag der Werkleitung vorliegen soll, wonach der Neubau der vorgesehenen Anlagen auf das Jahr 1968 verschoben werden soll. Die planmäßige Durchführung des SU-Sonderprogramms (Formamiterweiterung und Methanolanlage) wird durch das Fehlen von Kompressoren, Hochdruckapparaten und Kolonneneinrichtungen gefährdet.
Der VEB Mineralölwerk Lützgendorf (Erweiterung vorhandener Kapazitäten auf dem Sektor der Schmierölfabrikation) erfuhr mehrmals für die Inbetriebnahme der ersten Ausbaustufe, durch verschiedene Ursachen bedingt, erhebliche Verzögerungen. Durch unzureichende Klarheit über die Standortauswahl für die neue Schmierölfabrik und über den einzusetzenden Rohstoff (Rohöl aus Österreich oder der SU, haben unterschiedliche Qualitätsmerkmale) sind nachteilige Auswirkungen auf die rechtzeitige Projektierung entstanden, wodurch Verzögerungen bei der Bestellung von Ausrüstungen entsprechend den Objekt- und Ausrüstungslisten herbeigeführt und der kontinuierliche Bau- und Montageablauf negativ beeinflusst wurden.
Besonders auf die Fragen der Standortauswahl der neu zu errichtenden Schmierölfabrik muss in diesem Zusammenhang hingewiesen werden. Verschiedene Informationen deuten auf eine unzureichende Kontrolle in der Periode der volkswirtschaftlichen Aufgabenstellung und der Vorplanung hin, sodass die Vorbereitung und Durchführung dieses Vorhabens nicht komplex gestaltet werden konnte. Bereits bei der Vorplanung wurde von einigen Ingenieuren die Richtigkeit der Standortauswahl Mineralölwerk Lützgendorf angezweifelt. Die Projektstudie vom IZ Böhlen dagegen sagt aus, dass für den Neubau einer Schmierölfabrik keine Erweiterungen der vorhandenen betrieblichen Versorgungseinrichtungen (Dampf, Wasser, Elektrizität und soziale Einrichtungen) erforderlich seien. Der jetzt erreichte Stand der Investrealisierung erfordert aber für die Inbetriebnahme der neuen Schmierölfabrik den Neubau eines Kraftwerkes, was zu einem erheblichen Mehrkostenaufwand gegenüber der ersten Projektstudie führt. Diese Studie wurde mit von dem westflüchtigen Dr. Stange bearbeitet und unterzeichnet.
In gleicher Richtung muss die Beachtung des zur Verfügung stehenden Einsatzmaterials eingeschätzt werden. Die Projektierung der Anlagen erfolgte auf der Basis des Matzener Erdöls, obwohl aufgrund des Staatsvertrages zwischen der SU und Österreich11 bekannt war, dass ab 1.7.1961 nur noch 50 % der bisher bezogenen Erdölmengen und ab 1964 keine Erdöllieferungen aus Österreich mehr erfolgen werden. Von der SPK wurde offensichtlich verabsäumt, eine rechtzeitige Orientierung auf die neu entstandene Lage und die Projektierung einer den neuen Verhältnissen entsprechenden Mehrzweckanlage zu geben. Die Umprojektierung auf der Grundlage des sowjetischen Erdöls führte nach unseren Hinweisen zu einem Stillstand in der Durchführung sämtlicher Arbeiten von etwa einem Jahr und einem Mehraufwand an Investitionen in Höhe von ca. 90 Mio. DM. Der auf dieser Basis hervorgerufene Zustand der »gleitenden Projektierung« wirkt sich außerdem auch dahingehend aus, dass bei Eintreffen der bestätigten Projektierungsunterlagen erneut Umbauten an bereits fertiggestellten Anlagenteilen vorgenommen werden müssen. Weiterhin waren verschiedene Projektierungsunterlagen fehlerhaft ausgearbeitet (z. B. Pumpenhaus Rohöldestillation).
Die genannten Mängel in der Projektierung führten u. a. in der Materialbereitstellung mit dazu, dass die für das Planjahr 1960 bereitgestellten 2 000 t Rohrleitungen nicht verarbeitet werden konnten und die Verträge storniert werden mussten. Jedoch konnten für das Planjahr 1961 aber nur 60 % der benötigten Rohrleitungen abgedeckt werden.
- a)
- 2.
VVB Elektrochemie und Plaste
Im Bereich der VVB Elektrochemie und Plaste wurden nachstehende Fakten bei der Durchführung folgender Vorhaben bekannt:
- a)
VEB Chemische Werke Buna (Errichtung von PVC-Anlagen und Chlorfabrik)
- b)
VEB Eilenburger Celluloid-Werke (Aufbau einer Anlage zur Gewinnung von Lösungsacetat – Politbürobeschluss zur Unabhängigmachung von WD)
- a)
- -
Im VEB Chemische Werke Buna ergibt sich nach den gegenwärtigen Übersichten folgendes Bild im Investitionsgeschehen:
Die bisher aufgetretenen Terminverschiebungen werden mit Verzögerungen im Baugeschehen (Leistungen des BMK Chemie), schlechter Arbeitsorganisation (Nichteinhaltung der Bauablauf- und Montagepläne), ungenügender Vorlauf in der Projektierung von elektrischen Anlagen sowie mit mangelhafter Belieferung von Anlagen der Steuer-, Maß- und Regeltechnik begründet.
Größere Mängel bestehen aber nach vorliegenden Informationen auch bei der Vorbereitung und Durchführung des Staatsplanvorhabens »Neubau einer Chlorfabrik« im Buna-Werk (3 281 TDM). Die maschinenmäßige Ausrüstung sollte durch den hierfür spezialisierten Betrieb, dem VEB Maschinenfabrik Halle, übernommen und gesichert werden. Dieser Betrieb hat aber im Rahmen von Regierungsabkommen mit der VR Bulgarien wichtige Aufträge des Anlagenexportes chemische Apparate (z. B. Chlorelektrolyse) als staatliche Planauflagen erhalten, die sich jetzt, da diese Fragen von den verantwortlichen Betriebsfunktionären ungenügend berücksichtigt und die Produktionskapazitäten nicht in Übereinstimmung gebracht wurden, dahingehend auswirken, dass jetzt eine Reihe von Aufträgen zeitweilig zurückgestellt werden musste, worunter u. a. auch die Ausrüstungen für die Chlorfabrik in Buna fallen sollen.
Auf Mängel in der Planung und Bilanzierung der Abteilung Chemie der SPK und der VVB deutet auch der gegenwärtige Zustand auf den Baustellen des Buna-Werkes hin, wo zzt. ca. 10 000 t Stahlkonstruktionen u. a. auch Rohrleitungen lagern, die 1961 nicht montiert werden können. Dagegen ist die Fertigstellung und Inbetriebnahme der 1. Ausbaustufe der Schmierölfabrik im VEB Mineralölwerk Lützgendorf zum 1.7.1961 noch immer abhängig von der rechtzeitigen Bereitstellung von Rohrleitungen.
Das Staatsplanvorhaben »Lösungsacetat im VEB Eilenburger Celluloid-Werk« ist für die Erreichung der völligen Unabhängigkeit von Westdeutschland, für die Herstellung von Filmen von großer Bedeutung. Nach den bisherigen Hinweisen sind einschätzbar bereits Mehrkosten in Höhe von 4,5 Mio. DM (Gesamtinvestitionsvolumen ca. 52,5 Mio. DM) zu erwarten.
Nach vorliegenden Untersuchungsergebnissen ist diese Lage wesentlich mit auf die mangelhafte zentrale Planung und Leitung durch die Abteilung Chemie der SPK und die VVB zurückzuführen. Danach wurde bereits während der Bestätigungsverhandlung am 6.12.1960 in der Abteilung Investitionen der SPK das Projekt nur unter Vorbehalten genehmigt. Die Vorbehalte bezogen sich auf den einzusetzenden Hauptrohstoff (Linters aus der VR China), besonders inwieweit die Qualitätsmerkmale dieses Rohstoffes eine Produktion qualitätsmäßig guten Lösungsacetats überhaupt gewährleiste. Gegenstand der Beratung und der Beanstandungen am Projekt war die Frage, ob und in welchem Umfange überhaupt qualitätsgerechte Filmunterlage produziert wird und welche Sicherungen vorhanden sind, inwieweit das in der Filmindustrie nicht verwendbare Produkt weiter eingesetzt werden kann. Der ausgewiesene ökonomische Nutzen von ca. 10 Mio. DM Einsparung an Devisen, der bei Erreichung der geplanten Kapazität und Qualität des Lösungsacetats erzielt werden soll, wird nach den gegenwärtig einschätzbaren Bedingungen jedoch stark infrage gestellt. Fachleute rechnen nach den gegenwärtigen Bedingungen und Verhältnissen auf der Baustelle mit einer Verzögerung zum vorgesehenen Staatsplantermin von ca. einem Jahr.
Die Koordinierung des Bauablaufes zur Errichtung der notwendigen Betriebsteile in diesem Objekt weist Schwächen auf. Zur Inbetriebnahme der Anlage machen sich Erweiterungen der Energie- und Brandwasserversorgungsanlagen erforderlich. Der Staatsplantermin sieht für die Lösungsacetatanlage den 31.12.1962 vor, für die Energieanlagenerweiterung jedoch erst den 31.3.1963, sodass mit bestimmten Versorgungsschwierigkeiten beim Anlaufen der Anlage gerechnet werden muss.
- 3.
VVB Chemiefaser und Fotochemie
Das wichtigste Vorhaben im Bereich der VVB ist die Errichtung des Chemiefaserkombinates Guben (CFK). Die vorliegenden Informationen besagen, dass die vorgenommenen Kürzungen an Investitionsmitteln und die damit verbundene Verschiebung der Staatsplantermine der eigentlichen volkswirtschaftlichen Aufgabenstellung lt. Chemieprogramm und Siebenjahrplandokument12 nicht mehr entsprechen.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Investitionsmittelbereitstellung werden im Jahr 1965 lediglich 2 000 t Dederon-Feinseide produziert werden. Vorhandene Hinweise verdeutlichen, dass der bisherige Investitionsmittelaufwand für die Produktion von 2 000 t Dederon-Feinseide volkswirtschaftlich nicht vertretbar ist. Um einen höheren volkswirtschaftlichen Nutzen der Investitionen im CFK Guben zu erreichen, wird von Fachleuten an diesem Standort die Errichtung von Produktionskapazitäten zur Herstellung der PAN-Faser, die für Schwarza und Premmnitz vorgesehen sind, als zweckmäßig erachtet. Von diesen Kreisen wird angegeben, dass sie als Ursache für das Zurückstellen des Vorhabens hauptsächlich ein von Prof. Dr. Nelles13 nicht zum Abschluss gebrachtes Forschungsthema zur Entwicklung eines für die Rohstoffverhältnisse der DDR entsprechendes Verfahren zur Herstellung der Terephalsäure ansehen.
- 4.
Zu einigen Problemen der Durchführung des Energieprogramms innerhalb der chemischen Industrie
Nach dem verbindlichen Dokument des Siebenjahrplanes für die Chemische Industrie bestand die Aufgabe, 850 MW installierte Leistung bis 1965 zu errichten. Dafür werden ca. 851,7 Mio. DM an Investitionsmitteln bereitgestellt. Nach vorliegenden Hinweisen werden jedoch im Bereich der Abteilung Chemie die vorgesehenen Kennziffern nicht realisiert. Demnach soll der Kapazitätszuwachs um rd. 300 MW niedriger als im Siebenjahrplan vorgesehen liegen. Die Verschiebungen berühren eine Reihe von Großvorhaben in Betrieben der chemischen Industrie (Leuna I Salzkohlekraftwerk, Böhlen Hochdruckvorschaltkraftwerk).
Als entscheidende Ursachen für die Veränderungen werden Unklarheiten in der Energiesituation der chemischen Industrie angesehen. Die Veränderungen werden auf mangelhafte Arbeit des Fachgebietes Energetik der Abteilung Chemie und auf Unzulänglichkeiten in der Leitungstätigkeit und Koordinierung innerhalb der Abteilung Chemie zurückgeführt. Die verantwortlichen Funktionäre auf diesem Fachgebiet innerhalb der Abteilung Chemie besitzen z. B. zzt. keinen Überblick über den Stand der Investitionsvorhaben auf diesem Gebiet, welches teilweise mit einer unzureichenden Besetzung begründet wird. Die Anleitung, Unterstützung und Kontrolle dieses Fachgebietes durch die Leitung der Abteilung Chemie war unzureichend organisiert, sodass bestimmte Erscheinungen der Schlamperei und Missstände bei der Abstimmung und in der Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten und Fachabteilungen der SPK nicht wirkungsvoll unterbunden werden konnten.
Laut Siebenjahrplanprojekt der VVB Mineralöle und organische Grundstoffe war der Bau eines Hochdruckvorschaltkraftwerkes in Böhlen mit einer Kapazität von 150 MW mit einem Investitionsmittelaufwand von 170 Mio. DM vorgesehen. Durch ungenügende Zusammenarbeit zwischen der SPK, Abteilung Chemie, und der VVB erfolgte bereits in der Periode der Ausarbeitung und Bestätigung des Siebenjahrplanes eine der Terminstellung widersprechende Bereitstellung der Investitionsmittel in den einzelnen Jahresplänen, sodass nunmehr erhebliche Verzögerungen in der Terminstellung der Teilvorhaben und bei der Realisierung des Gesamtvorhabens zu verzeichnen sind.
Im Leuna-Werk I erfolgt zzt. der Aufbau des Salzkohlekraftwerkes. Bei der Vorbereitung und Durchführung dieses Investitionsvorhabens wurde vonseiten des MfS festgestellt, dass die damit betrauten Funktionäre der SPK offensichtlich eine bevorzugende Haltung gegenüber der westdeutschen Firma »Kohlescheidungsgesellschaft Stuttgart« bezogen.
VEB Bergmann-Borsig und o. g. Betrieb haben jeweils einen Salzkohleversuchskessel zu montieren. Wettbewerb, Prämiensystem und unterschiedliche Bezahlung bei der Montage beider Kessel waren dabei auf eine vorzeitige Fertigstellung des Kessels der westdeutschen Firma gerichtet, während dem VEB Bergmann-Borsig keine nennenswerte Unterstützung zuteil wurde. Diese Frage wurde bisher von den verantwortlichen Funktionären der Abteilung Chemie offensichtlich nicht beachtet, sodass es zu erheblichen Unstimmigkeiten kam.
Ein weiteres Problem bilden in der komplexen Planung der Investitionsvorhaben die Planung und Durchführung der wasserwirtschaftlichen Maßnahmen im mitteldeutschen Raum für die Chemische Industrie.
So wird von der VVB Allgemeine Chemie für die Betriebe Film- und Farbenfabrik Wolfen sowie EKB ein Muldewasserwerk zur Verbesserung der Wasserversorgung errichtet. Aus diesem Vorhaben wurden 1961 Investitionen in Höhe von 1,6 Mio. DM gestrichen. Das bedeutet eine Verzögerung und Gefährdung der weiteren Wasserversorgung o. g. Betriebe. Durch Experten wurde der technische Zustand des alten Wasserwerkes als außerordentlich schlecht und bedenklich bezeichnet. Durch die Erweiterung und Erhöhung des Produktvolumens steigt im laufenden Produktionsjahr 1961 der Wasserbedarf. Daher wird von der VVB versucht, von der SPK die Durchführung eines Teilvorhabens, die Fertigstellung des Stichkanals zur Rohwasserzuführung, sichern zu lassen.
II. Einige Probleme der Forschung und Entwicklung, der Überführung von Forschungs- und Entwicklungsthemen in die Produktion
Auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung14 innerhalb der chemischen Industrie sind nach uns vorliegenden Informationen eine Reihe ernsthafter Mängel zu verzeichnen, die mit auf die bisherige Struktur des Forschungs- und Entwicklungsprogramms zurückgeführt werden.
Die im Chemieprogramm gestellten Ziele sind dadurch nur ungenügend erreicht worden.15
Besonders beanstandet wird die mangelhafte Aufgabenstellung und Auswertung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in den Betrieben, staatlichen Institutionen, einschließlich der SPK, Abteilung Chemie und auch im Forschungsrat der DDR.16
Dies wird auch als Hauptursache für den teilweise zu verzeichnenden erfolglosen Verlauf der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und für die durch notwendige Veränderungen in der Volkswirtschaft nicht mehr mögliche Anwendung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse angesehen.
Als beinahe charakteristisch für die in der Vergangenheit durchgeführten Forschungsarbeiten wird die fehlende Koordinierung zwischen einzelnen Wissenschaftlern und den Forschungsinstituten der chemischen Industrie und die mangelnde Orientierung derselben auf Schwerpunkte innerhalb der chemischen Industrie bezeichnet.17 Zutreffend hierfür und typische Erscheinungen stellen z. B. die Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Phenosolvanrückständehydrierung oder der Akylphenolharze dar.
Bei den Forschungsarbeiten für die Phenolsolvanrückständehydrierung stellte sich nach Abschluss heraus, dass Leuna zwar die Forschungskosten in Höhe von 140 TDM verausgabt hatte, Böhlen jedoch als »Nutznießer« der Forschungsarbeiten die Übernahme der Kosten ablehnte, da dieser Betrieb seit 1957 mit diesem Verfahren bereits arbeitete.18
Bei den Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Akylphenolharze19 stellte sich nach Abschluss im Leunawerk heraus, dass die Kunstharzfabrik Magdeburg bereits vor dem Krieg das gleiche Verfahren angewandt hatte, welches noch wesentlich günstigere Merkmale aufwies als das neuentwickelte Verfahren aus dem Leuna-Werk. Dadurch entstand ein Schaden von 140 TDM.20
Unter einer Reihe von Wissenschaftlern und Angehörigen der chemischen Industrie besteht die Auffassung, dass die internationale Zusammenarbeit21 im Rahmen des RGW auf den Gebieten der Forschung und Entwicklung noch unzureichend22 ist. Es sollen noch bestimmte Schwierigkeiten im Erfahrungsaustausch mit der SU bestehen.23 Die Organisierung des Erfahrungsaustausches soll u. a. aber auch durch die ungenügende qualifizierte Arbeitsweise der Abteilung Chemie erheblich beeinflusst werden.24 Eine Reihe von TWZ-Anträgen wurde durch diese Abteilung nur schleppend bearbeitet und in einigen Fällen mit fehlerhaften Begründungen abgelehnt (z. B. Gas- und Benzinspaltanlage, Plattorminganlage, Terephtalsäure und Methanchlorierung).
Die Einführung bzw. Überführung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten wird teilweise durch die mangelnde Leitungstätigkeit erschwert. Aus dem KIB Leipzig wird bekannt, dass bereits in der Periode der Projektierung ein kontinuierlicher Arbeitsablauf nicht gewährleistet ist. Übereinstimmend wird dargelegt, dass meist eine klare volkswirtschaftliche Aufgabenstellung und Anleitung durch die SPK und den VVB für wichtige Staatsplanvorhaben nicht gegeben werden konnte. Hinzuzufügen ist, dass das KIB Leipzig, als zentrales Konstruktions- und Projektierungsbüro der chemischen Industrie, bei wichtigen Vorhaben nur als Teilprojektant eingesetzt wurde (z. B. Guben CFK), sodass es nur geringfügigen Einfluss auf die Einführung neuester wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse hat.
Von einer Reihe wissenschaftlicher Mitarbeiter des KIB Leipzig wird prinzipiell die führende Rolle der sowjetischen Wissenschaft anerkannt, und es herrscht allgemeine Bereitschaft, mit den neuesten Erkenntnissen der Sowjetwissenschaft auch in der Projektierung zu arbeiten. Es ist jedoch für die im KIB beschäftigten Ingenieure und Wissenschaftler teilweise unverständlich, weshalb mit der Erlangung von entsprechenden Dokumentationen, Erfahrungen usw. soviel Schwierigkeiten verbunden sind, die z. T. soweit gehen, dass sie gar nicht erst in den Besitz derartiger Unterlagen gelangen.25
Erhebliche Unklarheiten bestehen im KIB über das Verhältnis von DIN- zu den GOST-Normen. Wiederholt wurde erklärt, dass sie sich entsprechend den Möglichkeiten auf GOST-Normen umstellen würden, wenn die entsprechenden Dokumentationen zum Vergleich in ihrem Besitz wären.
Welche Probleme mit der Forschung und Entwicklung sowie der Einführung neuester Erkenntnisse in die Produktion verbunden sind, sollen anhand der Gummiverarbeitenden Industrie dargestellt werden.
Vorhandene Neukonstruktionen von Gummimaschinen können in der Produktion nicht zur Anwendung kommen, da der Maschinenbau zzt. nicht in der Lage sei, diese Maschinen zu produzieren. Dies trifft hauptsächlich für Gummimaschinen zu, die für die Reifenherstellung Verwendung finden sollen. Es wird teilweise die Auffassung vertreten, dass die in der DDR zzt. produzierten Gummimaschinen in ihrem technischen Niveau dem Stand von 1940 entsprechen.
Den wissenschaftlichen Mitarbeitern im Zentralen Entwicklungsbüro für die Reifenindustrie der DDR, Fürstenwalde, bereiten die gegenwärtigen Verhältnisse in der Maschinenauslastung der Gummibetriebe größere Schwierigkeiten. Die Erprobung wissenschaftlicher Erkenntnisse in den gummiverarbeitenden Betrieben ist aufgrund der hohen Maschinenauslastung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, sodass mitunter wochenlange Verzögerungen bis zur endgültigen Entscheidung über die zweckmäßige Anwendung auftreten.
Der VEB Chemische Fabrik Finowtal/Frankfurt/O. hat im Rahmen des Chemieprogramms eine wichtige Aufgabe zu lösen. In diesem Betrieb wird Triacetatcellulose (Ac) als Grundstoff für die Herstellung von Filmunterlagen hergestellt. Bisher ist jedoch nicht geklärt, ob die Acetatcellulose aus China-Linters in der Filmindustrie eingesetzt werden kann. Die entsprechende Unterstützung durch die VVB Chemiefaser und Fotochemie in der Forschung und Entwicklung sowie in der Klärung dieser Probleme mit der SPK war in der Vergangenheit nicht feststellbar.
Die vorliegenden Informationen besagen, dass die Projektierung von Objekten und Anlagen für die Pharmazeutische Industrie der DDR nicht entsprechend dem wachsenden Bedarf durchgeführt wird. In allen kapitalistischen und sozialistischen Staaten werden pharmazeutische Objekte mit einer 30 %igen Reservekapazität projektiert und gebaut. Diese internationale Besonderheit bei der Errichtung von Objekten der pharmazeutischen Produktion wird in der DDR nicht beachtet. Die Folge ist, dass der oft sprunghaft steigende Bedarf nicht gedeckt werden kann bzw. die Überführung wichtiger neuer pharmazeutischer Präparate in die Produktion mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist.
III. Die Problematik des VEB Komplette Chemieanlagen (KCA)
Ein weiteres Hemmnis für die Realisierung des Chemieprogramms entstand in der Vergangenheit dadurch, dass es dem VEB KCA nicht umfassend gelang, die ihm zugedachte Funktion zu verwirklichen. Besonders wurde die Arbeitsweise des VEB KCA durch eine unsystematische und unplanmäßige Zusammenarbeit mit den Maschinenbaubetrieben der DDR behindert.26 Ursache dieser Erscheinung ist das prinzipielle Ablehnen der Leitbetriebfunktionen durch eine Reihe von Maschinenbaubetrieben27 (z. B. VEB Rohrleitungsbau Bitterfeld). Die Maschinenbaubetriebe werden durch die ihnen übergeordneten VVB in den Fragen der Leitbetriebfunktionen direkt unterstützt, indem diese bestimmte Probleme der Betriebe, wie Kapazitätsauslastung der Anlagen und Aggregate oder Arbeitskräftemangel, mit zur Ablehnung der Leitbetriebsfunktionen gegenüber der SPK, Abteilung Schwermaschinenbau, heranziehen.
Die gegenwärtige Praxis führt nun dazu, dass der VEB KCA mit annähernd 75 Betrieben des Maschinenbaus in vertraglichen Beziehungen steht, welches eine koordinierte Arbeitsweise zur Herstellung von kompletten Anlagen bzw. Anlagenteile außerordentlich erschwert. Vonseiten des VEB KCA wird für die zzt. bestehenden Schwierigkeiten auf einen Faktor besonders aufmerksam gemacht. Der VEB KCA steht mit einer Vielzahl von Maschinenbaubetrieben in vertraglichen Beziehungen, die ihre Produktionsprogramme auf die verschiedensten volkswirtschaftlichen Aufgaben ausrichten mussten (Kohle- und Energieprogramm, Chemieprogramm, Export und Konsumgüterprogramm usw.).28
Die in der Vergangenheit ungenügend gelösten Probleme der weiteren Konzentration und Spezialisierung der Produktion haben zur Folge, dass bei den nun stark ansteigenden Forderungen an den chemischen Anlagenbau Komplikationen in den Betrieben auftreten,29 die an mehreren volkswirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen durch ihre Produktionssortimente beteiligt sind. Diese Probleme erschwerten in der Vergangenheit erheblich die Fragen der Spezialisierung und Konzentration der Produktion und behinderten eine teilweise Spezialisierung der Maschinenbaubetriebe für den chemischen Anlagenbau.30 Dies kann als eine der Ursachen für die ungenügende Durchsetzung der Leitbetriebsfunktionen in den Betrieben des Maschinenbaues angesehen werden.
Die Durchführung der Investitionsvorhaben in den Chemiebetrieben wird, aus den Erfahrungen des VEB KCA resultierend, nicht immer im erforderlichen Umfange durch die Planung der Investitionsträger vorbereitet. Es gibt Erscheinungen, wonach bei erfolgten Kürzungen von Investitionsmitteln die verbleibenden Mittel nicht mit der erforderlichen Sorgfalt auf solche Objekte bzw. Teilobjekte konzentriert wurden, die schnell produktionswirksam werden könnten.31 Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Fertigstellung wichtiger Objekte durch »fehlende Investitionsmittel« gefährdet ist. Durch die ungenügende Einflussnahme der staatlichen Leitungsorgane auf die zweckmäßigste Konzentration der bereitgestellten Investitionsmittel auf die volkswirtschaftlichen Schwerpunktaufgaben der Chemie treten weitere Verzögerungen in der Durchführung des Chemieprogramms auf.
Eine entgegengesetzte Tendenz ergibt sich ebenfalls aus Hinweisen aus dem VEB KCA. Durch Ausfälle in der Lieferung von Ausrüstungen standen die Investträger der Chemie vor der Frage, die freigewordenen Mittel kurzfristig anderweitig umzusetzen und zu verwenden. Die Erfahrungen des VEB KCA zeigen, dass mit den zeitweilig freien Investmitteln Maßnahmen der sozialistischen Rekonstruktion innerhalb einzelner Betriebe finanziert wurden. Derartige Handlungsweisen trugen mit dazu bei, den geplanten Umfang von Investitionsmitteln für den Neubau von Objekten zu erhöhen.
Die ungenügend geklärten Perspektiven einzelner Zweige der chemischen Industrie, z. B. der Chemiefaserindustrie, sind für die rechtzeitige Vertragskontrahierung zwischen dem VEB KCA und den Maschinenbaubetrieben hinderlich. So besteht gegenwärtig für den VEB KCA das Problem, zunächst die Entscheidung übergeordneter Organe (SPK und VVB Chemie- und Klimaanlagen) in den Fragen der Perspektive innerhalb der Chemiefaserbetriebe abzuwarten, um die vertraglichen Bindungen für die Anlagenerweiterungen in Premnitz bzw. Schwarza vornehmen zu können bzw. dadurch die weitere vertragliche Bearbeitung des Vorhabens für das Chemiefaserwerk Guben wieder aufnehmen zu können.
In der Anleitung durch das übergeordnete Organ (VVB Chemie- und Klimaanlagen) für den VEB KCA gibt es erhebliche Mängel. So wurde festgestellt, dass die verantwortliche Arbeitsgruppe für das Chemieprogramm innerhalb der VVB aus drei Mitarbeitern besteht und von einem Juristen geleitet wird. Daraus resultiert, dass die Hilfe und Anleitung für den VEB KCA hauptsächlich nur in der Beratung bzw. in der Ausarbeitung von methodischen Fragen besteht, jedoch von einer operativen Hilfeleistung, insbesondere in der Hilfestellung bei der Zusammenarbeit mit den anderen VVB, kaum etwas zu spüren ist. Im VEB KCA wird sogar die Meinung vertreten, dass die Arbeitsgruppe der VVB direkt vor einer operativen Arbeitsweise zurückschreckt.
Es muss noch auf die Arbeit der Objektverantwortlichen des VEB KCA in den Schwerpunktobjekten des Chemieprogramms hingewiesen werden. Die Informationen besagen, dass die derzeitige Aufgabenstellung der Objektverantwortlichen erschwert ist, da selbst der VEB KCA gegenüber den Maschinenbaubetrieben größere Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit aufzuweisen hat, die sich unmittelbar auf den Baustellen des Chemieprogramms, in denen die Objektverantwortlichen tätig sind, noch komprimieren. Dadurch sind bei den Objektverantwortlichen des VEB KCA Diskussionen und Anschauungen zu verzeichnen, die auf eine gewisse Resignation gegenüber den gestellten Aufgaben schließen lassen. Zum anderen macht sich bei den beiden Objektverantwortlichen für das Vorhaben Chemiefaserkombinat Guben eine Unlust in der Arbeit bemerkbar, da vorerst keine konkreten Aufgaben von ihnen zu lösen sein sollen.
In welcher Art und Weise der VEB KCA durch die übergeordneten Organe Unterstützung erhält, zeigt nachstehendes Beispiel:
Zur Vorbereitung und Durchführung des Staatsplanvorhabens »Lösungsacetat Eilenburg« wurde ein Sonderstab gebildet, zu welchem als Vertreter des Maschinenbaues der Genosse Giebels (SPK, Abteilung Abt. SMB) nominiert wurde. Der Mitarbeiter des VEB KCA, Kollege Pittel, vertrat diesen Genossen bei einer Sitzung und seit dieser Zeit musste der P. den Genossen Giebels ständig vertreten, obwohl der Mitarbeiter des KCA keine unmittelbaren Beziehungen zu den Aufgaben des G. hatte. Vor etwa einem halben Jahr erhielt der VEB KCA für den Kollegen P. sogar offiziell die Berufungsurkunde durch den Sonderstab. Der Kollege P. ist der Objektbeauftragte des VEB KCA in Eilenburg und kann in dieser Funktion niemals die Interessen des Maschinenbaus wahrnehmen.
Anhand dieses Beispiels ist erkennbar, dass seitens der SPK, Abteilung Abt. SMB, völlig unüberlegt gehandelt wurde, da man übersah, dass dieser Kollege aus seiner Dienststellung heraus nie in der Lage war und ist, die wesentlichen Probleme, die nur in der SPK zu entscheiden sind, in irgendeiner Art und Weise zu beeinflussen.
Abschließend erweist es sich als notwendig, auf ein Problem der Planungsmethodik hinzuweisen, das die Arbeit des VEB KCA erschwert.
Ein Teil des chemischen Anlagenbaues befindet sich im Verantwortungsbereich der Räte der Bezirke und Kreise. Diese erhalten globale Kennziffern nach Planpositionen für den laufenden Volkswirtschaftsplan (z. B. 22 11 000 Chemische Apparate) durch die Abteilung Bezirke der SPK für ihren Verantwortungsbereich überreicht. Nach Aufschlüsselung der Planauflagen wissen die Betriebe, in welcher Höhe sie die Lieferpläne, d. h. ihr Produktionsvolumen nach Menge und Sortiment in den einzelnen Planpositionen erfüllen müssen. Es bleibt jedoch den Betrieben überlassen, die vertragliche Bindung der Produktion nach eigenem Ermessen vorzunehmen.
Die zentrale Bilanz der SPK, Abteilung Abt. SMB, legt jedoch den Anteil der Versorgungsbereiche an den Planpositionen fest.
Zum Beispiel: [Planposition] 22 11 000:
- –
Gesamt: 250 Mio. DM
- –
darunter: Chemie: 80 Mio. DM,
- –
Kohle: 60 Mio. DM,
- –
Energie: 80 Mio. DM usw.
Diese Aufgliederung erfolgt auch auf die einzelnen VVB und Räte der Bezirke und muss durch das staatliche Maschinenkontor gelenkt und geleitet werden.
Die Überprüfung in den Bezirken Dresden, Leipzig, Gera, Karl-Marx-Stadt und Halle zeigten dagegen, dass die Aufgliederung nach Versorgungsbereichen in den bezirklichen Maschinenkontoren im I. Quartal 1961 für das Planjahr 1961 eingegangen ist, jedoch nicht an die Räte der Bezirke weitergeleitet wurde. Damit konnte den Betrieben der örtlichen Industrie auch nicht vorgegeben werden, in welcher Höhe sie ihre Produktion für die einzelnen Versorgungsbereiche im Planjahr 1961 zu binden, d. h. in ihre Lieferpläne einzuarbeiten haben.
Abschließend sei darauf verwiesen, dass nach vorliegenden Informationen die entsprechende Fachabteilung des ZK in den Besitz eines umfassenden Berichtes der Werkleitung des VEB KCA gelangt ist, in welchem wertvolle Hinweise und Vorschläge enthalten sein sollen, die der Verbesserung der Wirkungsweise des VEB KCA dienen könnten.
IV. Mängel in der Leitungstätigkeit innerhalb der chemischen Industrie
Hinweise aus vielen Bereichen der chemischen Industrie, der Forschungs- und Entwicklungsstellen, den unteren Leitungsorganen der chemischen Industrie deuten übereinstimmend darauf hin, dass innerhalb der Abteilung Chemie zzt. noch kein festgefügtes Kollektiv bestehen soll.32 Die Beachtung und Anwendung sozialistischer Leitungsprinzipien durch eine Reihe von Mitarbeitern dieser Abteilung weist noch Mängel auf.
Wiederholt33 sind aus den Kreisen der Wissenschaftler und Betriebsfunktionäre Kritiken an der Arbeitsweise und den Arbeitsmethoden des Leiters dieser Abteilung, dem Genossen Prof. Dr. Winkler, bekanntgeworden, die darauf hindeuten, dass die Festlegungen, wie sie z. B. in den Kollegiumssitzungen beschlossen wurden, verletzt werden bzw. unbeachtet bleiben. Dadurch geraten oftmals leitende Mitarbeiter dieser Abteilung in Widerspruch zu anderen Fachgebieten innerhalb der Abteilung, zu den VVB, zu anderen Fachabteilungen der SPK.34 Vorhandene Informationen besagen, dass die Zusammenarbeit der Abteilung Chemie mit den Spitzenfunktionären der chemischen Industrie, die z. T. hervorragende Wissenschaftler der Chemie sind, wie z. B. Prof. Dr. Nelles, Werkleiter von Buna, oder Prof. Dr. Schirmer, Werkleiter von Leuna u. a. m., als sehr schlecht bezeichnet wird.35
Bezeichnend ist dabei die Untergrabung der Autorität einzelner VVB durch die Abteilung Chemie. Entsprechend der Bedeutung einzelner hervorragender Wissenschaftler der Chemie,36 die z. T. auch als führende Betriebsfunktionäre in den größten chemischen Betrieben tätig sind, pflegt die SPK, Abteilung Chemie, meist persönlichen Kontakt mit diesen Persönlichkeiten.37 Diese Wissenschaftler benutzten ihre direkten Verbindungen zur Abteilung Chemie, um auch betriebliche Probleme ohne Kenntnis der VVB durch diese Abteilung entscheiden zu lassen. Dabei musste oftmals nachträglich festgestellt werden, dass unter dem Einfluss dieser Persönlichkeiten Fehlentscheidungen getroffen wurden, die dann revidiert werden mussten. Der Genosse Prof. Dr. Winkler erklärte sich z. B. Ende 1960 damit einverstanden, einer Reihe von Betrieben der VVB Allgemeine Chemie den Plan rückwirkend kürzen zu lassen, damit die planmäßige Zuführung von 1,5 % des Gewinnes zum Betriebsprämienfonds gesichert wird. Der Grund, allgemeiner Rohstoffmangel, wurde von ihm akzeptiert. Der entsprechende schriftliche Antrag der VVB, die sich auf mündliche Festlegungen des Leiters der Abteilung Chemie berief, musste dann aber vom zuständigen Sachgebiet verworfen werden.
Mielke [Unterschrift]