Probleme in der Jugendpolitik
21. März 1961
[Bericht] Nr. 167/61 über einige Hemmnisse bei der Jugendförderung und bei der Arbeit mit den Jugendlichen
Zur besseren Arbeit mit der Jugend, speziell in Fragen der Jugendförderung und der damit zusammenhängenden Probleme macht es sich notwendig, auf einige hauptsächliche Hemmnisse hinzuweisen, die zwar besonders in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt haben und auf die auch im Kommuniqué des Politbüros eingegangen wurde,1 die aber aufgrund ihrer vorwiegend subjektiven Ursachen auch jetzt noch stark verbreitet sind.
Auf die spezifischen Probleme der jungen Intelligenz wird dabei nicht eingegangen, weil dazu bereits eine gesonderte Information (Nr. 77/61) erarbeitet wurde.
Ausgangspunkt fast aller hemmenden Faktoren ist eine Unterschätzung der Bedeutung der Arbeit mit der Jugend und der Jugendförderung seitens vieler, oft verantwortlicher Mitarbeiter und Funktionäre des Staatsapparates und der Betriebe, Mitglieder und Funktionäre der Parteien und Massenorganisationen.
Diese Haltung wirkt sich in einer ungenügenden Unterstützung und Förderung der Jugendlichen, im Nichteingehen auf die sie bewegenden Fragen, im mangelnden erzieherischen Einfluss aus und führt oft bis zu sektiererischen Einstellungen gegenüber der Jugend. Offensichtlich glaubt dabei ein großer Teil, dass sich die Jugendförderung in den in der DDR vorhandenen gesetzlichen Grundlagen erschöpft, ohne die Notwendigkeit zu erkennen, eine Verwirklichung dieser gesetzlichen Grundlagen und anderer für die Arbeit mit der Jugend zutreffender Empfehlungen der Partei in der Praxis zu garantieren. So gibt es auch jetzt wieder solche Anzeichen, dass man das Kommuniqué des Politbüros zwar als sehr wichtig und richtig einschätzt und begrüßt, aber noch nicht genügend richtige Schlussfolgerungen daraus zieht, um die Gesamtsituation unter der Jugend im Sinne des Kommuniqués zu verändern.
Solche Unklarheiten sind besonders stark bei den Bürgermeistern in den Gemeinden vorhanden. Aus der Vielzahl der dafür vorliegenden Argumente und Beispiele sollen nur einige typische angeführt werden:
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Der Bürgermeister von Brachstedt/Saalekreis äußerte zur Jugendförderung: »Ich bin doch kein Handwerksbursche, dass ich hinter jedem Lausejungen herlaufe«.
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Der Bürgermeister von Wilchwitz/Leipzig erklärte, er habe gar nicht gewusst, dass in seinem Dorfe eine FDJ-Gruppe existiere. Das Geld, das der Jugend von staatlicher Seite aus zustehe, brauche er für den Straßenbau. Die Jugend bekäme keinen Förderungsplan.
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Der Bürgermeister von Serbitz/Leipzig betrachtete die Aufstellung eines Jugendförderungsplanes als unnötig, weil die Jugendlichen in die Betriebe zur Arbeit gingen.
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Von der FDJ-Kreisleitung Niesky/Dresden wurden neun Bürgermeister zu einer Aussprache über Jugendfragen gebeten, jedoch erschienen nur zwei Bürgermeister. Die anderen fehlten ohne sich zu entschuldigen.
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Der Bürgermeister von Senftenberg/Cottbus lehnte es wegen »Zeitmangel« ab, anlässlich der »Woche der Jugend und des Sports« eine Rechenschaftslegung zu diesen Fragen zu geben.
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Der Bürgermeister von Teupitz/Potsdam (Mitglied der SED) lehnte die Ausarbeitung eines Jugendförderungsplanes mit dem Hinweis ab, die Jugendlichen sollten im »Fontane-Club« mitarbeiten.
Aufgrund derartiger falscher Einstellungen kam es im gesamten Gebiet der DDR hauptsächlich bis zum Erscheinen des Kommuniqués des Politbüros nur sehr mangelhaft zum Aufstellen von Jugendförderungsplänen. Eine Reihe Jugendförderungspläne wurden nur formal ausgearbeitet und auch nur entsprechend formal oder auch gar nicht verwirklicht.
Besonders krass gab es diese Erscheinungen in den ländlichen Gebieten.
So wurden im Bezirk Cottbus in 515 Gemeinden von insgesamt 576 bis zum vorgesehenen Termin (15.1.1961) keine Förderungspläne erarbeitet.
Bereits im Jahre 1960 wurden im Bezirk Halle in 133 Gemeinden keine Jugendförderungspläne aufgestellt und im Februar 1961 gab es in 380 Gemeinden noch keine Förderungspläne für das Jahr 1961. In den 437 LPG des Bezirkes Halle existierten nur 97 Jugendförderungspläne. Ähnlich ist die Lage auch in anderen Bezirken.
Aber auch in verschiedenen Betrieben wurden oft nur formale oder nichtssagende Pläne aufgestellt (z. B. VEB Bau/Rudolstadt, Textilveredlungswerk Greiz), bzw. gibt es keine konsequente Verwirklichung der Jugendförderungspläne (Großbetriebe im Bezirk Rostock wie Dieselmotoren-Werk, Überseehafen, VEB Bau-Union, Volkswerft Stralsund usw.)
Oft sind die Jugendförderungspläne nur ein Anhängsel des Betriebskollektivvertrages.
Teilweise wurden Pläne – besonders von verschiedenen Bürgermeistern – erarbeitet, die den Jugendlichen gar nicht bekannt sind.
Hervorgerufen durch diese falsche Einstellung zur Jugend seitens örtlicher Organe kommt es noch immer vor, dass Räumlichkeiten für die Jugendarbeit zweckentfremdend benutzt werden bzw. dass überhaupt noch keine Räume für solche Zwecke geschaffen wurden. Z. B. gab es im Bezirk Cottbus Ende 1960 in 325 Gemeinden und Städten keine Jugendräume bzw. waren sie durch die örtlichen Organe in Abstell- und Lagerräume umgewandelt worden.
Im Kreis Bad Salzungen sind 31 Jugendzimmer, vor allem im Grenzgebiet, zweckentfremdend belegt.
Der Rat der Stadt Oederan verwandelte das Jugendzimmer in einen Abstellraum für die HO.
Das Clubhaus in Paaren, Kreis Nauen wird zzt. als Getreidespeicher benutzt.
In Polkenberg, Kreis Döbeln wurde das FDJ-Heim, das sich die Jugendlichen selbst geschaffen hatten, aufgelöst. Die Räume dienen jetzt als Wohnung für den Bürgermeister.
Die FDJ-Kreisleitung Sonneberg bat den Rat der Stadt, zweimal im Jahr das Gesellschaftshaus kostenlos benutzen zu dürfen. Stadtrat Hoffmann lehnte diese Bitte mit der Begründung ab, die Einnahmen seien geplant und das Gesellschaftshaus kostenlos zur Verfügung zu stellen, sei deshalb »staatsgefährdend«.
Im Bezirk Halle gab es Anfang 1961 in 132 Gemeinden keine Räume für die Jugendlichen und ca. 200 Jugendzimmer waren zweckentfremdet. Auch für diese Erscheinungen gibt es eine Vielzahl von Beispielen aus allen Bezirken. Dieses Verhalten meist örtlicher Organe und die dadurch hervorgerufenen Erscheinungen, wie sie durch die vorstehenden Beispiele charakterisiert werden, zeigen aber auch gleichzeitig, dass die übergeordneten Organe des Staatsapparates, die Volksvertretungen, die Leitungen der Parteiorganisationen, Betriebsgewerkschaftsleitungen diese Fragen in ernsthaftem Maße unterschätzt haben.
So wurden auch in einer Reihe von Kreisdelegiertenkonferenzen der Partei 1960 die Probleme der Jugend zu wenig beachtet. Die Erfahrungen der Magdeburger Konferenz junger Genossen wurden z. T. nur ungenügend ausgewertet und auch die FDJ-Organisationen haben sich nicht ernsthaft genug mit diesen Zuständen auseinandergesetzt.
Beispielsweise zeigten sich bei den FDJ-Leitungen Tendenzen formaler Verwirklichung von Beschlüssen, Überbetonung administrativer Arbeit, z. T. sektiererische Einstellung in der Arbeit mit nichtorganisierten bzw. religiös gebundenen Jugendlichen, Unterschätzung der Landjugend u. ä. Tendenzen.
Der Sekretär für Agitation und Propaganda der Bezirksleitung der FDJ in Leipzig hat z. B. einen guten Überblick über die zahlreichen Sitzungen, weiß aber nicht wie in den Kreisen und Grundeinheiten tatsächlich gearbeitet wird. (z. B. mit dem Brief des Genossen Paul Fröhlich.) Der 1. Sekretär der Bezirksleitung der FDJ beachtet nur selten die Hinweise anderer Freunde und die Kollektivität der Leitung ist nicht gegeben. Verantwortliche FDJ-Funktionäre der Bezirksleitung messen Sekretariatsvorlagen nur nach dem Umfang.
In Liebenwerda/Cottbus erklärte ein Mitarbeiter der Kreisleitung der FDJ, er sei Atheist und habe deshalb nichts mit religiösen Jugendlichen zu tun.
Der Ortssekretär der FDJ von Falkenberg/Herzberg äußerte: »Es hat keinen Zweck, mit diesen Freunden zu arbeiten, da sie andere Interessen haben und uns von der Arbeit abhalten.«
In den Kreisen Liebenwerda und Weißwasser halten es hauptamtliche Funktionäre der FDJ nicht für notwendig, mit Nichtmitgliedern der FDJ zu diskutieren.
Vielfach konzentriert man sich in der Anleitung nur auf bestimmte Großbetriebe und aktive FDJ-Gruppen und ein unmittelbarer Kontakt der hauptamtlichen FDJ-Gruppen und ein unmittelbarer Kontakt der hauptamtlichen FDJ-Funktionäre mit der Masse der ehrenamtlichen Funktionäre und den Mitgliedern fehlt oft. Hinzu kommt noch, dass in vielen Fällen die FDJ-Kreisleitungen unterbesetzt sind und auch in den Bezirksleitungen Fehlstellen vorhanden sind.
Im Bezirk Gera z. B. ist keine Kreisleitung voll besetzt und bei der Bezirksleitung fehlen sechs Instrukteure. (In diesem Zusammenhang gibt es eine Reihe Diskussionen über »zu schlechte Bezahlung« für Mitarbeiter der FDJ, z. B. in mehreren Kreisen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt.)
Eine weitere Schwäche, die die gesamte Arbeit mit der Jugend hemmt, ist die ungenügende Zusammenarbeit seitens der FDJ mit anderen Institutionen.
So wurde z. B. von der Staatsanwaltschaft des Kreises Beeskow angestrebt, dass Verhandlungen über Vergehen Jugendlicher von Vertretern der FDJ besucht werden, damit sie besser mit diesen Problemen vertraut werden und zielgerichteter und vorbeugend mit den Jugendlichen arbeiten können. Trotz entsprechender Einladungen zu solchen Verhandlungen erschienen keine Vertreter der Kreisleitung der FDJ in Beeskow.
In Fürstenwalde nahmen an zwei Sitzungen der Jugendkommission keine Vertreter der FDJ teil, obwohl sie rechtzeitig dazu eingeladen wurden.
Auswirkungen der Unterschätzung dieser Zusammenarbeit mit anderen Institutionen zeigen sich dann in vielfältiger Form im nicht richtigen Verhalten gegenüber den Jugendlichen. So wurde im Bezirk Karl-Marx-Stadt zwischen den 1. Sekretären der SED-Kreisleitung, den KD-Leitern des MfS und den 1. Sekretären der FDJ-Kreisleitungen festgelegt, dass haftentlassene Jugendliche durch Aussprachen seitens der FDJ an eine sinnvolle Freizeitgestaltung und gesellschaftliche Tätigkeit heranzuführen sind. Die daraufhin in Flöha, Freiberg, Glauchau, Hohenstein-Ernstthal, Karl-Marx-Stadt Stadt und Land, Marienberg, Stollberg, Zschopau, Hainichen, Klingenthal, Aue und Annaberg durchgeführten Aussprachen waren größtenteils formal. In den meisten Kreisen zeigte sich, dass dieser Beschluss von den Jugendfunktionären als eine Art »Aktion« und nicht als Beginn einer systematischen Arbeit und als Notwendigkeit betrachtet wurde. Im Kreis Zschopau z. B. bestellte ein FDJ-Funktionär zwei haftentlassene Jugendliche und führte das Gespräch in Form einer »Vernehmung«.
Diese Form des kampagnemäßigen Herangehens statt einer ständigen Arbeit mit den Jugendlichen zeigt sich auch stark in der Landwirtschaft. So wurden z. B. große Erfolge im FDJ-Aufgebot »1 000 unserer Besten gehen in das vollgenossenschaftliche Dorf« erzielt,2 aber danach kümmert sich niemand mehr um die Jugendlichen.
Im Bezirk Erfurt z. B. ist den FDJ-Kreisleitungen nur selten bekannt, in welchen Gemeinden diese besten Jugendfreunde eingesetzt wurden, wie sie dort arbeiten usw. So ist z. B. für viele Jugendliche auf dem Lande typisch, dass sie keine Perspektive für sich, keine Möglichkeiten einer Qualifizierung und eines höheren Verdienstes sehen. In mehreren Gemeinden des Bezirkes Gera z. B. fühlen sich die Jugendlichen als »gewöhnliche Landarbeiter«.
Ein Jugendlicher aus Heinersdorf versuchte die DDR zu verlassen und erklärte, dass sich in der Landwirtschaft niemand um die Jugend kümmere, auch die FDJ nicht.
Wie die vorstehenden Beispiele beweisen, wird die FDJ in ihrer Arbeit mit den Jugendlichen aber auch nicht im genügenden Maße von den Vertretern des Staatsapparates, der Parteien und Massenorganisationen unterstützt, sondern stößt teilweise auf Unverständnis und direkte Ablehnung.
Der Abteilungsleiter für Landwirtschaft beim Rat des Kreises Artern sagte zur Jugendförderung: »Dazu sind wir 1960 nicht gekommen und 1961 wird das schon gar nichts.«
Der Abteilungsleiter für Landwirtschaft beim Rat des Kreises Wittenberg äußerte dazu: »Ich bin verantwortlich für die Marktproduktion, für was soll ich noch verantwortlich sein.«
Auch in den anderen Einrichtungen des Staatsapparates gibt es ähnliche sinngemäße Stellungnahmen.
Besonders wird aber von zahlreichen Jugendlichen die fehlende Unterstützung durch die verschiedenen Gewerkschaftsorgane kritisiert, von denen sie aufgrund des täglichen und unmittelbaren Zusammenseins eine bessere Kenntnis ihrer Probleme erwarten. Stattdessen werden in den Betrieben häufig die die Jugendlichen bewegenden Fragen gar nicht erkannt, bzw. nicht auf sie eingegangen. Oft erfolgt durch die Gewerkschaftsleitungen eine Gängelei und Bevormundung der Jugendlichen, wobei vor allem die Ideologie herrscht, die Jugenderziehung sei ausschließlich Sache der FDJ, ohne aber in genügendem Maße mit der FDJ zusammenzuarbeiten. Oft stützen sich die Gewerkschaften in erster Linie auf ältere Kollegen. Selbst wo die Gewerkschaftsfunktionäre durch gute Anleitung der Parteileitungen auf die Arbeit mit den Jugendlichen hingewiesen werden, ist in der Praxis oft nur eine mangelhafte Arbeit festzustellen.
So wurde in vielen Betrieben in Berlin der Beschluss, in den Jugendbrigaden FDJ-Gruppen zu schaffen, nicht verwirklicht. Vor allem in mittleren Betrieben stagniert die Bildung von Jugendbrigaden.
Im VEB Messgeräte- und Armaturenwerk »Karl Marx« in Magdeburg kümmerten sich die BGL-Mitglieder nicht um die Jugendbrigade »Aktivist« und überließen sie ihren Schwierigkeiten. Als diese dann aber überwunden waren und sich Presse und Rundfunk mit den Erfolgen der Jugendbrigade beschäftigten, wurde auch die BGL auf diese Brigade aufmerksam.
Bei der Vorbereitung der Verbandswahlen der FDJ wurde der BGL-Vorsitzende im VEB Niesky um Unterstützung gebeten. Er erklärte jedoch hierzu: »Die Jugendlichen sollen erst mal richtige Gewerkschafter werden, dann können sie auch etwas für die FDJ leisten.«
In den meisten Fällen verstehen es die Gewerkschaftsleitungen auch noch nicht, die Masse der Arbeiter für die Hilfe und Unterstützung der Jugendlichen zu gewinnen. Vielfach werden straffällig gewordene Jugendliche aus den Betrieben entlassen, statt zu versuchen, sie im Kollektiv zu erziehen. Selbst in solchen Fällen, wo Jugendliche einwandfreie Arbeit leisten und sich gut führen, scheut man sich noch immer, ihnen mehr Selbstständigkeit und Verantwortung zu übertragen.
Auch nach Veröffentlichung des Kommuniqués des Politbüros waren es hauptsächlich diese im vorliegenden Bericht angeführten Probleme, die von den Jugendlichen diskutiert und kritisiert wurden, ohne dass zum Kommuniqué selbst wesentliche negative oder feindliche Argumente bekannt wurden. Im Gegenteil wurden die Kritiken an der Arbeit der Funktionäre des Jugendverbandes und des Staatsapparates oft im Zusammenhang mit guten Vorschlägen vorgebracht.
So wurde in Verwirklichung der Vorschläge der Jugendlichen in Mühlhausen ein »Rat der Jugend« gebildet, dem u. a. der Bürgermeister der Kreisstadt und der Kreisstaatsanwalt angehören, mit dem Ziel, die Jugendlichen bei der Lösung der Aufgaben mit heranszuziehen. Das vorhandene Jugendklubhaus soll nunmehr wirklich zu einem Zentrum der Jugendarbeit umgestaltet und ein Jugendtanzcafe und ein Arbeiterjugendtheater geschaffen werden.
Unklarheiten gab es jedoch verschiedentlich über die Vorschläge der prinzipiellen Altersbegrenzung bei der Mitgliedschaft in der FDJ, die mitunter schematisch aufgefasst wurde. Der FDJ-Sekretär der Hochschule für Musik »Franz Liszt« in Weimar wurde von einem Mitarbeiter der FDJ-Kreisleitung Weimar-Stadt so angeleitet, dass diese Altersbegrenzung doch die Möglichkeit biete, eine Reihe von älteren Studenten hinauszuwerfen. Diese »Anleitung« soll von der FDJ-Bezirksleitung ausgehen. Der Sekretär der Hochschule lehnte es jedoch ab, so zu verfahren, weil diese Orientierung politisch falsch und nicht im Sinne des Kommuniqués ist.
Die Tatsache, dass das Kommuniqué übereinstimmend begrüßt und als notwendig erachtet wurde, zeigte sich auch in den Diskussionen auf den Kreisdelegiertenkonferenzen der FDJ, wo in den meisten Fällen offen und im Sinne des Kommuniqués diskutiert wurde.
Deutlich festzustellen war, dass das politisch-ideologische Niveau der Konferenzen, die nach Herausgabe des Kommuniqués stattfanden, allgemein höher war als das der vorher erfolgten Konferenzen. In verschiedenen Fällen wurden jedoch einige Probleme nicht entsprechend ihrer Wichtigkeit auf den Delegiertenkonferenzen behandelt, z. B. Fragen der sozialistischen Gemeinschafts- und Studienarbeit, Fragen der Qualifizierung und Auseinandersetzungen über die Republikflucht. Zum Teil wurde auch nur ungenügend auf Probleme der Landjugend (Bezirk Erfurt) und auf konkrete Fragen der Freizeitgestaltung (Bezirk Karl-Marx-Stadt) eingegangen. Die größte Schwäche der Kreisdelegiertenkonferenzen bestand jedoch in einer ungenügenden politischen Vorbereitung dieser Konferenzen durch die FDJ-Leitungen, was sich in der fast überall mangelhaften Beteiligung – besonders am zweiten Konferenztag – widerspiegelte.
Die Delegiertenkonferenz des Stadtbezirkes Nord-Ost in Leipzig musste wegen zu geringer Beteiligung abgebrochen werden. Von 14 durchgeführten Kreisdelegierten-Konferenzen fehlten bei elf Konferenzen ein Drittel bis ein Viertel aller Delegierten. Z. B. lag die durchschnittliche Beteiligung am zweiten Konferenztage im gesamten Bezirk Leipzig bei 71,6 %. Die Bezirksleitung Leipzig hatte vor den Konferenzen bereits bestimmte Signale für diese mangelhafte Beteiligung, zog aber nicht die richtigen Konsequenzen.
Ein besonders krasses Beispiel schlechter Arbeit gibt es im Kreis Wurzen, wo über fünf Monate keine Kreisleitungssitzung stattfand und die Verbandswahlen grob unterschätzt wurden. Vielfach erfolgte keine Wahl der Delegierten, sondern sie wurden einfach bestimmt, z. B. in den Bereichen Heyda, Lossa und Brandis bei über 35 Freunden.
Die Bereichs-Delegiertenkonferenz im Kreis Gransee in der Gemeinde Osterne musste dreimal wegen mangelnder Beteiligung verschoben werden. Auch zum vierten Termin waren so wenig Delegierte erschienen, dass die Bereichsleitung nur kommissarisch eingesetzt werden konnte.
Im Kreis Sondershausen kamen viele Delegierte zu spät in den Besitz der Delegiertenkarten und hatten dadurch Schwierigkeiten in ihren Betrieben wegen einer Freistellung für die Konferenz. Auch die Delegiertenschulungen konnten dadurch gar nicht oder nur ungenügend vorbereitet und durchgeführt werden. Vor der Wahl der neuen Kreisleitung und der Delegierten zur Bezirksdelegiertenkonferenz waren nur 55 % aller Delegierten anwesend. Deshalb wurden durch Beschluss der Delegiertenkonferenz die Gastdelegierten zu Ordentlichen Delegierten erhoben und bereits abgereiste Delegierte wurden mit Pkw und Lkw zurückgeholt. Nur durch diese Maßnahme war es möglich, die Wahl noch mit einer Beteiligung von ca. 66 % durchzuführen.
Auch die Kreisdelegiertenkonferenz in Apolda war mangelhaft vorbereitet. Die Delegiertenschulungen erfolgten nur formell und ein großer Teil der Delegierten nahmen nicht daran teil. Eine Auseinandersetzung mit den fehlenden Delegierten wurde jedoch nicht geführt. Während der Konferenz selbst erschienen drei Jugendliche mit zusammen einer Delegiertenkarte, die aber nicht als Delegierte gewählt worden waren, sondern von den Grundeinheiten geschickt wurden, weil die gewählten Delegierten nicht erschienen.
Einer der Hauptgründe für die mangelhafte Beteiligung an den Kreisdelegiertenkonferenzen liegt bereits in der ungenügenden Durchführung der Wahlversammlungen in den Grundeinheiten, wo die Delegierten oft nicht sorgfältig genug – auch in kadermäßiger Hinsicht – ausgewählt wurden.
Allein von Grundeinheiten im Kreis Apolda wurden sieben Delegierte gewählt, die strafrechtlich angefallen und bei der Abteilung »K« registriert sind.
Der hauptamtliche FDJ-Sekretär im Getriebewerk Gotha äußerte zu seinem Nichterscheinen, dass er gezwungen worden sei, an der Konferenz teilzunehmen. Dies sei ein Beispiel, dass es keine Freiheit mehr gebe. (Dieser FDJ-Funktionär war als Kreisleitungsmitglied vorgesehen, seine Kandidatur wurde jedoch verhindert.)
Vom Landmaschinenwerk Gotha (ehemals RAW) nahm kein Jugendlicher an der Delegiertenkonferenz teil, offensichtlich um zu demonstrieren, dass sie mit der derzeitigen Situation im Betrieb nicht einverstanden sind. So wissen die Jugendlichen bis heute noch nicht, zu welcher Abteilung bzw. Jugendgruppe sie nach der Umgestaltung des ehemaligen RAW in ein Landmaschinenwerk eigentlich gehören.
In Neuruppin war die Kreisdelegiertenkonferenz nur von 59 % der Delegierten besucht. Von diesen verließen nach der Mittagspause so viele Delegierte die Konferenz, dass sie nicht mehr beschlussfähig war. Auf dieser Konferenz trat ein ehem. VP-Angehöriger auf und forderte, »dass sich die Jugend nicht von der Partei bevormunden lassen« solle. Dieser negative Diskussionsbeitrag wurde von den Jugendlichen mit Beifall unterstützt und die Konferenz wurde deshalb und wegen der mangelhaften Beteiligung abgebrochen. Durch gründlichere Vorbereitung und Zusammenarbeit mit der Partei wurde die Wiederholung der Konferenz dann erfolgreich durchgeführt.
Ähnliche Erscheinungen zeigten sich auch in anderen Bezirken, wobei jedoch ausgesprochen negatives Auftreten (wie in Neuruppin durch den ehem. VP-Angehörigen) nur sehr vereinzelt erfolgte und in keiner Weise typisch ist.