Proteste in LPG wegen Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen
30. Oktober 1961
Einzel-Information Nr. 676/61 über negative Erscheinungen im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Ministerratsbeschlusses vom 29.6.1961
Nach vorliegenden Meldungen kam es in letzter Zeit in zahlreichen LPG bei der Durchsetzung des Ministerratsbeschlusses vom 29.6.19611 zu Unstimmigkeiten, provokatorischen Äußerungen auf Vollversammlungen und Arbeitsverweigerungen, da entsprechend diesem Beschluss zur Einhaltung der geplanten Stützungskredite Herabsetzungen der Werte der Arbeitseinheiten vorgenommen wurden.
So wurde z. B. am 19.10.1961 der Vollversammlung der LPG in Gültz/Altentreptow/Neubrandenburg mitgeteilt, dass die Arbeitseinheit von 5,00 DM auf 3,70 DM herabgesetzt wird und keine Jahresendauszahlung stattfindet. Die Genossenschaftsbauern erklärten daraufhin, in die LPG übernommene sog. herrenlose Flächen nicht mehr bearbeiten zu wollen, sondern nur noch den von ihnen selbst eingebrachten Boden, um so wieder einen höheren Wert der Arbeitseinheit (AE) zu erreichen.
Am 28.10.1961 nahmen 35 Genossenschaftsbauern der LPG Sadenbeck/Pritzwalk/Potsdam die Arbeit nicht auf. Als Begründung gaben sie an, dass jene Genossenschaftsbauern, die keine individuelle Wirtschaft haben, von dem auf 5,00 DM herabgesetzten Wert je AE nicht leben können. Unter den Arbeitsverweigerern befanden sich auch solche Genossenschaftsbauern, die durch ihre individuellen Wirtschaften materiell gut gestellt sind, jedoch aus »Solidarität« ebenfalls die Arbeit niederlegten.
Aus diesen Gründen kam es am 26.10.1961 auch in der LPG Typ III2 »Mitschurin« in Ponitz/Schmölln/Leipzig zu Provokationen in der Vollversammlung und am 27.10.1961 zur Arbeitsverweigerung und zur verspäteten Arbeitsaufnahme durch die Mitglieder.
Im Bezirk Frankfurt/O. wurden bis zum 26.10.1961 bei 130 von insgesamt 236 LPG, bei denen Planausfälle entstanden und zur Stützung der Arbeitseinheiten außerplanmäßige Kredite in Höhe von 21 Mio. DM notwendig wären, die Vorschüsse gekürzt. Betroffen wurden davon im Kreis Angermünde 38 von insgesamt 48 LPG des Typ III, im Kreis Freienwalde in 20 LPG und im Kreis Fürstenwalde 8 LPG, wobei der Wert der AE bis auf 4,00 DM herabgesetzt wurde.
Dies führte besonders bei Genossenschaftsbauern ohne größere individuelle Hauswirtschaft, zur LPG übergewechselten Traktoristen, ehem. Industriearbeitern und alleinstehenden Frauen zu großen Härten. In der LPG Ortwig z. B. sind durch die Herabsetzung der AE auf 4,50 DM insgesamt etwa 65 Mitglieder unmittelbar davon betroffen.
In der LPG Altranft wollen die Traktoristen aufgrund dessen nur noch acht Stunden fahren und keine anderen Arbeiten in der LPG mehr leisten.
Im Bezirk Frankfurt/O. geführte Untersuchungen über die Ursachen dieser Erscheinungen hatten folgendes Ergebnis:
Die Aufgaben des Ministerratsbeschlusses vom 29.6.1961, in allen LPG, in denen Planausfälle entstanden sind, durch die Räte der Kreise Maßnahmen einzuleiten und Maßnahmepläne zur Aufholung der Rückstände bis Jahresende aufzustellen, wurden nur sehr schleppend gelöst. Die Erarbeitung der Maßnahmepläne wurde teilweise erst sehr spät in Angriff genommen oder erfolgte nur formal, sodass der Ministerratsbeschluss kaum wirksam wurde. Begründet wurde diese Haltung u. a. mit folgenden Argumenten:
Die Durchsetzung dieses Beschlusses würde
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sich schlecht auf die Ernte auswirken,
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die Wahlvorbereitungen behindern und
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auf Unverständnis bei den LPG stoßen.
In Wirklichkeit scheuten sich die Räte der Kreise jedoch vor den zu führenden Auseinandersetzungen, besonders in den LPG, in denen bis zum Jahresende die Ausfälle nicht aufgeholt werden und entsprechend dem Ministerratsbeschluss die AE herabgesetzt und die Endauszahlungen völlig gestrichen werden müssen. Da mit der Durchsetzung dieses Beschlusses erst in den letzten drei Wochen begonnen wurde, ist es den LPG auch nicht mehr möglich, die Ausfälle bis zum Jahresende aufzuholen, sodass nur die Möglichkeiten zur Herabsetzung der AE sowie zur Streichung der Endauszahlung bestehen bleiben, da nur in Härtefällen zusätzliche außerplanmäßige Kredite beantragt werden können.
Wie die Untersuchungen weiter ergaben, haben die Räte der Kreise zwar die Herabsetzung des Wertes der AE beschlossen, aber nur ungenügend die Auseinandersetzungen in den LPG selbst geführt. Dabei kam es zu schematischen und undifferenzierten Kürzungen, die in den LPG heftige Diskussionen auslösten. Vor allem wurde dabei das Prinzip verletzt, zwischen LPG-Mitgliedern mit starker individueller Hauswirtschaft und den Mitgliedern zu differenzieren, die keine oder nur schwache individuelle Wirtschaften unterhalten. Diese administrative Durchführung der Maßnahmen führte im Bezirk Frankfurt/O. dazu, dass die Genossenschaftsbauern ohne individuelle Hauswirtschaft die größten Verluste erlitten.
Andererseits wurden dadurch die Bestrebungen erneut gefördert, durch den Ausbau starker individueller Hauswirtschaften sich spekulative Einnahmequellen zu verschaffen.
Diese schlechte Arbeitsweise des Staatsapparates dürfte nach bisherigen Feststellungen auch in den anderen Bezirken Ursache der negativen Erscheinungen in den LPG sein.