Reaktionen auf die Sicherungsaktionen v. 19. Nov. (1)
20. November 1961
1. Einzel-Information Nr. 721/61 über die Reaktion auf die neuen Sicherungsmaßnahmen der DDR
Die nachstehende Information stellt eine Zusammenfassung der ersten vorliegenden Berichte über die Reaktion der westlichen Besatzer, der Bevölkerung Westberlins und des demokratischen Berlin auf die neuen Sicherungsmaßnahmen sowie über die im Zusammenhang mit der Aktion zu betrachtenden Vorkommnisse dar.1
Allgemein kann festgestellt werden, dass die Aktion im Wesentlichen reibungslos und erfolgreich verläuft. Das bisherige Reagieren der westlichen Besatzer lässt den Schluss zu, dass sie von den neuen Sicherungsmaßnahmen überrascht wurden. Nur in einem Fall konnten Vermutungen bzw. Spekulationen auf evtl. Maßnahmen festgestellt werden. Es handelt sich dabei um den US-Bürger [Name 1], der am 19.11., gegen 15.45 Uhr am KP Friedrichstraße die Frage stellte, ob in der kommenden Nacht die Mauern verstärkt würden.
Stellungnahmen aus politischen Kreisen Westdeutschlands und Westberlins wurden bisher nicht bekannt.
Die Beobachtungstätigkeit und die Bewegungen der in Westberlin stationierten Besatzer gingen bis auf den Raum am Brandenburger Tor nicht über das übliche Maß hinaus. Dies wird auch durch Meldungen aus Westberlin bestätigt, wonach bis in die späten Nachmittagsstunden des 19.11.1961 in den Kasernen in der Clay-Allee, in Zehlendorf, in der Kaserne Lichterfelde und in den Kasernen am Flugplatz Gatow keine Veränderungen festgestellt wurden.
Zu Konzentrationen der Westberliner Besatzer kam es besonders am Brandenburger Tor, wo die Engländer in verstärktem Maße mit Militärfahrzeugen erschienen und unsere Sicherungsarbeiten beobachteten. Gegen 18.00 Uhr fuhren am Brandenburger Tor auf Westberliner Gebiet zwei englische SPW, zwei MTW und ein Jeep auf, die gegen 19.10 Uhr durch zwei weitere englische SPW, einen MTW und zwei englische Jeep verstärkt wurden. Ferner gingen gegen 19.00 Uhr zehn mit MPi bewaffnete englische Soldaten westlich des Brandenburger Tores in Stellung, die als Sicherungsposten eingesetzt waren und in den späten Abendstunden mit den Militärfahrzeugen wieder abgezogen wurden. Am 20.11.1961 von 1.00 bis 2.00 Uhr war erneut ein englischer SPW am Brandenburger Tor stationiert.
Am Potsdamer Platz wurden abwechselnd durch Angehörige der englischen und amerikanischen Besatzer Beobachtungen unseres Gebietes durchgeführt, wobei gegen 19.20 Uhr im Raum zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor ein verstärkter Verkehr durch amerikanische Militärfahrzeuge erfolgte.
Die amerikanischen Besatzer konzentrierten sich besonders auf die Beobachtung der KP Sonnenallee und Heinrich-Heine-Straße. Während einzelne KP – wie der KP Lindenstraße – nur kurz zur Beobachtung unseres Gebietes angefahren wurden, traten die amerikanischen Besatzer am KP Sonnenallee und Heinrich-Heine-Straße wiederholt in Erscheinung. Am 20.11.1961, 0.30 Uhr, fuhr am KP Sonnenallee ein amerikanischer Jeep mit zwei Soldaten auf, der kurz danach wieder zurückfuhr.
Gegen 1.15 Uhr erschien am gleichen KP ein amerikanischer Jeep mit drei Mann Besatzung, der erst 1.35 Uhr nach Westberlin fuhr.
Am KP Heinrich-Heine-Straße fuhr gegen 23.15 Uhr ein amerikanischer Jeep mit drei Mann Besatzung, SMG und Lautsprecher ca. 20 m über den weißen Grenzstreifen in unser Gebiet ein. Der Aufforderung unserer Posten, sofort das Gebiet der DDR zu verlassen, kamen die Besatzer nach. Am 20.11.1961 um 2.45 Uhr wurde am KP Heinrich-Heine-Straße ein amerikanischer Lkw mit 15 Mann Besatzung, zwei Jeep mit drei amerikanischen Besatzern, SMG und Lautsprecher festgestellt. Die 15 Mann der Besatzung des Lkw hielten sich in ca. 150 m Entfernung von der Grenze auf und nahmen Eintragungen in Karten vor.
Die französischen Besatzer sind nach vorliegenden Informationen nicht in dieser Weise in Erscheinung getreten.
Obwohl nach Meldungen des Westberliner Rundfunks Teile der Westberliner Polizei aufgrund der Sicherungsmaßnahmen in Alarmbereitschaft versetzt worden seien, wurde an der Grenze weder eine wesentliche Verstärkung der Posten noch der Beobachtungs- und Streifentätigkeit der Westberliner Polizei festgestellt. Lediglich am Grenzübergang Brandenburger Tor wurden am 19.11. zwei mit Stummpolizisten2 besetzte Mannschaftstransportwagen (gegen 18.10 Uhr) und ein Funkwagen (gegen 22.30 Uhr) zusätzlich stationiert. Zu den wenigen Ausnahmen gehören noch der Einsatz von zwei Funkwagen, die in der Lindenstraße etwa 20 m von der Mauer entfernt stehen, die Einrichtung eines zusätzlichen Beobachtungspostens in einem Gebäude in der Stallschreiber-/Ecke Alexandrinenstraße und die Stationierung von vier Standposten am Potsdamer Platz. An den Grenzübergängen Potsdamer Platz (20.30 Uhr) und Brandenburger Tor (23.00 Uhr) hielt sich der Westberliner Polizeipräsident Stumm jeweils kurze Zeit auf.
Zu einem besonderen Vorkommnis kam es am 19.11. zwischen 20.00 und 20.30 Uhr an der Grenze bei Blankenfelde, wo 15 Stummpolizisten in provokatorischer Weise einen Scheinangriff durchführten.
Von westdeutscher und Westberliner Seite werden offensichtlich Maßnahmen zur Orientierung der Hetzpropaganda auf die Sicherungsmaßnahmen vorbereitet. Darauf weisen die rege Tätigkeit der Bildreporter und Kameraleute sowie teilweise die bisherige Reaktion des Westrundfunks hin. So traten vor allem an den Grenzübergängen Brandenburger Tor, Potsdamer Platz, Bernauer Straße und Lindenstraße viele westdeutsche und Westberliner Journalisten bzw. Bildreporter auf, die in den späten Abendstunden eine Vielzahl von Blitzlichtaufnahmen machten.
Allein an den Grenzübergängen Brandenburger Tor und Bernauer Straße fuhren jeweils acht Pkw, vorwiegend mit Bildreportern besetzt, vor. Als Westberlins Innensenator Lipschitz am 19.11., gegen 20.55 Uhr am Potsdamer Platz erschien, hielten sich etwa 30 Bildreporter dort auf. An der Wilhelmstraße wurden kurze Zeit darauf (etwa gegen 22.00 Uhr) ebenfalls mehrere Bildreporter beobachtet.
Aufnahmewagen des Westberliner Fernsehens (SFB) wurden ebenfalls eingesetzt. Sie filmten vor allem die Bauarbeiten am Potsdamer Platz und benutzten starke Handscheinwerfer.
Der Westberliner Rundfunk reagierte am 19.11. erstmals 19.45 Uhr auf die Sicherungsmaßnahmen der DDR. U. a. wurde darzustellen versucht, dass die Sicherungsmaßnahmen als »Druckmittel« im Hinblick auf die Verhandlungen Adenauers mit Kennedy gedacht seien.
Eine Einschätzung der Reaktion der Westberliner Bevölkerung auf die neuen Schutzmaßnahmen der DDR ist noch nicht möglich. Bis jetzt konnte lediglich festgestellt werden, dass es nur zu vereinzelten Ansammlungen kleiner Gruppen, vorwiegend Neugieriger, kam, so z. B. in der Nähe der Wilhelmstraße in den späten Abendstunden des 19.11. etwa 100 Personen. Am Brandenburger Tor wurden keine Menschenansammlungen festgestellt. Kleinere Ansammlungen von Westberlinern in der Nähe der Mauer in der Lindenstraße wurden am 19.11. in den frühen Abendstunden von Westberliner Stummpolizisten aufgelöst.
Bei Blankenfelde hielten sich am 19.11., gegen 19.00 Uhr zehn Personen an der Grenze auf, nachdem schon einige Stunden vor Beginn der Aktion (etwa gegen 15.00 Uhr) von ebenfalls zehn Personen versucht wurde, die Grenzsicherungsanlagen zu beschädigen. Aus dem Haus Elsen-/Ecke Heidelberger Straße wurden Angehörige der DGP mit Flaschen und Glasscherben beworfen. Am gleichen Tag gegen 19.30 Uhr versuchten in der Sülzhayner-/Ecke Heidelberger Straße fünf Westberliner Jugendliche zwei Felder des Stacheldrahtes auf der Sperrmauer zu durchschneiden.
Eine umfassende Einschätzung der Reaktion der Bevölkerung des demokratischen Berlins auf die in den Abendstunden des 19.11.1961 eingeleiteten Sicherungsmaßnahmen ist noch nicht möglich. Nach den bisher vorliegenden Hinweisen ist ein großer Teil der Bevölkerung von den Maßnahmen noch nicht informiert, und selbst viele der im abgesperrten Raum wohnhaften Bürger nehmen von den Maßnahmen keine oder nur wenig Notiz. So ist typisch, dass es auch außer in der Wollankstraße und am Brandenburger Tor zu keinen weiteren Ansammlungen von Bürgern des demokratischen Berlins kam. In der Wollankstraße in Berlin-Pankow hielten sich nach Beginn der Bauarbeiten ca. 70 Personen am 50 m von der Baustelle entfernten Absperrseil auf, die meist neugierig zuschauten und diskutierten, ohne dass es zu irgendwelchen Ausschreitungen oder negativen Äußerungen kam. Die von ihnen geäußerten Vermutungen liefen hauptsächlich auf zwei Richtungen hinaus:
- –
Jetzt wird die Mauer wieder eingerissen.
- –
Jetzt wird die Grenze noch fester geschlossen (Entfernen der Straßenbahn-Oberleitungen).
Gegen 19.00 Uhr hielten sich an der inzwischen auf 120 m erweiterten Absperrung nur noch ca. 20 meist jüngere Personen auf.
Ebenfalls gegen 19.00 Uhr fanden sich nach Beginn der Sicherungsarbeiten am Brandenburger Tor ca. 60 Personen ein, die den Arbeitern zuschauten, ohne dass es zu negativen Diskussionen kam.
Lediglich in der Schwedter Straße wurde um 2.30 Uhr ein Grenzposten angepöbelt. Die provozierende Person wurde festgenommen.
Im grenznahen Filmtheater »Gerard Philipe« (Wildenbruch- Ecke Grätzstraße/Treptow) störten in der ersten Abendvorstellung zwei Jugendliche die Vorführung. Als sie auch nach der Aufforderung, sich ruhig zu verhalten, weiter randalierten, wurden sie von Besuchern der Grenzpolizei übergeben.
In den weiter zurückliegenden Wohngebieten gab es keine mit den Maßnahmen in Zusammenhang zu bringende Ansammlungen oder Vorkommnisse. Die Transporte von Sicherungskräften, Bauausrüstungen und -materialien führten zu keinen nennenswerten negativen Reaktionen, sodass insgesamt die Lage als völlig ruhig und normal eingeschätzt werden muss.
In organisatorischer Hinsicht kam es neben einigen Mängeln im Bauablauf, auf die im Anhang noch näher eingegangen wird, lediglich zu vereinzelten anfänglichen Schwierigkeiten in der Verpflegung, die durch Fehlleitung eines Fahrzeuges mit Verpflegung hervorgerufen, aber dann schnell behoben wurden. Betroffen wurden davon die vom Betonwerk Lichtenberg eingesetzten Arbeiter in der Dottistraße und Bauarbeiter am Brandenburger Tor und Potsdamer Platz. In der Dottistraße führte dies zu einer einstündigen Pause, als die Arbeiter auf das Essen warteten.
Ferner waren in der Oderberger-/Schwedter Straße in den ersten Abendstunden die Absperrungsmaßnahmen durch die VK lückenhaft, und die Straßen wurden trotz Verbotsschilder von Taxen und Privatfahrzeugen befahren.
Sonstige Vorkommnisse
Am 20.11.1961 um 0.55 Uhr versuchte eine bis jetzt noch unbekannte männliche Person an der Schillingbrücke in der Nähe der DHZ Kohle durch die Spree nach Westberlin zu schwimmen. Vom Wasserschutzboot »Toni 132« aus, wurden 20 MPi und sieben Pistolenschüsse abgegeben und die Person verletzt.
Trotzdem gelang es ihr, Westberliner Ufer zu erreichen, wo sie von Feuerwehr und Stummpolizei herausgezogen und abtransportiert wurde. Wie die Überprüfung ergab, waren an dieser Stelle des Grenzverlaufs keine Drahthindernisse oder sonstige Sperren vorhanden, und es gelang dem Grenzverletzer, die zivile Betriebsstreife zu täuschen.
Drei weitere Personen wurden beim versuchten Grenzdurchbruch festgenommen ([Name 2] aus Berlin, 19 Jahre alt am KP Oberbaumbrücke und zwei Personen aus Leipzig in Nähe der Schillingbrücke).
Zu einem weiteren Vorkommnis kam es um 20.25 Uhr am KP Bornholmer Straße, wo drei Westberliner Jugendliche mittels eines mit Möbeln beladenen Opel [Kennzeichen] unter Ausschaltung der Westberliner Kontrolle in das demokratische Berlin einfuhren und um Asyl baten.
Ebenfalls um Asyl bat der gegen 18.05 Uhr mit einem Flugzeug der Polnischen Fluggesellschaft aus Brüssel in Berlin-Schönefeld ankommende USA-Bürger [Name 3] aus New York, 29 Jahre alt.