Reaktionen auf die Sicherungsaktionen v. 3./4. Dez.
4. Dezember 1961
1. [Einzel-Information] Nr. 754/61 über die Reaktion auf die neuen Sicherungsmaßnahmen der DDR vom 3./4.12.1961
Im Verhältnis zu den Sicherungsmaßnahmen vom 19.11.19611 war die gegnerische Reaktion bisher allgemein schwächer.2 Offizielle Kommentare und Äußerungen lagen bis zum Berichtstermin bis auf ein »Protestschreiben« des amerikanischen Stadtkommandanten Watson nicht vor. Watson spricht, nach Westberliner Rundfunkmeldungen, von einer »Einengung des bisherigen Grenzverkehrs«.
Angehörige der drei Besatzungsmächte in Westberlin führten nach den einsetzenden Sicherungsarbeiten verstärkt Erkundungsfahrten über die Staatsgrenze durch. Zu provokatorischen Handlungen von Angehörigen der Besatzungsstreitkräfte gegen die Sicherungsmaßnahmen kam es nicht. Die Lage an der Staatsgrenze in Berlin war im Allgemeinen ruhig.
Fragen von Angehörigen der Westberliner Polizei an der Staatsgrenze konzentrierten sich darauf, ob die Grenzübergänge geschlossen würden. Offenkundig wurde der Gegner von den neuen Maßnahmen ebenso überrascht wie am 19.11.
Eine verstärkte Tätigkeit der westlichen Besatzungstruppen im Grenzbereich auf Westberliner Seite setzte verhältnismäßig spät ein und wurde von allen KP gemeldet, an denen Sicherungsarbeiten durchgeführt werden.
Am KP Friedrichstraße bezogen gegen 20.20 Uhr ca. 70 amerikanische Soldaten feldmarschmäßig ausgerüstet ca. 25 m von der Grenzmarkierung entfernt Stellung. Sie verteilten sich über die Straße und in den Hauseingängen und brachten auf der Mitte der Straße drei leichte Panzerabwehrgeschütze in Stellung.
Am KP Sonnenallee erschienen gegen 20.20 Uhr, 20.30 Uhr und 2.50 Uhr amerikanische Jeeps mit jeweils drei Mann Besatzung und MG-Bestückung. Die Soldaten führten Patrouillengänge an der Grenze durch.
Am KP Heinrich-Heine-Straße tauchten gegen 21.00 Uhr und gegen 21.30 Uhr zwei bzw. drei amerikanische Jeeps ebenfalls als Patrouille auf.
Am KP Invalidenstraße fuhren zwei englische Schützenpanzerwagen und ein Mannschaftstransportwagen gegen 20.10 Uhr auf. In größerer Entfernung vom Kontrollpunkt wurden weitere Militärfahrzeuge beobachtet.
Am KP Chausseestraße fuhren gegen 22.45 Uhr zwei französische Schützenpanzerwagen mit Räumgitter und 23.10 Uhr sieben Lkw mit ca. 70 Mann Besatzung auf, die ca. 15 m von der Grenzmarkierung Posten bezogen.
Am KP Bornholmerstraße und am KP Oberbaumbrücke wurden ebenfalls ähnliche militärische Maßnahmen der Besatzungsstreitkräfte festgestellt. Allgemein wurde an allen KP eine verstärkte Beobachtungstätigkeit von Westberliner Seite aus festgestellt.
Gegen 20.00 Uhr besichtigte der Leiter der Westberliner Polizei, Stumm,3 den Grenzabschnitt Friedrichstraße.
Gegen 0.30 Uhr kam es zu einer Kontaktaufnahme zwischen zwei Angehörigen der Bereitschaftspolizei und Westberliner Polizisten und Zivilisten. Die Posten wurden abgelöst und werden disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen.
Eine Einschätzung der Reaktion der Westberliner Bevölkerung auf die neuen Sicherungsmaßnahmen der DDR ist gegenwärtig noch nicht möglich. In den Abendstunden des 3.12.1961 kam es auf Westberliner Gebiet lediglich zu kleineren Ansammlungen von Zivilpersonen. So hatten sich z. B. gegen 21.00 Uhr in der Heinrich-Heine-Str. 70 Personen, in der Liesenstraße 45 Personen und in der Friedrichstraße ca. 50 Personen versammelt.
Zu Provokationen ist es dabei nicht gekommen. Die Personen verhielten sich im Allgemeinen ruhig. Nach unseren Beobachtungen hatte die Stupo offensichtlich Weisung, die Schaulustigen nicht bis in die unmittelbare Nähe der Grenze kommen zu lassen.
In diesem Zusammenhang kann eingeschätzt werden, dass auch die Maßnahmen zur propagandistischen Auswertung unserer Sicherungsarbeiten durch den Westrundfunk und die Westpresse nicht den Umfang wie am 19.11.1961 erreichten. Zu besonderen Vorkommnissen ist es dabei nicht gekommen. Lediglich in der Heinrich-Heine-Str. war ein Scheinwerfer des Westfernsehens so stationiert, dass zeitweilig unsere Bauarbeiter behindert wurden. Gegen- Scheinwerfer gelangte zum Einsatz.
In der Einsatzzeit kam es im Gebiet der Staatsgrenze nach Westberlin zu einigen Vorkommnissen, die evtl. im Zusammenhang mit unseren Sicherungsmaßnahmen gesehen werden müssen.
So wurde am 3.12.1961 gegen 21.10 Uhr im Gebiet der Ebertstraße, Nähe Kammer der Technik, der Westberliner [Name], geboren 1940, zuletzt wohnhaft in Bln.-Charlottenburg, nach illegalem Grenzübertritt von unseren Sicherungskräften festgenommen. Er hatte in diesem Gebiet mittels Drahtschere den Grenzzaun durchschnitten und sich in einem Gebüsch versteckt, von wo aus er mit Feldstecher unsere Posten beobachtete. In den bisherigen Vernehmungen machte [Name] sehr widersprüchliche Aussagen. Er gibt an, in der Eva-Bar in Westberlin mit englischen Besatzern in Streit geraten zu sein. Daraufhin sei er von der Stupo festgenommen worden, wobei ihm der Ausweis abgenommen wurde. Er hätte aber flüchten können und sei nach dem demokratischen Berlin durchgebrochen, um sich den Sicherungskräften zu stellen.
Am 4.12.1961 gegen 23.20 Uhr unternahm in der Ackerstraße eine offensichtliche angetrunkene Person den Versuch, die Grenzmauer von Westberlin aus zu übersteigen. Dabei bedrohte sie unsere Sicherungskräfte mit der Pistole. Von den an der Grenze anwesenden Stummpolizisten wurde die Person zur Durchführung ihres Vorhabens ermuntert. Nach ergebnislosen Versuchen zog sich die Person nach zehn Minuten zurück.
Am KP Friedrichstraße wurde festgestellt, dass ein indischer Student aus Westberlin ca. 5- bis 6-mal den Kontrollpunkt passierte und den Fortgang unserer Bauarbeiten beobachtete. Auf Befragen gab er an, von den Amerikanern geschickt worden zu sein, um den Stand unserer Bauarbeiten zu beobachten. Er wurde nach Westberlin ausgewiesen.
Im Bereich Glienicke-Nordbahn kam es am 3.12.1961 gegen 23.00 Uhr zu einer provokatorischen Grenzüberschreitung von Westberlin aus. Eine männliche Person hatte den Grenzstreifen überschritten (die Grenzsicherungsanlagen befinden sich hinter dem unmittelbaren Grenzverlauf), während eine weitere männliche Person am Grenzschild die Grenzüberschreitung sicherte. Von unseren Sicherungskräften wurde ein Warnschuss abgegeben, worauf sich beide Personen zurückzogen. Nach ca. fünf Minuten erschien ein MTS mit Stummpolizisten,4 von denen das Gebiet abgesucht wurde. Zwei Angehörige der Stupo gingen dabei mit vorgehaltener MPi bis zur Grenze vor. Von einem Stummpolizisten wurde erklärt, »dass da wieder einer abgehauen sei«. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass fünf Drähte des 1. Zaunes durchschnitten waren.
Auch im Kompaniebereich Hohen-Neuendorf ist es am 3.12.1961, etwa in der Zeit von 19.30 Uhr bis 20.00 Uhr, zur Zerstörung von Grenzsicherungsanlagen gekommen. Nach bisherigen Feststellungen sind beide Sicherungszäune und die S-Rollen an mehreren Stellen, vermutlich von Westberliner Gebiet aus, zerschnitten worden. Über die Gründe der verspäteten Feststellung dieser Provokation werden gegenwärtig noch Untersuchungen geführt.
Am 3.12.1961, gegen 18.50 Uhr, wurde in der Nähe des Kontrollpunktes Dreilinden an der Autobahn Drewitz ein schwerer Grenzdurchbruch nach Westberlin festgestellt. Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen sind zwei Erwachsene und drei Kinder dabei flüchtig geworden. Von diesen Personen war der Stacheldraht durchschnitten worden, ohne dass dieses von unseren Posten bemerkt wurde.