Schleusungen mittels ausländischer Pässe
30. Dezember 1961
Einzel-Information Nr. 806/61 über Abwerbe- und Schleusungsmethoden mittels gefälschter Auslandspässe, Westberliner und Westdeutscher Ausweispapiere
Seit den Maßnahmen des 13.8.1961 ist eine der Hauptmethoden der Abwerbung und des Menschenhandels die Schleusung von DDR-Bürgern mittels gefälschter Westberliner-, Westdeutscher- und ausländischer Pässe nach Westberlin.1
Während zu diesem Zweck unmittelbar nach dem 13.8.1961 in großem Umfang besonders Westberliner und westdeutsche Ausweispapiere in das demokratische Berlin eingeschleust wurden, wird in der letzten Zeit immer stärker versucht, ausländische Pässe zur Schleusung zu benutzen.
So wurden von den Sicherheitsorganen der DDR seit November [13. Oktober 1961] 26 [31] Personen festgenommen, die mittels Auslandspässen die DDR verlassen wollten, bzw. die versuchten, diese Pässe – mit dem gleichen Ziel – einzuschleusen oder zu besorgen.
Von diesen 26 [31] Festgenommenen waren 16 [19] Bürger der DDR, 4 [5] Westberliner Bürger, 2 [3] westdeutsche Bürger und 4 Ausländer.
Diese Personen führten insgesamt
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9 [10] österreichische
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4 [6] schweizer
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3 französische
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2 schwedische
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2 englische
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[2 griechische Pässe]
und je
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1 italienischen
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norwegischen
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dänischen
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griechischen [–]
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türkischen Pass mit sich.
Allein in der Zeit vom 23.–29.12.1961 [23.12.1961–1.1.1962] wurden 9 [14] Personen festgenommen, die
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5 [6] österreichische
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2 [4] schweizer
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1 französischen
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1 dänischen Pass
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[1 griechischen Pass]
besaßen.
Meist wurden dabei in Westberlin und Westdeutschland wohnende Verwandte und Bekannte zur Beschaffung und Schleusung der gefälschten Pässe und der im demokratischen Berlin wohnenden Personen ausgenutzt, ohne dass die festgenommenen Bürger der DDR über nähere Einzelheiten der Beschaffung ausländischer Pässe informiert sind. Es gibt jedoch eine Reihe Hinweise, dass Westberliner Studentenorganisationen und Konzerne (z. B. der Konzernbetrieb Ankermann & Co) als Hersteller und Vermittler gefälschter Pässe und als Organisatoren des Menschenhandels in Erscheinung treten.2
Das wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass ein großer Teil der mit ausländischen Pässen angetroffenen und festgenommenen Personen aus Kreisen der Studenten und der Intelligenz stammt.3
Zur Beweisführung soll nur auf einige Beispiele von in den letzten Tagen festgenommenen Personen hingewiesen werden.
Der 24-jährige Student an der Westberliner »Freien Universität« Görlach, Manfred, schleuste seit September 1961 mehrfach mithilfe verfälschter Ausweispapiere, darunter einen schwedischen Reisepass, mehrere im demokratischen Berlin wohnende ehemalige Studenten der »Freien Universität« illegal nach Westberlin. Beim erneuten Versuch, eine weibliche Person nach Westberlin zu schleusen, erfolgte am 13.12.1961 seine Festnahme.
Die medizinisch-technische Assistentin [Name 1], 22 Jahre alt, zuletzt beschäftigt im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt, wurde am 23.12.1961 festgenommen, weil sie mit einem gefälschten französischen Reisepass das Gebiet der DDR ohne erforderliche Genehmigung verlassen wollte. Sie erhielt diesen Pass von dem im Juli 1961 republikflüchtig gewordenen Medizinstudenten, dem Beschuldigten Schaarschmidt, Wolfgang, 31 Jahre alt, zuletzt Student an der Universität Hamburg. Schaarschmidt setzte sich am 20.12.1961 mit der Leiterin der sog. Flüchtlingsstarthilfe e.V. Hamburg, Frau [Name 2], in Verbindung und ersuchte sie, ihm eine ausländische Studentin zu vermitteln, die ihm ihren Reisepass übergibt. Mit dessen Hilfe wollte er die [Name 1] nach Westdeutschland verschleppen. Zur weiteren Organisierung der Flucht erhielt er von der [Name 2] 500 Westmark.
Die 27-jährige Sachbearbeiterin [Name 3], aus Berlin-Köpenick, [Straße, Nr.], festgenommen am 23.12.1961, traf Mitte November 1961 mit ihrem ehemaligen Arbeitskollegen [Name 4] zusammen, der ihr mitteilte, dass sie über die Adresse [Name 5], Berlin-Charlottenburg, [Straße, Nr.] in den Besitz ausländischer Pässe kommen könnte, mit deren Hilfe sie in der Lage sei, die DDR illegal zu verlassen. Sie schrieb daraufhin an ihren in Westberlin wohnenden Freund [Name 6] und bat diesen, ihr bei der angeführten Adresse einen gefälschten Pass zu beschaffen.
Am 23.12.1961 erhielt die Beschuldigte von ihrem Freund einen Brief, in dem sich ein gefälschter schwedischer Pass befand. Darüber hinaus sollte sie sich am gleichen Tage um 17.00 Uhr am Pavillon »Sybille« in der Friedrichstraße mit einem unbekannten Mann treffen. Dieser verlangte von ihr den DPA und übergab ihr einige Westmark sowie Hinweise für ihr Verhalten bei der Kontrolle.
Der 48-jährige Grafiker [Name 7], aus Potsdam, festgenommen am 26.12.1961, wollte am 26.12.1961 gemeinsam mit seiner Ehefrau [Name 8] am Ausländer-Grenzkontrollpunkt Berlin-Mitte, Friedrichstraße unter Zuhilfenahme von österreichischen Reisepässen, die auf die Namen [Namen 9u. 10] und ausgestellt waren, auf illegalem Wege die DDR verlassen. Der Beschuldigte sagt aus, dass er die österreichischen Reisepässe durch Vermittlung seiner ehemaligen Arbeitsstelle Fa. Leineweber, Bernhard in Westberlin, wo er bis zum 13.8.1961 als Grenzgänger tätig war, erhalten hat. Am 29.12.1961 wurde der Leiter des Reisebüros »Austria« in Westberlin, Steglitz, festgenommen, der die österreichischen Pässe für das Ehepaar [Name 7/8] illegal eingeführt hatte.
Ebenfalls am 29.12.1961 wurden auch die Lehrerin [Name 11] aus Berlin-Weißensee und der Laborant [Name 12] aus Berlin-Weißensee festgenommen, als sie versuchten mit österreichischen Pässen nach Westberlin zu gelangen.4
Aufschlussreich für die Beschaffung ausländischer Pässe sind auch die Angaben von drei bereits im November festgenommenen Personen.
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Der 28-jährige Schweizer Student [Name 13] vom Swiss-Mercantile-College in London, festgenommen am 27.11.1961,
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der 21-jährige Medizinstudent [Name 14] von der sog. Freien Universität in Westberlin, festgenommen am 17.11.1961,
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sowie der 20-jährige Pädagogikstudent [Name 15] von der Humboldt-Universität Berlin, festgenommen am 18.11.1961,
haben die im demokratischen Berlin wohnhafte Buchhändlerin [Name 16] sowie den Angestellten der Deutschen Staatsbibliothek [Name 17] und die bei der VVB Kali in Erfurt tätige Stenotypistin [Name 18] zum illegalen Verlassen der DDR aufgefordert und sie mit verfälschten Schweizer Reisepässen ausgestattet, um ihnen damit das illegale Verlassen der DDR zu ermöglichen. In den Besitz der Schweizer Reisepässe gelangten sie durch in Westberlins studierende Schweizer Bürger, deren Ausweise mit den Passbildern der abzuwerbenden Personen versehen wurden.
Die 19-jährige Laborgehilfin [Name 19], wohnhaft: Berlin N 113, [Straße, Nr.], festgenommen am 28.12.1961, vereinbarte mit ihrer Mutter [Name 20], ihrem Bruder [Name 21] und ihrer Schwester [Name 22], die DDR illegal zu verlassen. Nach Absprache mit ihrem in Westberlin wohnenden Schwager, [Name 23], der sie bis Dezember 1961 mehrfach im demokratischen Berlin besuchte, beschaffte dieser den vorgenannten Personen gefälschte ausländische Pässe. [Name 20] und [Name 21] erhielten von [Name 23] österreichische Pässe, während ihre 15-jährige Schwester [Name 22] einen schwedischen Pass und die Beschuldigte einen dänischen Pass erhielt. Einzelheiten, wie [Name 23] in den Besitz dieser gefälschten Pässe kam, sind der Beschuldigten nicht bekannt. [Name 23] brachte am 28.12.1961 die Ausweise in das demokratische Berlin.5
Außerdem wurden in den Vernehmungen einer Reihe weiterer Personen Versuche nachgewiesen, wo diese Personen mit den bereits angeführten Methoden in den Besitz ausländischer Pässe zu gelangen trachteten und diese ihnen auch versprochen wurden, bzw. wo feindliche Elemente Abwerbungen mit dem Versprechen von Pässen vorbereiteten.
Der Buchhalter [Name 24], 24 Jahre alt, zuletzt Theologiestudent am Evangelischen Sprachenkonvikt Berlin N 4, wurde am 23.12.1961 festgenommen, da er am 18.12.1961 im Auftrage eines Westberliner Theologiestudenten eine Bürgerin der DDR in ihrem Wohnsitz aufsuchte. Er verleitete diese Bürgerin, die DDR ohne erforderliche Genehmigung zu verlassen, wobei er ihr die Beschaffung eines gefälschten österreichischen Reisepasses zusicherte.