Selbstmord eines SED-Instrukteurs in Karl-Marx-Stadt
8. Dezember 1961
Einzel-Information Nr. 766/61 über den Selbstmord eines verantwortlichen Parteifunktionärs der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt
Am 7.12.1961 gegen 11.40 Uhr wurde der Instrukteur im Sektor Leitende Organe bei der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt, Genosse Siegfried Vogel, von einem Suchkommando des VPKA Karl-Marx-Stadt in einem unwegsamen Gelände zwischen den Schießplätzen im Zeißigwald/Karl-Marx-Stadt tot aufgefunden. Die bisherigen Überprüfungen ergaben, dass sich der Genosse Vogel mit seiner Dienstwaffe erschossen hat (die Tatwaffe wird kriminaltechnisch untersucht und die Obduktion der Leiche erfolgt am 8.12.1961).
Genosse Vogel hatte seine Dokumente und eine Kollegmappe mit seinem Arbeitsbuch und Aufzeichnungen bei sich. Vor seinem Selbstmord schrieb er noch einige Zeilen an seine Ehefrau, so u. a.: »Ich kann nicht anders, keine Kraft mehr zum Leben, niemand kann mir helfen.«
Vom Verhalten des Genossen Vogel in den letzten Tagen vor seinem Selbstmord wurde bis jetzt folgendes bekannt:
Genosse Vogel erhielt am 4.12.1961 von seinem Abteilungsleiter, Genosse Höhlig, den Auftrag, bestimmte Aufgaben im Industriewerk Karl-Marx-Stadt durchzuführen. Er kam am gleichen Tage gegen 16.45 Uhr zur Bezirksleitung zurück und erklärte, dass er den Auftrag nicht erfüllt habe; er sei zwar in der Stadt gewesen, könne aber nicht mehr sagen, wo er war. Dem Genossen Vogel wurde daraufhin empfohlen, am 5.12.1961 zu Hause zu bleiben, wenn sich sein Zustand bis dahin nicht gebessert hat.
Am 6.12.1961 habe Genosse Vogel wie üblich gegen 7.00 Uhr seine Wohnung verlassen und sich von seiner Familie verabschiedet. Der Ehefrau sei nichts Besonderes aufgefallen, außer, dass er – entgegen seiner sonstigen Gewohnheit – zurückgewinkt habe. Genosse Vogel erschien an diesem Tage aber nicht an seiner Arbeitsstelle. Der Leiter der Abteilung Sicherheit bei der SED-Bezirksleitung verständigte erst gegen 18.00 Uhr den Leiter der Abteilung K bei der BDVP.
Es wurde angenommen, dass sich Genosse Vogel im Stadtgebiet oder an einem anderen Ort aufhält. Die von der VP eingeleitete Suchaktion blieb zunächst erfolglos. Der 1. Sekretär der Bezirksleitung, Genosse Weihs1, wurde am 6.12.1961 gegen 23.00 Uhr vom Leiter der Bezirksverwaltung des MfS informiert, nachdem die BV des MfS erst inoffiziell von der Suchaktion der VP Kenntnis erhalten hatte.
Genosse Vogel war am 15.3.1946 der SPD/SED beigetreten, arbeitete nach 1945 in der Gemeindeverwaltung Börnichen b. Oederan und später in der VEAB Oederan. Er war ab Mai 1947 als Sachbearbeiter im FDGB-Kreisvorstand Flöha und ab 1951 als Vertreter des damaligen Amtes für Information im Kreis Flöha (beim Rat des Kreises) tätig. Im Oktober 1952 erfolgte sein Einsatz als Abteilungsleiter in der SED-Kreisleitung Zschopau. Von 1956 bis 1957 nahm er an einem Lehrgang der Bezirksparteischule Mittweida teil. Nach Absolvierung des Lehrganges wurde Genosse Vogel bei der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt als Sektorenleiter für Information eingesetzt. Von 1958 bis Anfang November dieses Jahres arbeitete er als »persönlicher Mitarbeiter« des 2. Sekretärs der Bezirksleitung, Genossin Meschter. Laut Beschluss des Sekretariats der Bezirksleitung wurde Genosse Vogel dann als Instrukteur im Sektor Leitende Organe eingesetzt, da es keine Planstelle als persönlicher Referent des 2. Sekretärs gegeben habe. Wie verantwortliche Funktionäre und Mitarbeiter der SED-Bezirksleitung erklärten, sei Genosse Vogel der Genossin Meschter »sehr ergeben gewesen.«
Vom 18.11.1960 bis 10.12.1960 war Genosse Vogel in der Nervenklinik Karl-Marx-Stadt, nach bisherigen Informationen wegen »Depressionserscheinungen«. Im Februar 1961 erfolgte eine Untersuchung durch den Facharzt für innere Krankheiten Dr. [Name] (Poliklinik Karl-Marx-Stadt, Göbelstr.). Nach dieser Untersuchung wurde eine Nervenkur befürwortet, die Genosse Vogel vom 3.8 bis 29.8.1961 im Sanatorium Gottleuba durchführte.
Über die Gründe des Selbstmordes liegen bis jetzt noch keine weiteren Informationen vor. Vom MfS wurden entsprechende Maßnahmen zur weiteren Aufklärung des Selbstmordes eingeleitet.